[Kloster Irsee, 125.]
Die Diskussion zum Text kam erst nach der Lesung, im Kreis meiner Teilnehmer, jedenfalls einiger, unten im Felsenkeller. Eine der Damen hatte ein Unbehagen gegenüber der von mir für >>>> die Vergana-Erzählung gewählten Sprachform, mehr: Sprachhaltung, worin, in dem Unbehagen, sich eine Irritation gegen den hohen Ton aufbegehrt, den sie dem 19. Jahrhundert zuordnet, der das freilich nicht ist; aber bestimmte Signalwörter – etwa „ich schritt“ zu verwenden anstelle „ich ging“ („Das sagt kein Mensch heute mehr“) – unterstreichen den Eindruck. Überhaupt sei, im Gegensatz zum Erzählten selbst, vor allem im Gegensatz zu seiner Konstruktion, die Arbeit mit ausbalancierten, sozusagen heilen Sätzen unmodern undsoweiter. Ich wußte sofort, was sie meinte, nämlich die Schönheit der Sprache, die ganz im Gegensatz zum Schaurigen des Erzählten stehe, das eine quase-auktoriale Erzählerhaltung gar nicht mehr erlaube.
Ich geriet leicht in Harnisch, wie immer in solchen Fällen, wenn mir wichtige Erzählungen sozusagen von innen her unter Feuern genommen werden, verteidigte erst das „schritt“ ein bißchen zu schroff; tatsächlich war mir der meiner Wortwahl inneliegende Widerspruch bislang gar nicht aufgefallen; aber es ist etwas daran, was sie sagte, sogar einiges, so daß ich noch lange darüber nachgedacht habe, offensichtlich sogar während des Schlafes (was jetzt nicht im Träumen meint, jedenfalls erinnere ich mich an so eines nicht), – denn, um das kurz zu machen, als ich eben erwachte, war mir mit einem Mal ein tatsächliches Skandalon klar und auch klar, weshalb gerade diese Erzählung immer wieder so heftigen Widerspruch auslöst. Es ist nicht die, wie ich gestern nacht noch argmentierte, Differenz zwischen Erzählung und sprachlicher Erzählhaltung, daß eben sie – so argumentierte ich nachts – das Schaurige des Erzählten überhaupt erst, ja ganz besonders spürbar mache, sondern die Sprachschönheit stellt das ohnedies als mythisch Notwendiges erzählte Geschehen als etwas dar, das so sein m ü s s e, das richtig so sei, wie es geschehe. Sein Determiniertes, eigentlich Anlaß zum Aufbegehren, wird in der Vergana sozusagen klassisch. Das ist eine Art Ergebenheit in so etwas wie das Schicksal, dem hier nicht mit Abwehr, sondern mit einer Annahme begegnet wird, die sich geradezu, in der Sprachhaltung, verklärt. An die Stelle des Klagens, bzw. Anklagens tritt das Lob. In dem Moment erhebt sich die Erzählung über das, was wir moralisch nennen. Kurz: es wird ästhetisiert, aber nicht kalt wie bei etwa Jünger, sondern nahe., ja gewissermaße „gläubig“, – tatsächlich wirkt da ein religiöser Impuls, in dem – auch, nicht nur – ein „danke, lieber Gott“ mitschwingt, „daß du mein Kind zu dir genommen hast“. Da ist selbstverständlich eine Abwehrbewegung-selbst, der dann fast psycho/logischerweise, genau das wurde mir beim Erwachen klar, die Abwehr ja sehr vieler Leser völlig entspricht: sie ist ein Spiegel der Erzählerabwehr, psychoanalytisch gesprochen: ist ihre Übertragung; sie aber indiziert, wie tief das Erzählte schon in den Leser schon eingedrungen ist. Das, was ich die Schönheit der Sprache nenne, die, wie meine Kritikerin eben nicht zu unrecht moniert hat, zu dem eigentlichen Erzählten so gar nicht passe, hat es den Lesern unter die Haut gespritzt – darum auch schrieb >>>> dort der Kommentator, sinngemäß, man werde die Erzählung nicht los, vergesse sie nie.
