Um zehn vor fünf auf; mir träumte von Argo, einer Art Argo, jedenfalls las ich in meiner Handschrift bearbeitete Typoskriptseiten, fand völlig neue Zusammenhänge und tat im Kopf, und zwar bewußt im Traum im Kopf, was ich so oft die letzten Wochen über tue: ich übertrug nicht nur die Korrekturen, sondern schrieb ganze Szenen dabei um, faßte sie zusammen, fokussierte sie, und während ich das tat, erlebte ich sie – weshalb ich dem Ruf des Ifönchens nicht folgen wollte, ja nicht durfte, das pünktlich um 4.30 Uhr geweckt hatte; pünktlich um 4.30 Uhr sah ich es an, realisierte auch meinen Jungen auf seinem Vulkanlager, entschied indes, es sei wichtiger, die Korrekturen noch ein wenig weiter zu übertragen. Schließlich war ich mir aber nicht mehr sicher, ob nicht dieser Traum nur die Einflüsterung eines besonders raffinierten Verführers sei, der ich bisweilen in der Tat sein kann, und stand auf. Verlangsamt, schon, weil es morgens bereits so frisch ist, daß es ohne dicken Pullover plus Schal und Lammfellweste nicht geht; die Alpaka-Jacke, zusammen mit den übrigen Winterklamotten, aus den Tüten zu holen, weig‘r ich mich noch immer strikt… nicht mehr ganz so strikt, weil ich immerhin den Gedanken zuzulassen bereit bin.
Ich bräuchte noch mal ein paar Tage Hitze, spiele immer wieder mit dem Gedanken, für eine knappe Woche mich in den Flieger zu setzen und fortzufliegen; nur: woher die Zeit nehmen?
Latte macchiato, erste Morgenpfeife.
Die Unsicherheit ist geblieben; etwas in mir vermittelt das Gefühl, die Traumkorrekturen, mein zwanzigminütiges Traum-Argo, Argos Traum vom Handwerk sei wichtig gewesen, vom Handwerk als Disziplin oder, weniger preußisch, Routine. Es war auch ein bißchen schlechtes Gewissen, weil ich gestern an den Roman gar nicht mehr wirklich kam, wegen der Arztbesuche, >>>> dieser Kritik und weil in diesen Tagen, seine Mutter und die Geschwisterchen sind verreist, mein Sohn bei mir ist, ganz, was wiederum sehr schön ist, aber dann muß natürlich jeden Tag für Essen und Trinken gesorgt sein. Ich hätte ihn auch gerne >>>> morgen bei mir, doch will ich diesen etwa zwölfstündigen Opernmarathon einem 12jährigen nicht wirklich zumuten; es wird zwar ausgedehnte Pausen geben, aber die sind sicherlich nicht so gestaltbar, daß er genügend Aus- und Rumlauf hat. Nun wird mich >>>> meine Impresaria begleiten. Er selbst wird sich mit einem Freund vergnügen, aber mag ja auch sturmfreie Buden, zumal er davon zwei hat, jetzt, in diesen ersten Tagen seiner Ferien. Mittags allerdings lernt er Französisch in einer Sprachschule für Kinder und findet‘s, gestern war sein erster Tag, klasse dort. Schon allein, weil er für sich weit in den Stadtwesten kann – ein für ihn noch unerforschtes Terrain dort hinten in der Messenähe, wo der Ku‘damm wurzelt. Ich muß ihm nachher unbedingt von Vostells einzementiertem Chevi erzählen, den wird er sich ansehen wollen.
Immerhin, eine halbe Seite Argo brachte ich abends dann noch zuwege: hatte meinen Jungen zum Abwasch verdonnert, KNALL machte es plötzlich, schuldbewußt der Bub: ihm sei da eben was runtergefallen. Ein Schüsselchen, „das war bestimmt teuer“, „ahnst du, mein Sohn, wie oft schon mir selbst was runtergefallen? alles, wirklich, halb so… nee, gar nicht schlimm. Bitte aber kehr es auf.“ Ich zurück zum Schreibtisch. Nach wieder einiger Zeit der Bursche, vor dem zweiten Arbeitstisch, mir mit siegreich gehobenen Fäusten zugewandt: „F r e i!“
Einige Zeit mit Wien telefoniert, schließlich Männerabend, um elf hab ich den Jungen aufs Lager geschickt, heut abend will er wieder bei E. sein, und ich weiß, die beiden Jungs machen sehr gerne durch mit ihren Ifonen und Laptops im Netz; ich krieg so am Rande die My-Video- und You-Tube-Kultur mit, wie die ihre Vorstellungswelten prägt und mitbestimmt; mir wär die langweilig, den Jungen ist sie ein Pflaster, über das sie mit den Skateboards ihrer Imago rasend dahinsurfen, und sie probieren sich an Tricks und Kapriolen: deutlich ist mitzubekommen, wie sie sich vorbereiten auf die kommende Welt. Die wird auch ihre Berufe mitbestimmen, wird anders definieren als die unsere für uns, was lebenswichtig, überhaupt wichtig ist, daß man es mitbekommt und behrrscht, sprich: unsere Fähigkeit, selektiv wahrzunehmen, die wir mit ihnen teilen, verändert ihre Schwerpunkte, Notwendigkeiten und Fakturen, verändert sie entscheidend. Andres sinkt hinab, an dem aber wir noch hängen, vielleicht sogar, was uns das Wichtigste gewesen.
