III, 359 – Ti schermi / dal morso / de’ vermi

Ich kam vom Tabaccaio oder heute mal von der Tabaccaia zurück (der einzige Gang seit Tagen), besorgte mir noch kurz Rohrzucker (Mascobado) im Bioladen. Zu beidem hatte ich mich fast zwingen müssen, mein mittlerweile Troglodytenaussehen spottet jeder Beschreibung. Ein dicker Vollmond belohnte mich bzw. dessen versöhnender Anblick. An der Anschlagtafel der Totenanzeigen eine Jacoba-Johanna mit irgendwie niederländischem Nachnamen. Im Briefkasten dann ein Brief von der regionalen Gesundheitsbehörde. Sie erinnerte mich daran, dass seit 2006 das regionale Screening-Programm für die kolorektale Krebsvorsorge aktiv sei. Weshalb man an alle 50-74jährigen per Post einen “kit” geschickt habe. Zweimal kam dieser “kit” in den letzten Jahren hier an: er enthielt eine Plastikröhre für eine – wie man so sagt – Stuhlprobe. (Man drückt es halt nicht direkt aus, wenn’s im Deutschen heißt “Wie ist der Stuhlgang?”, heißt’s im Italienischen “Come va di corpo?”).

Den tatsächlichen Hergang meiner Sitzungen werde ich hier natürlich nicht beschreiben. Aber die Behörde wußte, daß ich mich dieser Screening-Kampagne nie angeschlossen habe. Dann gibt es noch eine dicke fettgedruckte Telefonnummer, die man anrufen könne.
Wahrscheinlich werde ich sie nicht anrufen. Denn, wenn ich eins fürchte, sind es vorsorgliche Behandlungen, die einen im Grunde bevormunden und den Körper vollends enteignen und zum Objekt machen. Nein, nicht zum Objekt, was schon wieder eine Reminiszenz der Avenidas-Diskussion wäre, bei der sich meine Glühbirne immer von selbst aus ihrer Fassung dreht, sondern schlicht zum Gegenstand.

Daß es dazu kommen kann, ist ein Gedanke. Wie etwa die gespenstischen Verse in >>> Arrigo Boitos Poem >>> “Re Orso”:

Re Orso,
Ti schermi
Dal morso
De’ vermi.

Aber König Bär ist König und hat einen Henker und läßt bei jedem Erklingen dieser Vese nach und nach alle köpfen und den Henker sich selbst, weil niemand mehr außer dem König Bär, dem diese Verse immer wieder erklingen, in seinem Schlosse am Leben war. Worauf er das Schloß verläßt und ganze einhundert Jahre durch die Welt zieht, um dann mit einhundertfünfzig Jahren doch noch zu sterben. Etliche Lustra braucht dann ein Wurm, der einst aus einem Apfel gekrochen während eines Banketts und ebenfalls auf Königs Geheiß den Kopf verloren (aber Gott schützt die Würmer, wie es heißt), um endlich den Sarkophag zu erreichen.

(Vgl. auch den Bärenhäuter in Arnims ‘Isabella von Ägypten’. (le lecteur s’amuse))

Daß der heilje Valentin auch so ein sogenannter Akephalos-Märtyrer (also “ohne Kopf”), daran gemahnt auch wieder die allernächste Wiederkehr des Wiegenfestes. We are not amused. Not really.

Andererseits muß ich demnächst dann doch meine Zähne usw. usf.

Acht Tage seit dem letzten Mal. Schuld war die Bedienungs- und Wartungsanleitung einer Elektrostauchmaschine. Sie ließ mich auch auf weitere drei Kaurismäki-Filme verzichten. Denn wenn es gegen sieben Uhr abends nicht mehr geht, geht auch nichts anderes mehr. Es sei denn, noch ein paar Kleist-Briefe an Wilhelmine in den Jahren 1800/1801 mit den Verwirrungen eines jungen Mannes, der etwas zu begreifen anfängt, aber noch nicht genau weiß, was. Ich habe eine große Sympathie für ihn. Aber was er so über die Rolle der Frau denkt, würde heute zu Entsetzensschreien führen. Halt Spiegel der Zeit. Das Gefühl, er arbeitet sich in den Briefen an Wilhelmine selbst ab, um zu etwas zu kommen, was man vielleicht so Seelenverwandtschaft nennen könnte, die er sich aber – ja, fast schon selbst – als vermeintliches Ideal verdichtend andichtet. Allerdings, es fehlen Wilhelminens (so mit diesem altmodischen Genitiv) Briefe.

Und denken an die Briefordner mit Briefen an Ihn (so nennt ich sich jetzt), verstaut unten rechts im Schreibtisch, um wahrscheinlich nie wieder gelesen zu werden)…

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