[Arbeitswohnung, 7.18 Uhr
Beim ersten Latte macchiato schon nach Flügen geschaut.]
und mache euch zu Helden.“
Abermals so ein Traumsatz. Tatsächlich er erst ließ mich, ein komplett ungewollter, aber besonders irrer, weil ohnedies nur noch im Halbschlaf, die wärmende Decke zurücktreten und mich aufrichten. Martialisch, gar heldisch zumute, gar danach, es andere werden zu lassen, war ich nicht gestimmt. Aber doch … kam aus einem Kampf ja heraus, einer Art Kampf „natürlich“ (wir schreiben und sagen dieses Wort zu oft, wenn doch selbstverständlich gemeint ist, tun so, als wäre beides gleich), keinem mithin, der „wirkliche“ Waffen benötigt hätte. Nur Ehrlichkeit war gefordert, Offenheit wie, hier tatsächlich einmal, Natürlichkeit. Sich zeigen, wie man ist -: – oh, eine hohe Kunst! weil uns, auch mir, Verstellung und Fassade, so haben wir’s gelernt, überlebenswichtig ist. Andererseits war und ist, mich verwundbar zu machen, seit je mein poetisches Credo. Doch „mit der Wahrheit kommt man nicht weit“ schrieb mir meine Lektorin. „Ich kenne wenige Autoren, die sich so zeigen: verletztlich.“ Und daß das aber Angriffsflächen biete – was sie nicht verstehe, also elend finde, daß auf Offenheit mit solcher Aggressivität geantwortet werde. Ich antwortete meinerseits:
„Ich will mich zeigen“ hat Heller am Anfang seiner Liedermacherzeit einmal deutlich gesagt – in einem Konzert, das ich als live-Schallplatte habe… witzigerweise heißt sie „Bei lebendigem Leib„. Auch bei ihm also (schon) das LEBEN. Für mich war es, sich zeigen zu wollen und es auch zu tun, immer politischer Widerstand gegen die Doppelte Moral meiner Eltern- und Großelterngeneration, ja einer ganzen Gesellschaft. Irrtümlich dachte ich auch, wer sich zeige, auf denen stächen die Leute weniger ein, wie bei Tieren quasi, die ihre Kehle blößen und deshalb nicht zu Tod gebissen werden. Heute weiß ich, als Mensch wird’s ein Tier dann erst recht. In denen, die sich weiterhin verstellen, erzeugt es Wut, weil jemand derart frei ist. Das soll schnell weg, dieses Freie.
Dennoch, ich setzte wieder drauf. Anders wäre es gerade Vertrauten gegenüber, zumal einer neuen, erst werdenden Vertrauten, unrecht gewesen.
Was war geschehen?
Ich habe harte Tage, fast mehr als zwei harte Wochen hinter mir. Zuerst die schwere Verletzung, die mich zum Lexotanil greifen ließ und über die ich weiterhin noch nicht schreiben will; also über ihren Grund will ich nicht schreiben, sondern dies erst dann tun, wenn ihr Anlaß sich öffentlich zeigt. Dann wird sich auch erweisen, ob andere Position an meiner Seite beziehen. Kaum indes war ich aus d e m Loch knapp wieder raus, folgten im Abstand zweier Tage Absagen für Förderungen, die ich beantragt und auf dere einen ich sehr gesetzt hatte. Damit stand ich ab Januar wieder mittellos da und – bekam es mit der Angst.
Ich habe, seit ich siebzehn war, mithin auf mich allein gestellt, solche Zeiten immer wieder erlebt; in den vergangenen vierzehn Jahren haben Sie, liebste Freundin, es miterlebt, mit gelesen. Aber es ist etwas anderes, ob man fünfzig, geschweige denn vierzig oder gar dreißig ist, als wenn man vierundsechzig wird. Da wird die Luft nach oben dünn, sprich: die Altersarmut droht, in der nicht wenige Dichterinnen und Dichter nach und nach aufs elendste hinfortstagnierten. Ich glaube einfach nicht mehr, daß sich in meiner öffentlichen Position, was auch eine sich ökonomisch ausdrückende Reputation meint, noch etwas dreht.
