Orpheus und der Sirenengesang, den Kinski hörte wie er. Das Arbeitsjournal des Sonntags, den 19. November 2017. Mit Klaus Kinski.


[Arbeitswohnung, 9.59 Uhr
Der Ofen bollert, das Oberlicht steht auf:
Kühle, die in die Wärme zieht.]

Der gestrige Tag lief, Freundin, völlig aus dem Ruder. Geschafft habe ich quasi nichts und muß heute „nachholen”.
Es war einfach so, na ja, „einfach”… war so, daß der Unterleib ausbrach und mich durch den Tag trieb, was heißt: durchs Netz. Und fang ich damit einmal an, komm ich nicht mehr los. Einen „realen” „Ausweg” habe ich derzeit ja nicht, das Herz, wie Sie wissen, schlägt weit fern, zumal die Löwin, unterdessen, ihr Begehrnis mit jemandem anderes stillt – a n jemandem ist, denk ich, präziser.
Und Chats, diese imaginäre Onanie zu zweit? Die Zahl 62, bald 63, erlaubt sie nicht mehr oder macht sie doch zeitweise unerquicklich. Ich fiel aus dem Raster; das Netz ist unerbittlich. Mich jünger zu nennen, als ich‛s bin, dazu bin ich zu stolz. Es wäre schlichtweg Kapitulation.
So seh ich zurück, den Wunsch, noch einmal Vater zu werden, aufgegeben, und lebe in Beziehungen, die, wie fest und innig sie immer sind, an den Rändern flimmern – oder, ecco, flirren wie >>>> meine Poetik. Selbst schuld, also, sage ich mir und taumel unter Geistern.
Die ich rief und über die gestern Peter H. Gogolin >>>> Treffliches schrieb.

Und dann aber dieses Gedicht! Ja, Freundin, die zweite Kleine Poetik >>>> steht jetzt drin; ich hab doch gesagt, daß Sie Geduld haben müssen, mit einem wie mir ja sowieso. Doch als wär‛s noch nicht genug, dies tote Vögelein, spielt heut >>>> mein täglicher Morgenecker mit Wittgenstein herum: „Über die Jahre entsteht natürlich der Verdacht, daß der Block nichts enthält oder etwas ganz anderes, als die Legenden erzählen.” Das eigentliche Erbe ist eine diesmal sogar nur eine Dreiviertelseite kurze Erzählung, deren „Anleitung” nach ihrem Zusammenbau vernichtet zu werden habe, „verbrannt”, schreibt Ecker und ergänzt, es sei sogar so, daß sie, die Anleitung, nach ihrer, der Erzählung, Vollendung sich von selbst entzünde.
Hätte ich die Geschichte geschrieben(, hab ich aber nicht), hätte ich aufs Feuerbild verzichtet und wäre grausamer gewesen und diese Anleitung sich selbst s c h r e d d e r n lassen; das hätte in den Köpfen noch mehr Knicke gemacht, vor allem auf die Romantik verzichtet, die sich bei Ecker in Tonscherben, Rubinspindel und Silberhelix synthetisiert:

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Abends Freund Broßmann, wie aßen und aßen, dummerweise hatte er zwei schwere Rotweine mitgebracht. Für mich ist Rotwein nicht gut, ich brauche klare helle Gebirgsbachweine, sonst wird mein Kopf sehr schwer und fühlt sich, wenn ich morgens erwache, wie ein Pappkarton an, auf den man bumpernd einklopft. Das ist nicht schön.
Wir aßen und sprachen. Und wieder warn wir bei Frauen.
Ich erzählte ihm von meiner Pornossee (Pornos See) & Odyssographie, den Äolsböen, den Circes, die mich zum Wildschein verwandeln, und von all den Sirenen, gegen die ich das Wachs nicht kenne… denn die Wahrheit ist, daß ich Musik nur deshalb so besessen höre, so lautstark, weil sie ihr, der Sirenen, Gesang übertönt und ich doch gleichzeitig weiß, daß sie, die Musik, sein eigentlicher Ausdruck ist. In den Pornos allerdings ist sie nur seltenst zu ertragen: Sie singt da einfach falsch. Stell ich aber den Ton ab, hör ich die Sirenen wieder und bin nun doppelt verloren.
Um den Druck loszuwerden, den nun aber i c h besinge, muß ich genau das auch tun, und zwar in dem ich ihm Form geb: gestalteten Inhalt. – Nein, Freundin, k e i n e Sublimation! Es ist vielmehr Verwandlung.

Übrigens war der Freund ganz froh, mich wieder getrieben zu finden. „Du und ohne sinnliches Erleben… das wirkt auf mich befremdlich, ja unangenehm.” So oder ähnlich drückte er‛s aus und verzehrte – als Nachtisch . fast einen kompletten Camembert, aß auch das Schälchen Guarcamole noch leer und fast die ganze Trüffelwurst auf. Dazu dieser Rotwein, die beiden Flaschen waren schnell innen trocken, ich holte Weißwein aus dem Kühlschrank.
Jetzt sind nur zwei Cigarillos noch da. So war mir der Unterleib erst in den Magen, dann in die Lunge gestiegen, und endlich,, als Rauch, stieß ich ihn aus.

Jetzt werd ich, Freundin, wieder Geist, genötigterweise.

Komm! amoktoller Mohn!
Komm! lustbesautes Bett!
Ich bin dein letzter fortgepeitschter Sohn!
Komm! beiß mir in den Mund!
Komm! wildes Farbentrinken!
Komm! fiebre mich gesund!

