Arbeitsjournal, versucht am Morgen des Donnerstags, den 14. November 2019. Lolita 1 darinnen (Nabokov lesen 3).

 

Wenn alle in eine Richtung rennen, müssen die Künstler als Einzige in die andre,
das ist nicht nur ihr Recht, sondern ihre Pflicht.“
Elfriede Jelinek (zum Nobelpreis für Peter Handke)

[Arbeitswohnung, 7.50 Uhr
Morgencigarillo bei erstem Latte macchhiato
Luigi Dallapiccola, Ulisse]

Nachdem bereits die FAZ >>>> über Bibliotherapie erzählte, schiebt die NZZ >>>> nun nach. Bei mir jedenfalls, >>>> mit Nabokov, hilft sie; ob es bei düsteren Texten auch so wäre, wie die erste der beiden Zeitungen meint, weiß ich nicht, wohl aber, daß meine Mutter, als ihr zweiter Mann über Wochen, ich muß es so sagen, verreckte, in Stephen King eine Art Erlösung fand. „Es geht n o c h schlechter“, in diesem, nun jà, Sinn. Bei mir ist es nicht die Thematik, wenigstens nicht vorwiegend, sondern die Schönheit mancher Ausdrücke und Satzkonstruktionen und die ausgefeimte, hinreißend virtuose Konstruktion der Romane-selbst. Es sind halt Romane; ich hatte mir schon fast abgewöhnt, an so etwas zu glauben. Wirklich gute Romane zu lesen, beruhigt, ja sediert mich – weit mehr als irgendeines der Medikamente konnte, die ich nun allesamt abgesetzt habe.
Romane zu lesen, aber eben nur, wenn es wirklich gute sind, schafft eine gesunde Distanz, wirft den Schein einer betrachtenden, teils mitfühlenden Objektivierung in die Seele, darin ähnlich guter – das heißt immer: komplexer – Musik. Wie gestern abend Dallapiccola, und heute früh, wie vorher Frank Martins späte Oper nach Shakespeare „Der Sturm“.  In mir zeigt eine ähnliche Wirkung interessanterweise religiöse Musik, und zwar egal, ob Imrat Khans teils meditative, teils expressionistisch ausbrechende Surbahar, ob christlich dramatisch bewegter oder nur der schwebende Choral der Gregorianik. Wobei es hier auf die Wörter nicht ankommt, ebenfalls interessant. Bei Nabokov k o m m t es auf die Wörter an, und die Sätze.
Mein zur Zeit unentwegtes Lesen stellt nicht meine Arbeitsfähigkeit wieder her – oder vielleicht doch? schriebe ich sonst fast unversehens dies „Arbeits“journal? -, aber nimmt mir das Elend, nicht anders als die Ferne tat, eine nahe Ferne freilich, als ich sie in Innsbruck und Bozen durchschritt. Dort kam die Sonne dazu sowie, beim Überfahren des Brenners, ein enormes Schneetreiben, das gegen das Grau des Himmels geradezu strahlte. Und dann, in Bozen, dieser Kakibaum! (Ich pflückte vor der Abfahrt drei der Früchte, die nun auf meinem Mitteltisch in einer flachen Schale reifen). Zehn Schritte von den, sofern kernlos, Sharons weg hingen teils schon aufgeplatzte Granatäpfel an den vielen Armen ihrer Mutter, und all das Idyll eingesenkt zwischen darüber hinleuchtenden Bergen voller Rebentrassen, und ganz darüber schneegleißend Gipfel.
Auch zu reisen erlöst, wenn auch nicht für lang. Zurück in Innsbruck unternahm ich bei ebenfalls leuchtender Sonne einen Gang zur Hungerburg hinauf und ins Abendrot hinunter. Da ist dann alles weit weg, die Herznot, das Vergebliche der Arbeit, Ignoranz, Mobbing (:wie man heute sagt), Erfolgslosigkeit. Da ist nur noch Luft, von der es gut ist, daß sie kühlt; man muß ja nur den Mantel enger um sich schnüren. Daß ich nicht ganz in Topform bin, sei dabei dahingestellt: Ziemlich schnell fing ich während des Aufstiegs unter meinem Hut zu schwitzen an, nahm ihn demzufolge ab und trug ihn bis fast ganz zum Schluß in der Hand. Erst als, in der schnellen Dämmerung, die Kälte schärfer wurde, fand er den Weg zurück auf mein Haupt.

