(Verschrieben wegen der als Chemofolge eingetretenen Polyneuropathie in den Füßen.
Statt des verschriebenen LYRICA bekam ich in der Gethsemane-Apotheke das gleichwertige PREGABALIN.)
Meinerseits nach Lektüre des → Beipackzettels Bedenken wegen der möglichen, aus meiner Sicht → extremen Nebenwirkungen des Medikaments, insbesondere in Verbindung mit Alkohol. Deshalb Absprache mit der Ärztin: Testlauf mit Beginn des alkoholfreien Monats[1]Vor Corona habe ich jährlich einen solchen eingelegt; seit Corona leider nicht mehr. Das war zu ändern und wurde mit dem Sonntag, 20.11., geändert. ANH eine Woche lang je eine Hartkapsel abends, danach für eine Woche zwei Kapseln, nämlich je morgens und abends. Daraufhin in der Praxis das auch insofern ausgesprochen wichtige Ergebnisgespräch, als LYRICA nicht, gegebenenfalls, einfach abgesetzt werden kann, sondern „ausgeschlichen“ werden muß.)
Achter Tag (Zwei Kapseln, je eine morgens und abends)
Abermals starkes Betrunkengewesenheitsgefühl beim, nach fünf Stunden Schlafs, Aufwachen um sechs; Wecker verstellt und weitergeschlafen bis halb sieben. Immer noch, doch deutlich linderes Betrunkengewesenheitsgefühl. Aufgestanden und bereits in der Küche an der Pavoni Betrunkengewesenheitsgefühl komplett weg. S c h o n komisch. Das polyneuropathische Kribbeln in den Füßen fast gar nicht mehr; ebenso zurück ist die Trittsicherheit. Ausprobiert: Unterhose mit für jede Durchschlupfseite Stehen auf einem Bein, erst rechts, dann links. Funktioniert abermals erneut, ohne zu mucken. Gewicht: 69,5. Auch komisch, dieses Auf und Ab. Insgesamt bislang:
Erster Tag, eine Kapsel: n/A (ca. 68,5 kg)
Zweiter Tag, eine Kapsel: 69,5 kg
Dritter Tag, eine Kapsel: 69,6 kg
Vierter Tag, eine Kapsel: 69.7 kg
Fünfter Tag, eine Kapsel: 70.3 kg
Sechster Tag, eine Kapsel: 69,3 kg
Siebter Tag, eine Kapsel: 70.9 kg
Achter Tag, eine Kapsel[2]Die ab diesem Tag, heute, zweite Kapsel wird erst um 10 Uhr vormittags eingenommen.: 69,5 kg
Na gut, nach dieser Tabelle sieht es nicht alarmierend aus; die Gewichtszunahme wirkt moderat. Mal sehen, wie und ob sich die steigende Tendenz bei zwei Kapseln verstärkt, mit denen es ab heute ja losgeht. Gestern abend eine um, wie immer, 22 Uhr, also die zweite heute vormittag um zehn. – Auf meinen Geist hat Pregabalin unterdessen keinen Einfluß mehr, ist jedenfalls mein Eindruck; der THC-Effekt etwa („Bekifftheitsgefühl“) dieser „Wirklichkeitsaufweichung“ ist komplett weg. Wovon ich übrigens auch nichts spüre, sind stimmungsaufhellende Wirkungen, wie der Beipackzettel sie, nun jà, „verspricht“; mir muß man sowas nicht versprechen, schon gar nicht, wenn ich wie jetzt kurz vor dem Abschluß eines langes Romanes steht, jedenfalls seiner ersten Fassung. (Nach etwas Rumeierei gestern dann doch noch plötzlich eine klasse Szene geradezu hingeworfen und Lösungen gefunden, noch lose Erzählfäden miteinander wie aus dem Handgelenk miteinander zu verknüpfen, so daß ich die mir für lange Prosa stets unabdingbare Geschlossenheit erreiche. Aber dazu später im Arbeitsjournal, oder morgen.)
ANH
[France Musique, Concerts Radio France:
Albert Roussel, Sonate pour violon et piano No 2]
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[12.10 Uhr]
Zwei Stunden nach Einnahme der zweiten Kapsel eine plötzliche, enorme Müdigkeit, so daß ich mich wahrscheinlich gleich für eine Stunde hinlegen werde – eine Stunde früher als normal. Na gut. Und aber es fing auch mit den Wirklichkeitsaufweichungen wieder an, die ich bei abendlicher Einnahme wahrscheinlich kaum bemerke, , weil ich dann ja eh schlafe, sondern wenn, sie erst am folgenden Morgen wahrnahm, und aber da diese Müdigkeit nicht. So tut es momentan richtig gut, daß France Musique contemporaine gerade den reichlich hibbeligen Freejazz von Peter Evans überträgt. Mit dem und diesen Aufweichungserscheinungen verschwimmen mir allerdings die Lettern des Triesttyposkripts selbst als Datei von der Augen. Deshalb, ja, einfach schon mal hinlegen und nach dem dann ganz sicher Schlafen wieder an den Text gehen.
[19.51 Uhr]
Nach dem knapp einstündigen Mittagsschlaf noch immer benommen gewesen – was sich eine Zeit lang hielt, dann irgendwann, als ich zu arbeiten versuchte, sich endlich verlor. Damit kam die Konzentration zurück, und ich konnte, was ich eigentlich erst nach der Triestbriefarbeit tun wollte, meine Rezension zu Peter Giacomuzzis „Briefe an Mimi“ schreiben. Sie kostete mich mehr Zeit als geplant, so daß ich an die Briefe dann gar nicht mehr kam, aber vielleicht jetzt noch ein Stündchen an ihnen herumprokeln werde. Wobei das jetzt eigentlich nicht mehr ins Medikamentenprotokoll gehört, sondern ins Arbeitsjournal. Das heute aber nicht geschrieben worden ist, so daß ich’s morgen vielleicht in dem dann entstehenden wiederholen und etwas ausführen werde.
