[Geschrieben gestern, am 14.2.]
Gestern nachmittag zog es mich dauernd ans Fenster. Gegenüber, im oberen Himmelsviertel die Sonne, die blendete, unten auf dem Platz zwei Menschen und eine Staffelei. Oh, dachte ich, daß Amelia malerisch ist, war ja schon klar, aber dies war da nun doch ein weiterer Beleg dafür, der sogar die Fassade, hinter der ich wohne, ganz offensichtlich miteinbezog. Nach öfterem Hinsehen kam ich zu dem Schluß, ah, Chinesen. Er, der Maler an der Leinwand, schien einen sicheren Strich zu haben. Ein Blick, ein Strich. Und so fort. Sie, halb hockend, kümmerte sich um die Farbtöpfe daneben, mischte auch selber Farben. Unbekannte Vorgänge. Sie unterhielten sich, schienen heiter aufgelegt zu sein. Japaner wären anders gekleidet gewesen. Irgendwann kam ein jüngerer Mann dazu, der ebenfalls nach der Methode Ein-Blick-ein-Strich arbeitete, dafür aber ein Stück Tuch benutzte, das auf dem Platz ausgebreitet lag. Sie lachten alle drei, als der Wind es einmal zusammenfaltete.
Von den wenigen Passanten (nein, Passantinnen waren’s) reagierte niemand neugierig, drehte sich auch niemand um. Oft denke ich, sie kommen am Nachmittag von der Arbeit im Krankenhaus auf der anderen Seite des nahen Rathausplatzes. Und es ist ihnen sowieso alles egal nach einem Arbeitstag im Krankenhaus. Möge mir indes erspart bleiben, in einem solchen zu liegen.
Auch wenn ich mir gewünscht hätte, er bzw. sie drehe sich an meiner Statt zu dem Bilde um, tat es doch niemand. Und meine Vorwände hinkten, es selber zu tun.
Die Sonne fing auch schon an, nicht mehr zu blenden. Irgendwann stand das Leinwandbild an die Mauer gegenüber gelehnt, allerdings halb verdeckt durch die noch davor stehende Staffelei. Es hatte durchaus das Aufragende, das sich dem Blick dort bietet, aber unwahrscheinliche Blau- und Grünfarben. Gut, das Blau, das war der Himmel, der’s auch heute noch war. Aber das läßt sich ohne näheres Hinsehen natürlich schlecht beurteilen. Was sie sahen, war im Grunde dieses von ihrem Standpunkt aus (ich schaute aus dem zweiten Fenster links im ersten Stock gegenüber). Oder es interessierte sie dieser Ausschnitt mit dem Grünzeug ums Fallrohr herum im verfallenen Gebäude rechts, in dem die Tauben wohnen. Es ist auf jeden Fall nicht ratsam, sein Auto dort rechts abzustellen. Es bekommt unweigerlich Flecken, die nichts anderes als Taubenkot, obwohl auf dem Bild dennoch mein Auto (das mit dem roten Rücklicht) dort steht, wahrscheinlich, weil zum Zeitpunkt der Aufnahme sonst kein Platz frei gewesen. Das allerdings führt regelmäßig zu unmalerischen Klecksen auf der Motorhaube. Da braucht es entweder eine Autowaschanlage oder einen kräftigen Regen. Und weil ich neulich wieder dort hatte parken müssen, sieht das Auto wieder ziemlich beschissen aus.
Der jüngere Mann zog weiterhin seine (scheinbar schwarzen) Striche auf dem ausgebreiteten Tuch. Auch die Konversation der drei ging weiter. Irgendwann waren sie verschwunden. Tauchten auch heute nicht mehr auf.
Heute. Ein eher auszuklammernder Tag. Ich schlief absichtlich bis 10 Uhr morgens, sofern man von Absicht überhaupt sprechen kann, wenn einem die Nummern vorschreiben, was im Gefühl nicht wirklich vorhanden ist. Eher so ein: Muß nicht unbedingt sein.
Talking about one four two, just like talking about den B A C H hinunter, dem ich gestern Abend noch folgte, bevor die Mitternachtsglocke erklang und 142 einläutete. Bis man dann im 142-Heute bei Kleist ankommt (bin im August 1811 mit seinen Briefen, viel fehlt nicht mehr (“Ich würde Ihnen den Tod wünschen, wenn Sie zu sterben brauchten, um glücklich zu werden.” Kleist kurz vor seinem Ende an seine Cousine Marie von Kleist)), dem Überraschenden (für mich (aber vieles, was ich spät erst lese und las, erwirbt gerade durch das späte Lesen eine merkwürdige Mitgegenwart)):
und so wie wir schon ein Dichter haben – mit dem ich mich übrigens auf keine Weise zu vergleichen wage – der alle seine Gedanken über die Kunst die er übt, auf Farben bezogen hat, so habe ich von einer frühesten Jugend an, alles Allgmein was ich über die Dichtkunst gedacht habe, auf Töne bezogen. Ich glaube, daß im General baß die wichtigsten Aufschlüße über die Dichtkunst enthalten sind;
(der Text ist so wiedergegeben:): Kleist an Marie von Kleist, Berlin, Mai 1811).