[Eine erste Kritik aus der >>>> Digital Concert Hall.
Die Stax auf den Ohren: zu schreiben, während man hört.]
Die Stax auf den Ohren: zu schreiben, während man hört.]
Es ist wohl d o c h etwas mit Brahms, >>>> meine Abwehr brach in die Knie; hier war nun gar nichts, außer dem Schluß, akademisch. Langsam, aber so, daß drin schon ganz die Ballung, läßt Rattle seine Phiharmoniker >>>> das Klavierkonzert beginnen, dieses zweite, als stünde es in moll. Thema in den Hörnern, schwer von Bronfman, aber wie leicht, übergleitet, Thema und fast schon Abschluß. Doch bricht auf: beharrend im Klavier, nachdrückend im Klavier, ganz ganz weites Dur aus den Streichern, weiches absteigendes Modulieren, drunter die Bässe, Aufschwung. Und noch einer, energisches Abermals-Beharren: eine Ouverture, Rattle hat ganz recht: das Stück ist, nicht nur wegen der für ein Konzert ungewöhnlichen Viersätzigkeit, eine Sinfonie. Der schwere Yefim Bronfman durchstapft sie, man kann direkt den Anschlag hören; auch seine Klangperlen sind schwer, aber nicht, niemals lethargisch, sondern von Feuer. Das brennt in dem Mann. Genau diese Schwere gibt Brahms‘ zweitem Klavierkonzert die männliche Präsenz, die es braucht: Ausdruckswille paart sich mit Verantwortung darin. Von hinten rufen die Posaunen. Nein, Abklärung ist nicht, statt dessen der Wille immer wieder, daß es gut werde. So spricht das Klavier mit den Hörnern, ergänzt ihre Versprechen um sein komponiertes Ja.
Absolut perfekt die Phiharmoniker. Rattle hat die Balance restlos ausgehört, scheut keinen Überschuß darum und muß ihn auch nicht scheuen, kann es plötzlich regnen lassen, nur eine Wolke, die ihren süßen Schatten auf das Thema legt: eine Spur Chopin klingt mit, Melancholie >>>> mit einer kleinen Hand, darüber aber – Wille! – Liszt, die thematischen Bögen der Spätromantik. Einhalt. Einmal Atmen. Dann Schluß des ersten Satzes, geradezu klassisch im Akkord. Pause. Neuer Aufbruch, die Erzählung noch einmal, doch quasi slawisch gewendet; dazu passen die Mollkommentare der tiefen Streicher, über die das Klavier gleich wieder sein Weiter! Weiter! hinwegruft. Jetzt beharren die hohen Streicher, Tschaikowski, denkt man, aber Brahms führt auch das ins Thema des Klaviers zurück. Pizzicato-Retardieren. Dagegen Crescendo: Flöten hinauf, Dialog mit den Streichern, Zusammenfassung, stehender Tanzschritt, mit dem ein fast fugiertes Sprechen anhebt, um in den Klavierpart zurückzuleiten, der resümmierend das akkordische Seitenthema einschiebt, halb triumphierend, halb aber müde vom Tag. Erneuter Einhalt in den Hörnern, wiederneuer Aufbruch zum Satzende, bevor es dann zu den fassungslos schönen Dialogen, zeitlos verklärten Gesprächen, kommt, die der erste Cellist, dem der Dritte Satz quasi gewidmet ist, mit dem Pianisten führt. Wie die Geigen dazu singen, hat etwas vormahlersches, und überhaupt ist dieser Satz aufgelöst in Zwiegespräche Liebender, leichter, man hört das Klavier quasi improvisieren: so mag der Komponist gesessen haben und menschlich vor sich hinprobiert, die Zigarre zwischen den Zähnen, geschwelgt und verliebt und sein Thema begriffen, unsers, und beharrt, denn er ist keiner, der sich auflösen läßt, auch nicht von den Stimmungen. Bronfman meditiert, die Bläser singen, hoch drüber steht die Klarinette. Über die kondensmatten Fensterscheiben laufen Regentropfen. Sie fallen draußen von den Zweigen. Nun ist er da, der Herbst. Und das Cello, wahnsinnig schön, nimmt sein Thema wieder auf: Komm jetzt, sagt es zum Klavier, komm jetzt. Das leicht die Füße aufsetzt, so schwer es ist. Und wieder die Führung übernimmt, den Arm um die bereite Frau. Man muß das gehört haben, wie das Cello schließlich den Kopf beugt und ihn Bronfmann an die Brust legt.
