[Arbeitswohnung, 14.38 Uhr Krebstag 29/Chemotag 8 | beschwerdefrei, 71,5 kg] |
Mit großem Dank an Albert Meier |
Mahler, Symphonie No 9 Berliner Philharmoniker, Leonard Bernstein |
Aufnahme des RIAS Berlin anläßlich der Berliner Festwochen 1979 zugunsten Amnesty International.
|
Ganz meine Skepsis ab– und die CD einlegen, starten, zuhören (unabgelenkt; auf dem Musikstuhl, der zwar geräumig, doch dessen Sitz zu hart ist, um eines Sessels, also zu kommod zu sein).
Und es nicht fassen können: „Das ist dir bislang entgangen?!“
Allein die Aufschreie in den hohen Streichern, das graunzende Grummen der tiefen sowie der Pauke unschönes, weil zu helles Pochen und insgesamt die oft unvermittelten, quasi, Tempiwechsel! Genau, wie ich mir diese Neunte immer vorgestellt habe, daß sie so klingt, durcheinanderrasend, wild, wieder gefaßt und im erneuten Absturz schon. Es ist völlig richtig, was mir, siehe drunten, Albert Meier schrieb: Bernstein holte dies aus einem Orchester heraus, das 1979 völlig anders, von nämlich ausgerechnet Karajan geprägt war — und vielleicht ließ es sich eben genau deshalb, alleine deshalb aus ihm herausholen. Es ist der Aufnahme keinen Moment lang ein sentimentales Nachlassen der Spannungskraft anzumerken, wie ich’s bei Bernstein mit Mahler monieren zu müssen immer wieder Anlaß fand, das er sich hier aber hätte, den Kopf ins klaffende Maul des diktatorischen Löwen gelegt, auf keinen Fall erlauben dürfen. Gar nichts davon! Im Gegenteil, die hohe Nervosität Georg Soltis und Wyn Morris´ scheint sich vor den Berliner Philharmonikern mit Barbirollis dunkel glühendem, zugleich brummend insistierendem Temperament verbunden zu haben, ja sogar der Eindruck entsteht, es atme dieses Orchester unter Bernstein derart auf, weil es zum ersten Mal seit Jahren wirklich eine Sau herauslassen darf, die bürgerliche Anstandregeln und sonstige Einschränkungen der Ausdrucksfreiheit rebellierend ein- und umreißt. Und wir geraten in die rasende Ekstase sich aus den Bindungen befreiender, nämlich aufbegehrender Klänge — ohne die, wie Mahlers IX oft interpretiert wird, schießliche Resignation. Bei Bernstein verklingt die Sinfonie eher als gutes, sanftes Entschlafen nach einem ziemlich harten Tag, der bis beinah ganz zuletzt noch in brodelndstem Saft stand. Und ebenfalls zurecht spricht Meier von seiner, Mahlers, „Gewalttätigkeit der Komposition“, die freilich nicht ihre (also deren), sondern die nichtverdrängte, nichtgeschönte dieser Welt ist.
→ Bestellen! „Sie haut um“!
_______________________________________
Aus der vorhergegangenen Korrespondenz:Ihre kürzlichen → Bemerkungen zu Mahler unter Inbal, Solti usw. bringen mich – in Verbindung mit Ihrer Freude an Shostakovitschs Streichquartetten– zu der Frage, ob Sie Mahlers Neunte unter Leonard Bernstein mit den Berliner Philharmonikern kennen (live 1979). Ich habe die Einspielung erst kürzlich entdeckt – sie haut um.
