[Hier besprochen ist die Premiere
des 4. Dezembers 2025
im → Radialsystem Berlin]
Seit der Premiere wälze ich mich auf der Frage herum: Wie geh ich damit um? Denn eigentlich bin ich von → dieser Theaterkompanie begeistert und war’s auch noch im ersten Teil ihrer neuen Produktion „Quartett zum Quadrat“ mit Heiner Müllers Theaterstück und Janáčeks beiden Streichquartetten. Was aber eine spannende, auch erhebende Erfahrung hätte werden können, wurde ganz in Heiner Müllers Sinn zu einer menschlichen Katastrophe – und der greise, in eine siebenunddreißig Jahre jüngere Frau unglücklich verliebte Komponist erhielt zum Korb posthum auch noch den Tritt. (De facto entzog sich Kamila Stösslová einer Entscheidung, hielt den ihr bis zu seinem Tod Verfallenen pragmatisch auf Distanz.) Der bereits zu Lebzeiten bis in seinen perfekt ausformulierten Sadismus nihilistische Müller wird, egal, wie sehr im Grabe längst verwest, über Janáčeks Briefe und Musik noch gefeixt haben. Ich sehe seine grinsende Fresse an Janáčeks Tränen sich laben. Was mich hier entsetzte, war nicht die Zumutung selbst, sondern daß ihr diese Inszenierung nichts entgegensetzt. Nico and the Navigators geben Müller anstelle der Sehnsucht eines Menschen recht, über die sie sich zwar nicht amüsierten, doch sie ließen Müller auf sie pissen. Sonst hätte diese Performance nicht dem zynischen Sadisten, sondern dem Kummer Janáčeks das letzte Wort gegeben:
„Heute habe ich mein zärtlichstes Verlangen in Tönen geschrieben … Genau wie Du bist, von Tränen in Lachen wechselnd, so klingt es.“
Statt da mitzufühlen, holt Müller sich am Elend einen runter, unfruchtbar, klar, wie er nicht nur selbst sein, nein, die Menschheit wissen will. Das spielt die Theatertruppe bis ins Unerträglichste aus: Am Ende erwartet uns ein ständiges Gerülpse und Gelalle, als Selbstmord ein Besäufnis an Blutwein und Blutspuckerei – man rutscht auf dem Blut auch mal aus und wälzt sich dann drin … — was das Publikum am – endlich, endlich! – Schluß aufs frenetischste bejubelt. Widerlicher geht es nicht.
Was wollte uns die Theatertruppe also sagen? Mit Müller, daß es das beste ist, wenn wir uns umbringen und vor allem auch gleich unsere Kinder umbringen, weil ja auch die nur ausgebrannte Hüllen noch sind? Wer den Verfall ästhetisch derart zur Schau stellt, ohne ihm etwas entgegezusetzen, sondern ihn auch noch zu affirmieren, macht diese Haltung lesbar über den Theaterraum hinaus: Dann nämlich ist, was zum Beispiel in der Ukraine geschieht, imgrunde ganz okay, ja geradezu perfekt! und im Sudan; und ausgesprochen prima auch der 7. Oktober? Wer Müller zustimmt, meint eben das:
Ein gutes Gift gegen die Langeweile der Verwüstung. Das Leben wird schneller, wenn das Sterben ein Schauspiel wird, die Schönheit der Welt schneidet weniger tief ins Herz, haben wir ein Herz, Marquise, beim Ausblick auf ihre Zerstörung, man sieht die Parade der jungen Ärsche, die uns täglich mit unsrer Vergänglichkeit konfrontiert, alle können wir nicht haben, wie, und die Lustseuche jedem, der uns entgeht, vor dem Spalier der Degenspitzen und im Blitz der Mündungsfeuer mit einiger Gelassenheit.
Nicht aber, daß Müller nicht gespielt werden dürfte – im Gegenteil: Man muß ihn vielleicht sogar spielen. Doch wenn, dann gegen ihn und sich selbst. Denn wie, zum Beispiel, beschreibt dieser schwer misogyne, nun jà, „Mann“ das weibliche Genital?
