Durchs Zweite Tor der Hölle: Einritt in den nächsten Nefudkreis sowie die Injektionen. Aus der Nefud, Phase II (1): Mein Krebstagebuch des Dienstags, den 2. Juni 2020, Tage 34 & 35. Dazu der BND.

أ تاريخ الكيمياء قديماً في قالبٍ يلّفه شيءٌ من الغموض والإثارة ، فقد ارتبطت ارتباطاً وثيقا في تلك الأزمنة القديمة بالسحر والشعوذة والتنجيم ،حيث كان السحرة يجرون بعض التفاعلات الغريبة والمثيرة كتلك التفاعلات التي يحدث فيها تغّّير في اللون وتصاعد الدخان لخلق جو مناسب لأعمالهم الخسيسة والمشينة والتأثير
(Von → dort.)

 

 

[Nefud. Anderswelt
بيت الكيمياء
4.56 Uhr, 73 kg]

 

Tatsächlich ausgeschlafen. Doch war die Nacht einmal wieder schwierig. Gestern gegen 22.30 Uhr pochten, wahrscheinlich eine Folge des im Wortsinn wüsten Tages und all seiner Erregungen, unversehens wieder die Brustschmerzen, die ich schon fast vergessen hatte: genau dort, und dann seitlich ausstrahlend, wo meine Tumorin sich eingegraben hat. Dennoch wollte ich kein Schmerzmittel nehmen, sondern schauen, ob bereits das Dronabinol etwas bringe, von dem ich die fünf Tropfen auf meinen nun schnell abzuleckenden Handrücken gab; auch etwas nachzulutschen kann nicht schaden. Doch um halb eins, ich konnte nicht einschlafen, griff ich dann doch noch zum Novamin, diesmal in der flüssigen Form, weil’s dann schneller wirkt. Was geschah. Bis kurz vor fünf schlief ich dann durch.
Jedenfalls war es gestern noch ein wilder Ritt; und es erwiesen sich die Waffen als ein Segen, die wir  im Relais bei بجده fast aufgenötigt bekommen hatten, obwohl wir mit ihnen ja nicht wirklich umgehen konnten. Glücklicherweise konnten die WegelagerInnener es ebenso wenig; auf See hätten wir sie führerlose Piraten genannt, die aus nichts als ihrer aus einer Verzweiflung erwachsenen Wut geradezu blind agieren, deren kläglicher Widerspiegel das knochige Schiff ist, auf dem sie darben müssen. Ich meine, wie lange mußten sie schon elend hier zugebracht haben, wann zuletzt ist die Nefud Meer gewesen! Vor 250 Millionen Jahren? Da gab es doch Menschen noch gar nicht! Doch zerplatzte jetzt die fast Mittagstaubheit der flirrenden Nefud in ein kreißendes Kugelgebrüll, das von Hunderten Knallfröschen und dem einsamen Pfeifen arktischer Winde erzeugt zu sein schien, die in einer Wüste, egal welcher, anders als heimatlos gar nicht sein konnten. Und über zwei der uns flankierenden, bis (schätzungsweise) an die  dreißig Meter aufgewehten blenden gelben Dünen ergoß sich eine Flut von … ja, ich weiß nicht, ob Arabern, Persern, Beduinen; vielmehr waren es Desparados, eben genau wie bei Piraten, auch chinesischer, koreanischer, ich weiß nicht, sogar von Indio-Abkunft darunter, die alle wild mehr um sich herum ballerten als tatsächlich auf uns. Wobei halt wir auch selbst so ballerten, also nach der halben Sekunde, die es brauchte, die Situation überhaupt erstmal zu glauben. Ich meine, das erste, was ich sah, waren blitzende Krummschwerter, die in Wahrheit aber niemand trug und schon gar nicht schwang. So zensiert uns unsere Prägung. Weshalb es selbstverständlich ein Irrtum ist, in einigen der Wüstenpiraten – PiratInnen, um correct zu sein – Vertreter*innen der aggressiven Genderleugnung zu erkennen, die es ziemlich deutlich nur auf mich, hingegen gar nicht auf Faisal, geschweige seinen recht androgynen Diener Lars abgesehen hatten; auch unsere übrigen Begleiter interessierten sie nicht. In wildem Evoé rasten sie mänadisch nur, mänadisch-invers also, in so alleine meine Richtung, daß mein armer Röhrerich sich vor Panik beinah bäumte und erst dadurch zu beruhigen war, daß ich ihn nun schon zum zweiten Mal “Rih” nannte. “Pscht, Rih”, mich vorbeugend, seinen kraftvollen, nach atmendem Fell duftenden Hals tätschelnd, ihm dann das Geheimwort zuraunend, woraufhin er sich unmittelbar herumwarf und in einer Geschwindigkeit davonrannte, daß ich alle Hände und Füße zu tun hatte, in dem Sattelgestell sitzenzubleiben, nicht runtergeschwankt zu werden. Man ahnt nicht, was man bei Kamelgalopps alles verlieren kann; man wird wie ausgeschüttelt, plötzlich sitzt die Leber im Oberbauch, der Magen direkt unterm Kehlkopf und die Speiseröhre verbindet den Krumm- mit dem Grimmdarm. Gut, so konnt’ ich mich schon mal vorbereiten, falls es am Ende, also zur Operation, doch so weit kommen sollte, daß mich die Chirurgen meines gesamten Magens enteignen (woraufhin die Restspeiseröhre und der Darm direkt verbunden werden würden). Was aber immer noch besser wäre, als von sozialen GeschlechtskonstruktInnen gekillt zu werden. Außerdem gewöhnt man sich bei einer Chemo an so etwas eh  und schließlich gehört es zum Alltag — dem jedenfalls zu glauben, was erzählt wird. Ich selbst zwar bin bislang von solchen Nebenwirkungen weitgehend verschont geblieben; daß sie mich wiederum jetzt so, sagen wir, “einholten”, ist für meine Arbeit ziemlich typisch.

