[Arbeitswohnung, 8.49 Uhr]
„Gierstabil“ hieß nicht, sondern so heißt er noch immer, Katharina Schultens′ zweiter, damals bei Luxbooks, Gedichtband; hier hingegen herrscht Grippe stabil, wobei erstens eine wie auch immer deftige Erkältung nicht wirklich eine solche, Grippe nämlich, ist und sich zweitens ihre Stabilität durchaus jetzt lockert; seit heute früh ist mein Kopf nicht mehr gar so dumpf, und seit gestern hat auch die elende Bölkerei ausgesetzt. Es haben sich nur diese lästig juckenden Pickel noch nicht richtig wegbringen lassen, die mir vor allem links die Hand und den vorderen Unterarm überstreuseln. Das Antihistaminicum hat wirklich zu tun. Anders als mir Nadeschda schrieb, die sich unwillentlich, ja ohne es vermutlich zu ahnen, anschickt, den Béartgedichten einen weiteren wenn nicht Fluß- so doch Bachlauf auch nicht zu graben, oh nein! sondern hinein einem nächsten Wasser meiner Verse die Richtung zu weisen, – die mir also schrieb, eine solche Auszeit sei zuweilen auch „gut, um mal zur Ruhe zu kommen … und viel zu lesen“, wohinter sie allerdings ein „oder“ mit klugem Fragezeichen setzte, — anders mithin, als sie schrieb, ist Dumpfheit gut zu nichts. Der Kopf ist zu belämmert, um auch nur zwei Seiten dichter Prosa aufnehmen zu können, man vertändelt, wie ich tat, seine Zeit. Was geht, sind sanfte Gespräche, die sich knapp per SMS führen lassen, oder per Whatsapp; was außerdem geht, ist, sich nach dem bitteren Orisverlust um eine neue alte Uhr zu kümmern, die mir gemäß ist, was mir bei ebay gelang und freilich deshalb nur gelingen konnte, weil in die Climax der Dumpfheit hinein der Steuerbescheid des Finanzamtes kam, der unfaßbar günstiger ausfiel, als ich überhaupt hätte h o f f e n können, ja dürfen. Er hellte mich dennoch nicht auf, nahm mir indessen die Sorge, was wiederum diesem blöden Infekt ermöglichte, widerstandsfrei sich auszutragen. So dialektisch verkettet sind selbst Befindlichkeiten und sachliche Welt, nicht nur die eigene Physis und Psyche ( – jetzt hätte ich gerne Psychis geschrieben).
Derzeit geh ich zu Bett, ohne den Wecker zu stellen, gebe dem Leib den Schlaf, den er selbst will. Auf diese Weise mußte ich mich tags nicht sonderlich legen, sondern dumpfte wach am Schreibtisch vor mich hin. Immerhin wurde mir aufgrund einer Zuschrift Sabine Schos gestern klar, was unbedingt noch in den Erzählband müsse, den ersten der beiden Bände, dem zum Frühjahr nächsten Jahres; sofort schrieb ich es meiner Lektorin, die allerdings mit anderem befaßt war und sein mußte, wie wollte, weil das Theater an der Wien ihre Übertragungen des Briefwechsels Berthas von Suttner und Alfred Nobels in einer szenischen Form zur Aufführung brachte. Die im direkten Wortsinn über die Bühne g u t wohl auch ging – wie gerne wär ich dabeigewesen! -, ihr, der Übersetzerin, aber hinterher eine kleine Verletzung beibrachte, von der sie mir in ihrer diskreten Art natürlich nur randläufig schrieb. Nicht sie selbst, die Aufführung, freilich, sondern wie später, sagen wir, „gewertet“, wie der Erfolg dann verteilt wird. Ich höre ihre, meiner Lektorin, Stimme in mir ständig genau; daran können selbst grippale Dumpfheit und meine, derenthalber, Stagnation nichts ändern. Ich schrieb ihr zurück, sie möge es milde, weil sie es könne, nehmen; ach schwacher Trost; dann brach ich mit dem Fahrrad nach Thalia auf – so blasphemisch kam es mir vor, in diesem herrlichen Wetteroktober in meiner von Viren gruftigen Arbeitshöhle zu harren; die Dinger stehen in der Luft; ich verbot sogar meinem Sohn, mich zu besuchen, wollte aber nun unbedingt die neue Ausgabe der >>>> Volltext haben, die auf der Buchmesse nicht zu bekommen gewesen. In vier Zeitschriftenläden, hier, hatte ich schon nachgefragt. Alles vergebens. Deshalb Thalia; ich betrete sonst Buchhandelsketten nicht gern. Aber auch da war die Zeitschrift nicht im Programm. Dabei hätte ich so gern meine Rezension zu Wondratscheks letztem Roman gesehen; Belegexemplare werden von Volltext doch kaum je verschickt.
