Selbstzweifel. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 18. Februar 2013. Gerichtsvollzieher (11).

7.55 Uhr:
[Arbeitswohnung. Mahler, Das Klagende Lied. (Erste Gesamteinspielung überhaupt, von 1971 auf Vinyl, unter Boulez; klanglich eine aber eher laxe Pressung, von CBS.)



Rückkehr in die Jugend, mit dieser Einspielung; Regression. Das entspricht meinem Zustand. Ich hab jetzt siebenundzwanzig mindestens einstündige Hörstücke geschrieben und davon knapp die Hälfte selbst inszeniert und montiert; es kann doch eigentlich gar nicht sein, daß ich beim achtundzwanzigsten mit einem Mal derart danebenliege. Das geht mir durch den Kopf, das Herz und vor allem den Bauch. Macht mich unsicher und unfrei, nimmt mir die künstlerische Selbstgewißheit. Jetzt wird geflickt und geklebt, und ich entferne mich dabei immer weiter vom eigentlichen Thema. Jetzt soll etwas über Schulden aus dem Ding werden und darüber, wie mit Schulden insgesamt in der Gesellschaft umgegangen wird, wie verschieden, meint das, und zwar in Hinsicht darauf, ob man hohe Beträge oder niedrige schuldig ist. Wir wissen aber alle, wie das gehandhabt wird; letztlich kann dabei ebenso wenig mehr herauskommen als das, was sowieso bekannt ist. Ich sehe hier nicht den Ausweg; es gibt schlichtweg Themen, die sich der Transzendenz entziehen, weil sie de facto banal sind und das auch bleiben werden, egal, in wie viel Unglück sie je die Betroffenen stürzen.
Was hatte ich vor? Ich wollte erzählen, in welcher Tragik beide Seiten feststecken, sowohl die vor allem „kleinen“ Schuldner als auch die Gerichtsvollzieher, mit welchen Gefühlen sie umgehen müssen und umgehen und wie sie sie sich selbst inszenieren und, ja, inszenieren, ebenfalls, müssen, damit das Leben lebbar bleibt. Aber die Gerichtsvollzieher haben nicht gesprochen, und die Schuldner, letztlich, haben ihr Eigenes ganz ebenso unter Verschluß gehalten. Frei geredet haben nur die sowieso Freien, die, die sich aus den Nöten geschickt, bisweilen pfiffig herauszuziehen verstehen. Das spiegelt mein Hörstück so auch wider. Aber das ist nicht eigentlich spannend, und alles, was ich jetzt noch an zusätzlichen Informationen dazuhole, wird es nicht spannender machen, sondern es wird bei der letztlichen Banalität bleiben, spricht: bei der Nüchternheit.
Vielleicht muß ich ganz anders herangehen, vielleicht ein Wunschbild dazutun, zu dem die nüchterne Wirklichkeit hart montiert ist, irgend etwas, das ein Erbarmen verspricht und damit die Differenz zwischen einer reichen, möglichen inneren Welt und der pragmatischen Wirklichkeit erzählt. So komme ich nun doch wieder auf die Musik; vielleicht muß ich den dokumentarischen Ansatz radikaler verlassen, als ich das jemals zuvor getan habe. Vielleicht dient mir genau dazu jetzt der frühe Mahler. Vielleicht muß das Hörstück ein Trauergesang über die Banalität der meisten unserer Leben werden, vielleicht muß ich gerade dieses Stück in ein Religiöses drehen, mehr als jemals zuvor, vielleicht zu den Erzählungen über pure Alltagsbewältigung den Erlösungsgedanken kontrastieren.
Ich weiß es nicht. Aber darüber denke ich nach, jetzt, nachdem ich eine knappe halbe Stunde lang mit der Löwin telefoniert habe, die schon ahnte, daß ich einigermaßen tief fallen würde und kurz davorstehe, das Hörstück einfach hinzuwerfen – was für mich aber untragbare Folgen hätte, ökonomisch, aber auch künstlerisch, weil es kommende, auch schon geplante Projekte mit sich in die Tiefe reißen würde. Es wäre möglicherweise das Ende meiner Rundfunkarbeit insgesamt, zumindest für diesen einen Sender, vor allem aber das Ende meiner Selbständigkeit als Hörstück-Autor, Hörstück-Regisseur und Hörstück-Monteur; ich könnte jedenfalls nicht mehr selbst produzieren. Dieses Gerichtsvollzieher-Ding fängt an, an meine Existenz zu gehen.

