| [Gesehen wurde die seit der Premiere vom 27. November 2025 dritte Vorstellung des 2. Dezembers; sie auch ist hier besprochen. Fotografien – Probefotos © : Bettina Stöß/Deutsche Oper Berlin – Applausbild (Miknevičiūtė/Tetelmann): ANH] |
Für diese Oper sind vor allem Herbert Murauers Bilder inszeniert worden, die unvermittelt „Bild“ tatsächlich werden, auch wenn und gerade weil sie Bühne auf der Bühne sind: Unvermittelt erstarren sie zu Gemälden wie von Adolf Menzel, wenn auch solchen des Fin de siècle: Wir wissen lange wirklich nicht, daß
in den großen goldnen Rahmen die Wirklichkeit gezogen ist und dort aber immer mal wieder kurz erstarrt. Zumal von Zeit zu Zeit ein, quasi, Stummfilm darüber hinweht, nicht selten nämlich als Schwarzweiß Vida Miknevičiūtė im Fokus, die der Titelheldin – eher ein Titelopfer ist sie zu nennen – eine solche Präsenz gibt:
sinnlich und verzweifelt, zugleich „geworfen“ wie hochelegant. Im Jahr 2016 für diese Frau die Garderobe zu nähen, dürfte die Königlich Schwedische Nationaloper als geradezu Erfüllung erlebt haben – wobei, nun jà, → damals sang ja Asmik Gregorian, wie knapp fünfeinhalb Jahre später → in Frankfurt am Main. Auch für sie haben, gar keinen Zweifel, Nadeln und Fäden freudengetanzt. Wobei gerade auch stimmlich, hier in Berlin, Frau Miknevičiūtė völlig da mithält, in ihrer Erscheinung sowieso. Jonathan Tetelmann hingegen, der ihren Liebes- und Haßpartner gibt, fiel für mich deutlich ab. Vielleicht scheue ich aber auch einfach übertriebene Hypes. Er ist ein guter Sänger, keine Frage, José Carreras aber nicht – so wenig, wie die seit jeher überfeierte Anna Netrebko auch nur entfernt an Renata Scotto heranreicht, um von der Callas schon aus Ehrfurcht zu schweigen. Es mag aber auch an der Rolle liegen, der er ihr die nötige, sich hinter Giordanos patriarchalem Italo-Machismo (ein „russischer“ ist es nur, wenn er weint) verbergende Gebrochenheit nicht zu verleihen weiß – szenisch wirkt er wie ein zu hoch aufgeschossener Junge, nicht etwa ein Mann; vor allem habe konnte ich sanglich nicht die Risse spüren, die diese Rolle durchziehen. Nach „Amor ti vieta“ deckte der Arienapplaus sie nur noch erst recht zu. Das war schmerzlich, nicht die Gestaltung.