Eine Untermauerung meines eigentlich eben nicht-Glaubens drückte sich zeitgleich auch noch in einer Diskussion aus, zu der ich >>>> dort geschrieben habe. Es geht gar nicht so sehr um meine Dichtungen, um die freilich auch, als viel mehr um meine Person – den vorgeblichen Macho, weil überzeugten Sexisten, der nicht einsehen wolle, daß unser Geschlecht ein pures soziales Konstrukt sei, und der diese verweigerte Einsicht in seinen Büchern und Gedichten, sowie in seinen anderen öffentlichen Verlautbarungen sogar noch attackiere. Jemand solches, kurz, sei auszuschließen aus der Akzeptanz. Übrigens bezog sich die „Argumentation“ ein weiteres Mal auf Meere. In diesem Buch hätte ich ja gezeigt, welch unzumutbaren Charakters ich sei. Indem ich zum Beispiel auf meiner männlichen Heterosexualität bestünde und sie unerträglich stetig in meinen Texten perpetuierte – ein Vorwurf, übrigens, der zunehmend oft nicht etwa von Frauen, nein Männern erhoben wird.
Da wird nun die Veröffentlichung der vier Béartgedichte ausgerechnet >>>> in diaphanes‘ Magazin, das wie sein Verlag als Speerspitze der zeitgenössischen Avantgarde gilt, gewaltig zugeschlagen haben. Ohne „die Sache“ aber besser zu machen für mich. Die Erfahrung hat mir gezeigt, daß es überhaupt keine Rolle spielt, wo und was ich veröffentliche, schon gar, was die Literaturwissenschaften schreiben, der Ausschluß aus den Fördergremium ist ebenso besiegelt wie der aus Preisvergaben.
Schopenhauer, in dessen Vorlesungen zeit seines Lebens kaum mehr als sieben Zuhörer saßen (sicher ein Mitgrund seines Grolls auf den umschwärmten Hegel), versah die Ausgabe seiner 1841 erschienenen Preisschrift über die Grundlage der Moral auf der Buchtitelseite mit dem polemischen Vermerk „N i c h t gekrönt von der Dänischen Societät der Wissenschaften“. Übrigens wurde sie nicht ausgezeichnet, weil er darin Philosophen, die er ablehnte, mit unangemessenen Worten kritisiert habe – also auch hier nicht der eigentlichen Gedanken und ihrer Herleitung wegen, sondern aus auch da schon, läßt sich sagen, Betriebsgründen. Den sehr, sehr späten Ruf in die Berliner Akademie lehnte er dann schwer verletzt ab.
Nichts Neues also unter den Sonnen der Zu- und Abneigungsgeister, oder -gespenster, wie Sie nun wollen, die uns die Miete zahlen helfen oder nun erst recht nicht. Auch dafür fällt mir ein Hellerwort ein:
Komm, Heller komm, du musst dich arrangieren,
Sei keine Don Quichotte, gewöhn dich endlich an Manieren.
Komm, Heller, komm, lass dich nicht zulang betrügn.
Wenn wir dich nicht mit Küssen schaffen,
schaffen wir dich mit Tritten.
Das war André Heller, 1988
Also, was sollte ich, mußte ich t u n? Ich hatte sogar schon mit meinem Sohn gesprochen, daß ich nötigenfalls das für ihn gesparte Führerscheingeld angreifen müsse, wenn sich nicht irgendein Wunder ergäbe. Dazu kam, daß ich ein rasend schlechtes Gewissen gegenüber meiner Contessa hatte, von der ich zwar erkleckliches Geld bezahlt bekommen, ohne aber die Arbeiten abzuschließen. Vielmehr hatte ich mich – und mußte es auch – in meine eigenen Texte versenkt – das Lektorat des ersten Bandes der Septime-Ausgabe meiner Erzählungen steht an, und ich bin immer noch nicht mit der Überarbeitung einiger älterer Texte fertig, indes parallel in Wien meine Lektorin eine Geschichte nach der anderen präzise wie liebevoll durchsieht.
