[Arbeitswohnung. Othmar Schoeck, Massimila Doni.]
Und dann standen wir in so märchenhaftem wie plötzlichem Schneetreiben, die stets ein wenig „overdress“te Frau v. Samarkand und ich, nach einem wirklich zu langen, zu reichhaltigen griechischen Essen, das von lauter Gaben des Hauses garniert war: anfangs dem Ouzo zur Begrüßung, hernach einem Qouzo zum Abschluß des, ich muß es so nennen, Mahles, woraufhin ich um die Rechnung bat, und es kamen geschnittene Apfel- und Blutorangenschnetzel, die eine Spur Granatapfelsirups überfädelte, und als ich dann bezahlt hatte, brachte man uns noch je einen Espresso und leicht über handerwärmten Metaxa, derweil vor den hohen Scheiben der Schnee herniederging und auch liegenblieb; da stapfte ich heim, denn die Samarkandin war ins Taxi gesetzt. Das, zum Beispiel, „schaffe“ ich nicht, aus der Umarmung einer Frau direkt in die einer anderen zu wechseln; wenigstens ein Tag muß dazwischenliegen, nicht nur, aber auch aus Achtung vor der anderen wie der einen und der nächsten. Wir sind – noch – keine Maschinen, wenn auch, wie ich schon öfter schrieb, auf dem Weg dahin. So viel, so wenig zum Pragmatismus: Nicht wenige Replikanten h a b e n wir schon unter uns. Jedenfalls gehört es zur Klasse Frau v. Samarkands, daß ich es ihr auch sagen, leise sagen, kann, was mir nicht möglich ist, und daß sie sofort versteht: „Ich muß sowieso dringend einmal wieder ausschlafen.“ Und daß ich davon, vorher bereits am Telefon, der Löwin sprechen kann, die ebenfalls, und sofort, versteht, daß, auch, wir so frei sind, es aber allein deshalb sein können, weil wir keine, im „klassischen“ Sinn, Beziehung führen, die einen gemeinsamen Haushalt kennt, der einen eben dazu zwingen würde zu tun, was ich nicht tun kann, dann aber tun müßte – und oft tat. Vielleicht ist genau dies die eigentliche Kränkung, die in bürgerlicher Paarkonstellation lebende Menschen erleben, wenn die oder der andere „fremd“gehn. Vielleicht ist genau dies der Betrug, den ich darum n i c h t in Häkchen setze hier. Wirklich, das Schneetreiben war märchenhaft. Ich ging g e r n e allein und genoß die Stille meiner Schritte auf dem puderweißen Schneedaunenboden.
Ein guter Abend. Es gab auch anzustoßen, weil Frau v. Samarkand ein wichtiges Examen reichlich gut bestanden hat. Weil wir einvernehmlich über >>>> die Kinderbucheingriffe.sprachen. Weil sie sich an die englische Rohübersetzung >>>> der Vergana setzen will und einen Muttersprachler kennt, sie mutterspachlich umzuformen. Weil es ihr unterdessen gut gelingt, allein von ihrer Übersetzungsarbeit zu leben. Allerdings – sie hat sich, wie einige Frauen mehr, die ich kenne, ihr Studium mit Escort finanziert – fehlt ihr die andere Tätigkeit ein wenig: „Ich würde s c h o n gerne… Wissen Sie, guten Sex haben und dafür auch noch gutes Geld bekommen…“ – allerdings d a s fand ich nun eine besonders, und zwar menschlich, spannende Aussage. Ich war einmal mit einer anderen Frau verbandelt, die Ähnliches gesagt hatte und die es, jedenfalls damals, immer wieder in die entsprechenden Szenen zurückzog, und zwar ohne jede finanzielle Notwendigkeit, sondern weil ihr Unterleib es wollte. Ich spreche hier selbstverständlich nicht von Zwangsprostitution, sondern von der Entscheidung erwachsener, frei über sich selbst waltender Frauen. An ihr wirkt einiges andere mit, das in manchen von ihnen sowieso fantasiert ist: nicht minder getrieben als jene Männer, von denen so gern wie billig.gesagt wird, sie dächten mit dem Schwanz. Es sind eben n i c h t nur Männer geschlechtlich getrieben; Frauen sind es ganz genau so, nur in aller Regel geschickter als jene, sowohl real als in den Formen ihrer Sublimationsprozesse.