Klaus Kinski,>>>> Orient

Kinski Fieber

6 thoughts on “Orpheus und der Sirenengesang, den Kinski hörte wie er. Das Arbeitsjournal des Sonntags, den 19. November 2017. Mit Klaus Kinski.

  1. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, hieß es bei uns daheim immer, wenn irgendwer was wollte, wo alle anderen dachten, jo mei, aber wieso denn bloß, sich dann aufhörten, das zu fragen, weil man wusste, was Menschen sich so wünschen und vom Leben so verlangen, das kann man ihnen schlecht ausreden. Kann man auch tatsächlich nicht. Es gibt aber einen Trick, denke ich nicht selten, der fast immer funzt, je weniger man will, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, es zu bekommen. Zumindes, wenn andere an der Erfüllung dieses Willens mitwirken sollen, denn meistens, kennt man ja von sich selber, will jemand was von einem, hat man da schon wenig Lust zu, dabei zu helfen, sieht alles nach Wahl aus freien Stücken aus, steigt die Wahrscheinlichkeit exponentiell, dass man es auch bekommt. Vielleicht ist es bei Dir auch das Problem, dass Du nicht einfach nur noch mal Vater werden wollen würdest, sondern Dir ja schon vermutlich auch Vorstellungen gemacht hast, mit wem das so passieren soll, ansonsten, könnte ich mir vorstellen, gibt es bestimmt auch das Pendant irgendwo da draußen, die einfach nur Mutter werden wollte. Aber das, nehme ich an, ist nicht der Plan dabei.

    1. Aber Diadorim… Es ist selbstverständlich nicht beliebig. “Einfach nur” Vater oder Mutter werden zu wollen und es dann zu werden, wäre eine scharfe Mißachtung des Kindes – um es deutlich zu sagen: ein Mißbrauch. Dann kommt es nämlich als Instrument fremder narzisstischer Wünsche zur Welt, da schon erniedrigt.

      Mehr sage ich – zumal oben gesagt wurde, was poetisch sich sagen läßt – darüber nicht.

    2. Also, meine bescheidene Meinung, unter diesem Mißbrauch leiden fast alle Nachkommen, die reine Selbstlosigkeit ist Familiengründung meist auch nicht. Vielleicht ja auch darum die ganzen Familienromane und Therapeut*innen. Ich halte Kinderwunsch für einen der narzisstischsten Wünsche überhaupt, anders ließen sich wohl auch kaum all die Strapazen bewältigen, sagen wir so, er ist ein notwendig narzisstischer Wunsch. Aber vielleicht wird Dein Sohn ja früh Vater, dann, so erleb ich es, ist Hilfe und Sorge der Familie höchst willkommen meist. Außerdem hörte ich, dass Joachim Unseld in Deinem Alter noch mal Vater wurde. Who knows what tomorrow will bring und Rainald Goetz soll auch inzwischen 2 Söhne haben, da war der auch schon weit in den Fünfzigern.

    3. Liebe. Alleine Liebe. Und: Zweie sehen sich und – wissen. Ob sich dann da zwei Narzissmen trafen, ist für das Kind ganz ohne Bedeutung. Es sollte sein, aus Liebe, und ward. Dies reicht für ein ganzes Leben, selbst wenn die Eltern sich später einmal trennen. Gewünscht gewesen zu sein – aus beider Leidenschaft.

      (Vielleicht mein tiefster Romantizismus. In jedem Fall ein Glaube.)

    4. Schon klar, aber auch aus dem Wunsch heraus, geliebt zu werden. So ein Kind kann ja auch erst mal gar nicht anders und das mit der Liebe geht in Familien ja auch hier und da mal schief, also, aus Liebe lassen sich ja viele Beziehungen knüpfen. Und selbst die, ich weiß von einem lesbischen Paar, das Kinder wollte und hat, qua Samenspende, da ist dann ja auch Liebe im Spiel, so gesehen halte ich pragmatische Lösungen nicht für verwerflich, warum sollte das Kind einer Leihmutter nicht geliebt werden z B? Also, wer unbedingt ein Kind will, findet meist genau so Mittel und Wege, wie keins zu wollen. Womit ich nur sagen will, vielleicht gibt es diesen Wunsch, aber er ist ein eher sehnsüchtiger, denn einer, von dem noch Dein ganzes Lebensglück abhängt, sonst würdest Du sicher tätig werden, wie ich Dich kenne, aber vielleicht kenne ich Dich auch schlecht. Aber ich kenne von mir so halbherzige Wünsche, die theoretisch existieren, aber sollte ich sie umsetzen müssen, schreckte ich vermutlich davor zurück, also willentlich. Alles, was irgendwie passiert, damit ist man ja auch geneigt, anders umzugehen, alles was man willentlich herbeiführen muss, ist da schon schwieriger und Kinder ‘passieren’ da eher noch selten, das stimmt wohl. Also ist Dein Wunsch eher so ein gesamtes Setting, ein Ideal, Vater, Mutter, Kind, alle beisammen, das ist dann aber weit mehr als ein Kinderwunsch, denke ich und völlig legitim ist er auch, also, nimms doch gelassen, wer weiß, welche Wendung das Leben noch nimmt, etwas von so einem Setting ist sicher noch dabei, ist es ja jetzt schon, es gibt ja einen Sohn.

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