*

Mein unguter Zustand hat für Sorgen gesorgt, auch bei, ich sag mal, nahen Leserinnen,  nicht „nur“ den Freundinnen, Freunden. Unbegründet waren diese Sorgen nicht. Allerdings scheint es mit Depressionen – ein für meinen Zustand an sich unangemessener Begriff, weil ich die Gründe meiner tiefen, ja, Schwermut kenne und auch bezeichnen kann -, allerdings also scheint es so zu sein, daß man einfach „durch“muß; es läßt sich quasi nichts tun, außer sie auszuhalten und Zeit darüber vergehen zu lassen. Und zu schauen (zu hören), was einem gut tut. In meinem Fall Musik (was viel ist; ich hatte Zeiten, in denen auch sie mich nicht erreichte) und … nein, nur „Literatur“ zu schreiben, wäre falsch, denn es stimmt nicht bei jeder; vielmehr die speziell nabokovsche Romandichtung. Obwohl ich gerade im Spätwerk einiges aushalten mußte, denn Nabokov prahlt gern ein wenig mit seinem pekuniären Vermögen, also dem sich materiell niederschlagenden Welterfolg, der ihn jeglicher existentiellen Nöte enthob. Zudem ist er oft schwer arrogant, stets freilich durch eine „schiefe Spiegelung“ seiner selbst nicht ironisiert, nein, sogar selbstgefeiert, doch eben auf Distanz gerückt. Aber auch, wenn ich diese Dynamik durchschaue, nimmt es nichts von seiner hohen, allerhöchsten Kunst. Es mag Autoren, und Autorinnen, von größerer Menschlichkeit geben – bessere indessen n i c h t. So hat es durchaus etwas nicht nur Beruhigendes, sondern mich meiner selbst gewiß Machendes, daß es eben auch so etwas gibt, in jedem Fall gab: jemanden, der zu Recht berühmt und eben auch begütert ist. Ich empfinde das wie einen Ausgleich: als etwas, das meine eigene Not objektiv ausbalanziert. So daß mir sogar Nabokovs wie auch immer verstellte oder maskierte Prahlerei gut tut, einfach aufgrund des so einfachen wie eben evidenten Gedanken, daß er ja – recht hat.
Dazu die Süße des bolzanoschen Kaffees, die kluge Zugewandtheit Markus Klammers, bei dem ich mich sehr bedanken muß (ich habe enorm viel über die Geschichte und Architekturgeschichte Bozens gelernt) sowie die innere Gewißheit beider Giacomuzzis, und ihr Engagement. „Du hast hier immer einen Ort.“ Ähnliches sprach auch schon Cristoforo Arco aus, nur daß Wien momentan für mich tabu ist, für einige Zeit wohl auch noch bleiben wird.

Um wieder schreiben, also dichten zu können, muß ich allerdings meine Sinnlichkeit zurückgewinnen, gelebte Sinnlichkeit. Heute morgen zum ersten Mal der Gedanke, mich – im Wortsinn: notfalls – bezahlter Liebesdienste zu bedienen, auch wenn so etwas Kapitulation bedeutet. Vielleicht verliere ich aber nur eine Schlacht damit, nicht den ganzen Krieg. Vielleicht nützen auch Kapitulationen manchmal der Erholung und lassen dann doch noch gesunden. (Deutsches Wirtschaftswunder, keine Ahnung.) Ist auch nur eine Spielerei des Vorstellungsvermögens, zumal ich gar nicht wüßte, woher das Geld nehmen. Aber der Gedanke, mein ferneres Leben lang mich nur noch alleine aufs Lager zu legen, ist schaurig, stets alleine aufzuwachen und keiner andren Hand je mehr auf dem Leib zu spüren, um von Lippen sicherheitshalber gar nicht zu sprechen, und von der Zunge. In Sachen Sublimation war ich von jeher ein Trampel. Aber ich muß zurück in die Anbetung der Haut, weiblicher Haut, wenn ich die Béartgedichte fertig bekommen will, weiblicher Gesten und die Linie der Schultern zum Schlüsselbein hinab, oder schmaler gefährlicher Rücken, das Dreieck der gebliebenen Ansätze von Flügeln zum Punkt, da der Grat in die Gesäßfalte taucht. Oh diese Kette der Wirbel! Ich muß es unter den Fingerspitzen spüren, muß ihr streichend, streichelnd folgen, real,  nicht imaginiert. Nur dann finde ich wieder hinein.