Doch Christof Loys Inszenierung nimmt das nichts – meinem Dafürhalten nach einer der großen, über Jahrzehnte gültig bleibenden wie etwa für eine lange Zeit Götz Friedrichs Rosenkavalier gewesen, ebenfalls an der Deutschen Oper, oder Ruth Berghaus’ Barbiere Unter den Linden. Alleine ihre Karriere – die der Inszenierung! – spricht dafür. Und so sehr ich eigentlich kein Freund von mehrfach-Premieren an verschiedenen Häusern bin – aus wohl Kostengründen unterdessen leider wohl schon usus –, in solchen Fällen sind sie, anders als → dort, mehr als nur begründet.
Nur ist es leider nicht sehr schön, wird bereits in einer dritten Vorstellungen musikalisch geschlampt, hier in der Ouvertüre gleich. Der Dirigent hatte wirklich kurz zu tun, die Zügel anzuziehen – was, als die Szene Szene wurde, selbstverständlich aber gelang. Nur daß es Unsauberkeiten weiterhin gab, zwar nicht viele, doch vernehmbar. Ob wohl die Partitur vom Orchester ein bißchen
unterschätzt worden ist? Man hätte vielleicht mehr anproben können. Denn sie ist raffinierter, als das Ohr erstmal meint – und schreibt, im zweiten Akt zum Beispiel,wirklich grandiose Musik vor, wenn die Szene im Gemälde (der Pianist spielt im Salon) mit dem auf der vorderen Bühne geführten Dialog der Liebenden amalgamiert, Innen- und Außenwelten parallelgeführt werden. Das ist eine solch hinreißende Motiv-Verarbeitungskunst, daß sich alleine dafür die etwas mehr als zwei Stunden der Aufführung lohnen, die mit einem wirklich beklemmenden Abgesang aus Knabenstimme und dem Melos der Sterbenden endet; nicht anders schon zuvor der berührende Schluß des ersten Aktes mit Fedoras Aufschrei und dem, nach beklemmend spürbarer Stille, feierlichen Pianississimo in den untersten Lagen der Streicher.
Christof Loy tut aber mehr noch, um den Verismo als solchen wiederzubeleben: etwa, wenn Filmclips aus der Pause in den großen Bilderrahmen hineinprojeziert werden, in denen wir z.B. Frau Miknevičiūtė aus einer ihr gereichten Plastikflasche Wasser trinken sehen, im Probenpausen-Bademantel noch. Sowas ist wirklich auch nötig, weil der eigentliche Anspruch, den er, der Verismo, bei seinem Entstehen gestellt hat, von den Stücken selbst oft gar nicht mehr eingelöst werden kann. Was realistisch einst war oder gewesen zu sein scheint, ist unterdessen alles andre als das – hier vor allem, daß Graf Ipanov seinen Nebenbuhler mit Recht umgebracht hat, was Fedora ihm verzeihen läßt (und nur deshalb kann die Tragödie Tragödie auch werden). Heute wäre der Graf ein Mörder nach wie vor oder würde doch zumindest für Totschlag vor Gericht gestellt; Eifersucht, nicht einmal Liebesverlust, reicht hin für Entschuldung. Mag dies um die vorletzte Jahrhundertwende noch anders bewertet worden sein, jedenfalls ich tu mich heute damit ebenso schwer, wie daß sich Sterbeszenen qua endlos ausgewälztem Singen über alle Wahrscheinlichkeit dehnen und noch weiter-, weiter-, weiterdehnen. Da, in der Tat, ist große Darstellung vonnöten – in der Oper qua Gesang. Das ewige Hin & Her des letzten Aktschlusses auch der „Fedora“ ist nervig konstruiert genug, man könnte es sogar lächerlich finden – erklänge nicht eben der im Wortsinn ungeheure Kontrast einer gleichfalls um Verlust klagenden, doch naiven (eines Sennerbuben) Knabenstimme zur nun wissenden der reifen, vergeblich begehrenden, weil so lange von Rachewille getriebenen, aus Rachewille gefühlserblindeten Frau. Und was ist es, das der Junge singt? Was im ersten Akt noch non torna ancora hieß („kehrt noch nicht zurück“), hat sich ins „non torna più“ ergeben („kehrt nie mehr zurück“):
La montanina mia non torna più…
Es ist diese Irreversibilität, die Fedora begreift. Und wie genial von Giordano gesetzt, daß zwischen den ersten drei und den letzten drei Wörtern der Knabenklage die gesamte Operncoda spielt! Da ist, weiter zu leben, nicht länger möglich. Und, indem der Vorhang langsam fällt (Cala lentamente la tela):

Welch großer Abend insgesamt! Das Dirigat hätte vielleicht ein wenig mehr Tempo gebraucht, doch das ist allein eine Frage des Geschmacks und meines, in diesem Falle, zügellosen Musiktemperaments.
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ANH, Berlin
Dezember 2025

Noch drei Vorstellungen:
5.12., 19.30 Uhr → Karten
7.12., 17 Uhr → Karten
10.12., 19.30 Uhr → Karten
Umberto Giordano
F e d o r a
Melodramma in drei Akten nach einem Libretto von Arturo Colautti, basierend auf Victorien Sardous Theaterstück „Fédora“
Uraufführung am 17. November 1898 am Teatro Lirico in Mailand
Premiere an der Königlich Schwedischen Nationaloper am 10. Dezember 2016
Premiere am Opernhaus Frankfurt am Main am 3. April 2022
Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 27. November 2025
1 Stunde 45 Minuten / Keine Pause
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Inszenierung Christof Loy Szenische Leitung Anna Tomson Bühne, Kostüme Herbert Murauer
Licht Olaf Winter Video Velourfilm AB Chöre Thomas Richter Dramaturgie Konstantin Parnian
Vida Miknevičiūtė – Julia Muzychenko – Jonathan Tetelman, Rodrigo Garull (07 & 10.12.2025)
Navasard Hakobyan – Arianna Manganello – Matthew Peña – Michael Dimovski – Artur Garbas
Volodymyr Morozov – Tobias Kehrer – Michael Bachtadze – Chris Reynolds
Solist*innen des Kinderchores der Deutschen Oper Berlin
Benjamin Dickerson – Simon Grindberg – Andrea Spartà – Hanno Jusek – Maximilian Reisinger
Niall Fallon – Koray Tuna | Chor der Deutschen Oper Berlin – Orchester der Deutschen Oper Berlin
John Fiore