Oh, diese Aufnahme kenne ich tatsächlich noch diese! (Ich hatte mit Bernstein und Mahler immer ein bißchen Probleme, weil es mir oft zu sein schien, als glitten ihm die kompositorischen Zusammenhänge vor lauter Ergriffenheit wie zu lockere Zügel aus dem Griff, manchmal gingen die Bögen tatsächlich momentlang auseinander – was etwas anderes ist, als es bei Barbirolli die harten Risse sind oder bei Tennstedt sogar Schnitte; Bernstein, den ich nach wie vor liebe, wenn er Neue Musik dirigierte (es gibt für mich keinen Vergleich zu seiner Einspielung von Bergs Violinkonzert mit Isaac Stern und dem NY Philh), war mir bei Mahler immer zu sentimental; er weinte halt auch immer schnell (und hielt, was ich ihm schwer verüble, die Beatles für ernstzunehmende Musiker) – ähnlich ist sein Tristan, etwa gegenüber Soltis oder noch moderneren Auffassungen wie Naganos, Metzmachers u.a.Doch wenn Sie jetzt derart ausholen für diese Neunte unter Bernstein, dann will ich sie unbedingt hören und werde mal schauen, sie zu besorgen.Dann geht die CD am Montag auf den Weg zu Ihnen (Dunckerstraße, nicht wahr?). Ihre Einwände gegen Bernsteins Mahler würde ich ohnehin nicht so einfach gelten lassen. Immerhin ist Mahler wohl derjenige Komponist, der den schlechten Geschmack in der guten Musik sinnvoll gemacht hat (hierin vermute ich derzeit den Grund, warum Thielemann mit Mahler nicht zurechtkommt). Und doch ja: auch die Beatles …Der schlechte Geschmack in der Musik, darüber ließe sich lange streiten. Ich kann ihn bei Mahler nicht sehen, nur, daß er sich Musiken bedient hat, die sehr wohl dazugehören, sie aber eben gewandelt hat … überhaupt nicht anders, im Prinzip, als es das Kunstlied mit Volksweisen getan, auch mit schlechten… und ich gebe zu, auch aus einem noch so entsetzlichen Beatles-Song läßt sich mit Gewißheit großartige Musik machen, grad im Jazz ist das immer wieder geschehen, selbst durch Jarrett. Da ist der Beatles-Song aber nur Anlaß – für sich selbst bleibt er unanhörbar, oder man muß sich übergeben. Das hört sofort auf, wenn Form ins Spiel kommt. Nur deshalb funktioniert der Kitsch bei Mahler, ohne es zu sein, also Kitsch.
Ich gebe des weiteren zu, daß wir, damit es zu solchen Prozessen kommen kann, das Mindere dringend brauchen, also den Kitsch, die Banalität usw. – alle, was die sogenannten einfachen Menschen halt bewegt. Um aber Kunst zu werden, braucht es den Transformationsprozeß. Nie und nimmer also würde ich die Beatles (oder den Pop, den Mainstream usw.) abschaffen, verbieten oder sonstwas wollen. Nein, das Schlechte muß da sein, die Welt wäre ohne es arm. Dennoch bleibt es schlecht und für elaboriertere Geister unerträglich (deshalb Beethovens Wutausbrüche über Rossinis Erfolge) […]Eben: Kitsch ist etwa bei Mahler nicht mehr ‚Kitsch‘, obwohl er zu den Bestandteilen der Komposition gehört (Kuhglocken!). Wie grässlich ist auch die Idee, das „Veni, creator spiritus“ mit dem Schluss von „Faust II“ zu kombinieren – in jeder Hinsicht abwegig, bloß dass es musikalisch/emotional nun mal umwerfend funktioniert. Aber gerade deshalb sind meines Erachtens auch Bernsteins Formlosigkeiten mehr als bloß legitim, weil sie dieser Brüchigkeit des musikalischen „Materials“ (bei Adorno-Zitaten wird mir seit Jahrzehnten zwar übel, weil ich mich einst daran so überfressen habe, aber manchmal müssen sie halt doch noch sein) gerecht werden bzw. sie hörbar machen – in aller Gewalttätigkeit der Komposition wie der Interpretation. Gefallen resp. überzeugen muss das freilich nicht in jedem Fall. Für mich selbst kann ich ja auch auf die leichte Muse nun mal nicht verzichten.
Ich bin gespannt auf Ihre Meinung zu Bernsteins Berliner Neunten, bei der er immerhin ein Orchester auf seine Linie hat bringen müssen, das unter Karajan ganz und gar anders gepolt war. Er hat das dann ja auch nur einmal machen dürfen.
________________
[Poetologie zur Musik]
NACHBEMERKUNG
Nicht ganz ohne Witz, übrigens, wie physiognomisch ähnlich Bernstein auf dem Coverbild seinem dirigentischen Gegenspieler ist: Lenny Herbert Karastein.
Genau diese Aufnahme drängelt sich immer wieder vor, wenn ich meine ‚visit‘-Playlist (by random, aber nicht als Nebensache, sondern subtiles Instrument) beim Malen laufen lasse…
Ich nehme an, die gefilmten Lectures von Bernstein sind auch bekannt, aber falls nicht zur Gänze (in Anbetracht der verfügbaren Fülle), hier zur IX. (ich liebe seine Vorträge sehr, besonders die für Kinder in der MET).
(P.S. zur zweiten Klammer – nicht in der MET aufgezeichnet, sondern in der Carnegie Hall, die sog. „Young People’s Concerts“)
„…deshalb Beethovens Wutausbrüche über Rossinis Erfolge…“ – was Beethoven jedoch keineswegs hinderte, Wellington‘s Sieg und weitere Gelegenheitswerke für „unelaborierte“ Geister zu komponieren. Schade, dass „elaborierte“ Geister dazu neigen, in die fraglos berechtigte differenzierende Betrachtung von Musik, Literatur etc. Wertungen einfließen zu lassen. Dann wird aus dem Einfachen, meinetwegen Schlichten, das „Minderwertige“. Wie darf sich denn jemand fühlen, der „Minderwertiges“, also vielleicht einen Beatles-Song, schön findet? Das Schöne ist dieser Logik zufolge also das Gute, das Hässliche das Böse. Mich persönlich berauscht Mahlers Symphonik, Beethovens späte Streichquartette sind zum Niederknien. Aber wer wäre ich denn, auf jemanden herabzuschauen, dem bei, sagen wir, Hey Jude, die Tränen kommen? Hier manifestiert sich eine Haltung, die Beethoven in Töne gesetzt, und Schiller gedichtet hat: „…und wer dies nie gekonnt, der stehle weinend sich aus dem Bund.“ Wie stets querschießend, Ihr dilettant.
Lieber dilettant, woher nehmen Sie die Meinung, ich schaute auf jemanden ihres oder seines Geschmacke wegen herunter? Das tue ich mitnichten, schon weil ich weiß, wie Geschmacksbildung funktioniert und wovon sie abhängig ist. Die Menschen können nichts für ihren Geschmack; das scheint mir ausgemacht zu sein – so wie ich insgesamt das Konzept des Freien Willens für eine Parallelkonstruktion von >>>> Kants Proklamation Gottes halte: Es ist ein regulatives Prinzip ohne aber jede Wahrheitsfunktionalität.
Und selbstverständlich kann jemand einen Beatles-Song schön finden, das tun ja Millionen. Millionen finden aber auch Soldatenlieder schön, Marsch- und sonstige Stechschrittmusik. Was also sagt das aus? Daß auch Marschmusik als gleichwertige Kunst angesehen werden muß? Nein, ganz gewiß nicht. Sie ist und bleibt elend, auch wenn Hunderttausende sie toll finden.
Lieber Herr Herbst, womöglich ist bei mir ein falscher Eindruck entstanden. Ihre Wortwahl „minderwertig“ in Bezug auf Musik finde ich dennoch grenzwertig. Sie drückt ja nicht nur aus, dass bestimmte Standards, die Sie an kunstvolle Musik knüpfen, nicht erreicht sind. Sie entwertet die Musik, und damit zwangsläufig diejenigen, die sie lieben. Zu einer Person zu sagen: „Die Musik, die Sie hören, ist minderwertig.“ ist verletzend. Deswegen schrieb ich, dass Ästhetik und Moral in Ihrem Werturteil bedauerlicherweise vermischt werden. Musik als Phänomen kann berechtigterweise die unterschiedlichsten Bedürfnisse befriedigen. Das nach höchstem Kunstgenuss zweifellos, aber eben auch das nach Zerstreuung. Erfüllt sie „nur“ letzteres, wird sie dadurch nicht – nach meinem Dafürhalten – weniger „wertig“. Sie hat einfach eine andere Funktion. Und dass „höchste“ Musik keine Funktion habe, gewissermaßen „aus sich heraus“ in der Welt sei (die Idee der „absoluten Musik“), und eben nicht „Gebrauchsmusik“, ist eine Erfindung bürgerlich-akademischer Kunstauffassung, vermutlich mit dem Zweck, die eigene Überlegenheit (historisch gesehen bezogen auf die Abgrenzung zum Adel, heutzutage in Abgrenzung zu den, wie Sie es nennen „so genannten einfachen Menschen“) herauszustreichen. Hingegen bin ich keineswegs, wie Sie dass in Ihrem Kommentar nahelegen, der Meinung, dass die Masse darüber entscheidet, was Kunst sein soll. Wenn hunderttausende Marschmusik toll finden, sagt das nichts über deren potentiellen Kunstcharakter.
Genau das sehe ich anders; wenn wir die inneren Wertigkeiten verlieren, zählen am Ende wieder nur „Quote“ und Mehrwertgewinn, der logischerweise umso höher ausfällt, je weniger „inneren“ Wert der Gegenstand enthält. Deshalb zahlt man bei Madonnakonzerten auf dem Schwarzmarkt weit über vierhindert, fünfhundert Euro und bei Konzerten tatsächlicher Kunstmusik allenfalls Bruchteile davon.