Nun also „Lolita“ zu lesen beginnen. Ich tat es vorher tatsächlich nie – wohl aus Abneigung gegen gehypte Bücher. Wenn „alle“ sagen, etwas sei gut, steigt mir der Vorbehalt bis zur Hochwasserschwemme, und Deiche schütten sich wie die Nordkette Innsbrucks in mir auf. Da brauche ich dann einen Brenner. Wobei schon John Ray jun.’s solch einer ist, mit dessen Vorwort, das ich schon las, Nabokovs Roman beginnt: „Rein als Roman betrachtet, handelt Lolita von Situationen und Empfindungen, die dem Leser auf ärgerliche Weise unklar bleiben müssen, hätte der Autor ihren Ausdruck in blassen und platten Umschreibungen etiolieren lassen.“ – Etiolieren!
Ich habe übers Moderne Antiquariat eine sehr schöne Ausgabe ergattert, in einem genarbtes Leder imitierenden Umschlag mit drinnen aber schönstem Satz auf so feinem Papier, daß sich die Seiten jeweils nur mit einem aufziehenden Rascheln umschlagen lassen, wenn sich ihre Kanten von der der Nachseite lösen – leider aber auch eine Ausgabe mit einem bösen Tattoo. Lesen Sie das, Geliebte, einmal:

„BILD präsentiert“, wirklich nicht zu fassen. – Ich werde es überkleben. Doch trägt das Buch n o c h eine Narbe: Als gäb’s nicht schon Entweihung genug, steht auf seinem Rücken ein Zitat Reich-Ranickis, noch kurz vor der Hölle daraufgespritzt (der Machtmann verstarb 2013, die Ausgabe erschien ein Jahr früher). Auch hier werde ich eingreifen und versuchen, es mit schlackeschwarzem Edding auszulöschen. Möge man Namen und Geifer vergessen.

>>>> Nabokov lesen 3 (Lolita 2)
Nabokov lesen 2 <<<<

Doch anderes ist de facto zu tun, drängt, m u ß erledigt werden, nämlich die Ghostwritingtexte. Hier harren wieder fünf Tonfiles ihrer Verschriftlichung. Das ist Fleißarbeit. Aber selbst sie sperrte sich bislang gegen mich ab. Das Vergeblichkeitsgefühl flutete auf, wenn ich auch nur zu tippen versuchte. Hätte ich nicht zugleich derart viele Ideen, es könnte angenommen werden, daß ich „ausgeschrieben“ sei. Bin ich aber nicht. Ich bekomme nur nicht den Steg über den fließenden Lehm, der mich von der Zuversicht trennt, es habe auch Sinn, noch zu schreiben. Dazu die nur noch unter Mühen hinuntergedrückte Angst vor dem Alterselend: ökonomisch in Armut, und das Alleinsein des Körpers. Wobei ich mir dessen sicher bin, daß, gäbe es für meine Bücher die ihnen gebührende Anerkennung – es muß gar kein Ruhm sein, Achtung würde völlig genügen -, das ganze Problemfeld gar nicht existierte, oder nur gelinde und also gut parierbar: sowohl finanziell als auch als Mann. So aber bleibt es, Geliebte, bei Ihnen – als dem vagen Gespinst der dünne gewordenen Einbildungskraft
Ihres

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[10.54 Uhr
Karl-Heinz Stockhausen, Refrain für drei Spieler]

21 thoughts on “Arbeitsjournal, versucht am Morgen des Donnerstags, den 14. November 2019. Lolita 1 darinnen (Nabokov lesen 3).

  1. So ein wunderbarer Beitrag ! Danke !
    Anmerkung: Andrea Gerk: Lesen als Medizin: Die wundersame Wirkung der Literatur.
    … sie ist also bekannt. Ich wünsche Ihnen weiterhin heilende Lesefreuden.

  2. Nicht nur Lesen ist Therapie, sondern natürlich auch das Schreiben selbst. Wir hatten früher viel diskutiert über einen Essayband von dem erst neulich verstorbenen Günter Kunert mit dem schönen Titel „Wer schreibt, ist krank“, in dem er an Werken von zahlreichen berühmten Autoren dieses mal untersuchte., sehr geistreich.
    Oft sind gerade depressive Autoren beim Schreiben besonders gut, wenn sie ganz tief im Sumpf stecken und dann wie ein Münchausen, der sich mal am eigenen Zopf samt Pferd aus einem Sumpf zog, sich retten.
    Wahrscheinlich ist das für kreative Menschen der beste Weg, wie Sie ja hier an diesem gelungenen Arbeitsjournal beweisen, smile, gern gelesen.

  3. Das Poblem, lieber Herr Summer, tritt aber auf, wenn das Schreiben-selbst entscheidender Mitgrund der Schwermut ist, also der imaginär angesprochene Leser, die imaginär angesprochene Leserin sozusagen versagt, indem sie die ebenfalls imaginäre Zuwendung verweigert – also wenn die treibende und schmerzlösende Inagination insgesamt nicht mehr greift. Das geschieht in dem Moment, in dem sie oder er auf die Öffentlichkeit verschoben wurden, also genau dann, wenn das Schreiben zum Beruf wurde, woraufhin die imaginäre Leserin, der imaginäre Leser eine reale Entsprechung finden müssen. Es ist hoch interessant, daß meine Schwermut stets völlig verfliegt, wenn ich vor Publikum vortrage; genau da wirkt die schmerzlösende Fähigkeit des künstlerischen Prozesses tatsächlich erneut, versagt aber, kaum daß ich wieder allein am Schreibtisch sitze und deshalb das unbedingte Gefühl habe, abermals ins Leere zu schreiben. Berufliches Schreiben braucht einen öffentlichen Wiederhall, zumal es mit der Person-selbst, also dem Künstler, identisch wird. Kunert hatte ihn, jemand wie der ignorierte, aber grandiose >>>> Christopher Ecker hat ihn n i c h t, ebenso wenig hatte ihn der eigentlich ebenfalls hinreißende >>>> Gerd-Peter Eigner, und >>>> Paulus Böhmer bekam ihn viel zu spät – mit achtzig Jahren erst, bereits schwer krank – nach schlimmen Jahrzehnten der gleichermaßen bewußten wie bösen Mißachtung. Sie alle hatten/haben sich nicht etwa poetischer Nachlässigkeiten schuldig gemacht, im Gegenteil, sondern fügten sich bewußt nicht in die Machtusancen des Literaturbetriebs ein, sondern stemmten sich sogar, bisweilen sehr heftig, dagegen. Woraufhin ihnen das poetische Genick gebrochen werden sollte, und bisweilen wurde. Daran tragen die realen Leserinnen und Leser selbstverständlich keine Schuld; sie bekommen dergleichen überhaupt nicht mit oder nur höchst selten.

