[Arbeitswohnung, 8.44 Uhr
Peter Dickinson, Song Cycles (1986)]
„So“, sagte ich zu Rinck, als ich mich vorgestern von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Böhmer-Erinnerungsabends verabschiedete, „jetzt geben auch w i r uns einmal die Hand.“ Ich wollte diesen unseligen Zirkel des gegenseitigen Aneinandervorbeischauens endlich durchbrechen. – Sie gab mir die ihre.
Ich lächelte, sah sie dabei, die lächelte, kurz an und wandte mich dann zum von dieser Außenbank etwas entfernt stehenden Stolterfoht, der mir mit solch einer Zugewandtheit, ja Herzlichkeit begegnet war, daß ich mich gestern sogar in einer kurzen Email bei ihm dafür bedankte. Ein dieserart offenes Gesicht bin ich im Literaturbetrieb schlichtweg nicht gewohnt. Nicht der mindestes Vorbehalt war zu spüren. Es ist schon bezeichnend, wie wohl mir das tat.
Allerdings war ich insgesamt guter Laune – was durchaus mit dem wieder betriebenen Sport zusammenhängt, dem vielen Licht und Wind, durch die ich beim Joggen durchlaufe und die beide mir Farbe ins Antlitz und der Seele neue Zuversicht geben. Mein Energiereservoir haben sie in den vergangenen elf Tagen fast wieder aufgefüllt, auch wenn ich, nach dem neu aufgenommenen Kraftsport, seit gestern einen schon unanständigen Muskelkater habe. („Sie mögen doch Mietzen“, spottete meine Contessa in Whatsapp, auch wenn der Begriff „Muskelmietze“ diesen komischen Schmerz nicht wirklich erfaßt.) Heute morgen ist er allenfalls leicht abgeflaut, so daß ich nachher wohl besser wieder laufen werde, anstatt erneut ins Studio zu radeln. Zumal sollte man ab einem (un)gewissen Alter auf die Sehnen achthaben. Betroffen sind momentan besonders der Schulterbereich und die, ecco, inneren Ansätze der Ellbogen. Vorsicht also. Außerdem ruft mir leuchtender Stimme das Wetter-selbst sein „Laufe!“ zu.
Es war eine schöne, dramaturgisch wohlgesetzte Veranstaltung, für mich allein ein wenig getrübt, weil ich mit einer Frau verabredet war, die aber aus Gründen nicht erschien, die sie mir hinterher in einem gleichfalls Whatsapp-Dialog erklärte. Ich war sehr gespannt auf sie gewesen, aber nun werden wir uns zu anderem Zeitpunkt sehen. Nicht „an ihrer Statt“, doch für mich komplett überraschend erschien लक्ष्मी mit all unsern Kindern, dem jungen Mann, der keines mehr ist, und den Zwillingen. Mehrfach teils schnurrende Umarmung mit diesen beiden, männliche mit meinem Sohn, zugeneigte mit der Mama. Aber wirklich, das Mädchen schnurrt, wenn es zärtlich zu mir ist; es hat sich dies wie ein Liebesritus eingespielt.
Jedenfalls war ich unversehens auch von der ganzen Familie getragen. Was unter all den Dichterinnen und Dichtern, sowie den Veranstaltern, einigermaßen auffiel, glaube ich. Es paßte wohl auch nicht in das Bild, das ich sonst öffentlich „abzugeben“ scheine. Selbstverständlich, meiner literarischen, besonders Position in der Lyrik hilft es sicher nicht weiter, vielleicht aber ein wenig der Wahrnehmung meiner Person.
