Esther, Esther
Der gestrige Tag, die Tage vorher werden klein.
Schon sehe ich sie als Wasserzeichen
Auf jenem Papierdampfer,
in welchem dein Herz
von unserer Küste zu einer anderen wechselt.
Esther, Esther
Dein Brennesselhaar, das tut so weh
Noch tut es weh
Und stört meinen späten Schlaf.
Wohler war mir allein, ganz unerlöst
ohne Verdacht auf Zärtlichkeit.
Esther, Esther
Ich beginne zu beten,
daß der Engel in dir
den Teufel in mir
nicht zu Tode langweilt.
Die Zeit der Liedermacher ist vorbei, zusammengebrochen mit den politischen und sozialen Hoffnungen, von welcher die Bewegung immer getragen wurde – und zwar auch in denen, die sich tatsächlich oder scheinbar separierten, schließlich aber doch von ihnen ergriffen wurden, etwa durch die heute endgültig vergessene Friedensbewegung. Dadurch, daß die einstigen außerparlamentarischen Oppositionen und überhaupt jeder bürgerrechtliche Widerstand sich teils in den Parlamentarismus integrierte und nicht nur, wie die Grünen, partei- und kompromißfähig, wenn nicht aus Machtkalkül lüstern auf Übereinkünfte wurde, sondern sich in allerlei mehr oder minder abstrusen, bisweilen äußerst gewaltbereiten Außenseitergruppierungen zersplitterte, wurde der Weg frei für eine rundweg – wie man es damals nannte – „progressives” Denken belächelnde allgemeine Anerkenntnis des Kapitalismus. Die Texte der alten Liedermacher, hört man sie jetzt noch einmal durch, haben aus heutiger Sicht insofern nicht nur etwas verstaubt Naives, oft auch hemmungslos Kitschiges, sie sind meist auch viel zu einfach gebaut und erzeugen unmittelbar das Gefühl einer wohligen, kindheitsähnlichen Nostalgie. Aber nicht immer. Ausgerechnet diejenigen Sänger, denen man gern Unmoral nachsagte – Konstantin Weckers „Fall” sticht hervor –, haben Texte… ja, man muß sagen: hinterlassen, die nach wie vor nichts von ihrer sperrigen Schönheit verloren haben.
So kehren sich die Wertigkeiten um: Was einmal reaktionär oder bedingungslos selbstbezogen gewesen zu sein schien, zumindest als weltfremd im Elfenbeinturm, hat sich eine so besonders welthaltige Widerstandskraft bewahrt, daß es fast überzeitlich wirkt und heute deshalb vielleicht sogar mehr ergreift, als es damals hat möglich gewesen sein können. Zu diesen Liedermachern gehörte der vielgeschmähte André Heller, der, ganz wie der françoisvillonsche Wecker, recht eigentlich mehr Poet als Barde gewesen ist, umfassend literarisch gebildet dazu, mit einem bisweilen nicht recht erträglichen Hang zum Kitsch, aber mit der Fähigkeit auch, diesen Kitsch gleichsam zu schärfen, ihn ähnlich ungeheuer zu machen, wie wir‛s von Tangoliedern kennen. Konsequenterweise hat Heller für seine Arrangements die Nähe Astor Piazzollas tatsächlich gesucht und auch gefunden – wie sich überhaupt die Namen der Musiker, mit denen er zusammenarbeitete, als ein Who’s Who der neueren Musikgeschichte lesen, das vor allem insofern zeitgenössisch ist, als es keinen Unterschied macht zwischen U und E; das einzig wirkliche Kriterium ist Güte, und eben nicht munter, sondern hintergründig wird Toni Strickers Schrammelorchester mit René Clemencic und dem Arnold-Schönberg-Chor gemischt: ein überaus wirksamer ästhetischer Synkretismus, der ein direktes Ergebnis der hellerschen Poesie ist und seinerzeit, nämlich 1976, zumindest im deutschsprachigen Raum höchst ungewöhnlich war.
Der trauernden Bosheit etwa, die den eingangs zitierten Text trägt, wird die Folie eines fast unmerklich gebrochenen Schönklangs unterlegt: Er sagt einem, wie das Gedicht – das auf ersten Hinblick nicht anders als eine Prosastudie wirkt – zu lesen sei: zwar melancholisch und also innengerichtet, aber dennoch – nämlich deshalb – höchst aggressiv. Der Liebe, die hier offenbar ihren Abschied nimmt, ist die Verletzung immer schon eigen gewesen… nämlich der Liebe überhaupt: Das Brennesselhaar, die Störung des Schlafes, die ständige Angst vor Verlust… aber dann – es ist geradezu eine klassische Abwehrbewegung – dreht sich die Unsicherheit in einen Vernichtungsschlag, der im gleichen Maß pathetisch aufgewertet werden muß – „ich beginne zu beten“ -, wie sich die Verlustangst in den Schlaf des Liebenden hineingedreht hat. „Wohler war mir allein“, sagt das lyrische Ich und weist die ihm per se fremde Freundin – es gibt kein lyrisches Wir – auf eine Weise ab, die es nun, geradezu paradox intervenierend, ganz besonders erhöht.