Deswegen soll ich gegenüber jemandem schweigen, die oder der Songs der rechten Szene hört? Ah, Protest ist jetzt auch schon nicht mehr „correct“, wir könnten ja jemanden verletzen au wei. Und ich darf nicht sagen, wenn ich es nachweisen kann, daß Beatler-Songs nicht einmal das kompositorische Niveau irgendeines Salonstücks des 19. Jahrhunderts erreichen, um von „lyrischen“ Qualitäten mal ganz zu schweigen? Bitte, her mit den Partituren! Schaun wir’s uns doch an, läßt sich ja im Handumdrehen zeigen.
Moralisch argumentieren tun übrigens Sie, nicht ich tu’s.
also wirklich- Herr ANH, das Sie die Beatles in einem Satz mit Marschmusik bzw. Soldatenliedern erwähnen finde ich schon frech–können Sie a capella mit Freunden singen? Nein? Dann üben Sie mal mit den Beatles…Wag ich zu bezweifeln, das Sie das hinkriegen–und lesen Sie mal richtig–das kommt von Albert Meier, was „derdilettant“ erwähnt—nicht das ich etwas gegen „gebildete Menschen“ hätte–nun gut–ich möchte mich nicht weiter äußern–Boahhhhhh—also wirklich, als wenn man den Menschen irgendeinen „PseudoAnspruch“ anziehen könnte, wie einen „billigen“ Anzug…sorry–bin wütend—aber das ist ein GEFÜHL und in elitären Kreisen „unangebracht“—RIvS
Ihre Verärgerung verstehe ich nicht. Zum einen kann ich selbstverständlich irgendwas mit einem Beatlessong vergleichen, also auch Marschmusik, nur daß interessant nur das ist, was das Vergleichen ergibt. In diesem Fall, wie ich eben schon >>>> dem Dilettanten schrieb, der Patituren. An ihnen läßt sich doch alles zeigen, es bedarf überhaupt keiner Behauptungen. Wir schauen uns die kompositorischen Fähigkeiten an, nicht nur den Einfallsreichtum (Melodik), sondern besonders auch die Verknüpfungsmodi, den Umgang mit Klangfarben, die Komplexität der rhythmischen Strukturen, ihres – vermittels welcher Taktung – Ineindergewirktseins usw.
Wozu soll ich das tun? (Höre gerade Hans Werner Henzes drittes Streichquartett (bei dessen Uraufführung sich die Beatles allerdings seit fünf Jahren getrennt hatten) und summe mit. Also, weshalb? Wieso versteht niemand (verstehen so wenige), daß mir von dieser Art Musik wirklich physiologisch schlecht wird, spei-, speiübel? Mit „elitär“ hat das gar nichts zu tun. Sondern sie, diese billige „Musik“, hat Wirkungen, deren „Neben“wirkungen auf mich schlimmer als die meiner Chemo sind. Sehr viel schlimmer. Und quasi bei jedem Supermarktbesuch muß ich es aushalten, in jedem Kaufhaus; immer öfter sogar in kleinen Läden, unterdessen.
Ich versuch‘s nochmal (leider kann ich meinen Kommentar nicht oben an die richtige Stelle setzen): wenn ich die Haltung des Wertens in diesem Zusammenhang ablehne, dann doch nicht in Bezug auf Inhalte, sondern in Bezug auf Kunsthaftigkeit, Qualität, kompositorische Standards oder wie immer man das nennen soll. Ein Beatles-Song ist nicht „minderwertig“, er transportiert auch keine rechten Inhalte. Täte er es doch, müsste man ihn verurteilen, aber doch nicht, weil er vielleicht musikalisch unter dem Niveau von Salonmusik läge, sondern des Inhalts wegen. Und dass ich etwas gegen „Protest“ hätte – also bitte, wo steht das denn nun??
Um es kunstästhetisch – und damit für mich immer auch: politisch – deutlich zu sagen: Regredierte „Kunst“formen wie fast durchweg alle (soweit ich sie kenne) Beatlessongs führen zur Regression des Hörens und damit des Denkens; sie attackieren auf das schärfste (und eben unmenschlichste, was sich durch den gerade bei den Beatlers extremen Kitsch tarnt) die menschliche Sensibilität. Von daher sind sie politisches Unrecht; daß sie so geliebt wurden und mir inbegreifbarerweise immer noch werden, ist ein Spiegel der ökonomischen Grundverhältnisse, aus denen die Rezipienten stammen, und affirmiert diese Verhältnisse schließlich, setzt sie um so fester fort.
Interessant der Gedanke, daß, wenn ich gegen den deutschen Schlager der 60er/70er wettern würde, währscheinlich wenig Widerspruc käme, obwohl ein Song der Beatles und eine Schnulze von Roy Black oder meinethalben (kennt den noch wer?) Ronny wenig unterschiedlich sind, wenn wir die Faktur betrachten.
