III, 450 – Laon V – Dédicace, Vauclair, Lac d’Ailette, Reims, Retour

Nicht, daß die Tage dort nach einem Monat einfach verblassen. Bunte Blätter, die noch immer auf dem Weg liegen.


Immer noch ist ein Sonntag zu beschreiben, der auch anders nachzubilden wäre. Und immer noch Ende September. Zunächst der aber Samstag.
Vorgesehen war für den Nachmittag eine Dédicace in einer Buchhandlung in Laon. Das gab mir Zeit, am Vormittag an Übersetzungen ins Italienische zu arbeiten: Texte aus Tiere in Architektur und Origin of Senses. Abzuliefern am Ende der Woche nach meiner Rückkehr. Also durchaus zu forcieren. – Rauchen am Badezimmerfenster. Windbegünstigt. In einem der Nachbargärten gegenüber ein Mann mit nacktem Oberkörper, die Sonne hatte ein bißchen geschienen. Im Garten daneben auch hin und wieder eine die Wohnung schonende Raucherin.
Dann hinauf in die Oberstadt (auch dort eine solche), in die mit Regenschirmen überspannten beiden Hauptgeschäftsstraßen, wo auch die Buchhandlung lag. Die das “Event” draußen groß verkündete. Im Hauptraum gleich rechts vom Eingangskorridor mit der Kasse war der Tisch schon aufgestellt für die Signierarbeit. Vorgesehen waren drei Stunden. Links ein Riesentisch mit WK1-Literatur.
Die Illustratorin kam auch irgendwann. Und so ging die Arbeit vonstatten. Das Gefühl, unter Leuten zu sitzen, die eh einander kennen. Sie führten lange Gespräche auf Französisch, die ich absolut nicht verstand. Presque jamais pratiqué le francais. Ich fühlte mich dann comme dans une capsule und sagte es auch.
In den Leerzeiten in der Buchhandlung herumspaziert. Interessant ein dicker Bildband über die DDR auf französisch… ich blätterte mehrmals darin: Zigarettenschachteln, die ich wiedererkannte. Ein Queneau-Band, Un rude hiver, der in derselben Aufmachung in meiner Bibliothek steht (wahrscheinlich in den 90ern gekauft und gelesen). Lyrik-Bände. Viel Aragon dabei. Aber mitnehmen wollte ich nichts, es war das Gepäck-Gewicht zu bedenken.


Auf der Straße rauchen und bemerken, daß im Schaufenster die Nachbildung eines WK1-Soldaten (ein “poilu”) stand, in der einen Hand die französische Flagge, in der anderen die weimarische/bundesdeutsche Flagge. Also Schwarzrotgold statt “noirs, blancs, rouges” (Apollinaire), gegen die es ja eigenlich ging, n’importe quois, daß es sich bei ihm um einen Plural handelt. Oder der höheren Weihe wegen, die mein Besuch suggerierte. Hätte aber auch nicht gepaßt.
Abends dann Elizabeths Gastfreundschaft. Der Verleger kam en famille zu fünft.
Die Nachricht, daß die für Sonntag vorgesehene Buchmesse in einem nahegelegenen Ort vom Präfekten wegen der Vorhersage starker Winde abgesagt worden war und entsprechender Gefahr für die Zeltaufbauten. Wir hätten dort den ganzen Tag verbringen müssen. Wäre anstrengend geworden.
Sonntag
Ergo freier Tag. Que fair? Vauclair! Zu dritt mittlerweile, wie immer, wieder auf den Chemin des Dames. Bis zur zerschossenen Abbaye de Vauclair. Stilles Sich-Nähern. Es fing ein wenig an zu regnen. Stehenbleiben unter einem Baum. Einfach nur nichts sagen. Weitergehen zu einer Art Pavillon hinter der Abtei. Die dort ausgestellten Bilder weckten keinerlei Interesse in mir. Scheinbar auch nicht bei den Begleitern. Dennoch blieb man lange dort. Irgendeine eine Unterredung fand statt.

Ich erkundete die Umgebung.


Nebenbei ein nicht mehr sehr blühender und üppiger, dem Herbst schon anheimgegebener Kräutergarten. Die giftigen Pfanzen hatten rote Beschilderungen. Aber so einladend sahen selbst die nicht aus. Eher schon die weitläufige Ansammlung von Apfelbäumen, deren Zweige voller Früchte hingen. Und Elizabeth, eine vertitable Obstdiebin, nahm von jedem Apfelbaum jeweils einen Apfel, um kurz hineinzubeißen und ihn als zu sauer wieder fortzuwerfen. Chapardeuse de fruits, wie sie sich dann nannte.


