Ein Freund schreibt:
ich habe das schon begriffen, was du im netz da machst. aber ich weiß, wie eine solche seite rezipiert wird, sehe es ja an mir: ich habe heute auch das erste mal richtig zeit gehabt, darauf spazierenzugehen. und das ding ist ja weit verzweigt, und vieles ist drauf, das mich nicht so interessiert (ist aber für den kontext wichtig). *** wird es nicht anders gehen: der klickt sich durch, schnappt einen halbsatz auf, den er klasse findet, dann einen, den findet er beschissen, und schon ist er in der nächsten rubrik, dann klingelts telefon (…) … wenn unsereins chat und weblog liest, ist er erst mal thematisch bei was anderem als bei ernsthafter literatur. du setzt da einfach zuviel voraus.
Woraus wiederum Die Dschungel begreifen, wie riskant ihr Unternehmen ist, nämlich wie doppelgesichtig. B l e i b e n die Romane – und in diesem Fall besonders die Anderswelt-Bücher -, dann werden Die Dschungel eine große Bedeutung haben; vergißt man die Romane aber, dann liegt die Gefahr direkt an den Fingerspitzen, daß das Literarische Weblog bloß lächerlich ist – oder peinlich, je nach Perspektive. Genau auf dieser Mitte ist zu balanzieren, und jederzeit kann der Sturz in die Tiefe gehn. Man muß das aushalten können. Narr zu sein oder Prophet. Vielleicht erfährt man nie, was man war; vielleicht ist es auch nicht wichtig. Denn man ist es nicht, weil man eines von beiden tatsächlich w ä r e, sondern weil nicht genau gelesen wird.
Einspruch oder: Machen Sie mal halblang. Sie waren und Sie sind in Ihrer Einschätzung der Bedeutung aller Einträge vor und neben den Romanen weiter, und das auf einem Niveau, das ich für stabil halte. Ein bisschen Regression hin und wieder muss drin sein. (Der Einspruch bezieht sich auch auf aktuelle Tagebuch-Einträge.) Wer hier in Gefahr ist, sich lächerlich zu machen, sind allenfalls die Rezipienten. – Man kommt nicht umhin, beides zu sein, Narr u n d Prophet. (Eigentlich müsste hier stehen: Prophet und Narr, was aber dem “und” die Betonung nähme.) Argo könnte vielleicht ohne Literarischen Weblog auskommen, nicht aber umgekehrt. Manchmal muss man einen Autor gegen sich selbst in Schutz nehmen.
Poetische Texte im Netz. Rezeptionstheorie. Eine Antwort. Danke für den Schild. Ich nehme von meiner Einschätzung auch keinen Abstand, relativiere sie allerdings, d.h. lege sie an verschiedene Bezugssysteme an. Innerhalb eines mit dem kybernetischen Raum, mit der post- und nachpostmodernen Informationstheorie vertrauten Rahmens und innerhalb der Weblog-communities sowieso müssen Die Dschungel von ihren Positionen tatsächlich nicht abrücken; da werden sie in jedem Fall – gleich, ob zustimmend oder ablehnend – verstanden. Anders ist das im Fall des Literaturbetriebs, ja des “Normal”lesers von Belletristik (der zu 70 % bekanntlich Leser i n ist, was meinen vorgeblichen Machismo so heikel macht): Hier bestehen gegenüber Netz- und vor allem Weblog-Publikationen die allergrößten Vorbehalte, wie aus der Mail meines Freundes ja sehr deutlich wird. Es sind Vorurteile, darüber müssen wir nicht steiten, und sie haben fast den gleichen Charakter der Vorbehalte, die noch vor fünfzehn Jahren die Haltung gegen Computertechnologie in den Verlagshäusern insgesamt kennzeichnete. Suhrkamp etwa nahm noch bis Anfang der Neunziger von Autoren keine Disketten an, sondern bestand rigoros auf der Papierform. Erst allmählich wurde offenbar, welche auch ökonomischen Nachteile man sich dadurch ganz eigenhändig bereitete. Aber die belletristische Literatur ist in die Jahre gekommen und konservativ wie ein altgewordener Mensch; man möchte seine Gewohnheiten behalten. Darüber wäre seitens Der Dschungel leicht und nachsichtig lächelnd hinwegzuschreiten, wäre ich nicht bei aller Gegenerschaft letztlich auf diesen Literaturbetrieb existentiell und sozial doch immer bezogen; um es härter zu sagen: Ich bin von ihm abhängig, insofern ich von meiner poetischen Arbeit leben möchte. Daß das zur Zeit nicht mehr geht, offenbaren die letzten DTs so freimütig wie knirschend. Dennoch bleibe ich auf den Literaturbetrieb und die Leser angewiesen, die sich nicht unähnlich verhalten. Selbst in meinem nahen literarischen Freundeskreis werden Die Dschungel kaum regelmäßig verfolgt, immer wieder höre ich, daß “man” es schwierig finde, zusammenhängende Texte am Bildschirm zu lesen, und zwar oft von denselben Leuten (etwa Kollegen), die ihre ebenfalls oft sehr langen Texte längst am Bilschirm verfassen, sie dort also, korrekturhalber etwa, durchaus auch lesen. Die Rezeption fremder poetischer Texte scheint in der Sozialisation ausgesprochen ans Material (ich möchte es analytisch “an den Fetisch” nennen) gebunden zu sein. Mit Dichtung ist immer noch der verklärte Blick verbunden, der das Biedermeier halb lächelnd, halb weinend aus dem Schaukelstuhl sinnierend vom Buch auf- und in den Garten hinaussehen läßt. Damit wir uns richtig verstehen: Das ist nicht m e i n e Haltung und ist es von frühauf nie gewesen, ich selbst habe immer an einem Schreibtisch sitzend lesen müssen (oder auf Toilette), anders ging es nicht; der Fokus war stets der Text, nie der Garten (und auch nie das Bett; ich muß mich mit einem Buch vor mir nur ausstrecken und schlafe sofort ein). Das geht aber den meisten Lesern, auch professionellen, völlig anders. Insofern ich nun auf diese Leser zielen m u ß (es sind sehr viele g u t e Leser darunter), sind einige Maximen Der Dschungel zu relativieren. Diesen Lesern macht das gleiche, was sie bei etwa Ernst Jünger in den Tagebüchern hinnehmen – oder bei Powys, selbst beim hochkontrollierten Th. Mann, auch einiges aus Kafkas Tagebüchern und Briefen ließe sich aufzeigen – , in einem Weblog peinigend unangenehm, und deshalb finden sie es ridikül. Als Autor, der Bücher publiziert und sich nicht rein auf eine Netzgemeinde stützt noch stützen w i l l, habe ich das sehr bewußt zu reflektieren und muß mir der Risiken bewußt sein, in die ich mit Den Dschungeln laufe. In diesem Zusammenhang entstand der obenstehende Eintrag, auf den Sie sich beziehen.