„… sie attackieren auf das schärfste (und eben unmenschlichste, was sich durch den gerade bei den Beatlers extremen Kitsch tarnt) die menschliche Sensibilität.“ – Ihre sicherlich. Aber warum machen Sie sich zum „Fürsprecher“ der Sensibilität anderer, anstatt diese für sich selbst sprechen zu lassen? Ihr Standpunkt erinnert mich an Adornos Verurteilung des Jazz. Nicht dass ich Jazz und Schlager über einen Kamm scheren würde. Aber da war doch eine gehörige Portion ideologischer Verblendung im Spiel.
Nein, sondern als Adorno über den Jazz schrieb, kannte er grad mal New Orleans oder das, meinetwegen, Glen-Miller-Zeug, für das genau gilt, was ich dem (jedenfalls Mainteam-)Pop vorwerfe, der tatsächlich >>>> die Ästhetik des Kapitalismus ist. Je stärker dieser, auch und gerade von der ehemals Linken, als neuer Papa adoptiert wurde, umso tiefer sanken die Künstler wieder ins Lakaientum hinab, aus dem sie sich eben mit Ansprüchen der Kunstautonomie emanzipiwert hatte. Nur darum verweise ich immer mal wieder aufs Neunzehnte Jahrhundert. Die „ideologische Verblendung“ war jedenfalls ganz sicher nicht bei Adorno wirksam – er hat sich nur spätere Entwicklungen nicht vorstellen können -, sondern bei denen, die Durchhaltemusiken wie etwa Glenn Millers und anderer schrieben. Eine ideologische Verblendung in der Neuen Musik fand vielmehr erst als Folge der Darmstädter Schule statt, worauf >>>> dort Broßmann kurz eingegangen ist. (Auf den ich auch gleich noch antworten werde).
Ürigens mache ich mich für niemanden zum Fürsprecher. Was soll diese rhetorische Volte? Schon in der Kita meines Sohnes rannte ich vergeblich die Wände hoch, wiel jedes Volkslied erst einmal mit durchgeschlagenem Baß unterlegt wurde, damit es auch in den zugepopten Horizonzt der Erzieherinnen und Erzieher paßte und deshalb gesungen werden konnte mir den Kindern, deren nunmehr jegliche musikalische Feinerziehung schon im Vorschulalter weggeschnitten wurde. Aus Unwissen, klar, aus Bequemlichkeit, aus puer Kitsches Lethargie. – Ich muß hier nicht dazuschreiben, daß es die Zwillinge später besser hatte als mein Sohn, weil sie in >>>> Barenboims Musikkindergarten gehen durften. Das war ein Segen!
Ach-Herr ANH-wie schön SIE in diesem Anspruch zu finden–wahrscheinlich/möglicherweise vermuten SIE, ich hätte NIE Klassik gehört–nun, weit gefehlt–allerdings:diese Momente, mit Freunden und mit den BEATLES möchte ich nicht missen–UND das hat gar nix mit der abgeflachten DrecksMusik von Kaufhausmusik zu tun–ja-natürlich können Sie sich die Musikstücke (Beatles) im Notenladen besorgen-warum sollte ich das für Sie tun?–ach-egal–und die Beatles-Musik kam auf, als sich gesellschaftlich/politisch etwas bewegen sollte(damals)—wovon wir HEUTE weit entfernt sind (heute in dieser Massenmanipulationshysterie)–aber auch das–egal–kennen Sie Frank Zappas „the Yellow Shark“? oder die CD: war and peace von der Lautten Company? – nun- auch nicht wirklich wichtig–aber dennoch hörenswert–tut mir natürlich leid, wenn IHNEN bei dieser „BLÖDENMUSIK“ schlecht wird–aber ist das mein Problem?–Ich finde, diese Arroganz, die SIE transportieren steht Ihnen nicht…und unter „Regression“ in der Musik–boaahh- da sind wir dann viel eher bei den wirklich dämlichen Schlagern–aber: es gibt Menschen, die haben sich genau bei DIESER Musik, kennengelernt–ja–und verknüpfen diese Musik mit ihren ewig währenden Erinnerungen–tja–es ist nicht leicht mit dem Publikum…lach…RIvS
Bezeichnend, daß Sie nicht einmal nachfühlen können, daß es jemandem von schlechter Musik körperlich selbst schlecht werden kann. Es zeigt leider eine fehlende, zumindest für Klänge, Sensibilität an, ein Ohr, das keine Zwischentöne – oder kaum noch – mehr wahrzunehmen vermag und deshalb vom durchgezogenem 4/4-Popbaß geradezu abhängig wurde. Doch woher, um Göttinswillen, dann auch noch der ständige Vorwurf, meine Haltung sei arrogant? Wenn man sich übergeben muß, ist das alles andere als arrogant, des‘ kann ich Sie versichern! Vielmehr macht es die Betroffenen hilflos, liefert sie geradezu aus, und zwar umso mehr, als ihre Wahrnehmung aus ge- und erlebter Erfahrung wührt. Wann immer ich Zeuge solcher „Musi“-Veranstaltungn war, dienten sie zu Ausgrenzung und fürs sich hämisch lustig machende Mobbing von Fremdem, weil es sich nicht an alles anpassen wollte, was die Gruppe je verlangten. Für mich als Jungen und Jugendlichem war das umso unterträglicher, als dies imgrunde den „Volkskörper“ der NS-Zeit perpetuierte – freilich ohne es zu merken, da ja schon die sprachliche Codierung nicht mehr die der eigenen Herkunft sein durfte und sollte. Aber alle taten an dem Gruppen“geist“ bereits wieder mit, der in eines der größten Unheilsgeschichten geführt hat, die wir Menschen überhaupt kennen und die als Verpflichtung uns auferlegt ist. (Als Verpflichtung, wohlgemerkt, nicht als Schuld).
