[Arbeitswohnung, 7.45 Uhr
Britten, 7 Sonetts of Michelangelo op.22]
Mit dieser Musik war ich aufgebrochen, mit ihr, gleichsam, komme ich zurück. Wobei ich den Rahmen der Arbeitswohnungstür tatsächlich gestern nacht, also heute, um halb eins durchschritten habe. Schon auf der Rückfahrt fielen mir aber die Augen immer wieder zu; daran, die mir von diaphanes für die kommene Magazinausgabe hergeschickten, sie erreichtn mich am Hamburger Abend, Béartfahnen anzusehen, war nicht zu denken gewesen. Na gut, zu „denken“ schon, aber die Gedanken umsetzen werde ich erst heute vormittag. Nicht einmal mehr >>>> im Helle weiterlesen konnte ich. Außerdem bin ich wohl doch etwas zu früh wieder gelaufen, denn mit ziemlichen Nachdruck meldete sich erneut die rechte Ferse. Noch jetzt, heute früh, bumpert sie reichlich vor sich sich, ärgerlicherweise.
Wie auch immer, diaphanes‘ Herausgeber bittet für nachmittags um – ggbf. korrigierende – Verständigung.
Wenn sich Benjamin Stein, als die Gedichte des Ungeheuers Muse noch im Status der nicht sicheren Zusammenstellung waren, über die intensive Zärtlichkeit einiger der von ihm so genannten, bzw so eingeeordneten „SM“-Gedichte erstaunt gezeigt hatte, staunte nun ich selbst nicht schlecht, als ich >>>> bei Conrad Ferdinand Meyer die folgenden Verse fand:
Wo von alter Schönheit Trümmern
Marmorhell die Säle schimmern,
Windet blaß und lieblich eine
Psyche sich im Marmelsteine.
Unsichtbarem Geißelhiebe
Beugt sie sich in Qual und Liebe,
Auf den zarten Knien liegend,
Enge sich zusammenschmiegend.
Flehend halb und halb geduldig,
Trägt sie Schmach und weiß sich schuldig,
Ihre Schmerzensblicke fragen:
Liebst du mich? und kannst mich schlagen?
Soll dich der OLymp begrüßen,
Arme Psyche, mußt du büßen!
Eros, der dich sucht und peinigt,
will dich selig und gereinigt.
Die gegeißelte Psyche, 1882
S c h o n heftig, oder? Wozu ich zuvor selbst, im neuen Béarttext, folgendermaßen formuliert habe (Vorsicht, Entwurf!):
(…)
so sich vergessen
lassen
du ihn sich, er ganz so dich für Erleuchtung,
einander erkennen sprachlos im Rausch,
wortlos, reflexhaft, dich windend unter ihm,
der dich in die Auslegware drückt, bis deine
ungewachsten Schulterkufen, die ruckweis in den Stößen,
denen entgegen du preßt, über Kunststoffasern scheuern,
tagdrauf, da sie immer noch feuern, brennen | Verät-
zungen deiner Haut, schmerzendes dort, vor Wollust noch,
Nachglück | glüht der Triumph gleich den Striemen,
die du ebenso an|trägst gegen das Maß der Vernunft:
verwegen gegen den Kleinmut, verhöhnst du, Béart,
uns mit Correctness und Autonomie: Ui!ui!ui!ui!ui!
Illusion ohne Fleisch, oh entfettetes Leben,
sterisilisiertes, lactosefrei light und entglutet,
wo Glut war, die wir, als jugendlich, kannten
(…)
Béart, XXI
Daran ist jedenfalls ebenso weiterzumachen – ich bin zutiefst froh, den Ansatz wiederzuhaben – wie nunmehr an der Stimmenzuordnung in dem fürs Contessa-Familienbuch aufgenommenen Tonfile. Tatsächlich habe ich gestern nachmittag, nach einem weiteren Gespräch mit Herrn Comfield, die Frauenstimmen separieren und je einzelne Clips zu ihnen anlegen können. Jetzt muß die Zuordnung in das Mitschnittprotokoll übertragen werden – was eine reine Fleißarbeit ist, zu der ich also, wie jetzt, Musik hören kann. Das geht während der Arbeit an Gedichten nicht.
Und ich warte auf die nächsten von meiner Lektorin bearbeiteten Erzählungen; wir nähern uns deutlich der Abgabefrist für den ersten Band, der ja im Frühjahr erscheinen soll (doppelte Hoffnung! denn da wird, der bald ansteht, schon wieder fast vorüber sein: der häßliche Winter). Doch darüber, also die Abgabetermine, werden wir nächste Woche auf der Buchmesse ganz sicher mit unserm Septimeverleger sprechen.
Britten, Winter Words No 20, Before Life and After,
ANH