Das macht glücklich. Also, vierter Satz, will jetzt – lebenslustvoll – triumphiert werden. Was nicht ganz gelingt, weil ja da die Themen und der Regen draußen sind. Die wolln bewältigt werden. Dennoch: klares Dur des Klavierparts. Jedes Lächeln, schreibt Goethe, leuchte über einem dunklen Grund. Und das Temperament beharrt: Noch einmal ein Aufbruch, fast schon Abschied: wie darüber hinaus! Die Streicher nehmen erzählerisch das retardierende Zwischenmotiv wieder auf, und Bronfman kommentiert. Man kann dieses Konzert gar nicht oft genug hören, dachte ich, denke ich wieder, während ich‘s zum nun dritten Mal im Ohr habe und erstaunt bin, wie Brahms das hinbekommt, mit einem Lauf ins Finale zu führen. Der schwere Mann rennt ja, flitzt, flitzt in den Geigen, spottet mit drei Pizzicati… ah! ja! das war doch auch Dur… – Und eh ihm noch etwas dazwischenkommt, nicht noch einmal die Schwermut, schließt er – akademisch. Na, denk ich, prima aus der Affäre gezogen.
Keine Sekunde vergeht, da ruft hell eine Frau: „Bravo!“ Der Applaus hätte Zugaben gern. Bronfman, zu recht nach diesem Stück, verweigert sie. Eh sich die Leute einklatschen können, stehen die Philharmoniker auf und gehen in die Pause. Worinnen Simon Rattle von Lutosławskis erzählt, ihren Begegnungen, und wie er, als ein junger Mann, zum ersten Mal diese Dritte gehört. Er habe sie, Lutosławski, für Solti und das >>>> CSO geschrieben, ein Orchester, bei dessen Nennung das Herz des High-End-Begeisterten wild zu pochen anfängt: die Pressungen damals… die LPs von Decca…******
Keine Sekunde vergeht, da ruft hell eine Frau: „Bravo!“
Nun aber Witold Lutosławskis. Dritte Sinfonie, 1983, Solidarność und Befreiung. Der sozialistische Realismus zerfällt. Mit lìgetischen Flächen hebt die Sinfonie an, erst ein Schlag, dann die Flächen. Auch hier wird e r z ä h l t, doch durch all die Zerfällnisse hindurch, in die Brahms‘ Versprechen mit hineingeführt haben. Keine breiten Themengänge mehr des Mischklangs, sondern ausgebreitete, pizzicatokonturierte Polyphonie mit ziehenden, sich verschleifenden Geigen, ja ziehenden Posaunen, woraus sich etwas formt, das melodiehaft ist, wie eine Melodie, aber nicht plotwillig: nicht bereit, in verordnetem Schulterschluß zu marschieren. Statt dessen: Sym/Phonie der Einzelnen. Mit einem Mal wird klar, wie ausgesprochen klug es war, Brahms zweites Klavierkonzert und diese dritte Sinfonie zu kombinieren, daß beide nicht nur, etwa in der Präzision der Faktur, verwandt sind, sondern worauf der musikalische Chef des Hauses, Rattle eben, insgesamt seinen programmatischen Akzent legt: wie er vermitteln will mit großer Musik, sie aber auch miteinander. Auch in Lutosławskis Stück gibt es ein Klavier, das allerdings nicht vordergründig solistisch geführt ist, sondern als eine Klangfarbe, die dem nicht selten dominanten, höchst virtuos komponierten Schlagwerk zuspielt. Es steht auch nicht vorne, sondern mitten im Orchester. Dann ein reißendes Laufen der Geigen, darüber Glocken und fanfarenartig, doch ebenfalls im Lauf, schneller noch, rennend, die Posaunen.
Es gibt für diese Musik noch keine Bilder, die metapherntauglich wären…. oder doch, gibt sie, nur steigen sie nicht auf, sondern schießen vor und zerplatzen, so sehr drängt das und drückt immer wieder nach in den verschränkten, ineinander verwobenen Partien dieser Einsätzigkeit.
Es gibt für diese Musik noch keine Bilder, die metapherntauglich wären…. oder doch, gibt sie, nur steigen sie nicht auf, sondern schießen vor und zerplatzen, so sehr drängt das und drückt immer wieder nach in den verschränkten, ineinander verwobenen Partien dieser Einsätzigkeit.
Und Lutosławski, wie Brahms, kann auch schwelgen – ab (ich hab die Partitur nicht hier) Minute 11 etwa und später noch einmal, im Epilog, ab Minute 26 -, kann sich aufschwingen wie d e r: doch ist das ein wie durch Aufnahmen der Zwanziger gefilterter Romantiklang. Mit dem die Sinfonie auch, beinahe, endet. Tatsächlich endet sie mit schließlich vier Posaunenstößen.
