Safran ODER Zwei Tage mit Baskakova. Im für den 12. und 13. August geschriebenen Arbeitsjournal des Sonntags, den 14., zugleich als Tagebuch.

[Arbeitswohnung, 7:58 Uhr
Sommersonntagshitzestille, jetzt bereits am Morgen,
die von hie und da einem vorsichtigen Spatzenzwitschern
akzentuiert wird.]

„Ich habe Ihnen etwas mitgebracht“, sagte sie und zog aus ihrem nicht zu großen Tagesrucksack einen mehrfach mit Lebensmittelfolie, ein schließlich kleines flauschiges Kissen, umwickelten Flacon besten Safrans hervor, als sie bereits im Arbeitsraum stand, Tatiana Baskakova, meine russische Übersetzerin, die jetzt wie ich aufs Erscheinen des russischen Traumschiffs wartet. In Druck sei das Buch schon längst, aber wann es wirklich herauskomme, könne auch sie nicht sagen. Und mochte auch gleich über Argo sprechen, den dritten Andersweltroman, den sie aber als ersten ebenfalls ins Russische übertragen will und vom Verlag auch schon Interesse signalisiert bekommen hat. „Aber ich glaube, daß die Verlegerin erst einmal die Reaktionen aufs Traumschiff abwarten will.“ Es sei doch ein allein vom Umfang enormes Buch – ökonomisch ein ziemliches Risiko, in diesen Zeiten zumal. Und, wie Sie mir tagsdrauf – bislang schreibe ich vom Feitagabend – im Pratergarten auf mein neuerliches Bedenken antwortete, ich wisse nicht recht, ob es funktioniere, den dritten Band einer Trilogie als ersten zu veröffentlichen: „Jeder Roman von Ihnen beginnt in der Mitte, und hier reizt mich, daß er ein tatsächliches Ende hat.“ Das stärkste Argument, das ich bisher gehört habe, denn in der Tat läßt sich Argo nicht fortsetzen, es sei denn in sehr übertragenem Sinn etwa → durch den Friedrich. Zu dem sie dann ebenfalls einige Fragen hatte, auch, weil sie genauso nochmals zum Traumschiff, vor allem aber Argo und dem Wolpertinger fragte und schließlich, was kein Wunder ist, zu den Briefen nach Triest. Die mich weiter ganz enorm umtreiben. Aber dazu heute nicht.

Es war unsere erste Begegnung, Baskakovas und meine, also die erste physische; bislang haben wir sehr häufig und viele Mails ausgetauscht, teils auch netztelefoniert; eine Nacht lang — Sie erinnern sich, Freundin, gewiß — las Sie mir ihre Übertragung der zwölften Bamberger Elegie vor, der ich, obwohl des Russischen nicht mächtig, sehr gut folgen konnte, denn ich brauchte nur dem Rhythmus zu lauschen, zählte beim Zuhören mit. Die russische Fassung ist in Иностранная литература denn auch erschienen:

 

Ach, es waren noch andere, waren hoffnungsvolle Zeiten, die nun der Krieg zerstört hat. „Ich habe Freundinnen und Freunde, die nicht mehr übersetzen, weil es ihnen in diesem Unglück unmaßgeblich vorkommt. Doch ich selber glaube, die Menschen brauchen jetzt Literatur, brauchen sie sehr“, erklärte sie ihre Position, um gleich darauf zu fragen: „Was glauben Sie, wie lange der Krieg noch währen wird? Ich selber kann nichts tun, als meiner Arbeit nachzugehen.“

Ich hatte ein Abendessen vorbereitet, „soll ich die Kartoffeln schon aufsetzen?“ „Lassen Sie uns erst noch sprechen.“ Was wir taten, bis sie dann irgendwann sagte, vielleicht jetzt doch das Essen. Sahneheringe in Joghurt mit Apfelstücken, Zwiebeln, vielen, sowieso, teils als dünne Ringe, teils gehäckselt, einer Knoblauchzehe, einigen Scheiben eingelegter Gurken, eine – vorsichtig dosiert – gehackte Chili, Lorbeer, Wacholderbeeren, weißer Pfeffer. Und wir sprachen danach weiter, besonders über meinen literarästhetischen Ansatz, ich erzählte, wie wichtig es mir sein, jede Erzählung zu erden, und sei sie am Ende n o c h so phantastisch, „jeder Stein muß gelegen haben, wohin ich ihn erzähle, ich brauche immer“ und legte sie, mich zur Seite beugend, da hin „eine Hand auf dem Boden“. Was ja, na sowieso, stimmt. — Irgendwann rief ich → Helmut Parallalie Schulze in Umbrien an, der übers Netz längst seinerseits Kontakt mit Baskakova hatte, doch ihr die Antwort auf eine Mail schuldig geblieben war, worin sie wegen des Umstandes nachgefragt hatte, daß ein Großteil des Romans in seinem → amerinischen Kaminraum entstanden war. Nun stellte sich heraus, er habe die Mail nie erhalten. Oder sie war sonstwie untergegangen. Noch einmal wurde die Geschichte des → Stotantomale-Kapitels erzählt, das der alten → Silvia Soldi, die drei Jahre nachher auch wirklich verstarb. Ihr nächtlichen Schreien erklärt sich Helmut so: „Sie hatte, glaube ich, Angst vor dem Tod.“ Und er habe dann zugesehen, wie die gestorbene Greisin auf einer Bahre aus ihrem Haus in die Kirche getragen worden sei. Hier, über diesen kleinen Platz:

Für mich momentan alles sehr wichtig, weil die Triestbriefe in einem gewissen Sinn ans Traumschiff anschließen, sogar doppelt verankert, sowohl ästhetisch als auch privat, ebenso aber – in der Faktur – den Andersweltlogiken folgen. Und nachdem Helmut und Baskakova das Gespräch langsam beendet, schaltete ich nun noch den Arco-Verleger hinzu, diesmal qua Whatsapp-Video. Was prima war, weil er ihr unbedingt noch Bücher schicken will und dies nach Rußland derzeit nicht fumktioniert, allenfalls auf Umwegen. (Ein paar bekam sie selbstverständlich gleich hier von mir). Und selbstverständlich spielte in deren beider Gespräch, wie zuvor auch schon in meinem und ihrem, der Ausschluß russischer Künstlerinnen und Künstler eine Rolle, daß also allgemein ein Volk-als-‚Ganzes‘ verurteilt wird, auch diejenigen Menschen, die Widerstand leisten oder es versuchen. Dieser humanistisch unwürdige Quatsch hat bei uns ja um sich gegriffen, bis hin zum ukrainischen Postulat, nicht mit russischen Künstlerinnen und Künstlern gemeinsam aufzutreten. Es ist dies ein pures Unheil, das imgrunde eine, wenn auch brüchigere und erst einmal persönlich nachvollziehbar, Wiederholung des völkischen Gedankens des, Lars Hartmann, bleichen Lurches ist, seelisch eine geradezu Identifizierung mit dem Feind, „nur“ halt gegen ihn gewendet. Banalste Psychologie, die mir als ukrainischem Künstler hochnotpeinlich wäre.

Es ging bis Mitternacht — zuvor muße sie noch ein Bild meiner Schaufensterpuppe knipsen. „Hat sie einen Namen?“ „Nein, das käme mir übergriffig vor. Sie wissen doch, kennen Sie jemandes Namen, haben Sie über ihn Macht, oder über sie. Ich aber schätze an dieser Figur ihre auch deutlich gezeigte Distanz, ja sogar Abweisung, die sich schon in der rechten Handhaltung ausdrückt.“ Im Geist der Triestbriefe gesprochen, hätte ich auch sagen können, daß sie, diese Puppe, derzeit meine Sídhe sei, wie schon zuvor immer mal wieder, und in diesem, dem Aspekt der geforderten Distanz, der → Liligeia durchaus ähnlich, nur daß sie sehr viel gibt, nicht nur nimmt. Nämlich Inspiration (für die wir allerdings, wie es die Triestbriefe zeigen, existentiell bezahlen).

Ich brachte sie noch zur SBahn-Station Prenzlauer Berg, wartete die Abfahrt der Bahn Richtung Charlottenburg ab und schlenderte durch die glitzernde Nacht wieder heim. Wir waren für den nächsten Nachmittag noch einmal verbredet, diesmal im sommers von mir wie von लक्ष्मी und unserem Sohn geliebten Pratergarten. Beide wollten dazukommen, लक्ष्मी sagte vormittags wegen Halsschmerzen ab, aber → Auxcapri erschien, nicht schon um fünf, doch eine Stunde später, und ich spürte, welche Freude die Begegnung ihm machte. Auch hier wieder – beim guten Praterpils, das ich dort stets mit zweidrei Spritzern Waldmeister mir versetzen lasse – Gespräche zu Argo, zum Traumschiff, zu den Triestbriefen und, als mein Sohn hinzugekommen war, auch über → seine Musik, seine Skepsis momentan. Er drehte ungeniert, wir sind in Berlin, einen Joint, auch ich nahm einen Zug, das Zeug hatte es in sich; ein zweiter hätt mich umgehauen. Na gut, waren ja auch schon zweieinhalb Halbe Bieres gewesen. So daß wir uns gegen acht Uhr dann trennten; Auxcapris machte sich auf den Weg nach daheim, ich brachte Tania noch an die UBahnstation Eberswalder Straße. Dann schritt auch ich, leicht wankend, aber frohen Muts zurück. Um den Helmi saßen die Menschen im Glück, überhaupt waren die Straßen himmlisch geflutet. Und aber zweitausend Kilometer entfernt wird gemordet, geschändet und sonstwie gequält, sich über die knapp tausend der bisherigen Frontlinie walzend. Glaubte ich an Gott, ich müßte stündlich beten.

Indessen s o — pflanz ich meine Apfelbäumchen, ganz wie Baskakova. Zu denen auch Bilder wie dieses gehören:

Ihr, liebste Freundin,
ANH

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