9.35 Uhr:
[Mahler, Nachgeassenes Adagio zur zehnten Sinfonie.]
Gerade an >>>> Melusine geschrieben, die mir weitere Textvorschläge für das Stück nannte. Offenbar sind einige meiner Leser:innen jetzt damit beschäftigt, daß mich dieses Stück so sehr, ja, nun, trifft:

(…) es ging mir bei dem Stück ja niemals darum zu erfragen, wieso man überhaupt Schulden macht – das kommt mir in dieser Welt allzu klar vor, darüber wollte ich gar kein Wort verlieren. Sondern mir kam es auf die Verhältnisse der Menschen untereinander an: der Eintreibenden zu denen, von denen eingetrieben werden soll und/oder muß; und umgekehrt. Ich wollte ein Stück über die inneren Tragödien schreiben und inszenieren. Aber keiner hat davon gesprochen, nur zwei taten es, aber nicht sehr ergebig, und die Gerichtsvollzieher schwiegen eben ganz.
Ich glaube seit vorhin, daß mein quasi religiöser Weg der richtige ist, um das Menschliche Tiefe in das Stück zurückzuholen, bzw. aus ihm herauszuheben. Da muß ein Rufen aus der Ferne stehen, eines der Hoffnung, aus dem sich auch – quasi als vorgehalter Ersatz – das Schuldenmachen geradezu von selbst erklärt. Jetzt sinne ich über die richtige Musik nach. Und über Gedichte. Aus der Differenz muß die Tragik kommen.

15.25 Uhr:
[Mahler, Zehnte in der Cooke-Fassung.]
Die Idee verdichtet sich immer mehr in mir, mit Mahlers später Musik zu arbeiten, sie dem Gerichtsvollzieherstück zu unterlegen, ganz bewußt: diese extrem metaphysische Musik; da hinein Werbespot-Musiken, Gänsechor, Lavendel, Oleander, Jasmin, sowas. Die falschen Heilsversprechen mit der Heilshoffnung zu verbinden, die transzendent ist; darinnen die Interview- und Sprecher-Clips. Aber bevor ich anfange, das alles nun vollständig neu und auf eben diese Weise zu machen, muß ich erst noch einmal mit meiner Redakteurin sprechen.
Ich habe auch an Kirchenmusik gedacht, aber sie ist mir letztlich zu konkret in ihrem Erlösungsgedanken; „Erlösung“ ist doch im Kapitalismus extrem säkularisiert als materieller Wohlstand gedacht, bzw. als Verfügung über Dinge, die für den Aufenthalt im Paradies steht. Dieses eschatologische Moment sollte ich auf keinen Fall an eine Konfession binden.

So denk ich dauernd hin und her. Und finde immer schon Stellen in der Musik, die dann gehört werden müssen, andere, die wie etwas Fernes unter dem Text liegen. Und >>>> in den Kommentaren hierdrunter wird einiges mitgedacht.

19.19 Uhr:
[Mahler, Kindertotenlieder (Kathleen Ferrier in Wien, 1949).]
Immerhin, >>>> das hab ich nun mal hinbekommen, aber erst, nachdem mir meine Redakteurin einen wirklich schönen Brief geschrieben hat, worin sie eine kleine Geschichte erzählt, die ihr gestern nacht widerfahren. Sie hat nun ganz an mich zurückgegeben: „Finde Ihren Kunstansatz durchaus richtig“, schreibt sie, auch wenn sie noch nicht wisse, wie ich das Thema – außer musikalisch – erweitern wolle. „Ich bin aber ganz vertrauensvoll, dass Ihnen das Richtige einfällt.“ Nun, Phantasie! laß deine Adler fliegen! (Keller).
Aber nicht mehr heute abend – zu tief bin ich, so, wie seit Jahren nicht mehr, in den späten Mahler hineingesunken.

>>>> Gerichtsvollzieher 12
Gerichtsvollzieher 10 <<<<

20 thoughts on “Selbstzweifel. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 18. Februar 2013. Gerichtsvollzieher (11).

