[Arbeitswohnung, 6.42 Uhr
Händel: Tamerlano (Gardiner mit Chance)]
Erster Latte macchiato, elfter Tag rauchfrei und kaum noch Entzug, wenn Sie vielleicht von den Schlafstörungen absehen (sollte Bruno Lampe → also recht haben). Von 2.30 bis etwa anderthalb Stunden später wieder wachgeworden und nicht -gelegen, sondern ziemlich gleich aufgestanden, mir etwas übergezogen (nach wie vor schlafe ich unbekleidet) und mich an den Schreibtisch gesetzt, um zu beginnen, worüber ich, während ich noch lag, insistent nachgrübeln mußte: Sämtliche Paßwörter zusammenstellen, die meine Bevollmächtigten im Fall des Falles brauchen, um auf meine Arbeiten, meine Mail. und anderen Internetkonten, vor allem auch DIE DSCHUNGEL zugreifen zu können.
Jedenfalls hat das Novaminsulfon zwar nicht versagt, denn Schmerzen hatte ich nicht mal ahnbar, doch weiterzuschlafen gelang mir nach dem Erwachen nicht, u8nd genau dagegen, nicht gegen den Scherz, wollte ich es einsetzen. Werd jetzt also doch versuchen, das Melatonin zu besorgen – aber vielleicht bekomme ich es nachher in der Klinik (ans Zolpidem mag ich noch nicht rühren; zuviel davor „Respekt“): Um zehn Uhr Vorgespräch zur morgen stattfindenden „diagnostischen Laparoskopie“, die die Hannöverschen erst gar nicht mehr durchführen wollten; dennoch, meine Hausärztin rief zu (ich muß unbedingt auch ihr einen poetischen Namen finden). — Aufbruch von hier, mit dem Rad, um 9.15 Uhr. Wetter durch-, wieso eigentlich –wachsen? … („ein recht gut mit Fett durchwachsenes und von Rippen durchzogenes“, → auch „Wammerl“ genanntes, Teilstückwetter). Wammerlwetter also.
Wie lange die Vorbesprechung dauern wird, weiß ich nicht. Doch werd‘ ich herauszufragen versuchen, wie sich die Ärztinnen und Ärzte hier die spätere OP vorstellen.
Jedenfalls bis etwa vier Uhr an der Paßwortsammlung ge,nun jà,“arbeitet“, dann wieder ins Bett und tatsächlich zwei Stunden weitergeschlafen. Insofern bin ich nicht zermürbt. Es nervt dennoch.
Die Chemo wird am Montag beginnen, nehme ich jedenfalls an. Erster Termin beim Onkologen, auch dort, um das Vorgehen erst einmal zu besprechen und wohl auch schon den Plan aufzustellen, den wiederum meine Hausärztin für das THC-Präparat braucht. Eigentlich hat er mich schon gestern sehen, dann aber doch noch das Ergebnis der Laparoskopie abwarten wollen. Eigens noch einmal anrufen ließ er mich deshalb.
Li, derzeit, schweigt, keine Reaktion auf → meine Replik. Benjamin Stein gestern per SIGNAL: „Das sind ja harte Aussagen vom Chirurgen. Wahrscheinlich musst du die Dame doch siezen, damit sie sich kooperativ verhält.“ Welch eine feine Schärfe in der adjektiven Verbindung mit den Chirurgen liegt! Zumal er mit der Frage nachzieht, wann ich „mit den giftigen Cocktails“ begänne. Dazu noch, als SMS, die aus eigener Erfahrung rührende Warnung einer sehr, sehr guten Freundin:
(…) hatte Novaminsulfon als tropfen. du schläfst immer. das zeug macht dich so matschig im kopf, dass du schläfst. ich konnte teilweise (…) nur noch soaps folgen – das wollte ich nur sagen – vorsicht mit dem zeug. du willst doch weiter denken können.
Doch wie gesagt, noch macht es mich nicht matschig, und schlafen läßt es mich auch schon nicht mehr, bereits in der zweiten, ich sage mal, Versuchsnacht.
Kraftvoll Sonne durch schweres Gewölk: ein magisches, fast turnersches Wechsellicht. Wieso ich gestern wieder auf Händel kam, weiß ich nicht zu sagen. Doch saß mehrmals komplett fasziniert in meinem vorm Schreibtisch präzis auf die Proacs ausgerichteten Musikstuhl — bewußt ohne jeden Blick auf etwas anderes:
und lauschte mit meist geschlossenen Augen der geradezu fiebrig-naturalistischen Stimmen- und Instrumententrennung → dieser Aufnahme, deren klangliche Grandiosität wie innige Berührungskraft auch daher rührt, daß, anders als in den späteren Epochen, kein Mischklang entstehen soll, sondern jede Stimme definiert ist und sich mit den anderen Körpern stets individuell vereint. Der darin liegende Widerspruch erzeugt den ungemeinen Hörrausch dieses für Tontechniker wie Klangconaisseurs akustischen Hochfests. So ziehe ich derzeit – seit der Krebsdiagnose ausgesprochen nachdrücklich – aus der komplexen Kunstmusik eine wieder ganz enorme Kraft.
Ihr, meine Freundin,
ANH
Ja, Benutzernamen, Passwörter und URLs zu katalogisieren ist sehr wichtig; ich empfehle eine Passwort-App wie 1Password oder Dashlane. Das Passwort für diese App selber muss hinreichend komplex sein, z. B. mit Diceware (https://de.wikipedia.org/wiki/Diceware) erwürfelt.
Beim Katalogisieren der Passwörter kann man dann von der App neue, komplexe Passwörter erzeugen lassen, die keinen persönlichen Mustern gehorchen, und damit die Zugänge aktualisieren und schützen.
Mein Diceware-Passwort besteht aus 7 Wörtern; empfohlen sind 5 bis 6, aber die Five Eyes sollen im Fall der Fälle wenigstens was zu tun haben. Um es nicht mehr zu vergessen, habe ich es als Entsperr-Code für meinen Bildschirmschoner definiert und so vielleicht ein Dutzend Mal am Tag eintippen müssen. Das sind jeweils nervende 5 Sekunden, aber nach ein, zwei Wochen kann man es im Schlaf.