Klarer, verräterischer und zugleich doch nachfühlender kann die Psychodynamik eines Melancholikers kaum dargestellt werden: Ich werde, wovor ich mich fürchte, schon herzustellen wissen. Erst der realisierte Verlust hat die Angst gebannt und läßt es zu, daß der Liebende mit allerbestem Gewissen trauert und seine Lust nunmehr aus einer Trauer saugt, die niemand ihm mehr wegnehmen kann. Dabei ist diese Liebe nicht etwa verlogen, im Gegenteil so groß, daß sie den Melancholiker tatsächlich gefährdet. Deshalb die verniedlichende Wortwahl: das durchsichtige, ephemer wirkende Wasserzeichen, das Papierdampferchen als Herz, das Übersetzen von Küste zu Küste. Interessanterweise wird genau dies durch die Musik Ingfried Hoffmanns fast unerträglich aufgemotzt, was ganz genau dieselbe Bewegung wiederholt, die der Melancholiker – also das lyrische Ich – in seinem Text vorvollzogen hat. – Melancholie ist immer ein Kennzeichen des lyrischen Ichs und Trauerlust die Substanz, die es, genauso immer, nährt. Der Kitsch, mit denen der Poet seine Zeilen zu ölen scheint, ist kalt wie das Seziermesser, das die besungene Liebe zerschneidet. Und die Musik, die den Seziervorgang begleitet, deckt sich als so aufgeplustertes Plumeau darüber, daß der Hörer den Schnitt erst spürt, wenn die Aorta schon klafft. Nun bleibt ihm, wie dem Melancholiker, nichts andres mehr übrig, als seinen Blutverlust ––––– zu genießen.
Esther, Esther
Der gestrige Tag, die Tage vorher werden klein.
Schon sehe ich sie als Wasserzeichen
Auf jenem Papierdampfer,
in welchem dein Herz
von unserer Küste zu einer anderen wechselt.
Esther, Esther
Dein Brennesselhaar, das tut so weh
Noch tut es weh
Und stört meinen späten Schlaf.
Wohler war mir allein, ganz unerlöst
ohne Verdacht auf Zärtlichkeit.
Esther, Esther
Ich beginne zu beten,
daß der Engel in dir
den Teufel in mir
nicht zu Tode langweilt.
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als ich den Text eben aufrief, spielte meine Festplatte (by random) die letzten Takte von Maria Magdalena… und ich überlegte ein paar Sekunden, ob Esther am Nordrand von Buenos Aires lebt und…. nein – – – ich kenne Esther ja, in- und auswendig. Beides wundervolle Gebete.
Die Schläfen kostbar mit Schatten bewachsen
Und das Haar in den Achselhöhlen frisch rasiert
Es war eine Zeit aus erster Qualität
Wie echte chinesische Seide –
Mein Wille war eine zärtliche Sichel
Und sie wartendes, reifes Getreide
Wir sind zum großen Fluß gegangen
Und sprachen Belangloses – stundenlang
Sie meinte zum Beispiel
Dass oft zwischen Wolken die Sonne wie eine Narbe wirkt
Und ich erzählte von einem Artisten
Der Münzen mit den Zähnen biegt
Dann legte sie ihre Hände in meine
Wie man es aus schlechten Filmen kennt und sagte nichts
Und ich sagte nichts, und wir waren Mann und Frau
Es war eine Zeit aus erster Qualität
Wie echte chinesische Seide –
Mein Wille war eine zärtliche Sichel
Und sie wartendes, reifes Getreide
Wir bauten aus Schreien und Küssen ein Zimmer
Für Maßlosigkeiten in Sachen Haut –
Ich schlug sie und atmete ihren Atem
Und nannte sie Lilien- und Dornenbraut
Ja. All das, was nicht mehr sein dürfen soll. Für einen Satz wie „und sie“ – also eine F r au !!! – „wartendes, reifes Getreide“ würde man zur Zeit an den Pranger gestellt – und „würde“ nicht, sondern wird und verlöre quasi das Bürgerrecht.
die kriegen dann alle bei mir Asyl! Das wird ein Fest. Ein Freudenfest!