Nicht Rih und ich alleine waren davongestoben. Faisal hatte unsere Davonflucht offenbar sofort bemerkt und mit einem reißenden Pfiff, der zu diesem reservierten Patriarchen in keiner Weise paßte, seinen ibn Gamael zur Folgschaft mitgerufen, und da wir nun schon zu dritt flohen, also zu sechst, wenn wir, was wir tun sollten, die Dromedare mitrechnen, folgten schon fast alle übrigen auch, wobei wir später feststellen mußten, daß uns einer der Scouts fehlte. War er gemeuchelt worden, hatte er sich verirrt, dürften wir ihn zurücklassen?
Wir berieten.
“Wenn er sterben soll, dann steht es so geschrieben”, sagte Faisal ungerührt.
Nichts steht geschrieben”, war verärgert meine Antwort, wenngleich ich mich durchaus an → die Rettung Gasims erinnerte und daß dann eben doch alles schon “geschrieben” stand, so daß ich jetzt, bevor ich zur möglichen Rettung des Scouts tatsächlich zurückritt, vorsichtshalber in die Runde fragte, ob jemand mit … nein, nicht Gasim, sondern der Mann hieß Bassam (wiewohl ich mich nicht erinnern kann, ihn lächeln jemals gesehen zu haben) … also ob jemand noch eine Rechnung mit dem Lächler zu begleichen habe, Finger um Zehe, Auge um Zahn? Womit ich die قصاص meinte, Blutrache also, ich kenne den berühmten Film geradezu auswendig, die am Ende El Aurence hatte an dem Geretteten ausführen müssen, um seine Truppe nicht zu spalten. Zudem erinner ich mich gut des höchst archaischen Satzes, daß, wer Leben gebe, es auch nehmen dürfe. (Glaube also nicht, o Li, daß ich den Zusammenhang nicht sähe: Er, dieser Satz, gilt besonders für uns gewährte Inspirationen.)