Evolution. Wir evolieren. Wir meint die Art.
Auch davon handelt Argo, handelt das Anderswelt-Projekt.
Auch unser Verständnis von Geschichte verändert sich, unsere Perspektive auf sie, nicht allein, weil wir andere Kenntnisse erlangen, neue Daten, um es zeitgenössisch zu sagen, während sich andere Daten als zweifelhaft oder sogar falsch erweisen – oder als eine Interpretation -, sondern weil wir selbst sie anders interpretieren je aus der anderen Zeit heraus. Wir erkennen neue Zusammenhänge, andere als unsere Vorderen, so auch unsere Kinder: andere als die unseren. Noch Späteren, da bin ich mir sehr sicher, werden wir alle naiv vorkommen und es dann, tatsächlich, auch sein: wir, die Neanderthaler, wir, die an die Erdscheibe glaubten, wir, deren Wälder, als es sie noch gab, voll der Elfen waren. Wir, die Bücher lasen und Hinkelsteine schleppten, um uns darin zu verewigen. Die werden dann von Gärtnerrobots gepflegt, sonntags picknickt man davor und grillt, und junge Liebende, wenn die Nacht herabfällt, lehnen sich dran, um zu küssen. Und einige von uns wird man für Alte Große wissen, aber doch lächeln, wenn man sich vorstellt, wie wir auf Toilette gingen und daß wir selbst noch kochten – an Geräten, die man für furchtbar primitiv hält, zudem für gefährlich, weil jeder DIN-Norm spottend, um mal vom TÜV ganz zu schweigen, und daß wir wirklich glaubten, etwas „da draußen“ sei von größerer Bedeutung als die unendlichen, aber erreichbaren Räume unseres Innern, die wir längst besiedelt haben.
Die Welt wird zu Literatur. Kunst war sie immer.
Vorstellung ach!: mein alter Kant.
Die Schwellung geht immer weiter zurück. Ich aß gestern zu abend, kaute mit trotzigem Nachdruck ohne erneuten Schwellbefund. Dies meinen ärztlichen Folgern. Der Herbst wird nun wieder arbeiten, ohne sich um Symptome zu kümmern.
9.10 Uhr:
[Tschaikowski, b-moll.]
Die Löwin geweckt, langes Gespräch; sie hatte eine noch viel längere Nacht, und wenn einiger Wein sie accompagnierte, dann spricht sie deftig Dialekt, so noch im Halbschlaf. Sie kann dann sogar sissi‘n, also junge Schneider, Tochter der Magda, intonieren, und ich bin, noch nicht faßgebinderscht, Karlheinz Böhm dann.
Daraufhin den Kakao für meinen jungen vorbereitet, in den Kumb gefüllt, das Klavierkonzert in den Player, dann beides gleichzeitig serviert. Nur eines aber kann ich zeigen, denn das andre klingt:
11.28 Uhr:
Das geschieht nun wirklich nicht oft, daß ich mich veranlaßt sehe, auch >>>> bild „künstlerisch“ tätig zu werden.
22 Uhr:
[Stille bei Wein.]
Weniges hilft mir so sehr bei der Argo-Arbeit, gerade jetzt, in dieser schwierigen Zeit, von der ich Ihnen viel weniger, ja eigentlich gar nichts erzähle, als mir auf dem Herzen brennt… nicht erzählen darf, bzw. sollte… weniges hilft mir so sehr, wie Dr. Nos Thetis-Gespräche, die er >>>> jetzt weitergeführt hat, und ich, diesmal wieder, habe geantwortet. Nach einem längeren Gespräch mit dem Profi, nach einem längeren Gespräch mit der Löwin. Vieles wird grad ziemlich bitter, da brauche ich ein Licht. Und wie sagt die hoffende, rhythmisch aber holpernde Sprache? Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Dies ist ein ganzer Flutlicht-Strahler.
Tief zu Mittag geschlagen, Argo bis TS 508, das Bergfest hab ich verschlafen, bzw. mich darüber hin mit irgend welchem Zeug geschlagen. Mein Ruf, daß ich höchst schwierig sei, dürfte sich bestätigt haben. Dabei bin ich es gar nicht, bin im Gegenteil offen, erwarte aber die selbe Offenheit von anderen. Kommt sie nicht, bin ich enttäuscht, verletzt und möglicherweise wütend. Sowie: Ich schlucke nicht, was mir nicht schmeckt. Nie. Auch nicht um eines Vorteiles willen, den man oder ich selbst mir verspreche. Lieber verzichte ich. Nein, ich bin kein Diplomat. Wenn ich es wäre, hätte ich den falschen Beruf.
Abendpfeife. Stille bei Wein.
Dartpfeile, die Spitzen in Curare getunkt.
Giacomo Joyce abgeschossen.
Ich habe Ihnen auf TT bereits geantwortet, Herr Kollege! Da kommen Sie nun nicht mehr raus. Wird eh Zeit für ein Skandalchen zur Frankfurter Buchmesse; Schaf auf Bücher reicht einfach nicht.
Reicht d o c h@Frau Phyllis. ’s fehlt einfach nur ein „r“.
Sagen Sie das mal >>> dem da : )
Die Feinsinnigkeit der deutsche Sprache, Frau Kiehl. Gepaart mit Präzision.
Nimmt entschieden zu.