Das IchKommeGarNichtRichtigZumArbeiten-Journal des Dienstags, dem 3. September 2013. Von ruhiger fast heiterer Ergebung.

11.30 Uhr:
[Arbeitswohnung-]

Komme gar nicht zum Arbeiten heute, sondern blättere und blättere in Argo und lese mich immer wiedere mal fest, lese ein Stück, schlage weiter, lege >>>> das Buch beiseite, versuche, was anderes zu tun, nehme es wieder vor, lese wieder darin.Das schrieb ich eben an UF. Aber ich hatte schon was tun wollen. Da kam ein Anruf लक्ष्मीs herein: Erziehungsfragen, die sie beschäftigen, auch ein bißchen wehtun. Einige Zeit gesprochen. Außerdem ist sie neugierig auf das neue Buch. Heute abend will sie mit den Zwillingskindern vorbeikommen, die letzte Woche ihr Seepferdchen gemacht haben. Das geht jetzt alles an mir vorbei, ich bin nicht wirklich mehr Teilnehmer. Manchmal schmerzt das noch ein bißchen, auch wenn ich es unterdessen, pragmatisch wie ethisch, ganz in der Ordnung so finde – in Ordnung und auch lebensklug. Wieder der Griff zu Argo, wieder ein Stückchen lesen. Dabei drängt die Zeit. Noch immer habe ich die Einzelclips für das Neapel-Hörstück nicht gefertigt, bin diese Arbeit noch nicht einmal wirklich angegangen. Antje von der Ahe, immerhin, schrieb mir, sie finde das Typoskript wundervoll; so sei sie jetzt doppelt gerne dabei. Ich muß dringend beim WDR wegen des Kreuzfahrt-Hörstücks nachhaken. In meinem Kopf schwirren Ideen zum Europaprojekt. Spannung auf erste Rückmeldungen zu Argo: Was werden die Leute sagen? Was werden meine beiden Gesprächspartner der wichtigen Lesungen sagen, Jürgensen, Schütte? Sie sprangen doch ins Ungewisse. Wie wird E. reagieren, der Argo im sozusagen Stück nach Thetis und Buenos Aires liest? Ich selbst mache mich ja grad erst mit dem Buch vertraut, nicht mit dem Roman, nein, dem Buch. Ein Text als Buch ist immer noch etwas anderes als ein Text als Text. Es kommt da immer etwas hinzu, eine Fernrückung, ein Fremdes, das mir, dem Autor, völlig neu ist. Das ist immer so, aber bei Argo mit besonderem Nachdruck, einer Art Ausrufezeichen, das sich als Fragezeichen gibt.

Ich wollte über meinen elektronischen Cigarillo schreiben, diese sehr viel tiefer wirkende Invention, als ich jemals gedacht hätte. Ich wollte als Überschrift „Kleine Befreiungen“ wählen, aber da, eben, kam लक्ष्मीs Anruf herein. Nun schreib ich vielleicht morgen drüber. Ich will in den Park, Krafttraining, aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß es regnen wird. Momentan ist es trocken. Nur diese Pfeife noch aufrauchen. In meiner Fahrigkeit in die Küche gegangen und das erste Essen des Tages vorbereitet: Magerquark mit entfetteter Milch und kleingeschnittenen Birnen verrührt. Wenn ich vom Sport zurückkommen werde, erst dann, sonst wird’s mir zu backig, geb ich die Haferflocken dazu. Paar Nüsse noch. Sich reinigen, sich vorbereiten, – und doch irgendwie schwer sein, unbeweglich, immer mit Blick auf das Buch, in das Buch. In dieser Nachdrücklichkeit ging mir das lange nicht mehr so, zuletzt wohl bei >>>> Meere, aber da ließ mir der Prozeß keine Zeit, es auszuleben. Immerhin habe ich es heute morgen geschafft, unter das Annoncement >>>> diese Bemerkungen zu schreiben. Der Verleger, wiederum, hatte mir gestern gemailt:

