Das Arbeitsjournal des Montags, den 30. Oktober 2017. Ein jedenfalls vorläufig letztes Mal Peixotos Friedhof der Klaviere, zuvor aber wieder Christopher Ecker. Außerdem Diaphanes, Ann Cotten, Monika Rinck und André Heller.


[Arbeitswohnung, 6.22 Uhr:

Mal wieder gelungen: ein "klassischer" Vierschicht-Lattemacchiato. 30.10.17, 6 Uhr
Pettersson, Sinfonie III]

Unterwegs zur Buchmesse, als er gerade im Abteil Platz genommen hatte, stellte er fest, daß er keineswegs, wie er die ganze Zeit gedacht hatte, ein Autor war. Er hatte, wurde ihm bewußt, nie ein Buch veröffentlicht. Außerdem hatte er nie eines geschrieben. Ja, begriff er mit einer Belustigung, die ihm unter anderen Umständen Angst gemacht hättee, er hatte nie auch nur eine einzige Zeile geschrieben, die es verdient hätte, „literarisch” genannt zu werden. Also was mache ich hier?
Ecker, >>>> Andere Häfen, Das Schild.

Tatsächlich, ich habe meine tägliche Morgenlektüre zwei Tage lang nicht nur ausgesetzt, nein, sie vergessen. Das >>>> Motto von vorgestern hat schon recht.
Ecker wird es mir verzeihen: Denn heute früh ist mir ein sehr schöner Vierschicht-Lattemacchiato gelungen, kurz nach sechs, als ich aufgestanden war. Das ist, sieh‘ Bild, ein Zeichen, oder?

Nun ist >>>> das grandiose Buch vorübergerauscht – so eindrucksvoll, daß ich gestern abend noch eine Rezension zu ihm geschrieben und sie an >>>> Volltext geschickt habe. Nimmt man sie dort nicht, werde ich es anderswo versuchen.
Eigentlich müßte ich es ein zweites Mal lesen. Aber ich nahm mir das >>>> Diaphanes-Magazin; auch dieses ist ein >>>> Buchmessenfund, sogar ein besonders nachdrücklicher:

Diaphanes Mag 2

Schon das Format, 33,5 x 22 cm, besticht, die Druckqualität sowieso, genauso wie der ludente Name (ist ein Neologismus, das „ludent”, oder? fiel mir als passend aber ein); der Inhalt gemischt aus Kunst, ästhetischer und politischer, mithin philosophischer Theorie, Originalliteratur, zweisprachig, sogar dreisprachig (Deutsch, Englisch, Französisch), europäisch also. Hab mich in Ann Cottens witzig-sperriges Selbstinterview reingelesen, obwohl ich um Monika Rinck den Kreis genauso meide wie sie mich, also von Sabine Scho abgesehen, so daß ich eigentlich nur Monika Rinck meide. „Die bauen sie grade für den Büchnerpreis auf”, flüsterte mir auf der Messe ein (Ein)Geweihter zu. Ah so, jaja, nun, sollnse. Wer „sie” sind, muß nun keine fragen – Männer halten besser sowieso den Mund. Er wird ihnen sonst mit den eigenen Schwänzen gestopft; das ist so Mafiasitte. Abgeschnitten, letztlich, sind sie ja schon. Die Hoden werden nachgestopft. Auch in der Camorra haben unterdessen manche Frauen das Sagen).
(O verzeihn Sie, Freundin, will nicht schimpfen. Männer haben schon immer gut dazu getaugt, Befehle zu exekutieren. Das Pendant zu autoritärem Verhalten, also Selbstvergottung, ist >>>> der Bückling, dem der Arschkriech folgt. Der geht auch gut bei Frauen. Schon riecht’s nach altem Räucherfisch und Pups.)