Eine andere Entgegnung hatte ich allerdings sofort auf der Zunge, da, nachts im Felsenkeller: daß ich eben nicht profanieren wolle, womit dann schon das religiöse Moment angesprochen war, um das es mir seit langem geht, früher aber recht unscharf und erst in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten zunehmend deutlich konturiert, will sagen: um das Pathos, das ich mir auch im und für das Leben nicht verdienen und durch eine ironische Brechung ersetzen – surrogieren – lasse, die alles, wenn man es versprachlicht, zu einem Uneigentlichen macht und dadurch, wie ich meine, reduziert, ja lästert. Dies ist in mir allerdings erst stark geworden, seit ich Vater bin; darin wirkt mit, daß ich mir Vaterschaft nicht relativieren lasse. Ein Drittes schließlich, seltsam, daß mir das gestern nacht nicht einfiel, ist die Bewegung der Postmoderne, die eine Bewegung von Befreiung ist und nicht nur auch eine sowohl nichtironische wie sozusagen ganzheitliche Haltung von Sprache wieder möglich gemacht hat, sondern die Verwendung einer schönen, nämlich in ihrer besonderen, syntaktisch vollendeten Schönheit heilen Sprache mitsamt dem Eindruck eines „Alten“ darin, das die Kritikerin „19. Jahrhundert“ nannte, entspricht sehr genau auch der uns unterdessen viel bekannteren Realität, als sie es noch vor einhundert Jahren war. Ich meine die Gleichzeitigkeit verschiedener, sagen wir:, historischer Zustände in der Gegenwartswelt, all die Brüche und Risse, die uns die Globalisierung vor Augen führt, von der Übernahme eigentlich tribaler Sitten („modern primitivs“) in die besonders Jugendriten bis hin zu dem Recht, das etwa der orthodoxe, nämlich fundamentalistische Islam für sich so unüberhörbar einfordert, daß wir reagieren m ü s s e n und – durchaus modern – davon bedroht sind, ohne daß wir wissen können, mit schließlich welchem Ergebnis. Auch für diese Ungleichzeitigkeit, aber als eine angenommene, stehen Erzählhaltung und damit Sprachwahl der Vergana.
Das erst einmal in den Morgen. Ich bin mir ziemlich sicher, daß mich die Vergana noch einige Male beschäftigen wird.
15.10 Uhr:
[Kloster Irsee, Vier Jahreszeiten 102.]
Die Diskussionen um die Vergana gehen weiter, bzw. fangen eigentlich jetzt erst an. Wobei mich immer wieder die Irritation fasziniert, daß ich selbst, weil ich den Protagonisten der Erzählung sich Alban Nikolai Herbst nennen lasse, für diesen Protagonisten genommen werde – also wie weitgehend in Lesern und Hörern projektive Identifikationsprozesse geradezu ungebrochen weiterwirken, und wie daraus dann für einige folgt, ich selbst, ANH, sei imgrunde der Unhold, der aber schon der Erzähler der Geschichte nicht ist, sondern der nimmt das Geschick lediglich an und trägt es aus – ohne freilich daran zu zerbrechen, etwas, das vielen Menschen gegen die innere Moral zu laufen scheint. Andere Hörer wiederum kommen zu mir und berichten von ihrer Faszination und wie ihnen die Erzählung eigentlich erst jetzt, am Tag nach der Lesung, nachzugehen, wie sie in ihnen aufzusteigen beginnt. „Da kann man dir aber Kalkül vorwerfen“, sagt skeptisch Christina von Bitter. Daran wiederum irritiert mich dieses moralische „vorwerfen“. Denn selbstverständlich ist Kunst auch kalkuliert. Auch, wohlgemerkt. Ohne dieses Kalkül wäre sie schlichtweg, schon gar in der Moderne, naiv – welches ein Begriff ist, den nun mehr ich eine Kunst, die es ist, anlasten würde. Naivetät ist für mich, offenbar anders als für andere, völlig inakzeptabel, und zwar im selben Maß, in dem ich sie als unerotisch empfinde.
Wie auch immer, es sind aus meinem Kurs jetzt neue Arbeiten >>>> dort zu finden, sowohl erzählerische als auch bildnerische. Deren Künstler sind gespannt auf Ihre Reaktion. Und ich schau einmal hoch zu den schönen, sehr schönen Bein:innen der Tänzer: