Persönliche Ängste: in Literatur g e b a n n t. Objektivierung. Argo. Anderswelt. (250).

Daß ich ‚spinnte’, war sicher nicht ganz der geeignete Begriff, und zwar auch für Cordes nicht, der deutliche Anzeichen einer sich zumindest abzeichnenden Psychose entwickelte, jedenfalls in den Augen seiner Freunde. Derweil Hans Deters, nahezu vollständig in die Realität zurückgekehrt, in den Armen Judith Hedigers endlich eine, sagen wir, quasi-bürgerliche Existenz begann; daß ausgerechnet in den ihren, u n t e r s t r e i c h t das ‚nahezu’, aber nur für uns, die wir wissen, aus welcher… nun ja, Sphäre sie stammt. Jedenfalls hielt sie sich, wurde nach einem Jahr schwanger, und die beiden gründeten einen Hausstand, den weder ein Wasserrohrbruch noch jemals mehr eine Diskette gefährdete. Der schlimme Alltag allerdings, der tägliche Einkauf, das permanente beieinander-die-Zähne-putzen, die Steuererklärung, die Hypotheken und die Existenz eines Fernsehgeräts ließen vielleicht auch diese Liebe zerfallen wie Pilze auf der Chandoszunge der Wirklichkeit, vielleicht aber auch nicht – wir wissen es nicht und wollen’s nicht wissen, denn jede Betrachtung ist Eingriff. Nur dieses noch sei erzählt: daß ich hörte, Deters sei zurück nach Frankfurtmain gezogen und habe seine alte Tätigkeit an den Börsen wiederaufgenommen. Was seine Partnerschaft ebenfalls nicht wenig belasten dürfte.
Cordes wiederum – ich beobachtete es, aus den genannten Gründen hilflos, ich m u ß t e einfach vorsichtig sein… – Cordes also sah überall Anzeichen einer anderen Welt in die unsere hinüberbrechen, er hatte tiefe Angst; schließlich ging er kaum noch außer Haus. Eine irrationale, wahnhafte Angst nannten es die anderen, eine existentielle er selber. Und die Frau, um die er sich so sorgte, strengte wegen des gemeinsamen Kindes, um dessen Schicksal er noch entschieden mehr bangte, ein Sorgerechtsverfahren an, das er verlor. Früher hätte er gekämpft, jetzt hielt er aus, nicht unähnlich mir in meinem Bamberger Schlupfwinkel, meiner, wenn man so will, social splendid isolation. Das Kind kam weniger und weniger zu ihm; wahrscheinlich fing der Junge sich tatsächlich zu fürchten an vor dem unrasierten, schließlich vollbärtigen wirren Vater, der an der Beweislast für etwas schleppte, das nicht zu beweisen i s t. So offenbar es ihm auch vorkam. Der wortkarg wurde, seine Arbeit schleifen ließ, bis die Schuldenlast so angewachsen war, daß er vor ihr nur noch flüchten konnte. Der dann also fortging, alleine, irgendwohin; schifft sich auf eine andre Thetis ein, findet einen andren, viel ferneren Unterschlupf als ich und geht dort langsam, so schweigend wie düster, unsren Blicken verloren. So seh ich’s kommen.

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