  4. Ja, ich verstehe das schon. Der Witzbold in mir sagt: „Die Lage ist aussichtslos, aber nicht ernst.“
    Ich las 70 bis 80 Tausend Neuerscheinungen von Büchern kommen jährlich in Deutschland auf den Markt. Wer soll das Lesen? Es schreiben mehr Menschen Bücher als sie welche lesen.
    Ich bin ja kein Fan Ihrer Literatur, aber mag Ihre Art zu kämpfen.
    Da drücke ich mal die Daumen, dass Sie nicht in die Verbitterung abrutschen. Kürzlich erzählte mir meine Tochter, eine Bekannte, die ohne Ausbildung ein Musikbuch für Kinder verfasst hatte, noch nicht mal sehr erfolgreich, hat jetzt bei Aktion Mensch einen Job bekommen, um Theaterstücke für behinderte Kinder zu schreiben und mit zu inszenieren, 1800 Euro im Monat.
    Im Schulwesen suchte man Hände ringend nach alten Menschen, die ohne Ausbildung als Lehrer mitarbeiten. Was wären Sie für ein toller Deutschlehrer!
    Geben Sie nicht auf.
    Alles Gute für Sie, das Problem zu lösen und weiter schreiben zu können.

  5. pardon, wenn ich mich hier doch noch mal einschalte, alban. mit verlaub, herr summer, der mann ist autor, könnten sie das vielleicht bitte einfach mal zur kenntnis nehmen! und man muss literatur nicht mögen, aber verstehen, was ein literat ist, sollte man vielleicht, bevor man ratschläge erteilt.

  6. danke, Frau oder Herr xo, ich nehme das zur Kenntnis. Also bitte um Entschuldigung für die Ratschläge oder Tipps, von denen es sicherlich noch etliche gibt. Ich ziehe alle zurück.
    Am liebsten mag ich ja die Lebenskünstler, nix für ungut, und das sollten wir eigentlich alle sein, ob seine Majestät, der Künstler oder nur ein einfacher Bauer.
    Vorsichtig rückwärts heraus gehend, mich immer wieder verbeugend, mache ich leise die Türe zu.
    Schließlich leben wir in Deutschland, mit Verlaub… pardon.

  7. wir sind aber alle was sehr verschiedenes und es gilt immer noch die freiheit der berufswahl und dazu gibt es ab einem gewissen alter auch überhaupt gar keine wahl mehr, als mit der expertise weiterzumachen, mit der man sein leben bestritten hat bislang und jetzt soll man so jemandem sagen, schul doch um, geh doch in die schule, mach doch dies oder mach doch das, als hätten sie erstens überall auf autor*innen gewartet, was sie nicht haben – wissen sie wirklich, was man in schulen gerade braucht? – und zweitens, ach, lassen wir das, das ist einfach nur zynisch, da ist: schreib doch n bestseller, was autor*innen sonst immer zu hören kriegen, ja noch harmlos gegen. diese hilf dir selbst, sonst hilft dir gott mentalität ist echt zum speien. der mann ist autor, ein leben lang schon, er hat verlage, er schreibt bücher, hörspiele und vieles mehr, bekam preise und stipendien und war in der massimo. kriegt bei internationalen literaturfestivals einen ganzen tag für eine gesamte werkschau eingeräumt, ist ständig auf lesungen, der hat es verdammt noch mal verdient, ordentlich bezahlt zu werden. nix lebenskünstler, das ist doch nur der begriff dafür, dass eine gesellschaft sich nicht verantwortlich fühlen will, für so jemanden. sie ist aber mit verantwortlich und hat solchen autor*innen gegenüber pflichten.

  8. Was schlagen Sie denn vor?
    Haben Sie Einfluss ihm zu helfen, wie Sie es für angebracht halten?
    Welchen Künstler jeder von uns für sich als Konsument wichtig hält, ist immer eine Geschmacksfrage. Ich sage ehrlich, dass ich persönlich kein Fan seiner Literatur bin, aber es gut finde, wie er mit offenem Visier um sein Recht als Künstler kämpft vom „Betrieb“ anerkannt zu werden. Ich lese auch gern im Blog, habe sogar schon versucht, ihn zu verteidigen, wenn er angegriffen wurde, und ich es als ungerecht empfand. Ich meine nicht, dass nur meine „Lieblingskünstler“ anerkannt werden sollen, dazu habe ich kein Recht, aber stimme Ihnen zu, dass die Gesellschaft allgemein mit allen Künstlern anders umgehen sollte, gerade, wenn sie alt werden. Ich bin auch ein Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens.
    Aber all das gibt es nicht. Da versuchte ich ihm zwei Tipps zu geben, mehr nicht, nur als Beispiel, um ihm Mut zu machen.
    Was raten Sie Ihm?
    Ich halte diesen Blog für außerordentlich ehrlich, was seine Situation angeht, bin aber auch wie Sie vermutlich, völlig machtlos. Aber es liest sich so, als würden Sie seiner Verbitterung noch zusätzlich Nahrung geben wollen. Meinen Sie, das hilft? Nun gut, mag sein.
    Meinen Sie, dass Hochzeitsreden zu halten ein besserer Job ist, als vielleicht in Schulen Aufsätze zu korrigieren?
    Sorry, ich bin jetzt raus.
    Aber wenn ich Lottomillionär werde, werde ich wieder kommen und dem Künstler anders weiter helfen als Mäzen.