Am Tag darauf, also gestern, kam für die Lyrik indes von anderer Stelle – einer für mich wichtigeren – großer Zuspruch, zum einen von Marius Felix Lange, mit dem ich seit ein paar Wochen seiner Opern wegen – in diesem Jahr allein werden sechs aufgeführt – und überhaupt bezüglich Musik im Austausch stehe und der sich Das Ungeheuer Muse besorgt hat. „Aus dem“, schreibt er mir, „was die Lyriker aller Zeiten hinterlassen haben, geboren und dennoch persönlich und ganz im Jetzt verwoben…“ Nicht unähnlich hat vor ein paar Tagen David Ramirer auf die Gedichte reagiert. Wir spielen derzeit mit dem Gedanken, daß er einen der Zyklen mit auf Bach-Basis – allerdings im Modus seiner Variation auf das Ricercar a sei voci – improvisierter Musik versieht, woraus dann eine CD entstehen könnte und, denke ich, auch sollte. – Aber auch Ralf Schnell, der gestern zu einem Gespräch herkam, ist höchst angetan, allerdings nicht von dem Ungeheuer Muse, das er nämlich zu der Gelegenheit erst bekam, sondern von der Aeolia, die wie alle meine Gedichtbände vom Literaturbetrieb nahezu komplett ignoriert wurde und wird. Er wird jetzt auf einem im Mai stattfindenden Germanistenkongreß eigens über sie sprechen und mochte dazu noch ein paar „Hintergrund“infomationen haben, auch mich zu meiner Haltung zur Form befragen
Während unseres Gespräches lief das Band mit, ganz so, wie ich selbst es halte, wenn ich für die „Ghost“bücher interviewe. Wie witzig es sei, schrieb ich nachts der Contessa, wie sich unversehens die Positionen verdrehten. – Fast „natürlich“ kamen wir infolg‘ auf die Béart zu sprechen, die ich, abgesehen vom Lektorat des zweiten Bandes meiner gesammelten Erzählungen, nach wie vor für mein derzeit wichtigstes literarisches Projekt halte. Na gut, es ist momentan auch mein einziges. Zuviel andres, das mich ökonomisch sichert, ist zu tun. Keine Klage, nein; ich bin sehr dankbar dafür, finanziell nicht mehr mit dem Rücken dauernd zur Wand zu stehen. Es gibt mir Freiheit – auch und gerade vom Literaturbetrieb.
Eine, über die wir dann a u c h noch sprachen, da bereits im meena kumani, in das er mich einlud nach dem Gespräch über Lyrik.
„Frauen“:
„Ich bin sehr zurückgezogen zur Zeit, auch und gerade erotisch“, erklärte ich ihm. Es habe mit den Vulkanen und dem Meer zu tun. „Sexualität ist für mich immer zugleich mit dem Tod verbunden und der im selben Maß mit ihr; sie ist ein ekstatischer Schöpfungsakt. Seit ich mich damit abfinden mußte, daß ich nicht noch einmal Vater werde, ging das erotische Verlangen deutlich zurück. Es ist dieses MichAbfinden doch ein Aufgeben persönlich-physischer Fruchtbarkeit. Schlafe ich mit einer Frau, brauche ich das Gefühl, es könnte ein Kind entstehen. Das muß es nicht, nein, durchaus nicht. Aber die Möglichkeit muß offen sein – unangemessen-negativ formuliert: Es muß das Risiko bestehen.“
E r hat, in dieser Hinsicht, eine andere Position, eine – wie die offenbar meisten modernen Menschen – andere Wahrnehmung, verstand aber, glaube ich, von welch immenser Bedeutung die meine für meine Literatur ist und für meine Dichtung ganz besonders. Deshalb meine ständige Suche nach Extremmomenten. Schöpfung interessiert mich … nein, falsch: besetzt mich, hat mich besetzt; ich bin von ihr leidenschaftlich besessen.
Das hört nun auf. Es wäre unrealistisch, das nicht zu sehen. Begriffen habe ich es zuerst, als ich zuletzt auf Αἰαία war, und vollends, als sich die Triestina von mir wieder abwandte, um in ihr bisheriges Leben zurückzukehren. Da begann ich schlichtweg zu rechnen, wurde pragmatisch wie Mütter. Würde das Kind zwanzig, wäre ich dreiundachtzig. „Wobei“, erklärte ich Schnell, „nicht dies das Problem ist. Sondern, auch wenn es mir finanziell jetzt gut geht, die Ökonomie ist gefährdet. Ich habe keinerlei Rücklagen. Aber in meinem Alter muß davon ausgegangen werden, daß mich irgendwann eine Krankheit erwischt und arbeitsunfähig macht. Wie schütze ich dann mein Kind? Jede kluge Frau wird so denken. Wäre ich hingegen reich, wäre es etwas komplett anderes. Dann käme die Familie auch ohne mich durch. Aber wenn ich aufgrund irgendeines Geschehens plötzlich Geld hätte – kein halbes Jahr später wäre ich erneut Vater.