Ich nehme doch auch niemandem ihre und seine, ja, berechtigt sentimentale Bindung an schlechter Musik übel; es soll nur nicht behautet werden, sie sei gut, gar Kunst. Sie bleibt schlechte Musik ganz so, wie ein Burger von McDonalds ein schlechtes, schwer ungesundes Essen ist, auch wenn man es gern mag. Das sagt wiederum nicht, daß aus solch fadem Schlamm Kunstwerke nicht entstehen könnten. Frank Zappa, in der Tat, ist ein gutes Beispiel; nur ist eben nicht sein Material, also der Pop, schon Kunst; er formt sie erst daraus. Und selbstverständlich kenne ich die Lautten-(übigens)-Compagney, und es wundert mich schon, daß Sie deren >>>> War & Peace-CD, gegen mich als Argument nehmen möchten. Gegen, wie es heute heißt, „Crossover“ oder Polististik habe gerade ich nie etwas gehabt, sie im Gegenteil als einer der ersten, poetologisch exzessiv das Internet nutzenden deutschsprachigen Autorinnen und Autoren mit- und in den Büchern noch entschieden weiterentwickelt. Dazu gehört auch die Hineinnahme des Kitschs, der Genres usw., die für sich noch keine Kunst, sondern erst einmal nur sinnliches Phänomen der Welt sind, Kunst durch Formung aber werden.
ach naja beatles undsoweiter, man war so 14-15 und hörte BFBS, und das kuhdorf, es entfernte sich im nu
Mit dem kleinen Antwortknopf funktioniert bei mir etwas nicht–danke für die winzige Berichtigung- siehe oben-…ok–also Herr ANH: ich hatte zunächst gehofft, das Sie auf meinen grauslichen Kommentar nicht antworten, war er doch zu schnell und undurchdacht aufs Papier gebracht…-damals war’s-mal wieder –ja, damals–als ich im Zelt auf der Isle of Wight (Ärmelkanal) sass und versuchte einige Flötenstücke von „Paul Hindemith“ auf der Querflöte zu üben–die hätten mich fast vom Campingplatz geworfen (lach)…vor einiger Zeit bin ich regelmäßig fast ausgerastet, wenn ich die wirklich furchtbare, auf Konsumzwang heruntergequälte Berieselung in Kaufhäusern hörte—konsequenterweise bin ich eine ziemlich lange Zeit nicht mehr in jene Kaufstätten gegangen–ich bin ziemlich empfindlich was Musik angeht–nein, nein bitte nicht diese Vermutung/Idee, ich wäre, wenn auch nur zeitweise, im Marschrhythmus unterwegs, bitte NICHT…ich höre eben viele unterschiedliche Stücke, für mich ist das wichtig, um ein immer klareres Bild für die eigenen „Vorlieben zu bekommen“–(Thema Gruppe) diese GruppenzwangGeschichten kenne ich aus eigener Erfahrung nicht–ich hab mich gerne ausgeschlossen aus solchen Dingen–Zu meinem WutImpuls) – ja, ich hab mich über den Hauptkommentar und über einige andere Sätze aufgeregt–nun gut–ich spürte sowas wie Arroganz–na ja–so what… ich bin froh, das sie in ihrem Kommentar begründen, warum das für SIE so ist (mit der Musik)—ich verstehe es sogar und kann es mit FÜHLEN–allerdings fühle ich mich keineswegs „sentimental“ wenn ich ausgerechnet „The White Album“ (Beatles) höre, übrigens ist es die einzige CD, die mich bis heute begleitet, weil diese Musik „heiter“ stimmt…–so, genug jetzt von diesem Thema.- (FastFood) -Göttin sei Dank, bin ich froh! (das ich auch DEM Klischee entwische) – ich esse auch keine Burger oder ähnliches mit Suchtmitteln verseuchte Essen (soweit dies noch möglich ist)– zum Ende ihres Beitrags versöhnliche Wendung–wunderbar — RIvS…
„rethorische Volte“- ? Sie schrieben: „Beatlessongs…attackieren auf das schärfste…die menschliche Sensibilität.“ Meine Sensibilität nicht. Die vieler anderer sicher auch nicht. Nun gehen Sie vermutlich davon aus, wir merkten das einfach nicht, seien zu schlicht, zu manipuliert, arme Ausbeutungsopfer, geknechtet in „ökonomischen Grundverhältnissen“ etc. – Das steht Ihnen natürlich frei.
