Die Nefud lebt: Donner und Lavendelregen. Dazu das Unterwüstenschiff. Aus der Nefud, Phase II (7, Tag 12). Sonnabend, der 13. Juni 2020. Krebstagebuch, fünfundvierzigster Tag.

[صحراء النفود. عالم آخر, Morgenlager, 7.53 Uhr
Peter Maxwell Davies, Streichquartett (2015)
73,6 kg]

Da brach dann das Gewitter los. Es hagelte sogar – Körner von Taubeneigröße! Und in Sekunden, so weit ich sehen konnte, verschlammte die Wüste zu einem sich ganz gewiß über den Horizont ins Weltall hinabstürzenden, wenn auch untiefen See, aus dem sich die jetzt strömungsumzischten Granit- und Sandsteinfelsen des uns allezeit begleitenden Gebirges wie die Trutzmauern der Burgen Ymirs erhoben, aus dessen zerstückeltem Körper bekanntlich die Welt komponiert worden ist – wobei Midgard langsam zerfällt, weil es aus meinen Augenbrauen entstand, die mir jetzt auszufallen beginnen, quasi “pünktlich”: – “nach etwa vier Wochen”, hatte Faisal angekündigt, direkt bevor wir in die Nefud eingeritten sind. “Eine Strahlungsfolge”, vor allem, ließ er indirekt einfließen, seit die USA nicht nur, wie bekannt, im heimatlichen  Nevada (“Nicht in den Lichtblitz schauen!”), sondern auch hier eine ganze Reihe selbstverständlich inoffizieller Atombombenversuche, habe durchführen lassen. Eine Bemerkung, deren Wahrheitsgehalt ich allerdings auch dann zu bezweifeln wage, wenn Jordanien de facto dem wirtschaftsimperialistischen Westen der verläßlichste arabische Partner sein sollte. Auch wir Deutschen haben da ja Truppen im Land.

Übrigens, Aqaba — Berlin. Machbar, nur billig würd’ es nicht:

Wie auch immer, der Tag hatte mich gebeutelt, Li also, nicht er. Wie schon am Ende des ersten Höllenkreises gingen auch jetzt die Brustschmerzen wieder los. Sie stehen horizontal auf dem Sonnengeflecht, als ob sie links das Herz und rechts die Brust durchstießen, sich aber nicht bewegen, sondern stille, fast wie in Habacht, begutachten, wie ich mich verhalte.

Ich verhalt mich gar nicht, muß einfach meinen Sitz auf Röhrerich behalten. Was schwierig ist, wenn man sich ständig krümmt. Und da in solchem Zustand weder das Dronabinol noch die THC-Tropfen helfen, nehme ich ich halt doch vom Novamin. Auch hier schlagen besonders die Tropfen sehr schnell an, und man kann zur Tagesordnung übergehen. Lästig ist sonst nur noch, bei jedem Schnäuzen, das dauernde Nasenbluten sowie weiter unten, nämlich hinten das, ebenfalls eine Folge der Wüstenstrahlung, Jucken. “Nicht schlimm, nur, das ist das Wort, lästig“, wie ich’s gegenüber Faisal abtat. Aber Röhrerich schwankt ganz im Gleichtrott meiner Stoik —