  1. Meine Buch-Empfehlungen, die aber beide offenbar nicht zum Konzept des Hörstückes passen, waren:

    David Graeber: Schulden, die ersten 5000 Jahre
    http://www.klett-cotta.de/buch/Gesellschaft_/_Politik/Schulden/22512

    und

    Christina von Braun: Der Preis des Geldes
    http://www.aufbau-verlag.de/index.php/der-preis-des-geldes.html

    Ich habe sie im vergangnen Jahr parallel mit großem Gewinn gelesen. Beide, das scheint mir ein Missverständnis zu sein, behandeln allerdings nicht die Frage, warum Menschen Schulden machen, wenngleich ich durchaus nicht finde, dass dies “allzu klar” ist, sondern gerade das Verhältnis der Eintreibenden zu denen, bei denen Geld eingetrieben wird. Beide, auf je unterschiedliche Weise, treten der in der Ökonomie (wenn auch in die Defensive geratenen) vorherrschenden Idee entgegen, Geld sei ein Substitut für einen Tauschgegenstand. Diese Idee aufzugeben und die “Religiosität” des Geldes an seinem Ursprung zu zeigen, ist beider Anliegen. Von daher ändert sich auch radikal, was “Schulden” eigentlich sind und warum es eine “Schuldenmoral” gibt. Bei von Braun wird diese eng mit dem Aufstieg des Christentums verknüpft.

    Ich halte beide Sachbücher für sehr lesenswert, gerade auch in Beziehung zu einander. Ich kann die Thesen, die in beiden Büchern entwickelt werden jedoch nicht in aller Kürze und Schnelle zusammenfassen. Daher belasse ich es an dieser Stelle bei der Lese-Empfehlung, ganz unabhängig vom Hörstück, an dessen Thematik sie vielleicht nicht unmittelbar anknüpfen.

    1. Die Religiosität@Melusine des Geldes. Ist imgrunde schon bei Marx offenbar: Geld ist das, was alles zueinander tauschbar macht; deshalb Äquvalenzform. Imgrunde steckt dahinter eine platonische, nicht etwa christliche Idee, Genau dies zu diskutieren, würde aber das Ziel des Hörstücks verfehlen, in dem es gerade um Menschen, also Einzelne, und eben nicht um Ideen gehen sollte, auch dann nicht, wenn sie zur herrschenden Praxis geworden sind.
      Also nicht “Geld ist ein Substitut für einen Tauschgegenstand”, sondern: “Geld ist das Substitut für jeden Tauschgegenstand”: d a s ist die vorherrschende Idee und eben nicht nur Idee, sondern schon lange vor dem Chistentum angewandte, sich über die Jahrhunderte stetig perfektionierte Praxis. Tatsächlich bekommen Sie unterdessen für Geld alles, auch Liebe – dies mindestens insofern, als Geld zu haben Macht bedeutet und Macht deutlich erotisiert.

  2. “Vielleicht muß ich ganz anders herangehen, vielleicht ein Wunschbild dazutun, zu dem die nüchterne Wirklichkeit hart montiert ist, irgend etwas, das ein Erbarmen verspricht und damit die Differenz zwischen einer reichen, möglichen inneren Welt und der pragmatischen Wirklichkeit erzählt. So komme ich nun doch wieder auf die Musik; vielleicht muß ich den dokumentarischen Ansatz radikaler verlassen, als ich das jemals zuvor getan habe.” – das ist doch sehr wahrhaft gedacht! das eigentliche, was hemmt, das kann ich gerade sehr gut nachvollziehen, ist das mangelnde vertrauen derer, in das, was man zu schaffen im stande ist. ich bin auch auf auftrag da am besten, wo es keinen auftrag gibt. und ich weiß, wenn meine bücher entstehen, ist auch derjenige dann am besten, der ihre gestaltung nicht nach meinem auftrag macht, sondern mit mir redet und liest und dann selber los legt, ich bin für jeden selbständigen kopf dankbar. alles andere erscheint mir sinnlos und quälend, raubt einem die energie und drängt einen in die ecke des gefallen wollens, darum geht es aber nicht, es geht um frei setzen.

