III, 361 – Immer unvorbereitet

Eigentlich wollte ich eine Begebenheit beschreiben, die mich damals in Berlin davon abstehen ließ, weiterhin die Seminare im Institut für vergleichende Literaturwissenschaft vor allem bei Hamacher zu besuchen. Es betrifft einen Abend mit einer Kommilitonin, die mir während einem der Seminare einen Pfennig als Glückspfennig vor mich hingelegt. Es kam dann zu einer Kneipenrunde in Kreuzberg 36. Und zu den Mechanismen, die ich schon auf dem Dorf eingelernt, wenn irgendwo ein Schützenfest oder ein Schwofabend war. Der Alkohol als Voraussetzung. Nö, nichts metoo-Verdächtiges, da keine Machtverhältnisse vorhanden, sondern nur Ohnmachtsverhältnisse. Nur Peinlichkeiten.

Aber die Einzelheiten, die mir dieser Tage ständig durch den Kopf gehen, sind nicht geeignet, wiedergegeben zu werden. Muß ich schon für mich behalten. Zudem war ich damals tatsächlich psychisch angeknackst, irgendwann dann der Gang zur Psychobetreuung der TU (?). Und besuchte bald überhaupt nichts mehr. Verdingte mich stattdessen bei meinem nunmehr von der FU entlassenen Italienisch-Dozenten, ihm als sozusagen Tippse und Vorübersetzer zu dienen. Gegen Schwarzgeld. War natürlich keine Zukunft.

Insofern ein immer wiederkehrendes Reflektieren über das, was Studium eigentlich bedeutet hat. Eigentlich nur die Auseinandersetzung mit sich selbst in der Unfähigkeit, sich den Sprachduktus des Akademischen anzueignen, auch wenn mir im ersten Seminar zum ‘Herzog Ernst’ das Nachplappern sehr gut gelang bei einem mündlichen Referat. Erst sehr viel später lernte ich Mandeville kennen, der heute wieder auftauchte, als ich anfing ‘The Antipodes’ von Brome zu lesen. Den Band kaufte ich damals in der Habelschwerdter Allee nicht weit von der Rostlaube zum einen wegen der Antipoden (Neuseeland-Phantasien damals) und zum andern wegen des Nachnamens, der dem Namen des Ortes homophon, dessen acht Kilometer entfernte Badeanstalt ich oft und gern aufsuchte, fleißig auf die Pedalen des Fahrrads tretend. Oft zu dritt oder zu viert.

Das Vorwort belehrt mich, es sei ungefähr in dem Sinne aufgeführt worden, den Zuschauern nach einer der schwersten Pestzeiten in London, die mehr als ein Jahr gedauert, das Publikum in einem gewissen Sinne psychologisch wieder aufzupäppeln. 83 gekauft und seither nicht gelesen.

Im Gefolge waren dann eher wichtig die Bekanntschaften, die ich auf diesem Weg machte.
Die dann schon eher prägten.

Lebe insofern in diesen Reflektionen, während der Tabaccaio tatsächlich vorzuhaben scheint, seinen Laden anderen Leuten zu übergeben. Es riecht mittlerweile nach Parfümerie-Artikeln. Er zwar immer noch präsent, aber eher nebenbei. Und vorgestern gleich drei neue Gesichter hinter dem Tresen. Wodurch der Umstand wegfällt, daß ich schlicht erscheine, um zu erhalten, was ich brauche. Ich muß es nunmehr mit genauen Worten beschreiben.

Aber mit genauen Worten zu beschreiben, was man braucht, ist eine Unmöglichkeit, die sich lediglich umschreiben läßt mit dem Erschrecken vor dem Wiedererkennen von Leuten auf den üblichen Wegen, die man intus hat, und denen man einem Kennenlernen einen unverbindlichen Gruß voranstellt, um ihm zu entgehen.

Das Gestrüpp im offenen Gesicht, hinter dem man sich verbirgt. Mein Lachen gestern, als ich den Tabaccaio-Laden verließ. Alle sagten “ciao”, nur Walter sagte sehr förmlich “buona sera”. Ich dreht mich zu ihm um und sagte ebenso förmlich “buona sera”. Er kehrte zurück ins Unformelle und Unförmliche des “ciao”. Mir nur scheu in die Augen schauend.

Warum, weiß ich schon. Er hat sich unter mir eingekauft, wo anfangs eine Tischlerei gewesen. Hatte versucht, von meinem Wasseranschluss zu profitieren. Neulich die Frage, ob ich Fernsehanschluß hätte. Und die Andeutung, mir aufs Dach zu steigen, um die Antenne anzuzapfen. Die zwar da ist, aber von mir nicht genutzt wird. Nichts von alledem passierte.

Und Schlagfertigkeit war noch nie meine Stärke.

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