Rattle legt die Sinfonie energetischer, auch schärfer an als etwa Antoni Wit in seiner berühmten >>>> Einspielung mit dem polnischen Nationalorchester, die ich vorher- und jetzt noch einmal vergleichsgehört habe. Dort sind die Romantikbezüge größer, insgesamt die Linien weicher als bei den Berlinern Philharmonikern jetzt, versöhnlicher, sogar ein bißchen sentimental manchmal. Mitunter läßt sich‘s nicht recht begreifen, wie unterschiedlich die Partituren ausgelegt werden können – wozu aber Lutosławskis selbst die Instrumentalisten motiviert hat: in die Dritte Sinfonie sind, wie freigelassen, „Zufallsstellen“ komponiert, die selbstgestaltet werden können – ein Verfahren, das Maderna wiederaufnimmt, nämlich sein >>>> Quadrivium von 1969, allerdings weniger radikal, weniger experimentell, sondern in, noch einmal, lìgetischer Tonwebkunst.
Atemlos, wie Rattles Philharmoniker nie nachlassen, einen gepackt immer weiterzuziehen, fast ohne Einhalt, wie man dann aufatmet, gerade auch nach den von Hörnern über Streicher aufsteigenden Himmelsleitern zu den Trompeten und ihren triumphale Fanfaren, unter denen aber die rutschenden Streicherklänge wieder liegen, abgenommen von einer bedeutungsvollen, geradezu wagnersch raunenden Fin-de-Siècle-Geste aus Celli und Bässen. Und wie am Ende dann doch so etwas wie ein deutlich melodisch konturiertes Thema durch die Hörner in den Saal dringt und zum Finale des Epilogs führt. Großartig.
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Aber dann.
Dabei hat der Saal doch begriffen.
Woher diese…. Verzeihung, aber: Geschmacklosigkeit, anstelle daß man nun schwiege, solche Zugaben zu präsentieren? Sir Simon wendet sich zum Publikum und sagt: „Wir wollen noch zweimal zwei Minuten Musik spielen.“ Oh, denke ich, spannend. Erwarte vielleicht zwei weitere Stücke Lutosławskis, vielleicht auch anderer Stücke, die sich auf ihn beziehen, ein kleines Requiescat vielleicht. Doch was gibt es? Ein kapriziöses Stückerl von Tschaikowski, wie als wenn es nötig wäre, sich mit Lutosławski zu versöhnen, gut, ist ja ganz hübsch. Und aber was denn d a n n? Von Dvořák einen slawischen Tanzreißer. Enttäuscht, ja angeekelt breche ich die Übertragung ab. Und bin noch >>>> wütend bis spät in der Nacht.
Dabei hat der Saal doch begriffen.
Woher diese…. Verzeihung, aber: Geschmacklosigkeit, anstelle daß man nun schwiege, solche Zugaben zu präsentieren? Sir Simon wendet sich zum Publikum und sagt: „Wir wollen noch zweimal zwei Minuten Musik spielen.“ Oh, denke ich, spannend. Erwarte vielleicht zwei weitere Stücke Lutosławskis, vielleicht auch anderer Stücke, die sich auf ihn beziehen, ein kleines Requiescat vielleicht. Doch was gibt es? Ein kapriziöses Stückerl von Tschaikowski, wie als wenn es nötig wäre, sich mit Lutosławski zu versöhnen, gut, ist ja ganz hübsch. Und aber was denn d a n n? Von Dvořák einen slawischen Tanzreißer. Enttäuscht, ja angeekelt breche ich die Übertragung ab. Und bin noch >>>> wütend bis spät in der Nacht.
Fünftes Anhören der Dritten. Ab Minute 23 etwa hört sich kurz sogar >>>> das Adagietto hindurch. Je öfter man sie hört, desto reicher wird diese Musik Lutosławskis. Es reicht einfach nicht, nur einmal ins Konzert zu gehen.
Ich habe einen Vorschlag für ein Programm:
PAUSE
Lutosławski, Sinfonie Nr. 3
PAUSE
Lutosławski, Sinfonie Nr. 3
Ob das wohl jemand wagt?
(Sowie >>>> Franke und sein Team die endgültige Video-Version fertiggestellt und in die digitale Konzerthalle eingestellt haben werden, werde ich auf dieses Konzert noch einmal zurückkommen.)