    1. “frei setzen”, diadorim, und “freisetzen”. Ich meditiere die ganze Zeit vor mich hin, auch wenn ich in die Küche gehe, wenn ich mich rasiere, wenn ich dusche, wenn ich mich kleide, wenn ich Emails beantworte, parallel wegen der für den Herbst zu planenden Argo-Lesereise. Die ganze Zeit über, und ich höre das Stück dauernd, kommt es mir, und zunehmend mehr, plausibel vor, ausgerechnet Mahlers nachgelassenen Adagio-Satz zu seiner begonnenen Zehnten unter das Stück zu legen, eine wirklich metaphysische Musik, und darüber – aber da bekomme ich vielleicht Rechteprobleme – Werbespot-Musiken, die in die Schuldner-Interviews und den Gerichtsvollziehersprecher hineingeschnitten werden, aber der Mahler läuft unten immer durch, mal sich leicht aufbäumend, dann wieder so gut wie gar nicht hörbar, dann nur in Spuren. Dabei werde ich aufpassen müssen, denn das wäre Blasphemie, den Mahler nicht auszunutzen, ihn eben nicht, wie das Visconti tat, zur “Film”musik verkommen zu lassen, sondern die Musik soll die Einrede aus einem Jenseits sein, dessen Licht aber im Diesseits leuchtet und uns allen Kraft und Zuversicht gibt, dennoch nicht die Trauer verleugnet, von der Benjamin einmal schrieb, daß, wenn die Natur Stimme hätte, wir sie weinen hörten.

  3. Wenn Sie den religiösen … … Aspekt bereits zu denken beginnen, dann gehen Sie doch gleich an die Wurzel unseres Finanzsystems! Ich empfehle dazu dringend “Wucherzins und Höllenqualen – Ökonomie und Religion im Mittelalter” von Jacques Le Goff.

    Da steckt auch der Grund, warum darüber so viel geschwiegen wird.

    1. @PHG. Das führt alles zu weit weg, ist alles zu sehr Intellekt. Ich will beim Einzelnen bleiben, ganz unbedingt, ihn nicht in einem Abstrakten aufheben, das Ursachen zwar beschreibt, aber dazu notwendig von der Seele absehen muß. Ich brauche keine Erklärungen, sondern eben sie: – Seele. Gründe sind nur Gründe. Sie mögen erklären, weshalb jemand diesen und jene liebt und jenen und diese nicht; aber solche Erklärungen fassen nicht die Liebe, weder ihr ὄν noch ihre Erscheinung.

    2. Ich hätte ja die Lösung, aber auf mich hören Sie ja nicht. Lesen Sie (oder lesen Sie es nochmal) “Hunger” von Hamsun, wenn sie es gelesen haben oder inmitten des Lesens, geht alles wie von selbst und das ist kein Witz, sondern die Lösung für Sie 🙂

  4. Stirner & Folgen Mach doch ein Stück über die Freiheit daraus. Ich hab mein Sach auf nichts gestellt…
    Über andererseits die Jäger & Sammler, die es zu viel gekostet hat, gesammelt zu haben. Mach ein Stück über Schulden seit Erfindung des Ackers daraus.

    1. @Florian Voß. Klar kann ich das machen. Das wäre aber ein völlig anderes Stück, keines mehr über Gerichtsvollzieher. Zudem interessieren Schulden mich überhaupt nicht; ich habe welche, das reicht. Mich interessieren die Menschen, mich interessiert ihr Verhältnis zueinander, wenn sie einander persönlich begegnen und der/die eine der/dem anderen einen Schaden zufügt, egal, ob dies Berechtigung hat oder nicht. Mich interessiert, wie sich die Menschen dabei fühlen, sowohl die Ausübenden wie diejenigen, an denen ausgeübt wird, bzw. an denen nicht ausgeübt werden kann, weil sie entweder zu pfiffig sind oder anderswie gewappnet, dem Angriff zu widerstehen. Wie gehen die Menschen da miteinander um und was geht in ihnen dabei, jeweils, vor.

      Und, unterm Strich: Die Leute haben ihre Sach nicht auf nichts, sondern auf Sachen gestellt. Andernfalls käme der Gerichtsvollzieher gar nicht erst. (Diese Bemerkung ist nicht abfällig; sie meint mich selbst nämlich mit.)