Tatsächlich, ihre sehr, sehr späte Vaterschaft wurde Pablo Picasso, Anthony Quinn und meinethalben auch Gerhard Schröder alleine deshalb erlaubt. So wirkt sich die ökonomische Gesellschaftsklasse, der jemand zugehört, sogar auf die Fruchtbarkeit, die Schöpfung also, aus. – „Aber Angst davor oder auch nur eine Scheu, abermals die Nächte wachzuliegen, Windeln zu wechseln, das Kind in Ruhe zu wiegen? – nein, die hab ich nicht. Im Gegenteil.“
Ich habe die Hoffnung auf-, nein, sagen wir: dreingegeben. Aber beschäftigen tut mich dieser Lebensabschied weiter. Im Roman der Triestbriefe wird er eines der stärksten Themen sein, ist er’s ja auch schon. Aber vielleicht wird der unterdessen nur noch leise, aber permanente Schmerz sich mildern oder ganz verschwinden, sowie mein Sohn zum Vater wird. Meine Art, Probleme zu lösen, war immer, ihrer Gestaltung, Freundin, Schönheit zu geben. Dies ist wohl mit die tiefste Wurzel meiner Poetik. Ich bin und bleibe Hymniker.
So sprachen wir und sprachen wir, gerieten auch in eine leichte Auseinandersetzung wegen meines cholerischen Ausfalls gegen einen wichtigen Literaturvermittler. Derweil griff ich beim Essen allzu zu. Indische Küche ist schwer. Das hat mein seit Wiederaufnahme des Sports und also auch der entsprechenden Diät derartiges nicht mehr gewöhnter Magen nicht so richtig vertragen. Jedenfalls fingen heute nacht, in der „Muskelmietze“ noch herumreißend, Magenschmerzen an, die noch jetzt nicht abgeklungen sind. „Selbst schuld“: Sie haben, Freundin, völlig recht. Aber zu laufen, nachher, wird’s wohl wieder richten.
Im übrigen wird mich heute fast ausschließlich die Autobiografie der alten Dame beschäftigen; nahezu alle vier Tonaufnahmen unserer letzten Sitzung sind noch in das Typoskript zu transkribieren.
Haben Sie einen so wunderschönen Tag, ganz so, wie er durch meine Fenstern schon jetzt zu mir hereinsieht!
Ihr ANH
Gerade gestern habe ich AEOLIA in Frankfurt am Main in einer Buchhandlung (Zeil 3) erstanden. Der junge Mann dort hat mir den Band, als ich fragte, ob er etwas von A.N Herbst hätte, vorgelegt und mit begeisterten Worten empfohlen. Herbst sei der einzige in der zeitgenössischen Lyrik, der etwas von Metrik verstehe ! Lange sei er ein Geheimtipp gewesen aber jetzt groß im Kommen, da sei er sicher. Also.
Das ist für mich, Frau S.-K., sehr ehrenvoll und tut mir wohl. Allerdings ist „der Einzige“ ganz sicher nicht wahr. Mir fallen auf Anhieb noch Durs Grünbein, Marion Poschmann und Jan Wagner ein, um von der, ich wiederhole es mit Überzeugung, grandiosen Katharina Schultens n i c h t zu schweigen – sie freilich auf ihre eigene wie eigenwillige Weise.
Nun ja, „der Einzige“, das hat er so gesagt. Auf Jan Wagner angesprochen, hat er abgewimmelt, den mag er wohl nicht. Hab mich nicht erkundigt warum.
zu Jan Wagner:
Er ist teils sehr gehaßt, aus auch mir nicht ganz erfindlichem Grund. Daß er ein bißchen wirkt wie ein Hugh Grant der jungen deutschen Literatur, also wie das Ideal, das sich (ältere) Damen als idealen Schwiegersohn vostellen mögen, das ist ihm eigentlich nicht zu verübeln und gehört wirklich nicht in eine Literaturbetrachtung. Vielleicht sind seine Themen – auf den ersten Blick – ein wenig zu „harmlos“, aber das striche von seiner Formbeherrschung ja nichts weg. Auch ich habe deutlich andere „Lieblinge“, doch seinem poetischen Handwerk gilt mein voller Respekt.