— als dieses KRACH!!!en losging, ein Riesenknall, der gleichsam die Sonne ausknipste, im Bruchteil einer Zehntelsekunde, alles war schwarz, alles schrie durcheinander, auch die Träger und Dromedare schrien, die Scouts, unser Kaffeekoch, und die Sintflut donnerte, donnerte, donnerte!! auf uns herunter. Keine Sünde hatte jetzt noch Chancen, die Kamele steckten, sogar Rih, die Köpfe in den Sand, was, dachte ich, wir Menschen hätten besser ebenfalls getan, nur daß wir unsere Nasen, die natürlich auch nicht schlitzförmig sind, weder gegen den Sand verschließen können, noch vermögen sie,  den Wasserdampf der ausgeatmeten Luft zur Kühlung von Blut, Augen und Gehirn wieder aufzunehmen. Das haben uns diese Wüstenwunder sehr weit voraus. und läßt uns darüber hinwegsehen, daß sie sich bisweilen wie Vögel Strauße verhalten (allerdings bin ich mir unsicher, ob sie dieses vielleicht nur in Anwesenheit ihrer Menschen tun, vielleicht, um sie zu beruhigen; zumindest Röhrerich hat eine deutlich pädagogische Ader). Jedenfalls riß mich eine auf mich herabgestürzte Wassersäule, die an beiden Flanken Rihs ablaufen wollte, aber nicht -“lief”, sondern -“stürzte”, aus dem Sattel, wobei sich mein Leib nicht entscheiden konnte, ob nach links hinabstürzen oder nach rechts, so daß es mich erstmal fast entzweiquetschte, bevor mich durch heftiges Schütteln Röhrerich endlich erlöste und ich zwischen seinen Schwielensohlen in den kochenden Sand knallte. Es war nämlich nicht etwa kühler geworden, die Nefud brodelte. Als auch noch der Boden aufbrach und … tatsächlich,  nicht zu fassen, Faisal konnt mich grade noch wegreißen, andernfalls ich in den Malstudel gestürzt und in die Tiefe teils geschleudert, teils gezerrt worden wäre, die sich gurgelnd unter dem zu unserem Entsetzen auftauchenden monströsen Untersandboot auftat. Was einerseits an meine geliebte Orion erinnerte, aber andererseits halt in der Wüste sich zutrug, so daß meine Liebe zur Raumfahrt mit einem sozusagen Pompeji kollidierte, das wir nun hinterlassen würden, Faisal, ibn Gamael, die Scouts, des Kaffeekoches kurz unsere Bedienstetinnen. Würde ich, schoß es mir durch den Kopf, jetzt überhaupt noch die nächste Relaistation, محطة التميمي بالرديفه , erreichen? Oder hatte unsere Nefuddurchquerung tatsächlich ein ungewolltes Ende erreicht? Ah, ich spürte Liligeia jubilieren! Sie trat gleich noch mal nach … stach nach, muß ich es nennen, das war alles nicht sehr schön und ging wie einer jener diamantbewehrten Schneckenbohrer in meine Organik, wie sie sich “quasi reibungslos in den Sand der” hier nun nicht innerasiatischen, sondern eben saudiarabischen Wüste gruben, “die Tiefenruder bewegten sich geschmeidig und vergößern den Tauchwinkel”, der jetzt, beim Aufstieg an die Oberfläche, deutlich kleiner wurde, aber genau deshalb die Fliehkräfte des Sandes geradezu anpeitschte. “Ein auf einer nahegelegenen Düne stehender Beobachter hätte, vielleicht erfüllt von abergläubischem Entsetzen, sehen können, wie das Boot gemächlich” aus der “lichtlose(n) Welt dort unten” auftauchte und schließlich hälftig, und als würde es mächtig schnaufen, auf dem Sand flach liegen blieb, “wobei sich dort, wo das Heckruder gewesen war, nur ein flüchtiger Staubwirbel erhob”. Wozu Inspektor Clouseau (als Dr. Nemo Seltsam) später, der uns mehr oder minder gewaltsam hatte an Bord hatte bringen lassen, folgende Erklärung abgab, derweil der ziemlich mißtrauische Ned Land (in der Rolle unsres Kaffeekochs), Peter Lorre (als Lars ibn Gamael), Faisal (Professor Annorax) sowie James Mason als ich selbst mit  ihm am Tisch der Nautilus saßen und Wüstenwürmer probierten, deren Aroma sich durchaus mit Muscheln vergleichen ließe, wären sie Fleischmassen nicht derart gewaltig (dennoch: “Sandmuscheln, ja, gibt es auch”) … — also die folgende Erklärung:

“Bei den”, begann Dr. Seltsam, “nächtlichen Ritten auf seinem Kamel hatte Lindsay Noseworth herausgefunden, daß er es nun tatsächlich genoß, allein zu sein, dem unablässigen Chaos der alltäglichen Deckwache enthoben – das Blickfeld sternengetränkt. Vierdimensionalität in reinster Form, mehr Sterne, als er je gesehen hatte, doch wer hatte schon die Zeit gehabt, sie zu betrachten, da so viele kleine Aufgaben die Auen auf die Banalitäten des Alltags zwangen. Um ehrlich zu sein, hatte er nach und nach Zweifel am praktischen Nutzen des Sternenlichts entwickelt. Er hatte in letzter Zeit große historische Schlachten studiert und versucht herauszufinden, wie die Lichtverhältnisse während er Gefechte gewesen sein mochten, und schließlich hatte ihn sogar der Verdacht beschlichen, das Licht sei möglicherweise eine geheime Domäne der Geschichte – die Frage war ja nicht nur, wie es ein Schlachtfeld oder eine gegnerische Flotte beleuchtet hatte, sondern auch, wie es während einer entscheidenden Staatsratssitzung durch ein bestimmtes Fenster gebrochen worden war, welchen Eindruck es, ausgehend von der jenseits eines bedeutenden Flusses versinkenden Sonne, erweckt hatte oder welchen ganz besonderen Schimmer es auf dem Haar einer in politischer Hinsicht gefährlichen Ehefrau, deren ich zu entledigen man entschlossen war, erzeugt und dadurch die Exekution verzögert hatte.”