Momentan keine Wirklichkeitsaufweichung mehr. Auch keine Form der Benommenheit. Doch ist in ja zweieinhalb Stunden schon die nächste Kapsel „dran“.
Damit hier für heute genug.
ANH
[Johanna Summer, Resonanzen, ACT Nov 2022 (noch nicht erschienen). Berückend fesselnd.]
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Siebter Tag ←
Nach den vorab ja schon beinahe kontrovers diskutierten Nebenwirkungen von Mitteln, die „die Blut-Hirn-Schranke überwinden“, ist der tatsächliche Erkenntnisgewinn fast erschreckend unbrisant. Da meine Frau Internistin ist und das Mittel häufig verschreibt, war mir dies im Grunde schon vorher bewusst. Aber es ist immer tröstlich, am Ende das sagen zu können, was ich immer gerne sage (wenn auch besser nicht laut), nämlich, dass ich das schon immer gesagt habe. Darf ich nun noch nassforsch prognostizieren, dass Sie mitnichten vom Lyrica abhängig werden? Die Gefahr sehe ich eher bei der Lyrik. Ich möchte nur sicherstellen, dass ich das dann ebenfalls schon immer gesagt habe … (lacht)
Viel Erfolg mit der weiteren Romanarbeit. Als Werbetexter kenne ich das Phänomen sehr gut, dass manche Dinge „aus dem Handgelenk“ funktionieren, auch wenn ich für meine Ausarbeitung in aller Regel viel weniger Raum zur Verfügung habe als Sie in Ihrem Roman. Ihre Lyrik lasse ich mal außen vor, dort verdichten Sie meiner Meinung nach aufs Vorzüglichste.
Interessant und auch beruhigend – weil noch jemand quasi vom Fach mitbeobachtet.
Aufällig für mich, nach zum ersten Mal einer zweiten Kapsel, ist, daß die „Wirklichkeitsaufweichung“ gerade unvermindert anhält, auch n a c h dem (wieder extrem tiefen) zu frühen Mittagsschlaf und sie jetzt auch auf die Konzentration übergegriffen hat. Sitzend allerdings, am Scheibtisch, legt sich der, ich schreibe mal, „Effekt“ soeben wieder etwas.
Ich werde am Abend das heutige Protokoll ergänzen. Die kommenden sechs Tage werden entscheidend sein. Es ist ja denkbar, vielleicht sogar wahrscheinlich, daß sich auch diese Reaktion jetzt mit etwas Dauer normalisiert. Falls nicht, würde ich, wenn überhaupt weiter, Pregabalin nur mit einer Kapsel täglich dosieren wollen. Es ist dies, nicht bekifft sein zu wollen, wenn ich arbeiten will, was mich auch dazu gebracht hat, das Dronabinol nur in signifikant geringeren Mengen zu nehmen, als mir verschrieben worden ist.
Vor Abhängigkeiten habe ich übrigens wenig Angst. Das betrifft auch den Alkohol. Daß ich ein wenn auch stiller Alkoholiker bin, ist aufgrunde der seit Jahren, ja Jahrzehnten in der Regel einer ganzen Flasche Wein abends schon physiologisch Fakt; dennoch macht mir der komplett alkoholfreie Monat jetzt sogar nach der Corona-Verstärkung auf anderthalb bis manchmal sogar zwei Flaschen überhaupt nichts aus; ich vermisse den Wein nicht mal. Mein Körper ist ein Wunderding (was schon die Leberwerte sagen). In schweren Zeiten wurde mir mal Lexotanil verschrieben, das ja nun berüchtigt ist, und zwar mit den Worten des Psychiaters, der mir die Packung erstmals über seinen Schreibtisch zuschob: „Das wird Ihnen helfen. Aber ich warne Sie vor der Sucht, die von dem Zeug ausgelöst werden kann. Dennoch werde ich Ihnen nicht mal empfehlen, wieviel Sie täglich nehmen. Das hätte bei jemandem wie Ihnen sowieso keinen Sinn. Fangen Sie mit einer halben oder nur viertel Tablette täglich an und steigern nach eigenem Bedarf – oder lassen es sein. Das liegt ganz bei Ihnen.“ – Mit dem Ergebnis, daß ich damals insgesamt (nach einem Suizidversuch) vielleicht zwei Tabletten aus dem Schutzstreifen drückte und einnahm und noch nach Jahren alle Tabletten in der Schachtel hatte. Da war dann das Gebrauchsdatum längst sozusagen astronomisch abgelaufen. Als ich dann, nach Jahren halt, vielleicht sogar länger als einem Jahrzehnt, doch noch mal eine brauchte, nahm ich eine halbe aus dieser alten Packung. Es funktionierte nach wie vor bestens, wobei dies auch schlicht Placeboeffekt gewesen sein kann.
Eine in der Tat schwierige Abhängigkeit ist für mich Tabak, was aber auch daran liegt, daß ich auf ihn verzichten nicht will, etwas, das bei Alkohol und jetzt eben auch Drogen anders ist. Das heißt, ich lehne geradezu instinktiv ab, was meine Arbeitsfähigkeit einschränkt. Und wenn ich doch dergleichen nehmen muß oder gelegentlich, aus Abenteuer- und Neuerfahrungslust, möchte, stehe ich sofort unter meiner strikten Selbstbeobachtung, deren Ergebnis meistens auch sofort genauso in meine Dichtung eingewoben werden, wie ich es derzeit → mit dem Tattoo tue.