  9. es hilft allein ein politischer wille, nichts anderes, der könnte so aussehen, dass ab einer bestimmten anzahl bücher, die nicht im selbstverlag erschienen sind, es eine art grundeinkommen gäbe, das wegen mir auch wieder einkassiert werden kann, wenn buchverkäufe in nennenswerter höhe erfolgen, die ein überleben aus eigener kraft ermöglichen. in diesem land werden so viele gewerbe deutlicher subventioniert, als literatur, als hingen an der literatur nicht auch arbeitsplätze. lesen sie mal musils aufsatz: wie hilft man dichtern? von 1923, da steht alles schon drin, was bis heute wirkt. mir machte das keinen mut, wenn mir jemand sagt, mach doch dies oder jenes stattdessen.

    1. @Xo: Ich fürchte, es hülfe selbst so etwas nicht, weil nämlich auch dort wieder Juries entschieden, und die Erfahrung zeigt, daß sie mit denselben Leuten besetzt würden, die auch den sonstigen Betrieb maßgeblich bestimmen, wobei sie ihrerseits von den gängigen Ideologien bestimmt sind (sowie, damit verbunden, ihren Eigeninteressen, sowie von ihrem persönlichen, was noch viel heikler ist, „Geschmack“). Ich kann viele Liedchen davon singen, und deren nur wenige sind schön.

      1. nein, es wäre anders, wenn es um verlegte bücher geht, dann wäre es ohne ansehen der person bei diesem schritt, dann reichte die expertise, dass es verlage wollten und das problem hattest du ja nie. und dann griffe eine förderung ab dem dritten verlegten buch z b. ich hörte schweden soll so verfahren. hab es aber nicht überprüft bislang. klingt aber nicht schlecht.

  10. @franzsummer:
    Da Sie so sicher schreiben, meine Texte (außer denen Der Dschungel, offenbar) nicht zu mögen – haben Sie denn Bücher oder auch nur ein Buch von mir gelesen? Ich meine jetzt Prosa. Das >>>> Traumschiff vielleicht (tatsächlich dürfte es gerade Ihnen sehr gefallen), vielleicht sogar >>>> Meere? Oder die >>>> Erzählungen nun? Es wäre vielleicht ein Anfang.