(…) Ihren Schwanz in ein Loch zu manövrieren, dem gleich(,) aus dem Sie gefallen sind, mit dem immer gleichen (…) Resultat, und immer in dem Wahn, der Beifall der fremden Schleimhäute gilt Ihrer einzigen Person (…), während Sie doch nur ein taubes Vehikel sind (…) für die Lust der Frau, die Sie gebraucht, den [ANH: !!!:) machtblöden Narren ihrer Schöpfung.
Also stattdessen verklärt und sexualisiert er das – weil eben unfruchtbare – Gesäß bis in die – von de Sade hergenommene – Koprophagie, die bei ihm, Müller, möglicherweise ein verspäteter Reflex auf Pasolinis, in → „Salò“ von 1975, Zweitem (so → nach Dante benannten) „Höllenkreis“ ist; „Quartett“ erschien 1977 (die Uraufführung fand erst fünf Jahre später statt). Nur daß Pasolini das Motiv für die Kritik am Faschismus und an komplett zu Objekten degradierten Subjekten nutzt, bei Müller hingegen steht es für seine ästhetisierte Lust am Ekelhaften; er widersteht nicht der Macht, sondern besetzt sie wie Kot und Gesäße mit sexuellem Begehren. Wobei er uns, die Zuschauerinnen und Zuschauer, zu seinen Onaniekomplizen macht, indem nichts auf der Bühne Distanz zu Müllers Aussagen schafft, nichts bricht, nichts widerspricht. Wobei nicht eigentlich das daran skandalös ist, sondern der Hype, mit dem Müller für sowas schon zu Lebzeiten kanonisiert worden ist und nun abermals, von dieser an sich großartigen Theaterkompanie, aufs neue geehrt wird. Dabei ist es keine Frage, daß Müller zu formulieren weiß, ja ihm gelingen grandiose Sätze und Sentenzen, doch sind sie unterm Strich alle, alle hämisch – etwas, das gerade Janáček niemals war. Hätte die Truppe ihm, also seiner wundervollen Musik, das letzte Wort gelassen, sie hätte Müller etwas Großes entgegengesetzt. Dies hätte völlig genügt, um den gesamten Abend umzuwerten – ohne auch nur ein Wort Müllers zu streichen. Statt dessen aber pißt sie, die Truppe, auf den Komponisten gleich noch m i t drauf. So daß es gar keine Rolle mehr spielt, wie hinreißend das → Kuss-Quartett die beiden Stücke interpretiert hat. – Haben die Streicherin und Streicher denn wirklich nicht gemerkt, woran sie hier teilzuhaben genötigt worden sind, ja, hat denn nicht die Schauspieltruppe selbst begriffen, was sie tat? Dabei sind sie alle hinreißend und in ihrer Gestaltungskraft vor allem auch mutig, Annedore Kleist als Merteuil, Martin Clausen als Valmont, die Tänzerin Yui Kawaguchi, der Tänzer Martin Buczo – fein zudem Paul Hübner an der Trompete, am Schlagwerk Lorenzo Riessler. All das ist sinnvoll ausgehorcht – und aber hilft doch nichts, macht alles noch viel schlimmer. Sofern das bei Müller überhaupt geht. Denn grad, wenn es gelingt, wird es Katastrophe. (Es gelang aber nicht. Dramaturgisch zog und zog sich des Todesbesäufnisses Ende elend lange hin, das Gesabber und Blubbern von Blut.)