er ist nicht gehasst. und an wagners stelle wäre ich ja lieber ein wenig von mir berümpft ab und an, als ständig für meine formbeherrschung gelobt, dessen nachweis eh die meisten schuldig bleiben, die ihn so loben. als wenn es irgendwas auf dieser welt gäbe, das einer form entbehrte, diesen diskurs habe ich nie begriffen, wenn ich keine sonette schreibe, heißt das ja noch lange nicht, ich ginge formlos vor. vielleicht meint man da eher, er bediene deutlicher lyrische traditionen, das ist dann aber etwas anderes, als formbeherrschung. ich beherrsche meine formen auch, selbst wenn sie sich keiner lyrischen traditionen bedienen.
@Xo zu Wagner:
Du weißt sehr genau, daß es eine Zeit lang ein „regelrechtes“ Wagner-Bashing gab. Doch egal.
„Formenbeherrschung“ meint die Beherrschung des lyrischen Formenkanons, der von der >>>> Poetik bereits erfaßt ist. Das stimmt. Es ist aber nicht anders als in der Musik, zu der die Formenlehre ganz unbedingt gehört – völlig gleichgültig, wie später dann de facto komponiert wird.
Ob etwas Form habe, stellt sich heraus, wenn die jeweiligen auch neuen Formen sich nach Kriterien erfassen lassen, die genannt und somit wiederholt werden können. Das eben i s t ja Form. Sie generiert sich aufgrund nachvollziehbarer Kriterien. Diese müssen definiert, also lehrbar sein. Alles andere ist instinktiv und meistens pure Behauptung. Wobei durchaus n e u e Formen geschaffen werden können, eben im Sinn von Hans Sachsens „Wie, Meister, fang ich nach der Regel an? / Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann“ (Wagner, Meistersinger III,1).
„Ob etwas Form habe, stellt sich heraus, wenn die jeweiligen auch neuen Formen sich nach Kriterien erfassen lassen, die genannt und somit wiederholt werden können.“ wiegen, messen, zählen sind naturwissenschaftliche kriterien und wiederholbarkeit auch, das kann auch für die künste gelten, muss aber nicht, ein gedicht, das mit der spencer strophe arbeitet (ann cotten), wiederholt auch keine gedichte, die zur zeit, als die spencer strophe in mode kam, geschrieben wurden. fugen wie bach komponiert heute so auch niemand mehr, wie niemand mehr wie rembrandt malt. die formen existieren nicht zeitlos und wiederholbar, das halte ich für eine irrige annahme dabei. jedenfalls, wenn man etwas neues mit ihnen schöpft, verändert das auch die form, die biegsam ist, auch ein shakespearesonett hat aus dem sonett etwas anderes gemacht und nicht nur eine form wiederholt. wagner wurd ungefähr so viel gebasht, wie grünbein, oder schrott, das liegt an den mechanismen, gegen die auch ann cotten neulich aufbegehrte, wenn es mal wieder heißt, er sei der beste dichter seiner generation, dann wissen natürlich alle, dass solche sätze reine werbung sind und nichts bedeuten, was im gegenzug natürlich nicht heißt, dass er nichts könne, was da gebasht wurde, war seine repräsentationsfunktion, mit der dichtung stark gemacht werden sollte, im taz-artikel haben daniela und ich darauf abgehoben, dass wir sagten, das kann es nicht sein, dass er für etwas steht, was viele von uns aber gar nicht verkörpern, das ist aber kein bashing und auch keins gegen wagner selbst, sondern dagegen, dass einem ganzen genre eine weile lang, nach dem buch und büchnerpreis zu einer art fürsprecher verholfen wurde, wo viele aber sagten, der spricht aber dennoch nur für sich, nicht für eine ganze generation, noch für einen lyrikboom, oder was auch immer.
und, das meinte ich auch bei wagner, die die ihn dann immer so in die handwerkliche ecke stellen, die tun ihm in meine augen gar keinen gefallen, denn natürlich wiederholt er nicht einfach einen formenkanon, das täte ihm zu kurz. in solchen fällen kann man sich eher mal sagen, wer solche freunde hat, muss seine feinde nicht fürchten, so meinte ich es, man kann auch durch seltsames lob gebasht werden.