    Und selbstverständlich habe ich versucht, sogar mehrmals, eine Lehrerstelle zu bekommen. Ich bin ein ausgesprochen guter Lehrer, wie sich sowohl an der Heidelberger Uni und in vielen Seminaren für junge Autorinnen und Autoren davor als auch vor allem >>>> bei START gezeigt hat, wo ich mit und für junge Migrantinnen und Migranten gearbeitet habe und nun auch erneut arbeiten werde, wenn auch sehr, sagen wir, „heruntergefahren“ – aus aber Gründen, die nichts mit meinen Kolleginnen und mir zu tun haben, sondern ganz offensichtlich ökonomische sind. In Zeiten des Null- oder gar Minuszinses geht es Stiftungen finanziell schlecht, logischerweise. – Was die anderen Lehrerstellen anbelangt, so wollte man mich nicht, entweder, weil ich für „überqualifiziert“ gelte, bei gleichzeitigem Mangel an didaktischem Ausweis, also anerkannten Abschlüssen, oder weil ich schlichtweg zu alt bin, als daß noch in eine Zusatzausbildung öffentliches Geld gesteckt würde; eine Festanstellung (die ich aber auch gar nicht wollte) ist für einen fast 65jährigen da ohnedies ausgeschlossen.
    Ich bin mir durchaus nicht „zu fein“ für andere als literarische Arbeiten und war es auch nie. Hier aber geht es um etwas anderes. Ich hinterließe, wäre ich fort, schon jetzt ein Riesenwerk, wie es nicht sehr viele Schriftsteller vorweisen können, und es ist in den Wissenschaften viel beachtet. Die aber, die den Markt bestimmen oder doch wesentlich mitbestimmen, ignorieren es oder leugnen es sehr bewußt weg, denn sowohl meine Bücher als auch vor allem meine Person sind nicht … sagen wir es s o: kompatibel. (Das erste, was mir, als wir uns kennenlernten, >>>> Wilhelm Kühlmann damals sagte, war: „Ich weiß, warum man Sie nicht mag. Sie haben keinen Stallgeruch.“)

  11. lehre ist zudem auch nicht prickelnd bezahlt, frag die gastprofessor*innen am dll (nur die vorlesungszeit z b, arbeit aber deutlich darüber hinaus), nichtsdestotrotz macht sie viel freude, ja, aber fällt auch in den bereich, muss man sich leisten können. an den unis sieht es ja nicht besser aus, leben kann von den zeitstellen keiner. das ist zubrot. und das ist der eigentliche skandal, das ganze metier ist total unterversorgt, obwohl es arbeitsplätze schafft. aber man baut immer drauf, es geht sich schon irgendwie aus. wenn ein paar durchkommen, reicht das ja und, nein, das reicht nicht, nirgends, wenn nur ein paar wenige durchkommen.

  12. Ja, das mit dem Stallgeruch. In der DDR gingen die Bücher der Autoren ohne Stallgeruch unter dem Ladentisch weg wie die heißen Semmeln, ich hatte als junger Mann deshalb ein Verhältnis mit einer Verkäuferin in der Karl-Marx-Buchhandlung gepflegt (kann man das so sagen).
    Heute informieren sich die Leser nach den Bestenlisten.
    Ich hatte „Meere“ gelesen, eine Novelle, ich glaube „Die Orgelpfeifen…“ und mir bei Amazon Leseproben auf dem Kindle von den neuen Erzählungen herunter geladen, neulich erst von dem zweiten Band, aber ich glaube bei dem Verlag direkt.
    Ich denke auch bei dem bedingungslosen Grundeinkommen sollten keine Bedingungen oder Wertungn gelten.

    1. Aber dann sind Sie doch offensichtlich ein Leser (alter DDR-Leseland-Schule)? Ich würde Ihnen sehr Traumschiff ans Herz legen, und wenn Ihnen das nicht gefällt, dann haben Sie keins (nur ein Scherz, aber im Ernst, das ist eines der schönsten Bücher von Herrn Herbst, obwohl man das ja nicht machen soll, Bücher gegeneinander auszuspielen) <-;)

    2. PS: „Das bleibende Thier“ ist zwar wohl das, was Sie mit „Ihrer Literatur“ meinen, die Ihnen nicht gefällt, aber ich behaupte, auch das könnte Ihnen gefallen, ich will Ihnen nur soviel verraten, dass Sie, wenn Sie sich darauf einlassen, in eine Art Rausch kommen können. Man muss sich ein bißchen darauf einlassen, das stimmt, aber es lohnt sich! Je nach Leser entpuppen sich die ‚kleinen‘ Werke mitunter als große Offenbarung.

  13. danke, Sie sind ganz süß mit Ihrer Begeisterung.
    Aber ich habe einen ganz eigenen Geschmack, bin auch schon früh aus der Kirche ausgetreten, noch zu DDR-Zeiten, da war auch immer so viel von Offenbarungen die Rede, nix für ungut. Sehr lieb von Ihnen.

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