Wobei mir grad einfällt, nachher unbedingt im Netz zur „Freundschaft aus Liebe“ – so hat Elvira M. Gross das Suttner/Nobel-Stück untertitelt – nach Kritiken zu schauen; sie wird mir, wenn es welche gibt, zumal gute, von sich aus kaum sagen; so fremd ist ihr die Eitelkeit. Mir hingegen ist sie dermaßen eigen, daß ich ihren, Elviras, Erfolg wie einen eigenen empfände und ihn jetzt auch fühlen will, und sei es nur ihn lesend.
Dann finde ich heute morgen, von Parallalie bei FB geteilt, das da:
Nun habe bekanntlich ich selbst bisweilen versucht, Texte auf Musik zu sprechen; höre >>>> da. Hier stört sie mich, was aber an der Wahl liegen mag; Mahlers Adagietto wurde schon allzu belastet, ist wie in den Kitsch abgesunken darum; Cumberbatchs Diktion alleine genügte dem Gedicht doch vollkommen, so wie Burtons, etwa, dort für Dylan Thomas:
Also ich wünschte mir, aus Cumberbatchs Aufnahme den Mahler hinausschneiden zu können, der gar nichts dafür kann, daß er so zur Buttercreme wird; andererseits mag die sensibilisierende Anstrengung des Geistes, während des Lauschens und also SichVersenkens in den reinen Wortlaut des Gedichts die Löschung imaginativ vorzunehmen, eben dem SichVersenken noch dienen, so, wie wir, wenn wir intensiv lesen, auch die „Umwelt“ vergessen: Sie erinnern sich, Freundin, gewiß der jungen Dame, die, über ein Buch gebeugt, geradezu erschrak, als jemand sie ansprach, und verstört, beinah wirr, sah sie auf. Nur gehört dieses Bild ins Neunzehnte Jahrhundert und vermochte sich ins Zwanzigste eben grad noch zu retten, in dessen letzten drei Jahrzehnten es aber schon blaß ward, chamois vergilbend, und verschwand. Weshalb ich nun abermals an Händlers Aufsatz denken muß: „Die Leute sollen genau das imaginieren, was den Angeboten der Internetfirmen entspricht“ – im Sinne einer quasi sofortigen Reaktion auf Außenreize, der allein noch die von grippalen Infekten bewirkte Dumpfheit, mithin eine Diffusität, wenn nicht Dämmerung des hell gerichteten Geistes entgegensteht, auch nicht „-steht“, sondern, gleichsam schwebend, -schwimmt. So daß sich meiner Brieffreundin Nadeschdas „oder?“ vielleicht doch nicht so eindeutig beantworten läßt, wie ich es oben tat.
Weshalb ich sie „Nadeschda“ nenne? Vielleicht um eine Frau nicht abermals so aufzuladen wie vordem alldie Circes und Sídhes, die durch meine Dichtungen flirren, die Samarkandinnen und Wolfsfrauen, „und der Maler sah sein Modell zum Dach hinausgezogen, geraubt“ (Botho Strauß, >>>> dort, Seite 27).
Licht! Licht! Ach-solch L i c h t!
ANH, 10.41 Uhr
noch mal angehört… die musik stört, eine nachtigall singt anders… da aber burton vorgeschlagen wurde mit einem text von dylan thomas… kleiner hinweis auf „Under the Milkwood“: ein 3-Stunden-Film auf youtube mit Burton und auch Elizabeth Taylor, un piccolo gioiello!
https://www.youtube.com/watch?v=EywYj6P2jIU&t=29s
@Bruno Lampe:
Genau daran hatte ich anfangs gedacht, erinnre mich auch sehr gut, wie Ihr Freund Schulze mir, bei einem frühren Besuch als dem des vergangenen Frühsommers, diesen Film aufrief, und wir hörten zu. Nur dachte ich gestern (es ist ein nächstes heute heut), er sei zu lang, um hier, beim meist wohl nur Überfliegen eines Textes, aufgerufen zu werden. Deshalb kam ich auf das obige k u r z e Stück, dem Burtons Sprechkunst sofort anzuspüren ist; es müßte sprachtaub sein, wer dies nicht könnte.