Sie dürfen gerne so unterschwellig aggressiv werden, wie Sie mögen; wenn ich mich >>>> von Liligeia nicht in Harnisch bringen lasse, so sicherlich erst recht nicht von Ihnen, der Sie schlechtere, vor allem weniger endgültigen Gründe als meine Krebsin haben. Ich möchte einfach nur gerne von Ihnen wissen, wo und inwiefern denn der Beatles „Musik“ – um die es hier eigentlich ja nur geht sowie im weiteren Sinn um den Pop – etwas anderes bedeutet hat als eine harte musikalische Regression. Hier läßt sich doch jenseits jeglicher Behauptung, vor allem aller sentimentalien Gebundenheiten meine Meinung gegen Ihre und Ihrer Mitläuferinnen und Mitläufer (Mitemfinderinnen und –empfinder) auf das einfachste überprüfen – indem wir uns einfach nur die Noten anschauen und mit anderen Noten vergleichen. Ich verstehe also das Problem nicht.
Was ich offenbar nicht antasten darf, ist ein Tabu der eigenen politischen Erwachsenwerdung, die es selbstverständlich sehr schwer schmerzen muß, wenn bewußt wird, sie habe sich ästhetisch komplett auf die Seite des furchtbarsten, weil menschenverachtendsten Gegners geschlagen. Was, bitte, haben die jungen GI’s denn gesungen, als sie in My Lai die Frauen mit den Handgranaten stopften? (Noch heute in Russell/Sartres Vietnam-Tribunal grausamst nachzulesen).
„als eine harte musikalische Regression“ – wenn Sie einen Beatlessong als Antwort auf Beethoven, oder gar, sagen wir, Webern verstehen, ist das ein Rückschritt. Natürlich. Aber Sie gehen doch auch nicht zum Obsthändler, kaufen Äpfel und beschweren sich dann, dass das keine Erdbeeren sind. Wie bereits weiter oben geschrieben: Musik hat je unterschiedliche Funktionen. Und einer Musik, die auf Unterhaltung angelegt ist, vorzuwerfen, sie erfülle nicht die Bedingungen von Kunstmusik, ist sinnlos. (Daher zeigt mir Ihr Argument, man müsse doch nur in die Noten schauen, dass sie überhaupt nicht verstehen, worum es mir geht) Natürlich können Sie Musik, die „bloß“ unterhalten will, ihre Berechtigung absprechen. Für mich hat sie ihre Berechtigung ( Und zwar ohne, dass ich die ihr gegenüber eingenommene Haltung abwerten würde, wie Sie dies weiter oben tun, wo sie der „schlechten“ Musik zwar Daseinsberechtigung zubilligen, aber eben so wie man ein notwendiges Übel hinnimmt) Allerdings nicht, das schrieb ich auch schon, wenn sie menschenverachtende Inhalte transportiert. Missbraucht werden kann jede Musik, Qualität oder kunstmusikalisches Niveau schützt sie davor in keinster Weise. Weswegen ihr Beispiel der GIs ins Leere geht. Wir wissen alle, wer Hitlers Lieblingskomponist war, nämlich einer, der Musik als Kunstform auf das höchste beherrschte, in seinen musikalischen Mitteln sogar im Adornoschen Sinne den Stand des musikalischen Materials weiter vorantrieb – also gerade nicht regredierte – und eben nur in seinen Inhalten teils angreifbar ist.
