„Frauenflüsterer“. Im Arbeitsjournal des Donnerstags, den 21. November 2018. Zum Erbarmen.

September 2018 – © Gaga Nielsen

[Arbeitswohnung, 10 Uhr
Meer: Bach (transkr. Ramirer)) BWV 924]

Es ist das, spüre ich, schönste Kompliment, das mir, dem vermeintlichen Macho, in dieser Zeit gemacht werden kann, – daß die Contessa mir nach unserem letzten Zusammentreffen schrieb, ich sei ein „Frauenversteher“, was sie in Whatsapp aber mit selbem Luftholen korrigierte: „Nein, ein Frauenflüsterer“ . Das Wort meint nun nicht etwa, wie vor allem #MeToo-Hardliner daraus lesen werden, manche Linerin indes wohl auch, daß ich Frauen als Pferde sähe. Vielmehr ist ein intimes Geflüster bezeichnet, das nicht notwendigerweise den Körper, sondern die Seele zumindest mitmeint. Zweifellos aber setzt das Wort eine Differenz von Frauen und Männern voraus, die dem Mainstream wenig paßt und mir insofern abermals Nachteile einbringen wird – wie übrigens auch der Titel, vor dem mich ein Freund gewarnt hat, des zweiten, im kommenden Herbst erscheinenden Erzählbandes: „… und Wölfinnen? My dear, ich wage mir nicht auszumalen, was das Alphatier über die Rudelinnen zu berichten hat. You get the point?“ – Dennoch, und fast um so mehr, ist das Kompliment auf eine sehr zärtliche Weise ehrenvoller als alles, was ich öffentlich gegen die meist scharfe Ablehnung über mich zu hören bekomme (selbstverständlich gibt es bezeichnende Ausnahmen). Daß dieses „über mich“ immer gleich auch meine Arbeit meint, weshalb versucht wird, sie zu bannen, ist dabei mein „eigentliches“ Problem. Da macht ein Kompliment wie der Contessa mich für Momente, und danach aufsteigend immer wieder, glücklich.
Tatsächlich ist es ein Flüstern von Seele zu Seele und darf es auch bleiben. Daß es bisweilen darüber hinausgeht, geht nur die Angeflüsterte und den etwas an, der ihr zugeflüstert hat, auch wenn im „zu“- auch ein „einflüstern“ steckt, das in der christlichen Tradition gerne mit Mefistofele verbunden wird. Der aber immerhin ein stolzer Mann, Lichtbringer zudem, deshalb eben Luzifer, und also nicht bereit war, sich einer Macht zu unterwerfen, die über ihn bestimmen wollte. Ganz so bin auch ich nicht bereit, es zu tun, schon gar nicht unter die, sagen wir euphemistisch, meinungshaften Gepflogenheiten des Kulturbetriebes; weder werde ich antichambrieren, noch meine Meinungen verstecken, sondern sie öffentlich weitervertreten. Dann gilt zwar, wie’s gilt, Heller, aber es wird mein männlicher Blick in den Spiegel nicht geschändet. Ich wär fürwahr ein schlechter Moslem, weil er sich nicht verneigen will; das tun die andern eh genug und also für ihn, gleichsam, mit. — Nein,

/  –  –  /  –     — F r e i,
Herr, Gleicher vor dem Gleichen,
steh ich, wenn in der Frau entrückt
Sekret zur Schöpfung fließt, beglückt
vor dir und stolz – : es mag vor ihr, der Frau,
vielleicht, doch nicht vor DIr,
der, wer ein Mann ist, weichen.