wie blöd, dass IMMER IMMER Fehler bleiben.
Wie gut, dass NUR WIR sie sehen
Das ist eine generelle Frage: Ist etwas da, nur wenn wer es sieht? Mein innerer Perfektionismus protestiert. Er läßt keine Decke über den Makel legen, er zieht sie im Gegenteil weg. Also abermals ins Buch geschaut: Balancieren andere Stellen ihn aus?
Muß ich dem Buch noch etwas mitgeben, meine Stimme, erklärende Erläuterungen, die Performance? Oder kann es nun von sich aus leben, leben allein in den Leser:inne:n? Es sollte das können, ja. Kann es aber denn? Und wie kommt es an sie heran? Da ist sie wieder, diese Generalität: Ist etwas auch dann da, wenn niemand es sieht?

Eine Mischung aus Verwirrtheit und Melancholie, aus der sich ziemlich selten ein Stolz hebt, der erlöst. Wie anders, wie erwartungsprall, bin ich damals gewesen, als der >>>> Wolpertinger erschien, und auch fünfzehn Jahre später noch, bei >>>> Thetis‘ Erscheinen bei Rowohlt. Heute hingegen überzieht mich die Skepsis. Schade eigentlich, daß man die jugendliche Erwartung so unversehens verliert. Ich denke an Palestrina bei Pfitzner:

IGHINO
Hör, das gilt dir – ach, laß mich doch ein bißchen
Hin auf die Straße! Halt ich mich doch kaum
Vor lauter Freude – schreien muß ich – springen
Und hören, wie sie meinen Vater feiern.
PALESTRINA
So spring, mein Junge, freue dich.
(er nimmt Ighinos Kopf in beide Hände)
Mein lieber
Gesegneter Ighino! Spring dich wacker aus!
Und die Rufe von der Straße, als Ighino hinfortgestürmt ist, scheint der alte Komponist, so schreibt es das Libretto, nicht zu hören. Und sei von ruhiger, fast heiterer Ergebung.

15.30 Uhr:
[Zurück aus dem Park.]
Espresso, eCigarillo (ohne Nikotin: Die Hauptsache ist, wie ich aber seit wenigen Tagen erst weiß, daß es tüchtig raucht oder dampft).

Glück gehabt: sozusagen unter dem Regen hindurch trainiert; einmal fielen kaum ahnbare Tröpfchen. Der Mittagsschlaf, leider, entfällt; ich bin schlichtweg zu spät aufgestanden heute morgen; mir würde die Zeit fehlen. Telefonate (WDR!!!!! Kreuzfahrt…., Traumschiff). Dateien müssen gesichert werden. Notizen zum Europa-Projekt. Eventuell Neapel-Clips. Nachrichten zum Argo-Versand. Sowas alles. „Wirkliche“ poetische Arbeit noch nicht. Auch Rasur und Dusche täten mir, ganz nebenbei bemerkt, nicht ungut.

6 thoughts on “Das IchKommeGarNichtRichtigZumArbeiten-Journal des Dienstags, dem 3. September 2013. Von ruhiger fast heiterer Ergebung.

  1. Die erkenntnistheoretische … … Frage, ob etwas nur da ist, wenn jemand es sieht, lässt sich durch die Annahme beantworten, dass der liebe Gott alles sieht, also auch die ANHschen Fehler.

    Aber ehrlich gesagt, Ihre Probleme würde ich im Moment gern mal haben. 😉

    Grüße, herzliche, PHG

    1. @PHG. Ich hör ja auch schon auf. Pardon. Und zieh zum Kraftsport los. Das bringt Sauerstoff und Frische in den Körper und macht bereit, neu die Ärmel hochzukrempeln. Auch die Erschöpfung nach einem harten Training klärt. Anders als geistige Erschöpfung heilt sie.

    1. Die Argo in der Förde. Die Aufnahme liegt bereits hier, gestern im Studio eingesprochen. Ich muß sie nur noch in die Dropbox hochladen. Spätestens morgen früh können Sie sie sich herunterziehen. Versprochen.

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