    2. Mh, ja, ich verstehe. Aber reicht es nicht dann die Aussagen und die Sprachlosigkeit gegeneinander zu schneiden? Das kann doch nicht uninteressant sein?
      Oder sprechen die Gerichtsvollzieher nur in Hülsen und Allgemeinplätzen?

    3. @Florian Voß (ff) Die Gerichtsvollzieher haben eben gar nicht gesprochen, sondern alle vorgeschoben, daß sie erst die Genehmigung ihrer vorgesetzten Stellen einholen müßten, weil sie sonst dienstrechtliche Nachteile befürchteten. Was ich de facto von ihnen habe, lediglich, sind eigene Gedächtnisprotokolle von Gesprächen, die ich selbst mit ihnen einmal führte, sowie wenige schriftliche Antworten, die, auch nachdem ich sie in Rollenprosa umgeschrieben habe, nicht wirklich etwas Persönliches, bzw. Nahes mitteilen. Da wird dann im Stück zusätzliuch programmatisch, daß man merkt, wer ein professioneller Sprecher ist und eine Rolle übernommen hat und wer aus dem O-Ton spricht.

  5. Eine weitere Überlegung Sind Sie nicht selbst in eine ähnliche Situation geraten wie der Schuldner gegenüber seinem Gläubiger? Und liegt die Tragik der Situationen nicht darin, daß das – ich sage das mal so pauschal-schwammig – System beide Seiten in ihre jeweiligen Rollen zwingt?

    Sie sagen: einen Ausweg bietet “das Religiöse”. Es transzendiert die Situation. Das finde ich richtig, aber sehr schwierig umzusetzen. Wie nun das Religiöse zeigen oder umkreisen? (Es ist ja nicht das Hintertürchen, durch das man entwischt und dem Schergen eine Nase dreht.) Sie wollen das Religiöse durch die Musik zeigen, gleichsam den Realismus durch die Musik erlösen.

    Aber vielleicht ließe sich auch damit beginnen, daß Sie Ihr Scheitern eingestehen und das Scheitern zum Gegenstand oder zumindest Aufhänger des Hörstücks machen. Das hat vielleicht den Geruch einer Finte, aber Sie sprechen ja selbst immer wieder vom Leben als Roman. Roland Barthes schrieb ein ganzes Buch darüber, daß er nicht imstande war, einen Roman zu schreiben. So wie aus dem Philosophen kein Romancier wurde, wird aus dem Dichter kein Dokumentarist. Viele wären zu dieser Verwandlung fähig, Sie sind es nicht. Wieso? Das zu umkreisen, fände ich interessant. Ein solcher Ansatz führte natürlich vom ursprünglichen Thema weg, würde Ihnen aber gestatten, die Distanz einzunehmen, die die Dokumentation nicht gestattet: Sie könnten erzählen.

    1. keine schlechte idee, aber inwiefern etwas schon gescheitert sei, wenn eine redakteurin sagt, gefällt mir nicht, hm. die selbstkritik ist ja gut und schön, aber ich glaube gar nicht, dass alles material so übel und schlecht arrangiert ist. vielleicht sind bei dem thema halt alle irgendwie vorsichtiger, wenns vorher heisst, es geht um kunst, dann, ok, wenns aber heisst, es geht um die wurst, dann bloß keine künstlerischen mittel mehr, wie montage, dann legt man sich vielleicht künstliche selbstbeschränkungen auf, wie, wenn man sich sagt, huch, ich schreib ja jetzt für die werbung, ich darf nicht mehr ironisch sein und muss runternudeln wie gut und toll alles ist, will nur auch in der werbung keiner mehr sehen und lesen. so kommts mir eher vor.
      und, wenn jemand sage, er könne keinen roman schreiben, sagt er ja auch nur, er könne es nicht so schreiben, wie man für gewöhnlich erwartet, dass etwas roman sei, aber dann gäbs auch keinen mann ohne eigenschaften zb.