Ich mußte reisen, erst zur Contessa, um ihr Rede zu stehen, ihr zu erklären, was, wie und warum grade sei und weshalb ich derart gelähmt, weil verzweifelt. Davor bangte mir beinah noch mehr als vor dem neuerlichen ökonomischen Aus. Ja, ich weiß, daß es Künstlerinnen und Künstler gab und gibt, die, mit künstlerisch gesehen einigem Recht, weil quasi aus Notwehr schnorren und sogar betrügen; setzt sich ihr Werk nachher durch, hatten und haben sie recht. Aber es entspricht mir nicht, ist nicht mein Charakter. Für so etwas bin ich eben doch zu sehr, können Sie sagen, Macho; ich sag hingegen „Mann“ und „stolz“. Letzteres meint: Ich fühle Ehre — auch wenn Falstaff, den wir lieben, sie geringschätzt:
Può l’onore riempirvi la pancia? No.
Può l’onor rimettervi uno stinco?
Non può.
Nè un piede? No.
N’è un dito? No.
Nè un cappello? No!
L’onor non è chirurgo.
Che è dunque? Una parola.
Ich bin kein Falstaff, das ist ein Problem. Ich lache und denke, er hat recht. Doch habe ich, anders als er, eine Vorstellung von, ecco, Männlichkeit – davon, Herr zu sein, nicht über andre, bewahre! schon gar nicht über Frauen, sondern bei ihnen allenfalls im erotischen, grenzüberschreitenden Spiel — nein, über mich selbst. Sie mögen dies, Freundin, aristokratisch nennen. Ich will auch gar nicht widersprechen, nur hinzufügen: doch ohne jeden Dünkel; eine Aristokratie vielmehr der Haltung und des Geistes, die eben auch den Künstler verpflichtet. Für mich ist Verpflichtung ohnedies ein Schlüsselwort. Also treten Sie, Herr Adjutant, unverstellt hin vor Ihre Contessa!
Und schon war, ebenfalls kurz, eine zweite Reise anzutreten, zu einer älteren Dame nach Hamburg, der ich, auf Vermittlung der Contessa, indirekt mit poetischer Form und meinem Geist zur Seite stehen könne.
Dann kam ich nach Berlin zurück. Ich hatte ein gutes Gefühl, doch noch war alles offen.
Zuerst fand ich, und es machte mich glücklich, eine Sendung Omar Gallianis vor, aus der Emilia, der mir, nachdem ihn Das Ungeheuer Muse erreicht, für das er das Umschlagbild gegeben, ein Exemplar des Katalogbuchs schickte, das ArsToday exklusiv seiner malerischen Arbeit gewidmet hat, darinnen eine auch graphisch wundervolle Widmung:
Ach wie ich mich da freute! – Und tags drauf meldete sich die Contessa mit einem Angebot, anderthalb Stunden später auch die alte Dame. So war binnen zweier Tage das unmittelbar brennende, brennend-drohende Problem vom Tisch. Ein nächstes halbes Jahr lang bin ich nun wieder sicher.
Tatsächlich so, kaum je anders, habe ich gelebt, von Halbjahr zu Halbjahr, oft nur Monat zu Monat, seit ich siebzehn war, mit Ausnahme der Jahre von 1986 bis 1991, also während meiner Brokerzeit. Die ich aber aus guten, ja intensiven Gründen beschloß. Um nämlich meine Seele nicht zu gefährden … Unsinn, gefährdet war sie damals längst. Vielmehr, um sie nicht zu beschädigen und schließlich zu verlieren. Als der Wolpertinger heraus war, kündigte ich. Da ich nach US-Zeiten arbeitete, hatte ich die Vormittage rein für mich zum Schreiben gehabt. Ab dann lebte – oder überlebte – ich von meiner poetischen Arbeit allein. Künstler, die ans Alter denken, sind künstlerisch verloren, es sei denn, daß sie sowieso gut verdienen, überschüttet zum Beispiel mit Preisen. Doch über alles, was nach Argo kam, über fast alles, kann ich wie Schopenhauer „N i c h t gekrönt“ schreiben, seit Meere sowieso.
Nun aber zurück in meine Überarbeitungen und die Sichtung des poetisch präzisesten Lektorates durch Elvira M. Gross. – Nur. Wen hab ich jetzt zum Helden gemacht? Mich selbst gewiß nicht — doch wer ist dann „euch“?
Ihr ANH