Je älter ich werde und je mehr ich deshalb erfahren habe, um so naiver kommt mir die Erwartung von Treue vor, auch wenn sie meine innere Kindlichkeit, und immer wieder, ganz ebenfalls gefühlt hat. Imgrunde entspricht sie der empfundenen Meinung, Homosexualität sei „nicht normal“, und ist ganz ebenso überwindbar. Gelingt uns dies, kommen wir der uns möglichen Freiheit ein weitres Stückchen näher; gelingt es uns nicht, bleiben wir Produkte unserer Prägungen. Dies gilt ganz ebenso für unser Verhalten gegenüber devoten, masochistischen oder sonstwie aus der sexuellen Normierung ragenden Personen, wobei es mir von besonderer Wichtigkeit ist, daß ein solches befreites Schaun auf die Geschlechterverhalten nichts mit einem libertären Pragmatismus zu tun hat. Sondern zugleich muß das Pathos der Vereinigungen ganz erhalten bleiben – wenn wir nicht die Hitze, die sie brauchen, dabei verlieren wollen. Der Nexus ist komplizierter, als er auf ersten Blick zu sein scheint. Auch, zum Beispiel, Eifersucht gehört da mit hinein.
Ich stapfte durch die Stille. Und es dachte.
Ich war reichlich überfressen, mein Bauch drückte auf den Magen.
Ich trank dann vieles Wasser noch.
Um fünf Uhr stand ich auf.
Latte macchiato, erste Morgenpfeife. Und die >>>> Massimila Doni >>>> Othmar Schoecks.
Es gab eine Rauschzeit mit diesem Schweizer Komponisten, der ein immer noch zu wenig bekannter, viel zu wenig berühmter Meister des Kunstliedes war; sein Liedschaffen stelle ich Schumanns und Schuberts völlig gleichberechtigt zur Seite; Fischer-Dieskau hat sich sehr für ihn eingesetzt; von dem stammen auch die meisten Referenzaufnahmen, die es gibt; später kam Juliane Banse hinzu; ich vermisse ein Lebendig begraben und ein Notturno op. 47 von Oliver Widmer, der eine der ergreifendsten Winterreisen eingesungen hat, die ich überhaupt kenne. Mit Penthesilea hat Schoeck eine der großen Opern des Zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben, bisweilen taucht sie auf dem Spielplan auf – nie aber, meines Wissens, die Massimila Doni, deren herbsüßer Klang wie eine ausgewehte, w e i t wehende Fantasie über die Harmonik fast aller seiner Lieder ist, intensiv zugleich wie vornehm, voller gleichsam chromatisch rutschender, dann wieder glitzernder, flirrender, sowie flirrend stehender, schwebender Klänge… – Ja, ich habe Rauschzeiten mit Schoeck gehabt, so, wie mit Britten nachher, mit Schnittke vorher, wie mit Pettersson und, als Jugendlicher, mit Tschaikowski, als junger Mann mit Gustav Mahler, bald schon Wagners Tristan, als reifer mit >>>> Dallapiccola. Und. Wie mit Jarrett. Und, und. Wie mit >>> Scelsi. Ach, Musik – wie Heimat fühlt es sich an, wie Rückkehr, die Massimila Doni zu hören.
Gleich geht‘s ans Putzen und Waschen. Dann wieder an >>>> Frau Yüe-Ling, über die ich gestern ebenfalls mit Frau v. Samarkand sprach und, vorher, mit der Löwin gesprochen hatte. „Unheimlich“, kommentierte sie. Ich darf nicht „zu lang“ werden, weil ja der Text in einen >>>> Literaturquickie hineinpassen muß. Aber erst einmal muß ich den Text „ausschreiben“, sich entwickeln lassen; danach wird er zurechtgeschnitzt werden und zurechtgefeilt. Auch nach Neapel werde ich den Laptop mitnehmen, um vielleicht morgens, bevor wir Freunde frühstücken, ein Weniges dran zu arbeiten.
Nun aber die Löwin wecken, damit sie ihren Berlinflug nicht verpaßt. Gegen Mittag will sie hiersein.
Es wünscht Ihnen, wieder einmal, einen guten Morgen
Ihr:
10.24 Uhr:
[Zurück. Schoeck, >>>> Unter Sternen.]
Welch ein, meine Damen und Herren, H i m m e l !:
Und kennt sich selber kaum:
Sie und der Tod und wir alle
Sind Träume von einem Traum.
Putzen.