    2. @maudit&diadorim. An Ihrer beider Einlassung ist etwas. Maudit, Ihr Vorschlag ergäbe in der Tat ein anderes Stück, das mich auch prinizipiell reizte, aber es würde dann wieder mich als Person umkreisen. Dazu emfinde ich das Thema als ein zu allgemeines; nicht jeder lebt – und könnte das auch – so, nun ja, radikal, wie ich das tue. Nicht jede(r) ist Künstler, nicht jede(r) hat ein Ziel, das über sie und/oder ihn hinausweist, dem man auch eigene Freuden opfern würde usw. Es ist sehr gut sogar, daß nicht alle Leute Künstler sind; die “normalen” Menschen halten die Lebensgrundlagen beisammen, die Zivilisation, ihre Erleichterungen und Schutzvorrichtungen. Auch diese geraten aber in die Schuldenfallen, notwendigerweise oft, wie ich meine. Schon deshalb möchte ich mein Stück nicht auf die Umstände eines Künstlers reduzieren, auch dann nicht, wenn das vielleicht “spannender” wäre.
      Wiederum Sie, diadorim, sagen etwas, das auch ich empfunden habe, nämlich bei meiner zweiten Version des Stücks. Aber auch bei ihr habe ich das starke Gefühl einer fehlenden Transzendenz. Nur gibt das mir zur Verfügung stehende Material schlichtweg nicht mehr her. Da könnte man nun sagen, gut, so ist es halt, und es ist eine Aussage schon für sich; genau das sei ja das Repräsentative. Aber ein Hörstück ist ein ästhetisches Ding; sich auf das Faktum zu stützen, wäre, wie ein langweiliges Buch zu schreiben, weil man Langeweile darstellen will. Wir wissen beide, daß das, weil die Wahrnehmung angesprochen werden muß, ein falsches Vorgehen wäre. Dazu kommt, rein überlebenspraktisch, daß an diesem Hörstück hier gleich zwei weitere Aufträge hängen, damit auch ein großes Stück meines ökonomischen Überlebens. Kann ich mit dem hier nicht überzeugen – egal, aus welchen Gründen -, werden auch die beiden anderen, geplanten, Stücke fallen. Freilich, wäre ich tatsächlich überzeugt – das heißt: beseelt – von dem, was ich bisher vorgelegt habe, würde ich dieses Risiko eingehen. Ich bin es aber nicht, selbst nicht, empfinde selbst ein Umgenügen, auch wenn ich im einzelnen meine, daß das bisherige Ding ganz gut ist. Es ist aber eben nur ganz gut; das ist zu wenig. Insofern sehe ich die Meinung meiner Redakteurin als die einer Lektorin, deren Aufgabe es wie die eines jeden Lektors ist, aus meinen Befähigungen das beste herauszufordern, das ich geben kann. Ich habe mir aus genau diesem Grund immer die härtesten Lektoren ausgesucht, die ich kannte und kenne, im Fall von Argo jetzt wieder jemanden, der ausgewiesenermaßen Science Fiction nicht mag; Argo spielt aber bekanntlich mit Science-Fiction-Motiven, und zwar nicht zu wenig. Erst, wenn ich die bei meinem Lektor Bestand haben lassen, also durchfechten kann, werde ich die Überzeugung haben, ja, es ist gelungen.
      Ganz ähnlich reagiere ich nun bei meiner Redakteurin, die über die vielen Jahre unserer Zusammenarbeit genau weiß, zu was ich fähig bin. Ein Stück, das “so durchgeht”. geht bei ihr für mich nicht durch. Aus dieser Tatsache, so nervig sie auch ist – und sie ist s e h r nervig -, beziehe ich einen Teil meiner radiokünstlerischen Sicherheit. (Als ich noch für den Deutschlandfunk schrieb und inszenierte, zu Zeiten Thomas Zenkes, also vor seiner Pensionierung, war das übrigens ähnlich; auch er war einer, der dauernd in den von mir gekochten Speisen erst mal mäkelnd herumgestochert hat. Er aber war es, der mich überhaupt erstmal auf O-Töne gesetzt und der ganz plötzlich, von einer Minuten auf die andere, entschieden hat, daß fortan ich selbst die Regie zu führen habe. Wir waren nie wirklich warm miteinander, aber das, was ich ihm zu verdanken habe, ist ungeheuer viel; also habe ich auch dem Gemäkel viel zu verdanken.)