na ja, es gibt inzwischen portale, da suchen frauen nach vätern und es gibt ja auch frauen, die sind reich genug. ich frage mich nur bei deinem hymnischen schwärmen über die vaterfreuden auch nicht selten, was kavita dazu sagen würde und wie der alltag sich tatsächlich gestaltet hat, einkaufen, essen, schule, kinderkrankheiten, all das. ich kenne durchaus ökonomisch gut gestellte jüngere väter als dich, wo einem dritten oder vierten kind nix im wege stünde, die sagen, auf gar keinen fall noch ein drittes oder viertes kind, selbst wenn die frauen wohl wollen würden. ich bin heilfroh, dass die söhne meiner freunde jetzt endlich in das alter kommen, wo sie gern mal mitgehen, weil sie uns spannend finden, aber nicht mehr so unglaublich anhänglich und betreuungsbedürftig sind und die eltern wieder aus ihrem familienkoma erwachen. die attraktion sich seinen eigenen clan zu zeugen, kann ich ja durchaus nachvollziehen, auch, weil eltern irgendwann mehr von ihren kindern lernen, als umgekehrt, aber für alle außenstehenden wird das schon mal zur harten geduldsprobe. aber, klar, bedingungslose liebe, die ist einem erst mal sicher und das macht die attraktion aus, sonst bekäme auch kein mensch kinder, da bin ich überzeugt, ne selbstlose angelegenheit ist das nicht, sonst stünde man die schlaflosen nächte gar nicht durch. meine ganze familie konnte ja auch nicht wiederstehen, kaum guckt man mal ne weile nicht hin, gibts irgendwo schon wieder einen großneffen, eine großnichte, ständig neue kinder. in brasilien holte uns mal niemeyers entferntere verwandtschaft zur begrüßung ab, mutter und erwachsene tochter. mutter knochentrocken: erst kriegt man selbst die kinder, dann kriegen die kinder die kinder und dann stirbt man und hat noch gar nix wesentliches von der welt mitbekommen. tja.
@Xo:
„klar, bedingungslose liebe, die ist einem erst mal sicher und das macht die attraktion aus, sonst bekäme auch kein mensch kinder (…)“: Da liegst Du, liebe Xo, komplett falsch. Aber (lacht) sowas von falsch. Schon das Wort „Attraktion“ ist geradezu bizarr. Vor allem versteht Deine Position – so wie Du sie schilderst – überhaupt nicht, worüber ich schrieb, bzw. was ich Ralf Schnell erzählte. (Aber, bevor ich die Geburten meiner Kinder erlebte, hätte ich es auch nicht gewußt. Vieles, sehr vieles verstand ich erst nachher, auch und gerade, was meine eigene Arbeit anbetraf und -trifft.)
Genauso dieses „portale, da suchen frauen nach vätern“. Pardon, aber was ist das für ein funkionaler Pragmatismus? Es geht um Leidenschaftskinder – also um solche, die eben nicht aufgrund rationaler Erwägungen gezeugt werden, sondern aus – Liebe, sogar Obsession.
Und schließlich Dein „und hat noch gar nix wesentliches von der welt mitbekommen“. Ach ja? Bist Du Dir sicher? Ich habe dafür nichts als ein Lächeln, ein freundliches, auch freundschaftliches, aber eines, das den Fuchs erkennt. – Literatur, Sabine, ist für Leben kein Ersatz. Aber woher rührt Dein Impuls, jeder Erzählung – jedenfalls meinen Erzählungen – die Hitze zu nehmen?