(Peter Sellers bediente sich der Übertragungen Dirk van Gunsterens und
Nikolaus Stingls — die selbstverständlich hier genannt werden müssen.)

“Oh wie incorrect!” rief ich aus, aber mehr, um davon abzulenken, wie entscheidend mir die Dominante der Geschichte auch für unsere Nefuddurchquerung zu sein schien. Denn klar war mir, daß wir so schnell wie möglich aus dem Untersandboot wieder hinauskommen mußten; irgendetwas an Dr. Seltsam war seltsam, er hatte so einen Tick mit dem Arm. Und vor allem, da war es wieder (“Ach … Verd ..!” entrang sich sogar Faisal), war es wieder, das fatale Wort, das ich, auf Anweisung der Ärzte, nicht aussprechen, ja nicht einmal lautlos artikulieren durfte.

RRRUMMMMS !!!!

“Ein Rohbruch! Sandeinbruch!”

Bloß weg.

Draußen röhrte Röhrerich, und seine Gefährten röhrten mit ihm. Ich sah Peter Sellers zerfließen, er wurde selbst rein Sand. Nur daß Peter Lorre jetzt den Gamael aufgab, sich Lars’ Gesicht vom Gesicht zog, es war eine hauchdünne, hauchenge Maske, seinen Ausweis hervorholt, Bundesnachrichtendienst, Wir beobachten Sie seit langem, Kommen Sie unauffällig mit, meine Güte, also jetzt doch noch (dabei saß ich ganz gewiß nicht in Professor Jostings Infusionszimmer und → sah auf die Geheimdienstgebäude hinaus; meine dritte Chemo steht “real” für den kommenden Dienstag erst an) … doch nochmals

RRRUMMMMS !!!! Krkrrrrrrrrrrrrrrrrrrk !!!

Prkztzkrrrrssss (!)

und laaaaangsam tat sich die Wüste unter dem Schiff wieder auf, stülpte die Lippen suckelnd des Sandstroms, der sich schon wieder zu drehen begann, um das Unterwüstenboot und schluckte es, derweil wir Freunde losgespritzt und durch die Bullaugen waren, hinaus, weil die Matrosen sie zum Lüften noch offengelassen hatten. So konnten wir, derweil das Ungeheuer versank, uns retten —

— na gut, mich rettete eher wohl Faisal; ich war wegen der Schmerzen, in denen Liligeia ganz begeistert tobte, denn doch etwas behindert und wußte dann auch gar nicht, als ich wieder zu mir kam, ob das WüstenUntersandBoot nicht eher eine THC-bedingte Halluzination, allenfalls eine hochgespülte Erinnerung gewesen war. Tatsache allerdings war nun etwas anderes, nämlich hatte dieser gewaltige Regen aufgehört und die Wüste sich beinah wieder ausgetrocknet, in allerdings lavendelnder Pracht. Die Blüten überzogen das gesamte, gleichsam auferstandene Wadi:

Doch damit nicht genug. Nachdem ich die Schmerztabletten geschluckt und sie zu wirken begonnen hatten, machten wir uns auf den Weg zum, so hat “Gebirg der Wüstensänge”, den wir, heißt es, heute gegen abend erreichen werden und wo es, auf der Dunckerstraße, ein “Fensterkonzert geben soll”: von den geöffneten Scheiben des ersten Stockwerks des Haus Nr. 67 auf uns, die Kamele und alles Lavendel hinab. Ich werde die Klänge, denke ich, mitschneiden.
Jetzt aber müssen wir eilen.

ANH
(bislang schmerzfrei, heute)

 

 

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