derzufolge, wie Borges erklärt, ein Dichter unmoralisch werden müsse, der sich von seiner Autobiographie lösen will. Nur dann könne für die Öffentlichkeit (Sie mithin, meine Leserin) der Trennprozeß von Werk und Prozeß eingeleitet werden.
Schon für die junge Moderne war es freilich fraglich, ob diese Trennung denn wünschenswert sei und nicht sogar unzeitgemäß. Ich füge hinzu, es sei das Eigene (Autobiographische) dergestalt nicht nur zu erhalten, sondern künstlerisch in Bewegung zu setzen, daß es das eines Anderen werde, eines, das nur in der Kunst existent ist, so daß es sich mit ihren Rezipienten verbinden kann, ohne daß in ihrer Gesamtheit die persönlichen Erinnerungen und oft nur unbewußte Prägung der Künstlerin und des Künstlers, also die je individuelle Werdung, ebenso mit übernommen werden müßten, ja: auch nur könnten. Denn das Abgebildete (Geschilderte, Gesungene, Gemalte, Musik sowieso) ist immer nur BILD: Ceci ne pas une pipe — doch Pfeife mehr, in diesem Sinn, als jede einzelne „wirkliche“. Zugleich, weil eben abstrakt, viel weniger. Dieses, die Gleichzeitigkeit des Mehren und des Wenigers, ist zu gestalten und vorher wohl zu denken. Die sinnliche Abstraktion — eben das ist Kunst und also auch die Dichtung — überträgt den Eindruck der Pfeife, den die Rezipienten mit je ihrer Pfeifenerfahrung verbinden, einer, die die Urheberin und der Urheber des Bildes gar nicht haben konnten, als ihr Werk geschaffen wurde. Genauso geschieht es auch der individuellen, im Kunstwerk übermittelten persönlichen Erfahrung, etwa der, die Nabokov vielen seiner Figuren mitgibt auch dann, wen sie sich eklatant von ihm selbst unterscheiden, ja er sie sogar ablehnt oder sonstwie nicht mag. Die individuelle Autorenerfahrung, die allerpersönlichste Erinnerung, amalgamiert mit allgemeiner (die es so wenig gibt, wie das, was das Kunstwerk gestaltet; gerade das „allgemein“ ist abstrakt, nämlich die Summe aller möglichen Leserinnen- und Lesererfahrungen, die Rezipienten in ihre Lektüre schon mitbringen).
Ein Weiteres ist der Unterschied von „unmoralischem“ und nichtmoralischem Schreiben; letztres sagt nur, daß Moral für Kunst kein Kriterium ist — und sein auch nicht dürfe —, indessen das erstre meint, es sei moralische Übertretung im Kunstwerk intendiert. Nur ist selbst Intention ästhetisch schon heikel, alleine deshalb, weil sie auf einen Zweck außerhalb der Form schaut. Unmoralisch zu schreiben, wäre eben moralisch; es setzte die Unmoral gegen die Moral ab, die ihm dann zur Folie würde, was diese geradezu zur Voraussetzung des Kunstwerkes machte. Hingegen darf sie schlicht keine Rolle spielen — eine Auffassung, die Nabokovs entspricht. An Romane, Erzählungen, Bilder moralische Kategorien anzulegen, verfehlt die Literatur.
Interessanter aber ist Borges‘ Schönheitsbegründung, die aus seiner poetischen Verweigerung des Postulats resultiert, Kunst habe gesellschaftliche oder Aufgaben sonstiger Art zu erfüllen, solche, die jenseits der äthetischen lägen: Wenn es etwas Verbindliches gebe, dann die Verwandlung von Unglück in Schönheit. Das Glück hingegen bedürfe ihrer nicht, es sei schon schön für sich — etwas, worüber niemand hinausgelangen könne. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Verschönerung („Erhöhung“) des Glücks will Schönheit noch schön übermalen. Das Ergebnis ist seine Reduktion, nämlich — Kitsch.
[Bild ©: → Wikipedia]
Indem wir glauben, etwas noch schöner machen zu können, wird es kleiner, als es ist, und also wird es erniedrigt. Was göttlich war, wird banal.
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[Poetologie]
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