    3. dann sind aber doch auch nicht folgende aufträge gefährdet, wenn sie schon lange zusammenarbeiten, man muss ja erst mal jemanden wie sie wiederfinden! mit dem enthusiasmus, dem arbeitseifer und dem können des zusammenschneidens, selbst inszenierens, etc pp, sonst hat der rundfunk doch für jeden jemand extra, für die musik, für das script, und sie machen das alles allein und besorgen die sprecher, ich glaub, da müssen sie sich nicht sorgen. und, klar, wenn man sich die arbeit macht, will man es nicht so la la machen, logisch. für mich muss ich allerdings sagen, zu höhenflügen finde ich erst, wenn man mich machen lässt, an der kurzen leine oder unter ständiger mäkelei such ich das weite, das demotiviert mich eher, wenn ich mich ständig verteidigen soll, denke ich, die energie kann ich besser ins machen stecken, als ins verteidigen.

    4. @diadorim (ff). Doch, die anderen Unternehmen wären zumindest gefährdet. Es entscheidet längst im Funk nicht mehr eine Redakteurin allein, sondern da sind ganze Konferenzen, die ja oder nein sagen müssen. Aber unabhängig davon: Ich arbeite unter Druck sehr gut, bisweilen suche ich ihn mir “regelrecht”, stelle Situationen her, die mich unter ihn setzen usw. Nicht immer sind das bewußte Prozesse, aber ich bin mir unterdessen des Umstands bewußt, daß sie ablaufen. Das ist seit meinem Abendgymnasium so; vorher ging es mit Druck auch nicht. Aber Widerstand erzeugt in mir gesteigerten Widerstand, was einem Aufputschen von Energien entspricht; presche ich da durch, also schaffe ich es, ist das wie ein Orgasmus, nur, leider, weniger feucht. Lacht.
      Ich habe keine Energieprobleme, bin ausgesprochen schwer zu ermatten; vielleicht liegt es daran. Aufgewendete Kraft vervielfacht meine Kraft; wirklich fertig macht man mich, wenn ich nichts zu tun habe, nichts zu bewältigen habe. Dann glimm ich vor mich hin und erlösche fast. Druck hingegen facht mich an. Deshalb habe ich Sherlock Holmes immer so gut verstanden, der, wenn es nichts zu tun gab, zum Kokain griff – Göttinseidank habe ich solchen Versuchungen bislang noch immer ausweichen können.
      So verschieden sind Menschen,

    5. @diadorim Sie haben völlig recht: absichtlich kunstlos ist wohl kaum einer, ob Nicht- oder Künstler. Selbst in Harzer Bergwerken, wo allenthalben die Grauwacke dräut, trifft man auf den Kunstwillen. Allein daß der Dokumentarfilm “Vorstoß in tiefe Gruben” mit der emanuellesken >>> Titelmusik von Jean-Paul Belmondos “Der Profi” unterlegt war, riß ganze Flöze von Sub- oder Zwischentext auf. Dazu der Kommentar aus dem Off: “der Aufenthalt unter Tage stellt eine Zerreißprobe der besonderen Art dar, der manche nur begegnen können, indem sie sich für einige Stunden von Gemeinschaft der übrigen Expeditionsteilnehmer absondern”, während ein im weißen Overall Gewandeter mit Gummistulpen in die Untiefen des abgesoffenen Stollens watete. Daß ein gewisser Wolfgang Borges für den Film verantwortlich zeichnete, war dann schon fast absehbar.

    6. verstehen sie das nicht falsch, druck ist nicht das, was mich fertig macht, den brauche ich auch und baue ihn auch auf, aber mäkelei und reinreden einer besonderen sorte, die verdirbt mir den spaß und die lust. und druck kann ja auch positiv aufgebaut werden, es gibt so leute, die können einfach niemand anderen loben, furchtbar. bei mir erzeugt aber lob den druck eher als rumkritisieren. deshalb ist es ja auch heikel im entstehungsprozess was rauszulassen, machen ja auch die wenigsten künstler, und zu lektoren hat man ja ein vertrauensverhältnis, da ist die kritik ja zum eigenen wohle, klar, das geht.

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