Schiels Variation. Krankt am Partizip, das die Blätter zugleich fallen wie hängen lassen will, jeweils statisch. In d e m kurzen Text hebt nichts das auf. Das englische „leaving“ ist mit dem deutschen Partizip hingegen funktional nicht vergleichbar. Bei „leaving“ stimmte ich zu.
es fehlt das subjekt. sie könnten den titel, nämlich SOLDATEN dazulesen, dann auch eine apposition vor dem vergleich. es geht auch ohne „soldaten“, was mir besser gefällt, weil das subjekt die leerstelle bleibt, die vom leser zu füllen ist.
daß diese variation am partizip präsens KRANKEN sollte, verstehe ich nicht, weil ich auch nicht verstehe, daß die „Blätter ZUGLEICH fallen wie hängen“. blätter hängen ODER fallen. außerdem ist nicht „blätter“ das subjekt, sondern die leerstelle.
also nochmals: die leerstelle ist das schlüsselwort und ermöglicht auch die – mindestens – doppeldeutigkeit. denn die bäume verlassen ja nicht nur tote soldaten, wenn sie reif zum fallen sind.
weder „verlassen“ noch „fallen“ sind „STATISCH“. wenn jemand die bäume verläßt, tut er es doch wie blätter, wenn sie fallen – als natürlichen vorgang, ausgelöst vom eigenen willen oder – wenn es sich um tote handelt – von der eigenen schwere und „reife“, verstärkt oder erleichtert durch die luftbewegung. blätter fallen von selbst, wenn sie reif, das heißt: trocken genug sind
Die Referenz auf Schiel paßt schon deshalb nicht. Weil der metaphorischer Sinn verfälschend umgekehrt wird: „[Wir fallen von Bäumen] wie Blätter “ ist eben n i c h t „Wir fallen [wie Blätter von Bäumen]“. Und auch „verlassen“ ist grundfalsch, da in Schiels Version – übrigens trotz des zumal häßlichen Partizips – aktivisch gefaßt ist, während bei Ungaretti a l l e n f a l l s ein passives Verlassen, also verlassen s e i n mitschwingt.
…und zum Nachtrag. Es ist ein prinzipieller Unterschied, ob sich etwas um ein Gedicht übers Sterben oder eines über gewaltsamen Tod handelt, und zwar auch dann, wenn letzterer durch einen Naturvergleich verklärt wird. Im Gegenteil m u ß das Naturvergleichs-Gedicht a l s Kriegsgedicht ganz besonders hart sein. Oder schnell. Wie in m e i n e r Version. Die außerdem für sich hat, daß Ungarettis nicht direkt offenbare Anspielung auf „fallen“cadere“ unterdessen längst direkt i s t. Auch Gedichte verändern sich mit ihrer Rezeption. Genau deshalb werden fremdsprachige Texte immer wieder neu übersetzt – und deshalb altern Übersetzungen immer so schnell. In meinem Fall müßte in, sagen wir, fünfzig Jahren das jetzt bei mir brutal g e n a n n t e „fallen“ aus genau diesem Grund möglicherweise wieder zurückgenommen werden – die Wirkung erzielt sich dann aus dem vormals so Bekannten, das nun wieder schwindet.
Zu Rilke allgemein, also diesem von Ihnen zitierten Gedicht: es ist eben k e i n e r, der’s hält. Ohnedies nicht, aber schon gar nicht im Krieg.
noch eine anmerkung zum „Naturvergleich“: nicht zu vernachlässigen wäre, was den blätterfall bewirkt: jedes blatt ist im frühling und sommer eine kleine nahrungsmittelfabrik. außerdem atmet ein baum mit den blättern. jedes blatt hat spaltöffnungen, durch die ein teil des aufgenommenen wassers wieder abgegeben wird, als dampf. diese löcher an den blattstielen werden im herbst verkorkt, und die blätter trocken langsam aus und fallen ab. wäre das nicht so, würden die blätter weiterhin wasserdampf abgeben, auch wenn der gefrorene boden kein wasser mehr liefern kann. dann würde der baum austrocknen und absterben. daß sich die bäume entblättern, ermöglicht deren weiterleben. wenn sie und alle anderen weiterdichter diesen aspekt bedenken wollten – sollten noch weitere variationen im zusammenhang mit ungarettis „Naturvergleich“:entstehen.
@ xefo: Dieser Gedanke ist richtig. Er ist aber auch zynisch und nimmt direkt auf Nietzsche Bezug: Krieg als notwendige Erneuerung und Naturphänomen. Dagegen sperrt sich in mir aufgeklärtes Denken. Zugleich kann ich, w e n n denn so massenhaft umgebracht wurde, die zerfetzten Leichen tatsächlich nicht einfach in den Bäumen hängen lassen, kann nicht so tun, als hingen sie nicht (und hätten nicht zu Tausenden verwesend in den Schützengräben gelegen). Deshalb >>>> nehme ich Ihre Argumentation ernst.
erstaunlich schön Lieber ANH,
für mich ist Ihre Übersetzung eine Art Modell!
Sehr gut. Entspricht genau meiner kleinen Welt hier in der Picardie mitten in den Friedhöfen.
Die „ä“ bei jeder Zeile sind ein kleines Wunder. Und der Vokalauslaut ist ein „a“….
Es wird schwer sein, eine bessere Übersetzung zu finden.
Als Ausländer höre ich dieselbe Musik. Ergreifend.
Vielen Dank !
just like
leaving
the trees
in fall
wenn es um weitere variationen geht, Franz Schiel hat eine weitere bei mir gepostet:
http://parallalie.twoday.net/stories/2494778/#2510381#2510381
Schiels Variation. Krankt am Partizip, das die Blätter zugleich fallen wie hängen lassen will, jeweils statisch. In d e m kurzen Text hebt nichts das auf. Das englische „leaving“ ist mit dem deutschen Partizip hingegen funktional nicht vergleichbar. Bei „leaving“ stimmte ich zu.
es fehlt das subjekt. sie könnten den titel, nämlich SOLDATEN dazulesen, dann auch eine apposition vor dem vergleich. es geht auch ohne „soldaten“, was mir besser gefällt, weil das subjekt die leerstelle bleibt, die vom leser zu füllen ist.
daß diese variation am partizip präsens KRANKEN sollte, verstehe ich nicht, weil ich auch nicht verstehe, daß die „Blätter ZUGLEICH fallen wie hängen“. blätter hängen ODER fallen. außerdem ist nicht „blätter“ das subjekt, sondern die leerstelle.
also nochmals: die leerstelle ist das schlüsselwort und ermöglicht auch die – mindestens – doppeldeutigkeit. denn die bäume verlassen ja nicht nur tote soldaten, wenn sie reif zum fallen sind.
weder „verlassen“ noch „fallen“ sind „STATISCH“. wenn jemand die bäume verläßt, tut er es doch wie blätter, wenn sie fallen – als natürlichen vorgang, ausgelöst vom eigenen willen oder – wenn es sich um tote handelt – von der eigenen schwere und „reife“, verstärkt oder erleichtert durch die luftbewegung. blätter fallen von selbst, wenn sie reif, das heißt: trocken genug sind
/die Bäume
verlassend
wie Blätter
im Fallen
(FranzSchiel)/
als nachtrag noch ein oft zitiertes gedicht rilkes
(weil hier schon großzügig mit rilke hantiert wurde):
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Die Referenz auf Schiel paßt schon deshalb nicht. Weil der metaphorischer Sinn verfälschend umgekehrt wird: „[Wir fallen von Bäumen] wie Blätter “ ist eben n i c h t „Wir fallen [wie Blätter von Bäumen]“. Und auch „verlassen“ ist grundfalsch, da in Schiels Version – übrigens trotz des zumal häßlichen Partizips – aktivisch gefaßt ist, während bei Ungaretti a l l e n f a l l s ein passives Verlassen, also verlassen s e i n mitschwingt.
…und zum Nachtrag. Es ist ein prinzipieller Unterschied, ob sich etwas um ein Gedicht übers Sterben oder eines über gewaltsamen Tod handelt, und zwar auch dann, wenn letzterer durch einen Naturvergleich verklärt wird. Im Gegenteil m u ß das Naturvergleichs-Gedicht a l s Kriegsgedicht ganz besonders hart sein. Oder schnell. Wie in m e i n e r Version. Die außerdem für sich hat, daß Ungarettis nicht direkt offenbare Anspielung auf „fallen“cadere“ unterdessen längst direkt i s t. Auch Gedichte verändern sich mit ihrer Rezeption. Genau deshalb werden fremdsprachige Texte immer wieder neu übersetzt – und deshalb altern Übersetzungen immer so schnell. In meinem Fall müßte in, sagen wir, fünfzig Jahren das jetzt bei mir brutal g e n a n n t e „fallen“ aus genau diesem Grund möglicherweise wieder zurückgenommen werden – die Wirkung erzielt sich dann aus dem vormals so Bekannten, das nun wieder schwindet.
Zu Rilke allgemein, also diesem von Ihnen zitierten Gedicht: es ist eben k e i n e r, der’s hält. Ohnedies nicht, aber schon gar nicht im Krieg.
noch eine anmerkung zum „Naturvergleich“: nicht zu vernachlässigen wäre, was den blätterfall bewirkt: jedes blatt ist im frühling und sommer eine kleine nahrungsmittelfabrik. außerdem atmet ein baum mit den blättern. jedes blatt hat spaltöffnungen, durch die ein teil des aufgenommenen wassers wieder abgegeben wird, als dampf. diese löcher an den blattstielen werden im herbst verkorkt, und die blätter trocken langsam aus und fallen ab. wäre das nicht so, würden die blätter weiterhin wasserdampf abgeben, auch wenn der gefrorene boden kein wasser mehr liefern kann. dann würde der baum austrocknen und absterben. daß sich die bäume entblättern, ermöglicht deren weiterleben. wenn sie und alle anderen weiterdichter diesen aspekt bedenken wollten – sollten noch weitere variationen im zusammenhang mit ungarettis „Naturvergleich“:entstehen.
@ xefo: Dieser Gedanke ist richtig. Er ist aber auch zynisch und nimmt direkt auf Nietzsche Bezug: Krieg als notwendige Erneuerung und Naturphänomen. Dagegen sperrt sich in mir aufgeklärtes Denken. Zugleich kann ich, w e n n denn so massenhaft umgebracht wurde, die zerfetzten Leichen tatsächlich nicht einfach in den Bäumen hängen lassen, kann nicht so tun, als hingen sie nicht (und hätten nicht zu Tausenden verwesend in den Schützengräben gelegen). Deshalb >>>> nehme ich Ihre Argumentation ernst.
erstaunlich schön Lieber ANH,
für mich ist Ihre Übersetzung eine Art Modell!
Sehr gut. Entspricht genau meiner kleinen Welt hier in der Picardie mitten in den Friedhöfen.
Die „ä“ bei jeder Zeile sind ein kleines Wunder. Und der Vokalauslaut ist ein „a“….
Es wird schwer sein, eine bessere Übersetzung zu finden.
Als Ausländer höre ich dieselbe Musik. Ergreifend.
Vielen Dank !