Es lag mit Bassam niemand krumm.
“Also wolln Sie wirklich ..?” – Faisal wirkte tatsächlich besorgt, aber wohl auch, weil wir wegen des Überfalls viel Zeit verloren hatten; wir waren im Haus der Chemie (بيت الكيمياء) für spätestens morgen um zehn Uhr erwartet, das hinter dem sandroten, gigantischen Felstor den Beginn des nunmehr Zweiten Höllenkreises markiert. Was ich momentan aber noch nicht wußte. – Und es ging bereits auf den Abend zu.
Dennoch,  nicht einmal mein Röhrerich protestierte, als ich ihn wendete; ich glaube, er verstand, daß ich mir etwas unbedingt beweisen mußte. Es geht ja nicht darum, die Nefud irgendwie durchzustehen und ihren bösen Wirkungen standzuhalten, die in den Beipackzetteln von Medikamenten fast durchweg falsch, zumindest allzu euphemistisch  “Nebenwirkungen” genannt werden, obwohl sie an Schwere das Elend der primären Erkrankung noch in den Schatten stellen können. Sondern gerade dann, wenn wir uns von diesen, nun gut, Nebenwirkungen nicht oder, wie ich, nur kaum haben erwischen lassen, geht es darum, eine besondere Haltung zu kultivieren, mit der nun wir das Schicksal bedrohen, ihm zumindest die Stirn zeigen: als freie Männer und Frauen. Ganz wie ich es Dr. Faisal-Josting schon vor Tagen gesagt habe: – daß ich nicht krank sei, nicht im entferntesten, sondern einen Tumor hätte (ich mochte meinen Arzt poetische nicht überfordern, nur deshalb, nicht aus Widerstand gegen die sogenannte Gendercorrectness, benannte ich das Geschlecht nicht korrekt), und daß ich schon gar nicht dessen Opfer sei (mithin: Lis), sondern im Gegenteil ihn zu dem meinen machen werde, sofern er nicht sich mildre.  Dies nun war auch so eine Gelegenheit, zumal es mich doch reichlich wurmte, vor den sozialen KonstruktionspiratInnen derart besinnungslos geflohen zu sein. Wer fürchtet denn Abstrakta, und toben sie noch so mächtig einher? (Mein Röhrerich dachte offenbar genauso und ließ sich durch den Sand wie durch eine Wiese führen, deren Blumenköpfchen ihn an den Fersen streicheln. Was Röhrerich sehr mag.)
Die Sonne aber sank bereits, zur Dehydration würde Bassam allerbaldigste Auskühlung drohen. Das über dem noch aber heißen Boden kirrem Wasser ähnlich flirrende Licht machte es mir schwer, nach ihm Ausschau zu halten, schon gar ins horizonte Ferne, das wie von Morganen getupft war: So eng hängen Abend- und Morgenland ineinander, daß die schimärste Wüstenspiegelung nach einer keltischen Zauberin benannt ist, in deren opaker gleichsam Blase ich, umhüllt von ihrer Helligkeit, durch den Kokon längst nicht mehr meiner eigenen Wirklichkeit ritt und mich dabei ganz auf die Trittsicherheit des Röhrerchens verlassen mußte. Immerhin konnte ich davon ausgehen, daß Tiere von magischen Wahrnehmungen nicht heimgesucht werden, es sei denn, tja, auch sie seien, ganz wie “Frau” und “Mann” nichts als soziale Konstrukte und biologische Fakten die bloß brutale Faust meines Machismo. Wobei es aber nun darum ging, jemanden zu retten und es dafür völlig egal war, ob’s ein Weibchen, Menschchen, Tier.
Und dann sah ich ihn, Bassam, doch. Ganz im Sonnenstrich schleppte er sich einher, den die Erde durch eine Längslamelle der, kam es mir plötzlich vor, unversehens herabgesunkenen Nacht noch in die Welt ließ, weshalb er klein war wie ein Punkt, nein, ähnlich einer schmalen, senkrecht stehenden Pupille, die aber Füße hat. Nur eine Hand müßte ich nach ihr ausstrecken, könnte sie mit Zeigefinger und Daumen am Köpfchen nehmen, zu mir heraufheben und schließlich in die Brusttasche meines Gewandes stecken, wo es seine Erschöpfung ausschlafen würde, bis es wirklich gerettet war. Es würde dies auch Wasser sparen, das für den Rückweg bereits knapp war.
Plötzlich war die Pupille verschwunden, sei’s daß die Nachtlamelle sich unter der noch fahlen Barke des Mondes nun völlig geschlossen hatte, sei’s, daß Bassam vor Erschöpfung gestolpert, schon gefallen war und nun, alleine hilflos, dalag. Wie ihn da nun finden? – Schnalzend trieb ich Röhrerich an, beherrschte mich, das Rih-Wort nicht zu verwenden; dann nämlich wär mein Tier zu schnell geworden. Ich mußte sogar absteigen und mein Dromedar am langen Zügel weiterführen; riesig ein Ohrensessel auf Stelzen, hinaufgestreckt dazwischen den erhobenen Kopf eines Steckens, so schwankte es hinter mir drein — wovon mir aufs neue leicht schlecht wurde; ein Grundmodus seit Beginn der Chemo, meist nur leis im Hintergrund und ziemlich leicht zu nehmen. Nur manchmal eben, wenn das Wüstenschiff so schwankt … Verzeihung, Sie haben recht, “Wüstenschiff” läßt sich auf Dromedare nicht anwenden, anders als auf die zweihöckrigen Trampeltiere, für die das Wort geprägt worden ist. Dennoch setzt die Schwankerei mir immer wieder zu, tat es jetzt sogar, da sie hinter mir stattfand und nicht mehr drunter unter mir.
“!مساعدة“, fast nur geflüstert noch, “Zu Hilfe”, fast wie geröchelt, und “!الماء ، الماء من فضلك“, “Wasser, Wasser bitte …”, ich konnte überhaupt nichts mehr sehen oder noch nichts, aber spürte, spürte … – Eine unsichtbare Wolke hatte sich vor den nun unsichtbaren Mond geschoben.
Tasten also. Ah! Ja, ich spürte Bassam, hockte mich in die Knie, er bebte. Wo war der Wasserbeutel? Nach des Mannes Mund tasten, ihm leicht die Lippen öffnen, die Tülle des wie schwappenden Ziegenleders davorhalten, es leicht zusammendrücken … Alleine, jetzt, bekäme ich Bassam niemals hoch. Er mußte zur Besinnung kommen. Und daß wir hier so ungeschützt die Nacht verbrächten, das war nun schon deshalb ausgeschlossen, weil ich morgen ja unbedingt im Zweiten Höllenkreis ankommen mußte, einmal abgesehen davon, daß uns wahrscheinlich die bald einbrechende Nachtkälte umgebracht hätte. Aber Liligeia hatte sich in den vergangenen drei Tagen meist ab dem Nachmittag wieder so nachdrücklich als Querschmerz, nämlich durch die Brust, gemeldet, daß ich das unbedingte Gefühl hatte und immer noch habe, sie müsse dringend wieder einen auf den Deckel kriegen, sprich: die nächsten → Vierfuhren Chemo verabreicht bekommen. Was eben für nachher terminiert war. (Ich weiß, sie wird → wieder toben, wenn sie dies hier liest. Doch wird’s dann schon geschehen sein.)

(… —  Wo war ich? — ah jà):

“Bassam … Bassam!”
Mehrmals mußte ich auf seine Wangen kurze Schläge geben, deren jeder zu einem seiner Seufzer wurde. Also härter zuhaun, dann kriegt er wieder Stimme. – Klappte.
Die Wolke glitt zur Seite, die Barke erleuchtete sich, sah unversehens einem nächtlichen Nildampfer ähnlich, der, auf der Milchstraße schwimmend, aus fünfzig Fenstern auf uns herunterleuchtete, und an der Reling standen die Flußtouristen so gaffend wie gedrängt, um später ihren auf ihren greisen Knien hoppereitenden Enkelinnen von solch märchenhafter Errettung erzählen zu können, nachdem sie aus dem Graben wieder hochgezogen worden sind, damit nicht doch noch die Raben sie fressen.
“Was für Raben?” fragte Bassam. “In der Wüste Raben?” So sehr fantasierte er, daß er das Sprachspiel nicht begriff, schon gar nicht die Metapher. Immerhin konnte er mir helfen, ihn aufzurichten; gemeinsam schafften wir’s sogar in den Sattel. Machen Sie sich hierbei bitte klar, daß ich durchaus nicht mehr in der trainierte Fassung → von vor einem Jahr bin, sondern Liligeia hat mich schon einiges an Fitness gekostet, um von meiner Muskelmasse besser zu schweigen, für die jetzt nicht nur “Masse” ein ausgesprochen übertreibendes Wort ist, sondern bereits “Muskel” transportiert zur Zeit nur Angeberei. Wobei uns Röhrerchen allerdings half, indem er seinen riesigen Leib erst einmal so flach wie möglich hingelegt hatte: zuerst knicken vorne die Beine zusammen, dann ein, danach folgt erst der übrige Leib. Und als wir irgendwie mehr ein- als aufgesessen waren, erhob das Tier sich wieder, und zwar so gemächlich auf, als wär Besondres gar nicht los, streckte sich in die Höhe und röhrte erstmal ganz gehörig. Dann erst trabte es los. So konnte ich nur hoffen, daß es den Rückweg auch ohne meine Führung fände..

Aber was war geschehen? — Wir waren bei dem Überfall so schnell davongestoben, daß die sozial konstruierten Pirat*innen nicht nur unmittelbar verwirrt, sondern nun  ganz besonders sauer waren und jetzt auf alles losgingen, was irgendwie noch stand oder in einem unsrer Sättel saß. Das konnten mittlerweile auch die eigenen LeutInnen sein, völlig wurschtIn. Nur erwischtInnenen sie Bassam halt auch, schlugInnenen ihm sein Reitkamel unter den Beinen weg, um es, weil’s noch Mann war, zu kastrierInnenen. Die reine RachInnenwut, die vor UngegenderIn reinIn nicht mehr ausInnen noch einInnen wußte und nun nur noch BlutEr wollte. Derart schäumInnend indessen schlugInnen sie schon mehr auf sich selbstInnen ein, als daß sie Bassam überhaupt noch gesehen hätten, der nach feigster MännerInnen-Art sich unendlich vorsichtig aus dem staubenden Kampfplatz kriechen ließ und so noch einen Kilometer weiterkroch, bis er sich sicherInnen sein konnte.
Nur, sein Kamel war nicht nur entmannt, sondern unterdessen auch schon tot, weil, weil eben Hengst gewesen, von den Mänaden geradezu zerstückelt worden. So blieb ihm nichts, als sich auf sich selbst zu verlassen, was in diesem heutgen Falle bedeutete: auf — mich. Er hatte das schlichtweg unendliche Glück, daß ‘El Aurence’ für mich immer Held geblieben ist, einer, mit dem mich zu identifizieren mir jetzt sogar noch durch den Krebs hilft.

Wie wir die anderen wieder erreichten, kann ich nicht sagen; ich scheine neben Bassam in Ohnmacht geglitten zu sein, wir beide auf dem Röhrerich eng ineinandergewunden, er oben, ich unten, er inmitten, keine Ahnung. Doch aus ihm stieg ein solch opiatiger Duft, daß meinem Schlaf ganz sinnlich wurde. Ich soll “Lilli” geseufzt haben, als man mich herabzog, “Lillifee” sogar, dann “meine Liligeia”, nur daß ich dabei den armen Bassam umarmte, wie umarmt er, fürchte ich, nie jemals ward noch würde. Es bedurfte Faisals männlicher Mahnung, daß ich mich endlich löste. Schon, damit ich in der arabischen Männerwelt meinen grad erst gewonnenen Heldenstatus auch behielt. Wobei es eh dringend Zeit zum Weiterrreiten war, wenn wir im bleichen Schein des Mondes das Tor zum Zweiten Höllenkreis noch so rechtzeitig erreichen wollten, daß ich meine Injektionen ausgeruht erhalten konnte, die zur Abwehr der nefuden Strahlungen halt um so erforderlicher sind, wenn wir’s bis Aqaba denn wirklich schaffen wollen, ich es alsoschaffen will. (Wie dort dann Liligeias Hörselberg finden, steht freilich auf einem noch einmal völlig anderen Blatt; Berge wird’s in Aqaba kaum geben. Doch werd ich sie beschreiben.)

***

[8.50 Uhr]
Jetzt erst mal schauen, wohin ich muß (also nach dem richtigen Raum gucken). Die weißen Handschuhe nicht vergessen, die ich überstreifen muß, bevor ich meine Hände in die Eisfäustlinge stecke, damit mit vom → Oxaliplatin nicht die Nägel ausfallen; deshalb nicht nur auch an die Tragehülle für den 24-Stunden-Körpertropf denken, sondern vor allem die dicken Socken für meine Füße nicht vergessen. Diese Prozedur ist das einzige, was die Infusionstage zu einer kleinen Tortur macht, weil besonders die Fingerspitzen nach einer halben Stunde Dauerfrost ziemlich stark zu schmerzen beginnen, was zumindest unangenehm ist. Bei den Zehen braucht es spürbar länger.
Meine Kimmo-Hakola-Azfnahmen auf die externe Musik-FP geladen, im sie nachher während der Infusonen geschlossener Augen in den InEarPhones mir alle noch einmal durchzuhören und mir für eine, wahrscheinlich im Rahmen dieser Tagebücher, Besprechung schon mal Notizen zu machen; außerdem das Béart-Handmanuskriptbuch bereitgelegt, in das ich nachher die ersten Versentwürfe zur finalen No XXXIII skizzieren möchte. Es soll ein Hymnos werden.

Gut, nun bin ich bereit. Fast vorfreudewillig scheint sich der Bioport zu erigieren, man könnt’ von fickrig sprechen (ich hör ihn “gib’s mir, gib’s mir!” rufen):

 

[10.30 Uhr]: 

[18.45 Uhr
Allan Pettersson, Drittes Steicherkonzert]:
Um etwa Viertel nach zehn meldete sich Ligeia so nachdrücklich mit ihrem unterm Sonnenglecht waagrecht links und rechts ausstrahlenden Schmerz, daß ich mir von ibn Gamael ein  Novamin geben ließ, der auf Dr. Faisal noch warten mußte, aber die nötigen Vorbereitungen zu meinen Infusionen noch nicht abgeschlossen hatte. Das Novamin brauchte diesmal lange, um zu wirken, und um es vorwegzunehmen: jetzt, kurz vor 19 Uhr meldet meine fiese Lilli sich erneut und mit denselben Zaunpfählen.  Ansonsten, die Infusionen selbst verliefen komplett unproblematisch, selbst die eisgekühlten Fingerspitzen waren problemlos auszuhalten.

Ich höre ich tatsächlich durch alle meine → Hakola-Musiken; er hat ein besonderes Verhältnis zu der mir normalerweise nicht so sehr nahen Klarinette – hier ist sie so umwerfend wie sein besonders → Klarinettenquintett insgesamt, und es lohnt es sich, gleich darauf das Ohr auf des Finnen → Klarinettenkonzert zu konzentrieren. Sie ahnen, meine Freundin, nicht, wie geradezz prganisch isch dies wäjhrend der In fusionen einer Chemo tun, ja genießen läßt. Und man kommt zu Einsichten, etwa, weil die junge tief, in der Tat, dunkelbraune-schwarze Damen derart schöne Hände hat. So, wie Sie sehen können, legt’ ich sie, ihrer eine, meiner Krebsin Krallen auf. Da erst begann das Novamin zu wirken. Auch nicht ohne Erkenntnis — und aber, was mich fast die Wüste vergessen ließ und durchaus hätte mitten im sozusagen Flug noch das Genre wechseln lassen, gen 007 nun, ist etwas, das mich wirklich auf der Hinterhand erwischte. Schaue ich nämlich aus dem Behandlungszimmer, seh ich den BND:
Das also soll Zufall sein?
Ich habe dann nach der Behandlung noch etwas Zeit gehabt, Faisal rief mich nicht zurück. Vielleicht schlief ich ja, und er wollte mich  nicht wecken, da wir heute ohnedies nicht mehr weiterreiten wollten. Und so spazierte ich, nachdem die Infusionen intus, auf der Praxis hinaus und nach unten, um mit dem Ifönchen eine Panorameaufnahme des Geländes aufzunehmen (und ganz später ganz sicher eine literarisch Terrine darauf zu küchenschöpfen), die nun also so aussieht:

“Und mit der Nefud nun wirklich nichts mehr zu tun hat!” — Ah, Sie meinen ..? Dann warten Sie mal ab!

Ihr ANH

3 thoughts on “Durchs Zweite Tor der Hölle: Einritt in den nächsten Nefudkreis sowie die Injektionen. Aus der Nefud, Phase II (1): Mein Krebstagebuch des Dienstags, den 2. Juni 2020, Tage 34 & 35. Dazu der BND.

  1. Sprechen und schreiben Sie arabisch? Ich lese das bei Ihnen. Oder ist das aus dem Google-Übersetzer?

    1. Nein, lieber Herr Prinz Amir, ich spreche kein Arabisch, leider. Die arabischen Stellen, die ich verwenden möchte, beziehe ich von einem Übersetzer. Das geht quasi auf Zuruf – so, wie ich die Phrasen und Sätze, die ich höre, grad aufnehme und lautlich einigermaßen nachzubilden verstehe. Für eigene Kommunikation, neben der auf Englisch geführten mit Faisal, habe ich in meinem Ifönchen auch eine Sprachlaut-Übersetzerin: Ich flüstre Deutsch hinein, arabisch bezauberjeanniet‘s die → جني heraus.

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