Gut, die Rinck beiseite. Sie wurde soeben Vizepräsidentin der Sprachdichts-Akadämje. Statt dessen Cottens freche Helligkeit in diesem Magazin. Das sich zudem Verweigerern widmet, und Ausgestoßenen, die es allerdings trotzdem geschafft haben, sich zu behaupten: Tom Kummer zum Beispiel. Dabei wird freilich deutlich, welche Rolle Geld hier spielt. Wenn ich welches hätte, wäre mir mein Unholddasein ganz ebenso egal; ich lehnte mich zurück, um es zu genießen, und ginge als >>>> admirador völlig auf. Es wäre geradezu ein Luxus, der Bekanntheit sogar noch bedingte.
Na, wurscht.
Denn in dem Magazin finden sich zugleich so poetische Sätze wie der, als Nachschrift, von Trmasan: „Habe ich Dir eigentlich schon geschrieben, daß traurige Menschen Blautöne schlechter unterscheiden können als fröhliche?”
Da geraten wir echt ins Nachdenken, was übrigens, das Wort, bedeutet, daß etwas dem Denken vorgängig sein muß, ein, mithin, ihr Frauen, Objekt, das es nicht erst erzeugt. So lese ich denn auch in dem Magazin Milo Raus Sätze zu Kant, „dieser Badiou” ! „des 18. Jahrhunderts, der das Metphysische mathematisch faßt, der den Empirismus und den Dualismus überwindet, der das Subjekt zurückführt ins An-sich-Seiende. (…) Die Transzendentialität des Subjekts ist ein Konzept, es ist nicht gegeben, es muß künstlich” – ich sage künstlerisch – „hergestellt werden und existiert nur im kartografierten Raum des geistigen oder agonalen Spiels.” Spiels, ecco.
Was das Magazin aber vor allem auszeichnet („Etwas Besseres als den Tod findest du überall”), ist die – von den teils expressiven Bildstrecken abgesehen – typografische Gestaltung. Hier ist quasi alles erlaubt – sofern es Eleganz hat: Es ist eine von vorne bis hinten zutiefst ästhetische Zeitschrift. Ich konnte nicht anders und habe drei der Béartgedichte hingeschickt. Ma‘ gucke‘. Außerdem, und selbstverständlich unabhängig davon, habe ich sie >>>> abonniert. Das sollten auch Sie, liebste Freundin, tun, und zwar unbedingt. Denn, so sagt in dieser Ausgabe >>>> Alexander García Düttmann, >>>> „Je mehr es gelingt, die Anarchie zu bannen, desto mehr muss sie produziert werden.”
Vier Ausgaben jährlich 50 Euro, incl. Porti.

*

[8.16 Uhr
Pettersson, Sinfonie IV]

Die Löwin bat um eine weitre Stunde Schlafs, „bin erst um vier zur Ruhe gekommen”. Nachts hatte sie, erzählte sie, >>>> Die wahren Abenteuer des André Heller gesehen und einige Parallelen zu nun meiner Umstrittenheit bemerkt. Was Wunder, er war mir in meiner Bremer Zeit (1974 bis in den Frühsommer 1981) eine Art Vorbild – eben seiner Nichtkorrumpierbarkeit wegen, aber auch weil mich einige seiner Lieder mitrissen. Darüber habe ich Ihnen bisweilen schon geschrieben, oder?
Bei ihm tat mir die – weil sehr deutlich zitierte – UMusik auch nie weh. Jetzt erfahren wir, er habe sich ihr zugewandt, weil ihn die intellektuellen Kreise Wiens ausstoßen wollten, bzw. nicht hereinließen. Das freilich wußte ich schon. Noch heute, spricht man in Wien jemanden auf ihn an, bekommt man die gleiche Abwehr zu spüren, der sich jahrzehntelang auch >>>> Paulus Böhmer ausgesetzt gesehen hat, bevor ihn die jungen Lyriker:innen entdeckte – übrigens auch, das muß ich ihr zugestehen, Monika Rinck, die wahrscheinlich sogar eine tragende Rolle bei seiner Kanonisierung gespielt hat. Was von Lyrik verstehen tut sie freilich doch. Gerecht will ich schon bleiben.
Hellers bei S.Fischer erschienene Bücher sind übrigens von hervorragendem Stil. Seinen Weg in den Zirkus bin ich allerdings nicht mehr mitgegangen. Ich verstand, was er wollte, dachte, fühlte, aber mir selbst blieb es so fremd wie sehr viel später sein – und anderer, selbst Konstantin Weckers – Friedensbewegungskitsch, den ich nur noch rhetorisch und in dem Wissen, nun jà, „goutieren” konnte, er diene einer „guten Sache”.
Dennoch, seltsam und bezeichnend, welche Kreise Entwicklungen ziehen, bzw. Spiralen – und über wieviel Jahrzehnte hinweg! Alles kommt, was wichtig war, wieder. Indes verwandelt, nicht wie einst.

[Szymanowski, Król Roger]


Um 17 Uhr Champagner in Skype mit der Contessa: Der lektoratsfähige Ghostroman ist nun endlich an die Agentur hinausgegangen… nein, noch nicht. Sondern wir wollen einen Akt daraus machen. Ihre Idee. Ich drücke auf „Senden”, und die Contessa läßt den Korken knallen. Da wir noch nicht soweit sind, uns ein gefülltes Glas real durchs Netz reichen zu können, werde ich meinerseits mit dem Sundowner anstoßen. Und kann nun endlich anfangen, die ersten Aufnahmen für das zweite Projekt abzutippen, für das ich von ihr engagiert worden bin.
Weiters will ich heute meine >>>> Peirani-Kritik schreiben und an >>>> faustkultur schicken; immer noch ist sie liegen geblieben. Dann geht’s an die nächste Früherzählungsüberarbeitung. Mangel an Arbeit habe ich nicht. Ah jà, auch mit der Durchsicht von >>>> Thetis, für die zweite Auflage, will ich beginnen.
Es wird nötig werden, die >>>> Dts’e neu aufzunehmen. Ohne Struktur geht es nicht mehr.

