Argo. Anderswelt. (99).

Das Ferkel sah auf dem Screen ziemlich deutlich dasselbe wie Brem: Da braut sich etwas zusammen, sehr dunkel, wolkig, nicht mehr nur wie am Horizont, sondern schon tief übers Land hergeschoben. Wie wenn du merkst, da stimmt was in einem System nicht, der CPU ist überlastet, arbeitet auffällig langsam, dauernd rasen sich Befehle, die nicht von dir sind, durch den Arbeitsspeicher, da greift was von draußen durchs Netz auf deine harddisc zu, Dämonen Trojanische Pferde, der ganze überalterte Mythos wird in den kybernetischen Viren viril. Dann beginnt sich der Bildschirm zu entblättern, er zieht sich die Bits aus wie Schuhe wie Nylons rollt er sie runter, und etwas spricht aus den Boxen, sehr freundlich, charmant fast, der erotische Tonfall rührt dich am Herzen: „Guten Tag, ich bin Niam Goldenhaar. Man nennt mich das Heilige Kind. Ich bin geschickt, Ihr System zu zerstören, und schlage, da Sie sich nicht wehren können, vor, daß Sie es genießen. In so etwas sind Sie, ich weiß, ziemlich gut. Also lehnen Sie sich zurück und schauen Sie zu. Ich werde Ihretwegen langsam machen. Haben Sie einen Wunsch? Wo soll ich beginnen? Wenn mit Ihren eigenen Dateien, dann drücken Sie jetzt auf den Buchstaben a. Wenn mit Ihren eigenen Bildern, dann auf b. Wenn mit den eigenen Mediendateien, dann auf c.“ Undsoweiter. Sprachlos sitzt du da und starrst diesen vermaledeiten Bildschirm an, der auf keine anderen Befehle mehr reagiert als auf die, die sich jetzt, in unbeholfen wirkender Programmierschrift, langsam, ja süffisant in die Flüssigkeitskristalle schreibt: Eine semantisch ungeordnete Liste, doch in a bis o unterteilt. Hektisch schlägst du auf die Tastatur, wobei du das Omegaalpha vermeidest, das den Katechismus deiner binären Existenz derart unvermittelt bedroht. Indem sich nämlich zugleich die Musikgeschichte aufs Hänschenklein zurückdekliniert und obwohl du in Panik den Netzstecker ziehst, erlöschen in Krankenhäusern die Lichter, die Ampelanlagen am Kudamm gehen aus, schon die auf dem Potsdamer Platz, Satelliten stellen den Funkverkehr ein, Schiffe laufen mit aller übrigen Infrastruktur auf Grund. Nirgends mehr klärt sich das Wasser. Deshalb sackt auch die privateste Welt, als drückte jemand oben gegen den Schrank, und der f ä l l t nicht, sondern l e g t sich um, ganz sanft, ein Luftkissen gibt unter der kippenden Rückplatte nach, man kann es aus ihm fein herauszischen hören, und der ganze Schrank, wie in einen Morast, den man nicht sieht, versinkt. Das geht lautlos vor sich, denn die Stimme ist in den Lausprechern verstummt. Lautlos schwappt über dem Schrank ein zähes Nichts zusammen, und über dir. Weil auch du wegsinkst, erst ein Opalisieren unter den Lidern, dem schwarze Tinte folgt, die ist dir von innen auf die Augen gegossen, in Točná goß sie, eine noch unsichtbare, im Versmaß gebundene Flüssigkeit, die erst das Tageslicht verfinstert, der Achäer über seine Zuhörer aus.

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