Die Birnbaum-Sammlung war noch zu jung, als daß dort Früchte hingen. Trug dann aber dennoch ihre Früchte. Denn wir fuhren zum Lac d’Ailette. Auf dem Weg zum Auto wieder der nostalgische Blick auf die Birken. Eine Gruppe davon bildete einen Kreis mit einer Birke in der Mitte. Ich stellte mir ein Kitschfoto vor: mich selbst, sie umarmend. Ich behielt es aber für mich als – naja – kitschige Vorstellung.
Vorbei an einem Golfplatz dann zum See auf die Terrasse eines Hotels, in dem scheinbar die Golfspieler untergebracht waren, lauter schicke Autos, Leute, die wie “von auswärts” aussahen. Leider war die Küche schon geschlossen, weshalb es nur Tee mit einem Keks dazu gab. Vor uns der See. Auch versuchte ich, ein bißchen französisch zu reden. Es langsam hervorbringend gelang es dann schon. Ich durfte nur nicht anfangen, auf Italienisch zu denken: was sofort eine Bremse auslöste.
Und dann die fünf Schwäne, die aufs Wasser herniedergingen. Natürlich sofort das “heilignüchterne Wasser”, und die zuvor gesehenen Äpfel verwandelten sich in Birnen. Dann die ganze Zeit über das “Klirren” der Fahnen reden, und wie man es im Französischen wiedergeben könne, denn Raymond als Hölderlin-Kundiger wußte darüber sehr wohl bescheid. Daß da auch noch Mauern standen “sprachlos und kalt”, hatte die Abtei gelehrt.
So ging es weiter über das, was das Wort “klirren” eigentlich meine, während die Schwäne nach wie vor im Wasser schwammen. Vereinzelte Möwen. Golfspieler, die zur Anlegestelle hinuntergingen und ein Foto machten.
So verlor man die Zeit. Und wenn es so ist, ist es allemal bezaubernd. Nämlich über Nichts zu reden. ÜNichts zu reden, war mit Raymond immer möglich in all den Tagen.
Was ich als Nichts bezeichne, ist natürlich aufgeladen mit Dingen, über die wirklich zu sprechen selten möglich ist. Darüber zu schreiben schon eher. Jedenfalls der beste Nachmittag in Laon und Umgebung, weil eben anders in vielerlei Hinsicht. Le tintin des verres, les drapeaux. Was heißt schon “drapeaux”, so ganz ohne Farben. Denn die Fahnen bei Hölderlin habe keine Farben. Die dem See die Birnen stehlen. Es hingen ja keine solchen dort in den See.

Diesen Nachmittag würde ich gern noch anders verarbeiten. Kommt Zeit, kommt Geheimrat.

Der Montag brachte einen Ausflug in die nähere Umgebung auf der anderen Seite der Stadt. Legenden von Brünhilde-Gräbern, von denen aber niemand wisse, wo sie zu finden. Natürlich fanden wir auch keins, statt dessen ein schon vor dem WK1 aufgegebenes und nicht zugängliches Fort irgendwo auf der Höhe mit einer Waldlichtung und ihren Stimmen davor. Dann der vergebliche Besuch der Bibliothek, die geschlossen war. Angrenzend an das Krankenhaus. Und ein kleines Stück deutscher Geschichte. Das Gebäude vor dem Krankenhaus beherbergte während des gesamten WK1 die deutsche Kommandantur. Im Eingang ein Porträt von Ernst Jünger, der dort im 2. Weltkrieg gelandet war und, wie ich hörte, die dortige Bibliothek gerettet hat (wie, weiß ich nicht (immerhin schien er die Handschriften studiert zu haben (darunter wohl auch vieles aus karolingischer Zeit))). Das sorgfältig erhaltene Graffiti eines Berliners von 1915. Ich habe allerdings kein Faible für Jünger.


Der letzte Tag vor dem Abflug am Mittwoch: Ausflug nach Reims. Keine Fotos mehr. Batterie alle. Aufladegerät in Amelia. Aber macht nichts. Es gibt Fotos zuhauf von der Kathedrale. Das Bezeichnende: die Kirchenfenster. Farbenpracht. Besonders in der Apsis. Das zentrale Fenster von Marc Chagall mit einer sehr vegetativ grünen Madonna (ja doch, Madonnen tun es mir manchmal an). Rechts und links daneben die mich an Liechtenstein-Farben erinnernden Fenster von Imi Knoebel (auch wenn ich den Vergleich mit Liechtenstein heute zurücknehmen würde, erinnerten dennoch die Farben an Comic-Farben).
In einer der Apsiskapellen eine Jeanne d’Arc.
Ich habe sonst nicht die Gewohnheit, Kerzen in Kirchen anzünden, dafür habe ich in meiner Kindheit zu oft an allen 31. Oktobern “Ein feste Burg” gesungen zu den Orgelklängen des auch Schullehrers Siedentop. Aber es brannten nur zwei einsame Kerzen vor ihrer Kapelle. Da mir die nun wirklich unwunderprächtige reizende Statue doch sehr gefiel, opferte ich meinen Johanna-Obulus und fügte eine dritte Kerze dazu, allerdings ohne den Vorsatz, das Schiller-Drama wiederzulesen (sofern man behaupten kann, daß ich es damals als Schullektüre wirklich gelesen (das ist eher ein Schillerdrama: man sollte darüber mal ein Drama verfassen über das Drama, daß Schiller eine Schullektüre ist)).
Raymond brachte mich dann am Mittwoch nach Roissy. Als er fort war, eine gewisse Leere. Der Abflug zeigte wieder die Illusion eines Eiffelturms, einen Flußlauf, dem ich gern den Namen Seine gegeben hätte. Dann wurde es wolkig. Über dem Piemont Turbulenzen. Dann die ligurische Küste. Schon war ich wieder da.
Merci beaucoup à tous.

III, 449 – Laon IV – Auf dem Weg, Empfang in der Mairie

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