Freundin, Sie werden es nicht glauben: Berlin hat S o n n e heute! Genauso lächele auch ich Sie – admiradisch – an. Geben Sie nur zu, sich dem nicht entziehen zu können, „Objekt” nun her und hin: Ich bin doch Ihres a u c h. Also nehmen Sie die Rose gefälligst entgegen!

rose

10 thoughts on “Das Arbeitsjournal des Montags, den 30. Oktober 2017. Ein jedenfalls vorläufig letztes Mal Peixotos Friedhof der Klaviere, zuvor aber wieder Christopher Ecker. Außerdem Diaphanes, Ann Cotten, Monika Rinck und André Heller.

  1. P.S.: Spätabends, eigentlich schon nachts erreichte mich im Messenger ein weibliches Notat, einschlaflos an der Küste geschrieben:

    Den Wind könnte man im Halbschlafe (…) fast mit der Brandung verwechseln – wären da nicht die brünstigen Hirsche.

  2. Na, ich bin mir manchmal nicht sicher, ob es nicht umgekehrt ist, dass Monika Rinck mich und andere meidet, also, doch, bin ich mir ziemlich sicher, bei mir, aber auch, dass sie nahezu keine Zeit hat, ein Arbeitstier ist, protestantisches Ethos und es vielleicht nicht schadet, wenn sie etwas mitzubestimmen hat, höchstens ihr. Dass es mir groß was nützen könnte, erhoffe ich allerdings auch nicht, dazu ist viel zu klar, dass wir uns für ganz andere Texte und Gestalten begeistern. Außerdem ist, seit ich mich über den letzten Huchelpreis halböffentlich auskotzte, eh etwas der Wurm drin. So wie ich sie kenne, macht sie sich um Vieles n Kopp und kann weniger gut ab, wenn man sie ablehnt, sie ist halt auch erfolgsverwöhnt, das macht ja mit allen was, das Gegenteil allerdings auch. Aber auch sie zahlt einen Preis für den Erfolg, das ist klar, keinen gar so kleinen. Sie ist aber nicht ungeeignet für solche Posten. Sie will was zu bestimmen haben und kennt sich auch aus, das war immer klar, ernstzunehmende Konkurrenz ist ihr allerdings nicht lieb, aber wem ist sie das schon, aber, ich bin ja eh Akademieskeptikerin, bin gespannt, ob sich was ändert, wenn sie mitmischt, schlecht wäre das ja nicht.

    1. diadorim: Na ja, was soll sich ändern überhaupt können? Allenfalls werden sie Dir die Mitgliedschaft anbieten – was freilich nett genug wäre. Mehr aber wohl nicht, rein objektiv. (Ich selbst wurde bis heute nicht gebeten; das wird sich ganz sicher auch nicht mehr ändern – so, wie ich zeitlebens nie in irgendeine Jury gebeten wurde. Nachvollziehbar. Nichtangepaßte sollen auf gar keinen Fall mitbestimmen können. Es ist fast ein Ehrenzeichen.)

    2. Sie wird mich nicht vorschlagen, genau so wenig, wie es Ulrich für die AdK tut, beide wollen mich nicht in ihrem Dunstkreis. Macht aber nix, ich leg auch keinen gesteigerten Wert drauf.

    3. Was nicht heißt, dass zumindest Monika sich nicht auch mal für mich verwendet, wenn sie mal kuratiert, aber mich am gleichen Tisch haben, mit gleichen Stimmrechten, das wohl eher nicht, das wurde über die Jahre auch immer klarer. Aber mein Weg war und ist eh ein ganz anderer, schon allein durch 8 Jahre Brasilien. Und wie lange es Berlin bleibt, vamos ver. Wer mich nicht will, den will ich auf die Dauer auch nicht, dafür gibt es zu viele andere interessante Orte und Menschen und Projekte. Die Frage müssen sich eher die anderen Stellen, können sie es sich auf die Dauer leisten, mich klein zu halten ;).

    4. „Sie“ @diadorim können sich a l l e s leisten; Macht wird nur bei sehr schweren Vergehen zur Verantwortung gezogen, und auch das nur dann, wenn viele sich zusammentun, um Widerstand zu leisten; siehe Weinstein. Literatur hingegen ist öffentlich bedeutungslos geworden, von >>>> dieser Asta-Farce mal abgesehen, bei der es um Dichtung indes letztlich gar nicht geht, auch wenn sie, dialektisch ist der Weltenlauf, Bedeutung durch sie zurückgewann. Es ist bloß eine hohle: ein Correctness-Mainstream-Wasserglassturm.

    5. Na, ihr Wirkungskreis ist ja auch nicht riesig, schon gar nicht in diesen Zeiten, wo sich eh jeder sein eigenes Publikum suchen geht. Und einem ein Literaruragent oder Youtubekanal meist doch noch weiter hilft, als eine Akademie…

    6. Und Vize sein ist keine leichte Aufgabe dazu. Heißt, Arbeit, die anfällt, macht der Vize, entscheiden tut immer noch der Präsident.

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