Ja, und genau hier setzte mit vollem Recht Adorno an, indem er verlangte, daß jede Kunst – von nun an, nämlich nach Ausschwitz – sich gegen Mißbrauch zu schützen habe – was einer formalen Anstrengung der Kunstfertigkeiten bedarf und entspricht. Es ist eben nicht wahr, daß jede Musik mißbraucht werden kann, so wenig wie jede Literatur. MIt einem Stück Anton Weberns ist dies möglich, mit keinem Alban Bergs, mit keinem Dallapicollas. Es ist gerade dies ein Anliegen meiner eigenen Arbeit von Anfang an gewesen, und ich kann für mich sehr wohl behaupten, in gar keiner Weise mißbraucht werden zu können. Genau dagegen habe ich Formen entwickelt; ein Mißbrauch wäre nur möglich, wenn man sie ungerechtfertigt wegkürzte oder falsch zitierte oder sonstige Änderungen vornähme, die das Werk selbst nicht erlaubt. Bei den Songs der My-Lai-GI’s waren solche Änderungen nicht nötig, die Songs gaben sich bereitwilligst zu jedem Mißbrauch hin – Hauptsache, die Tantiemen waren bezahlt und die Seelen harmonisch.
In der Tat, ich fordere, daß Kunst sich nicht mißbrauchbar machen (lassen) darf – wozu gehört, daß „Unterhaltung“ durchaus nicht gleich Unterhaltung ist. Streng genommen, unterhalte ich mich auch, wenn ich Anton Webern höre, und erst recht, wenn ich Allan Pattersson höre; bei Beethovens späten, aber auch Schostakovitschs Steichquartetten sowieso. Die Frage ist, woran wir uns unterhalten: ob am Regreß oder an der ausgearbeiteten künstlerischen Form. Der Regreß ist immer affimativ, auch dem gegenüber, dem er angeblich widerstehen will. Diese Art der Unterhaltung ist sich selbst verratende Kunstprostitution, bzw. entspricht der Rückkehr des zum vorletzten Fin de Siècle noch Autonomie fordernden Künstlers wie der Künstlerinnen ins nahezu leibeigene (quoteneigene) Lakaientum. Der Kapitalismus kommt in neufeudalen Formen an, die heutigen Fürstenhäuser heißen Labels, bzw. brands. Regressive Unterhaltung will die pure Konsumtion, den Todfeind des Gedankens.
Wohlgemerkt geht es mir nicht um Verzicht auf Schönheit, sondern ganz im Gegenteil darum, sie unmißbrauchbar zu ehren, anstatt ihr Niveau ans gefällig Hübsche zu verraten, das zwar jeder und jede versteht, egal von welcher Bildung, doch die Möglichkeiten des schönen Ausdrucks primitiviert. Und damit die Kunst letztlich abschafft, auch wenn Adorno meinte, erst einer befreiten Gesellschaft stürbe sie ab.
„(…) Besondere Aufmerksamkeit widmet Adorno dem Naturschönen, das seit Schelling in der Philosophie „verdrängt“ worden sei. Kunst würde nicht Natur, sondern das Naturschöne nachahmen (ÄT 112). Albrecht Wellmer gibt den Hinweis, dass Adorno damit nicht die Nachahmung von Wirklichem meint, sondern das, was am Wirklichen schon über die Wirklichkeit hinausweist und interpretiert in diesem Horizont den Zusammenhang von Kunstwerk und Naturschönem wie folgt:
„Im Naturschönen sieht Adorno die Chiffre einer noch-nicht-seienden, einer versöhnten Natur […]. Das Kunstwerk, als Nachahmung des Naturschönen, wird so zum Bild einer beredten, aus ihrer Stummheit befreiten, einer erlösten Natur, ebenso wie zum Bild einer versöhnten Menschheit.“
Wie das Naturschöne hat Adorno auch die Kategorie des Erhabenen für die moderne Kunst rehabilitiert.“
WOW.
Aus dem im letzten Kommentar verlinkten Wiki-Eintrag zu Adornos Ästhetischer Theorie zu Naturschönem. Hatte gerade ein großartiges Wiedererkennen, tiefes Verstehen. „Das, was am Wirklichen schon über die Wirklichkeit hinausweist.“ (Muss man wirken lassen.)
In der Tat ein wunderbarer Fund, liebe Gaga, den Sie heute allerdings selber, vielleicht nicht bewußt, mit einem eigenen kleinen Werk >>>> dort noch unterstrichen haben – ich erlaube mir, Ihre im Wortsinn Photographie ein zweitres Mal auch hier eimzustellen: „… das, was am Wirklichen schon über die Wirklichkeit hinausweist.“ Dies gilt für alle Künste, es wurde nur vergessen (sollte vergessen werden).