Das Ungeheuer Muse, Unter Gleichen

Dennoch beschäftigt mich etwas Widerlaufendes, abermals eine Art Traum. Ich sah Frau und Mann je auf ihr Geschlecht hinabschaun, und dann umfingen sie einander in Gnade: „Nimm mich, wie ich bin, an. Siehe mein Organisches, wie weit von aller Klarheit fern!“ Es ist etwas Hilfloses im menschlichen Vereinigungsakt, das ich nie zuvor so sah. – Wieder und wieder muß ich in d e n Momenten daran denken, da ich mal nicht über meinem Text hocke und Elvira M. Gross´ intensives Lektorat bearbeite; wieder und wieder steht mir dieses Bild vor Augen, das helle bis dunkle Rot der weiten Vagina und der kraterhafte Zulauf des Anus‘; dort sind in der Hautstruktur sogar sich konisch konzentrierende Riffe und Rinnen zu erkennen, die zur Zeit der großen Regenstürze die Wasser in den Berg gegraben haben. Was mich daran nicht losläßt, ist der objektivierende Blick, einer jenseits des Begehrens, den mich mein Traum wider Willen einnehmen ließ – dieser doch eines des beinah stetigen Bewunderns und Erhöhenwollens. In dem Blick hingegen ist Kälte, der nur insofern pornografisch ist, als er sich pornografischen Filmen eben nicht ver“dankt“ – sie haben haben ihn verschuldet. Da ist der Flüsterer weit weg. – Vielleicht aber doch nicht. Vielleicht gehört Erbarmen zu ihm a u c h? Erbarmen mit den Frauen hieß ein seinerzeit berühmtes Romanwerk Henry de Montherlants, das übrigens neben Proust zur Lieblingslektüre meiner Mutter gehörte. Es möge, das Erbarmen, auch uns Männern widerfahren; daß wir es nötig haben, ist, wie #MeToo eben a u c h gezeigt hat, offenbar.

Den Flüsterer freuen tat indes auch diese Bilderserie Gaga Nielsens:

>>>> Dort.

 

 

 

Sie gibt recht gut die Konzentration wieder, die am 9. September im Kaminsaal des Literaturhauses Berlin während der ANH- Werkschau sorgsam obwaltet hat – ein nun schon wieder fast von mir vergessenes Ereignis, an das Frau Nielsen mich gestern nacht mich zurückerinnern ließ. Zumal an die nächtliche, ein bißchen surreale Heim- eher –reise denn -fahrt mit Nachtbus und allererster Tram.

[Bach  BWV 1004 | Chaconne]

Und kommenden Mittwoch die große Meere>>>> Lesung an der Bamberger Universität. Der Vorbegrüßungsbrief Nora Gomringers war von tiefer Freundlichkeit und Erwartung geprägt, ebenso der Professorin Andrea Bartl; es ging auch um die Planung dessen, was wir im Gespräch in den Fokus nehmen wollen, ein Wort übrigens, das, wie ich gerade in einem mir von Do zugesandten hinreißenden Buch lese, den heimischen Herd meinte, also das Zentrum des privaten, doch wohl auch öffentlichen Lebens, insofern er, der Herd, in der Summe alles Privaten zum Allgemeinen eben w i r d und zu einem sogar derart Abstrakten, daß er die Flammen je der Völker und Gemeinschaften umfängt.
Das Buch wird Die Dschungel und mich sicherlich lange beschäftigen.

***

Ich warte auf die nächste Sendung von Elvira bearbeiteter Erzählungen; viel Zeit haben wir nicht mehr: Nach meiner Rückkehr aus Bamberg, wohin ich bereits am 27. zu meiner nahen Freundin Christine, ihr zuzuflüstern, fahren werde, und sie mir, und die mir auch Obdach gewährt, – nach meiner Rückkehr also, am 29. oder erst 30., geht es fast gleich nach Wien, Abflug Tegel 2.12. 7.35 Uhr. Am 3. 12. dann wird das Lektorat face-à-face beginnen. Wohnen werd ich bei Cristoforo Arco. Vielleicht wird es in der Woche sogar einen Abend mit meinen b e i d e n Wiener Verlegern geben, ihm und Jürgen Schütz von Septime; die Lektorin, selbstverständlich, bleibt gleich.
Abgabe sämtlicher Erzählungen des Ersten Bandes gegen Ende Dezember, bereits Ende Februar soll das Buch da sein.

Ich habe, liebe Freundin, noch immer nicht geheizt. Doch wird’s allmählich ungemütlich, zumal mit dem ständig offenstehenden Oberlicht. Wenn ich mir, wie nun schon seit drei Tagen, Tee aufbrühe und immer wieder aus der auf dem Schreibtisch stehenden Silberkanne einschenke, ist das ein deutliches, fast schon „Durchhalte“-Zeichen. Der Körper zwar läßt sich gut verpacken, doch die Hände frieren, ihre Haut wird rot, sie spannt und wird rissig. Was zu ausgesprochen häufigen Griffen zur Fettcreme führt, die wiederum die Verwendung des Mousepads unkomfortabel macht. Dennoch will ich, um den Ofen anzuwerfen (wieso „werfen“, eigentlich?),  die ersten Kohlen erst, wenn ich aus Wien zurücksein werde, aus dem Keller holen. Auch das ein Bild meines Stolzes, der sich in diesem „Fall“ gegen das allzu wenige Licht der düstren Jahreszeiten wendet.

Ihr, Erschwärmte,
ANH

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