na ja, das sagte mir ja eine frau mit tochter und enkelkindern und eine andere, unsere portugiesischlehrerin sagte mir mal: sie fühlte sich von der natur betrogen, ihr verhältnis zu ihrem sohn ist eher schwierig. es sind zwei frauen, die es kritisch betrachtet haben mit den kindern. meine eigene mutter, wenn ich das mal so vage sagen darf, hätte lieber eine anderes leben gehabt, nämlich meines. anders kann ich mir kaum erklären, warum sie konsequent vieles von meinem leben ausblendet, mir aber gerne erzählt, dass ihre aufsätze in der schule immer gelobt wurden z b und dann von den enkelkindern berichtet. sie hat 3 kinder großgezogen und vier enkelkinder mit, die jetzt wieder kinder haben. ich falle da raus, ich mache permanent andere dinge und habe auch zeit dafür, das ist so fremd wie bedrohlich letztlich, weil es auch das eigene leben in frage stellt. natürlich ist literatur für leben kein ersatz, wer hätte das behauptet. ich hab ja auch ein leben. ich weiß, ich war ein unfall, zehn jahre nach dem letzten kind. unter anderen umständen wäre ich sicher nicht auf die welt gekommen, ändert nichts daran, dass ich dennoch eine unbeschwerte kindheit hatte, sicher die unbeschwerteste von allen, was mir dann wieder die geschwister geneidet haben. kann ich aber auch nix für. es ist sicherlich, wie du schreibst, wenn man keine kinder hat, kann man es letztlich nicht wissen, was viele so toll daran finden. man ist vor allem auch teil einer großen gemeinschaft, denn viele haben welche.
vater oder mutter sein, macht(e) vielleicht auch noch mal einen unterschied dabei. ich habe das gefühl, mütter projizieren weniger, da kommen schon mal knackigere und funktionalere sätze bei rum, weil ja auch irgendwie der alltag bewältigt werden muss, der nicht nur aus leidenschaft dabei besteht.
und zu den portalen, ich bin überzeugt, die so geborenen kinder erfahren nicht weniger fürsorge und leidenschaft. ich sag ja gar nicht, dass ich mir so einen weg vorstellen könnte, aber ich kann menschen verstehen, die sagen, ich möchte mit kindern leben, die die partner*innen dazu vielleicht noch nicht gefunden haben und sich auch nicht sicher sind, sie noch zu finden. viele beziehungen laufen ja auch nicht viel anders, letztlich, man hat sie noch der kinder wegen, sonst gingen viele schon getrennte wege. so erlebe ich es gar nicht so selten. ich kenne einige frauen, denen sind die kinder wichtiger, als ihre erzeuger.
ich weiß nicht, der impuls ist alt, ich bin aufklärerin. meiner schulfreundin habe ich eröffnet, dass es weder nikolaus noch osterhase noch christkind gäbe, ich zog mir ihren zorn und den der familie zu. ich glaub, ich unterscheide stärker, zwischen dem, was menschen erzählen und dem, was ich meine, wie die dinge so liegen, empfinde es weniger häufig als deckungsgleich.
gleichwohl kann ich den hang zum schwärmen sehr gut verstehen, betreibe ihn auch selbst mit einer gewissen grundskepsis. aber wie schrieb mir thomas kling ins vorwort zu album: „Bei aller, durchgehender, Härte, finden sich schöne, atemberaubend schöne Fügungen in ihren Gedichten; die sich die Dichterin, wie es scheint, nach genauer Prüfung erst, einzusetzen gestattet.“ da ist was dran, jetzt mal jenseits dessen, wie schön man die fügungen findet. mit mir kann man die ganze welt erkunden, aber ich mache wenig unüberlegt. und wenn andere gefühlig werden, werde ich cold as ice und vice versa. hab was ausgleichendes an mir :).
aber, du verstehst mich auch falsch, du äußerst einen wunsch, ich biete ne pragmatische lösung an, du weist sie weit von dir. denke ich natürlich, na ja, so dringend scheint es dann vielleicht doch nicht zu sein, zumindest nicht nur damit, ein kind zu zeugen. es müsste, wenn, auch eine liebe her und leidenschaft, das sind dann ja gleich 3 wünsche auf eins und ist dann ja noch was anderes, aber ausgeschlossen ja auch nicht. ebenso nicht, dass diese frau dann geld hat. gibt so viele junge erbinnen. ob du dich in die verliebst und sie sich in dich, steht natürlich auf einem anderen blatt, aber wer weiß schon, was noch passiert. du denkst, ich nehme dir die hitze, ich denke, der mann formuliert einen wunsch und sieht keine lösung und denke dann, doch, klar gibt es lösungen und während ich mich noch drüber ärgere, dass du das denkst, ich kühle dich nur runter, kaufe ich auf dem flohmarkt nico bleutges letzten gedichtband und lese seine grisu-gedichte, der kleine drache, der lieber feuerwehrmann werden will und aus versehen doch alles in brand steckt.