Der erste Schneidetag. Sowie Über Briefe und Briefe. Das Argo- und Galouye-Journal des Montags, dem 30. April 2012. Die Vorhänge der Wirklichkeit (6).

8.45 Uhr:
[Arbeitswohnung.]

Pünktlich hoch, von 4.50 bis 8 Uhr an Argo gesessen, die mindestens vier Seiten geschafft, also bei TS 481 oben gelandet. Es wird knifflig werden, all die Verbesserungen, Streichungen, Umschreibungen aus meiner aus Platzgründen oft winzig werdenden Bleistifthandschrift in die Datei zu übertragen; davor graut mir ein wenig. Sei‘s drum, gehört zum „Geschäft“. – Dann rief die Löwin an, die bei der >>>> dort gewählten Form ein Unbehagen hat; Briefe seien die letzte uns als privat verbliebene Mitteilungsform; ich verletzte sie, für ihr Empfinden, durch die Literarisierung. Ich wandte ein, klar, den Literarischen Brief, die veröffentlichten privaten Briefwechsel usw., obwohl ich verstehe was sie meint. Andererseits ist auch der Brief, oder kann als solcher geschrieben werden, eine Kunstform – womit er von vornherein auf Publizierung angelegt sein und werden kann. Dennoch. Werde drüber nachdenken müssen.
Jetzt aber geht es an die Schneidearbeit; das ist immer viel und eine lange Mühe, vor allem, weil ich immer schon mit dem Ohr ins Hörstück schneide, also auch Sprechpausen kürze oder welche einfüge, manchmal direkt innerhalb eines gesprochenen Wortes. Ich höre ja stets schon die Montage mit, Überlappungen, Abdeckungen, Musik. Manchmal verändere ich die Betonungen der Sprecher, indem ich einzelne Silben dynamisch anhebe oder, das ist nur spürbar, die Sprechgeschwindigkeit moduliere. Man muß da ausgesprochen dezent sein, weil solche Veränderungen auf die Tonhöhe gehen; der Character jeder Stimme soll aber erhalten bleiben. – Ich denk mal, daß ich mit den Schneidearbeiten heute und morgen voll beschäftigt sein werde, unterbrochen von den anderthalb Stunden am Cello, dem Mittagsschlaf und abends, vielleicht, >>>> der Bar. Habe den Profi zu wenig gesprochen, finde ich. Möglicherweise fange ich mit einer neuen Lektüre auch insgesamt erst wieder nach den Schneidearbeiten an.

Bevor ich aber loslege, noch dreivier dringende Mails. M. und ich haben gestern nachmittag ein schönes Veranstaltungsprojekt entworfen, für das noch jemand zu gewinnen ist. Außerdem braucht meine Redakteurin die An- und Absagetexte für das Hörstück, weil ich diese auch dieses Mal in das Klangbild mit einkonstruieren möchte, also die kleinen Dateien für die Tonmontage brauche.

Es ist so warm, daß ich nicht einmal mehr morgens einen Pullover über das Hemd ziehen muß, trotz des stets geöffneten Fensters. Und nur die Pants – so nennt man die Dinger, weiß ich seit eben – habe ich an. Beginnende Freiheit des Sommers.

19.42 Uhr:
Beinah das Ende dieses Schneidetages; ich bin mit der „Putzerei“ der >>>> Sprecheraufnahmen aus dem ARD HS jetzt eigentlich fertig; aber ich höre immer noch mal solch ein Glucksen in der Stimme Chohans, ein Mundgeräusch, das vor allem bei „trockenem“ Speichel entsteht. Sie hat das sonst nie gehabt, bisweilen muß ich in die einzelnen Silben tief hinein, um das Ding zu erwischen. Des weiteren ging es mir um Rhythmisierungen, die ich durch, wie ich schon hierüber schrieb, Kürzung von Sprechpausen erreiche; in einigen Fällen tauschte ich Sprechversionen aus. Dazu archiviere ich jedes Nebengeräusch, jeden Stöhner, Ächzer, sich aus der Situation ergebende Lacher, Bemerkungen wie „ach so“, „Verzeihung“, „noch einmal bitte“ – alles Material, das zur Verlebendigung solcher Stücke beitragen kann, wenn man es einzumontieren weiß. Im Studio selbst wäre das gar nicht möglich, weil – der Zeit wegen – viel zu teuer. So etwas ist wirklich nur von jemandem zu leisten, der die ganze Produktion alleine fährt.

Rasiert, geduscht, was gegessen; gleich mach ich mich auf den Weg in die Bar und beschließe also den Schneidetag I. Morgen geht es mit den Schnitten der Barrientos-Außenaufnahmen weiter. Und vielleicht krieg ich in der Bar die Toilettenszene hin; überdies sitzen da genügend Leute, die ich für die „Zufallsstimmen“ bitten kann.

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