III, 343 – Ka

Um diese Zeit gibt es normalerweise keinen Insektenverkehr mehr, also etwa Brummfliegen, Bienen, Wespen, die sich an Fensterscheiben fast schon zerschmettern, hinter denen Sonnenlicht lockt, um sich in es als Freie zu begeben. Es geschah jetzt aber vor wenigen Minuten, daß etwas Käferbeiniges auf der Seite mit der peruanischen Hochzeit (sie 42, er 39, beide geschieden) sich krabbelnd zeigte. Zweimal überlebte es meinen Finger, nach dem dritten Mal blieb es neben dem Wort “decalcomania” liegen. Abziehbild. Obwohl wahrscheinlich Kopien gemeint sind. Mein steinernes Herz.
Wie es ja auch die Herzskarabäen sind, nämlich aus Stein bzw. bestenfalls aus grünem Jaspis. Und so liegt er nun, allerdings ziemlich ungrün, da bis wahrscheinlich morgen früh, denn ich bin umgezogen into the livingroom. Wenn ich den Rest der peruanischen Hochzeit amtlich ins Reine bringen muß.
Weg von dem Toten, das mich an meinen Tötefinger gemahnen könnte. O, ich begrub auch mal feierlich Marienkäfer als Kind, die durch mich ein solches Begräbnis erforderlich machten. Denn:
En général, on réserve le nom de scarabées de coeur aux gros scarabées porteurs du chapitre XXX B ou XXX (gemeint ist das ägyptische Totenbuch), adjurant le coeur de ne pas se montrer hostile envers le défunt lors de la psychostasie, et qui étaient placés plus ou moins dans la région cardiaque de la momie. Michel Malaise, Les scarabées de coeur dans l’Egypte ancienne (Bruxelles 1978).
Sterben sei schließlich nicht verboten, schrieb ich neulich, bevor mir die hawaiianische Hauptinsel auf dem Unterarm (ich schrieb neulich über diese dort sich insular gebärdenden Flecken) unversehens durch das zufällige Berühren einer Kruste eine Blutlava bescherte, “das Ziel schon ins Auge fassend, das Allem was Leben athmet gesteckt ist” (Kleist, Zweikampf). Nichts hatte darauf hingedeutet, denn aus der Wäsche gucken sonst nur Hände, Kopf und Füße (je nun gelegentlich auch die Beine und auch sonst die restliche Landkarte, aber vieles Reisen macht mich eigentlich überdrüssig).
Ich klebte drei Pflaster darauf, wand einen Seidenschal darum, den Ihre Hand mir mal beschert, aber so altherrlich aussieht, daß ich ihn fast nie meinem Hals anvertraut. Seitdem schläft er wie der Vesuv, den ungern ich weckte.
Denn Reisefaule unterliegen leicht den Vulkanen, die über ihnen sich erheben wie Finger, die einem Käferlein “durch einen voreiligen Sterb” (Jean Paul, Nachlese – Saturnalien) den Garaus machen. Es erfuhren so etwas die Pompejaner.
Auch fast so, wie das Heben und Senken der Finger auf der Tastatur, um in der Übersetzung den Originaltext mählich sterben zu lassen. Im Grunde versuchen wir immer, etwas totzuschlagen, und sei’s die Zeit. Somit wären auch für die Zeit Herzskarabäen vonnöten, um ihr zu zeigen, man sei ihr, der toten Zeit, nicht böse.
Was aber auch hieße, man könne durchaus der lebenden Zeit und überhaupt den Lebenden böse sein. Tatsächlich glaube ich, gestern lächelnd böse gewesen zu sein. Sogar zweimal. Weil ich etwas abwegig auf Einladungen reagierte, die eine für eine Ausstellung von Grottesken-Fotografien, die mir der dann wohl Vortragende machte und bei der ich dann auch nicht gewesen bin, die andere für ein immerhin noch ‘eventuelles’ Abendessen, dem Lust keine Blüte treiben wollte. In dem einen Fall sagte ich “vielleicht” und meinte “eher nein”, in dem anderen, sie möge mir eine Einladung per Einschreiben schicken und dito dasselbe.

o cör de ma meer, o cör de ma meer, o herzmusculus meiner wandlungen, zeuge nicht gegen mich, widersetz dich meiner nicht vor dem gericht, zeig nicht feindschaft wider mich vor dem wächter der waage, denn du bist mein ka

5 thoughts on “III, 343 – Ka

  1. Wer @ Ka ist gemeint? Kiplings Großer Ka sicher nicht, oder?

    Kaa Kipling Jungle Book

    Doch wenn, es wäre eine phantastische Konnotation – eine nämlich unmögliche, so würden manche behaupten. Denn es ließe gerade sie, um >>>> mit Gottfried Keller zu sprechen, die Phantasie die Adler fliegen – auch deshalb, weil die uns unversehens zurück in Ihren, Herr Lampe, sehr schönen Beitrag trügen, placés plus ou moins dans la région cardiaque du texte: “Hier schwingen sie wohl nimmer mich hinaus.”

    (Was trägt, was trügt?)

    1. allerdings tragen Erklärungen nichts zum Inhalt bei, der im Leser entsteht, insofern bin ich Planet eines Nebenplaneten. Man kann ihn benamsen wie mal will, ob “Pluto, Proserpina oder Minos”, er, der zitierte Steinhäuser (in S. Gilberts Annalen 1817, B. 27, St. 4 benamst er ihn Minerva (später in der allg. Literatur-Zeitung N. 24, 1818, hingegen Pluto (laut ‘Unternacht-Gedanken über den magnetischen Weltkörper im Erdkörper; nebst neun magnetischen Gesichten’, aus der Nachlese des Jean Paul in seiner Anmerkung plus der diesbezüglichen Anmerkung im Anmerkungsteil des Herausgebers Norbert Miller)).

    2. Ka@Bruno Lampe Das ist ja noch viel feiner!

      Der Ka ist in der altägyptischen Mythologie ein Aspekt des Seelischen, der den physischen Tod des Menschen überdauert. Er verlässt den Körper des Sterbenden und existiert dann eigenständig weiter. Der Ka geht im Gegensatz zum Ba keine Verbindung mit dem Leib des Leichnams ein, sondern tritt als „Ego des Lebenden nach seinem Tod“ heraus, um als Wesensseele, Schutzgeist und Doppelgänger (häufig in Gestalt eines Tieres als Alter Ego) des Toten zu wirken.
      Wikipedia

      So gesehen, wäre Kaa für Mowgli ein Ka, das (der) ihm als Schutzgeist gegenüberträte. Möglicherweise hat Kipling genau darauf anspielen wollen.

Schreiben Sie einen Kommentar zu Bruno Lampe Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .