Ukraine-Dialoge XII: Luftschutzbunker für Pferdchen ODER Was Krieg mit unsern kleinen Kindern macht, auch wenn er – direkt – noch nicht da ist. Ricarda Junge | ANH (Whatsapp)

[Hier noch als Nachtrag von 10.53 Uhr:
FAZ online zu → Für&Wider eines
NATO-Eintritts in den Ukraine-Krieg.]

 

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Dienstag, 23. März 2022, 21.35 Uhr

Ricarda Junge[1]Zu ihrem schriftstellerischen Werk insgesamt siehe → Wikipedia. Für ihren Lebenserwerb arbeitet sie als Lehrerin.
(…) Das Mey-Video mag ich sehr, habe ich letztes Jahr mit meiner sechsten Klasse im Unterricht besprochen. Passt jetzt wieder sehr gut. Kenne das Lied noch aus meiner Kindheit.

ANH
Ich kannte es noch nicht. Was mir hier gefällt – und es ist ja tatsächlich nicht meine Musik – ist, daß keine und keiner von den allen wirklich singen kann – aber genau das gibt dem Video die Kraft und macht es uninteressant, ob es sich um „gute Musik“ handelt.

Ricarda Junge
Ich verstehe, was du meinst. Ich mag Reinhard Mey ja sehr. Ich glaube, ursprünglich richtete sich das Lied gegen die Einführung der Wehrpflicht in West-Berlin. Das Lied begleitet mich, seit ich denken kann. Wir hatten es zu Hause auf Schallplatte.

ANH
Manche Lieder gewinnen plötzlich eine erneute, und zwar extreme Relevanz – genauso, wie es auch mit Verdis Requiem unter Barenboim vergangene Woche geschah. Du kennst meinen Text dazu?

Ricarda Junge
Den Text kenne ich, klar!

ANH
Auch Stings „Russians“ gehört dazu, das auch nicht „meine“ Musik und dennoch, jetzt, grandios ist. Ich habe es vorhin in einer gesondert auf die Ukraine gemünzte Version neu eingestellt.

Ricarda Junge
Heute war ich mit L*** auf dem Spielplatz, sie hatte ihre Pferdchen dabei und schleppte plötzlich lauter Steine an. Was willst du mit den Steinen? – Ich baue meinen Pferden einen Luftschutzbunker.

ANH
Was dieser Krieg mit unseren Kindern macht ..! – Habe gerade ein sehr wichtiges Gespräch mit meinem Sohn geführt, der erst nur kurz vorbeikam, dann drei Stunden blieb. Er und alle seine Freunde wollen von dem Unheil nichts wissen, drängen es weg. Keine und keiner von ihnen wollen eine Waffe in die Hand nehmen. Ich habe ihm gesagt, er müsse mit allen sprechen, und sie sollten sich einen Plan zurechtlegen für den Fall aller Fälle; jeder müsse seinen Reisepaß gültig bereitliegen haben und möglichst auch ein 3-Montats-Visum für das Fluchtland ihrer Wahl. Das ist dann immer noch unsicher genug, aber sie müssen im Fall der Fälle nicht zu planen anfangen, wenn bereits die Panik herrscht, sondern können gleich auf ihre Vorbereitungen zurückgreifen. Sonst sind sie in der Situation der deutschen Juden, die so lange nicht glauben wollten und dann eben n i c h t mehr rechtzeitig herauskamen.

Ricarda Junge
Meine Große will auch nichts davon wissen. Ich bin ebenso besorgt wie du.

ANH
Die ganze Generation will es nicht. Aber das ist die Chance, und deshalb muß sie überleben. I h r ist es egal, ob jemand Deutscher, Franzose, Ukrainer, Russe, Afghane oder sonstwas ist. D a s ist unser Erbe, das diese jungen Menschen so sind, und es war eben n i c h t falsch, ihnen diese Werte zu vermitteln. Sondern sie tragen die Hoffnung weiter und werden sie ihre eigenen Kindern lehren. Deshalb müssen sie auf jeden Fall überleben. Wir – jedenfalls ich, Du bist noch so jung – haben unseren Teil getan, und es kann nur noch darum gehen, daß dieses Erbe weiterwirkt. Mein eigenes Schicksal ist da völlig schnuppe.

References

References
1 Zu ihrem schriftstellerischen Werk insgesamt siehe → Wikipedia. Für ihren Lebenserwerb arbeitet sie als Lehrerin.

3 thoughts on “Ukraine-Dialoge XII: Luftschutzbunker für Pferdchen ODER Was Krieg mit unsern kleinen Kindern macht, auch wenn er – direkt – noch nicht da ist. Ricarda Junge | ANH (Whatsapp)

  1. Eigentlich möchte ich auch nichts davon wissen. Aber ich kann nicht sagen: es geht mich nichts an. Einer Sängerin wird der Auftritt verwehrt wegen ihrer Haartracht. Ein Denis Yüzel erhält Drohbriefe von NSU 2.0. Gendersprech. Die vermauerte Grenze zu Mexiko. Einer der ausgeladen wird, weil er die besseren Argumente hat. Dahinter steckt eine Schamlosigkeit, die immer mehr neue Mauern aufrichtet, um ihre Jungfräulichkeit zu retten. Um hinter deren Mauern zu verrichten, was sie gern ohne alle Scham täte. Dem vorausgegangen ist die Corona-Krise mit Haarspaltereien, Gewalt nicht ausgeschlossen. Und die Ukraine paßt in diesen Kontext der Schamlosigkeit. Nichts läßt sich wirklich sagen, es sei denn, es diene der jeweils eigenen Jungfräulichkeit oder Identität oder schlimmstenfalls Mauerbesoffenheit. Wir scheinen da im Moment eine Promiskuität zu verlieren, die, schon richtig, unsere Generation gelebt hat, in welcher Form auch immer. Das sich einander Durchdringen. In der Überwindung der zu unserer Zeit noch bestehenden Grenzen. Um noch einmal Günderrode zu wiederholen: “und die Heimat wird zum Kerker”.

    1. Welche Heimat? Ich habe ein Zuhause, das ist in ziemlich engem Sinn Berlin. Und dann gibt es Orte, an denen ich mich weniger zuhause (das bin ich meistens dort nicht), als daß ich mich beheimatet fühle; man könnte sie „Heimatflecken“ nennen. Dazu gehören Gegenden, wenige, auch in Deutschland, etwa der Jungfernsee, dazu gehört aber ebenso der Burghof in Enna, gehört Catania, gehört Neapel, zu Zeiten gehörte auch Olifants dazu, im Krugerpark des nördlichen Südafrikas, gehörten Landschaftsflecken in Indien. Und und und. Mit einer Nation hat Heimat nichts zu tun, auch (und gerade) nicht mit „Deutschland. In Deutschland ist die Sprache Deutsch meine Heimat, was sie aber auch in Italien, Indien, Afrika ist. „Deutschland“ ist – wie andere Staaten es sind – ein notwendiger Administrationsbereich, mehr nicht. – Wer würde für einen Administrationsbereich im Zweifel in den Tod gehen oder gar seine, ihre Kinder in ihn schicken?

  2. In dem Sinne habe ich Günderrodes Heimatkerker nicht zitiert. Ich meinte nicht den geographischen Raum, in dem man lebt. Wo man sein Zuhause hat. In dem man sich wiedererkennt. Eher in der Richtung, daß das Wort Heimat etwas Identitätsstiftendes hat. Heißt, man gehört hierhin oder dorthin. Was ich indes so nicht wahrnehmen kann. Ich gehöre weder hierhin noch dorthin, ich bin nur das, was ich „mache“. Jenseits aller Ausgrenzungen, deren Begriffe sich überschwellig schamlos breit machen (der letzte war wahrscheinlich „woke“). Ein allgemeines „delendam est“, einst auf Karthago bezogen (fällt mir öfter ein in letzter Zeit dieses Zitat, was die Ukraine betrifft). Toleranz ist im Heimatkerker ein Fremdwort, dem es nur darum geht, bestenfalls eine unerträgliche Geduld zu erdulden, und bei der ersten günstigen Gelegenheit zuzuschlagen und sich seinen Heimatdünkel zu wahren. Dies ungefähr, was ich umreißen wollte.

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