III, 431 – Verschiedenschattig

Ich suchte ein Synonym für “ewig”, schlug deshalb im Rigutini-Bulle (Reprint der 6. Auflage (1920) des erstmals Ende des 19. Jh.s erschienenen Wörterbuchs, jetzt nicht mehr erhältlich (nützlich für unmoderne Wortentsprechungen) nach unter “eterno”, denn darum ging’s, ein “eterno rosa” wiederzugeben (abgesehen von manch Anderem (wieder mal im Modus: Gedichtübersetzungen beurteilen und ggf. umformulieren (ja doch, es wachsen andere Bilder))). Wörterbücher haben die Eigenschaft, daß das Auge gern die betreffende Spalte verläßt und umherschweift. Und stieß auf das Wort “eteròscio” = “agg. (Astr.) einschattig”.
Grimm hat das Wort überhaupt nicht, dort steht nur das Verb “einschatten”, “inumbrare, beschatten”. [Abermals ein Spaltenwechsel: “du schenkst den furchen ein, / damit die acker, wie sie sollen, / durchaus gewächsig sein. OPITZ” (wie wahr, ich furchte mich nicht)].

Einschattig, adj. et adv. von dem Zahlworte Ein, den Schatten nur auf Eine Seite werfend. In der Erdbeschreibung heißen diejenigen Völker einschattige, heteroscii, welche das ganze Jahr hindurch ihren Schatten im Mittage auf eine und eben dieselbe Seite werfen, welches zwischen den Wende- und Polarzirkeln geschiehet.

So heißt’s im Adelung. Also die im Norden nach Norden und die im Süden nach Süden (wie Campe dann in seinem Wörter präzisiert).
Merkwürdige Welteinteilung, als stünden die Menschen eingeschlagen wie Uecker-Nägel auf der Erdoberfläche, um Schatten zu werfen: “Keine Gegenstände aus dem Fenster werfen”. Werfen in diesem Sinne. Mittlerweile wohl nur noch als Piktogramm wiedergegeben, der rot durchstrichene Gegenstand als der Schatten einer Flasche ohne das schattenwerfende Licht, also ein An- und Für-sich-Schatten dessen, was sein darf bzw. nicht sein darf, aber das entscheidet ein roter Querbalken. Und sich selber auch nicht: Ne pas se pencher au dehors.
Laut ‘Handbuch der alten Erdbeschreibung’ war die Einteilung noch etwas differenzierter: Amphiscii (zweischattige), Ascii (unschattige), Heteroscii (verschiedenschattige und nicht wie oben ‘einschattige’), Periscii (umschattige), Macroscii (langschattige), Brachyscii (kurzschattige), Antiscii (die entgegengesetzten Mittagsschatten werfen).
Allerdings hinfällig die ganze Einteilung bei nicht mehr ausschließlicher Sonnenbeleuchtung. Auf seinen Schatten achtet und fotografiert ihn oft auch gern, wer die Sonne im Rücken hat (“questo caldo sole, già mi sorge alle spalle” – aus den Gedichten, deren Übersetzung durchzusehen man mich gebeten hatte). Oder wenn “große” Ereignisse ihren Schatten vorauswerfen.
Tatsächlich ließ ich mich schon zur Müßiggangzeit aus der Behausung heraustrommeln. Es wurde die Ankunft einer Radfahrerin erwartet. Ihr Nachname entspricht einem Ortsnamen in der Provinz Belluno (also Venetien Richtung Dolomiten) und ihr Vorname lautet schlicht “Amelia”. Die ganze Strecke dazwischen per Fahrrad mit ein bißchen Facebook-Tamtam. Und so war das alles schon vorprogrammiert: breit lächelnd ankommende Amelia, Rührung, Fahnenschwenken, Trommeln, Bürgermeisterin mit grün-weiß-roter Schärpe.Hätte ich nicht am äußersten Rand der kurzen Filmaufnahme gestanden, auf der zentral die heranradelnde Amelia sich der natürlich bereitgehaltenen Riesenkamera (auch Mikrofone warteten) näherte, wäre am äußersten rechten Rand statt meiner nichts zu sehen gewesen als ein Auto, an dessen Farbe ich mich nicht mehr erinnern kann, denn Farben werfen Schatten bekanntlich weder voraus noch hinterher (peccato: die Aufnahme n’existe plus (hier eine andere von der FB-Seite der Bügermeisterin (ohne mich))).
Sie lassen sich nur wiedererkennen, sind somit völlig andersartig geschattet… Farbschatten: eine Schwarzweißmalerei, wie die Schatten der Uecker-Nägel in den Weltgegenden einer Sonnengeographie bzw. einer solaren Erdbeschreibung.
Das hat auch wieder mit dem Gedicht zu tun, denn da war dieses “eterno rosa”, was mich zum ‘einschattig’ führte. Bezogen auf Hände, die “vibravano” – blumenentblößt. Dennoch, die Temperatur draußen war angenehm, ich fast zu warm angezogen fürs Draußen, fürs Drinnen aber notwendig.

 

P.S. zum Wahlrecht: ich habe nicht gewählt. Als Nichtitaliener bekomme ich hier keinen Wahlschein. Als Deutscher mit Wohnsitz im “europäischen Ausland” bekomme ich dito keinen. Vor Jahren interessierte ich mich mal, allerdings zu spät. Ich hätte mich zumindest damals (vor mehr als zehn Jahren war’s jedenfalls so) bereits zwei Monate vor den Wahlen an die letzte Gemeinde wenden müssen, bei der ich in Deutschland angemeldet war, um Briefwahlunterlagen zu erhalten. Zu aufwendig bürokratisch das Ganze. D.h., Europa funktioniert zumindest in der Hinsicht überhaupt nicht und ist uneuropäisch. Und ehrlich gesagt, ich hätte lieber hier gewählt, wo ich meine Steuern zahle und meine politischen Emotionen eher entwickele als im – ja doch – nicht ganz so nahen Deutschland. Andererseits will ich aber auch keine italienische Staatsbürgerschaft, die ich sicher problemlos beantragen könnte. Insofern:

Ihr Andersschattiger
(ein bißchen so, wie wenn ein Transgender nicht weiß,
auf welche Toilette er nun gehen soll (Piktogramme
werfen ihre Schatten voraus, ohne daß Licht sie erzeugte)).

III, 430 – Entwarnung at high noon

5 thoughts on “III, 431 – Verschiedenschattig

  1. damit bin ich durchaus einverstanden, nur daß es bei gedichten immer auch um gewisse rhythmen geht, und da hatte selbst das deklinierte EWIG noch eine silbe zu wenig… anders gesagt: am EWIGEN fehlte etwas, so paradox das klingen mag.

    1. nein, leider nur ein schwaches „fortwährend“… vorerst als platzhalter – eine unglückliche rosafarbene ewigkeit (ist mir schon als „pink“ nicht ganz geheuer), selbst wenn man’s ins „jetz'“ umdenken wollte.

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