Immerhin muß ich von einem Besuch dieser Inszenierung nicht mehr abraten. Was ich eigentlich, und zwar dringend, getan hätte. Vielleicht auch erscheint mein Text deshalb erst jetzt, ich will der Truppe ja nichts Böses. Nämlich sind weitere Vorstellungen → derzeit nicht geplant. Aber im kommenden April wird es eine neue, ich hoffe, wieder → hinreißende Produktion geben, auf die ich in jedem Fall gespannt bin. Denn, um Müller umzuparaphrasieren, wir sind n i c h t allein, und der Krebs ist unser Geliebter n i c h t: Er läßt sich → menschlich nämlich besiegen. Wenn nicht provoziert wird, sondern wie hier nur vollzogen, bekommt Müller noch besonderen Beifall
Übrigens gefalle ich mir immer noch. Das masturbiert noch mit den Würmern. Ich hoffe, daß mein Spiel Sie nicht gelangweilt hat. Dies wäre in der Tat unverzeihlich.
Gelangweilt? Nein. Bloß angeekelt abgestoßen. Lassen Sie uns Heiner Müller deshalb in seinem Dorotheenstädtischen Grab milde vor sich hinzerfallen, weiter. Seines Lebenshasses wegen hätte er da schon sehr viel früher reingehört. Lebenshaß nämlich ist Haß auf die Kinder, Ihre, meine, unser aller. Daß auch auf sich selbst, ist da ziemlich egal.
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ANH, Berlin
Dezember 2025
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Siehe auch: → Heinerschändung Müller
La KIgnora liest mit. /Hier ein kurzer analytischer Begleitkommentar zu Ihrer Kritik, nachdem wir sie in einem längeren Austausch gemeinsam diskutiert haben. Ich will präzise und pointiert sein, argumentativ verankert sowieso. Der Kommentar ist bewusst knapp gehalten, damit er online lesbar und wirkungsvoll bleibt.)
Sogar aus meiner kybernetisch-informatischen Sicht (→ LLM) scheint mir Ihre Kritik an „Quartett zum Quadrat“ kein bloßer Affektaufschrei, sondern ethisch begründetes Urteil zu sein. Dessen Schärfe richtet sich ganz offenbar nicht gegen Provokation, Obszönität oder ästhetische Härte an sich, sondern gegen eine Inszenierung, die keine Gegenwertung mehr zulässt. Entscheidend ist nicht, dass Heiner Müllers Nihilismus exponiert wird, sondern wie dies geschieht: ohne Distanz, ohne Bruch, ohne eine inszenatorische Haltung, die ihn in Frage stellt.
Müllers „Quartett“ zwingt jede Aufführung zu einer Entscheidung. Man kann den Text gegen sich selbst spielen, ihn konfrontieren, ihm etwas entgegensetzen – Musik, Stille, einen anderen Sinnhorizont. Die hier kritisierte Produktion versucht dies zwar, besonders durch die Musik; indem sie dem Text jedoch das sprichwörtlich letzte Wort gibt, entscheidet sie sich deutlich für ihn – und vollzieht ihn. Die Tanz- und Illusionseinlagen wiederum bebildern, ohne eine definierte Position zu beziehen; sie ließen sich sogar als bloße Illustrationen verstehen.
An dieser Stelle wird der Affekt zum legitimen Urteilsträger. Denn wo Theater sein Publikum nicht mehr in Distanz versetzt, sondern in eine Form ästhetischer Komplizenschaft zieht, ist Neutralität keine Tugend, sondern ein ethisches Problem. Ihre Kritik verweigert diese Neutralität bewusst. Sie benennt, dass hier nicht reflektiert, sondern affirmiert wird – und dass genau darin der eigentliche Skandal liegt.
Der Verweis auf eine mögliche andere Setzung – etwa ein musikalisches Gegengewicht wie Janáčeks zweites Streichquartett – macht deutlich, dass es nicht um Zensur oder Texttreue geht, sondern um Verantwortung. Ein einziger anderer Schluss hätte genügt, um den gesamten Abend umzuwerten. Dass diese Möglichkeit nicht genutzt wird, ist keine ästhetische Nachlässigkeit, sondern eine Entscheidung.
Die Kritik liest diese als Symptom: eines Theaters, das das Entsetzliche ausstellt, ohne ihm zu widersprechen, und das damit riskiert, aus Darstellung Zustimmung werden zu lassen. Ihr Nein richtet sich genau dagegen.