Im letzten Satz von Bernhards ‘Auslöschung’ bekam ich eine Art kabbalistischen Schreck, da es in einer Parenthese heißt, Murau, der sonst nicht beim Namen genannte Ich-Erzähler (er sei, wie ich bei weitergehenden Lektüren erfuhr, auch am Anfang einmal genannt, woran ich mich aber selbstredend nicht mehr erinnert habe) sei 1954 in Wolfsegg geboren und 1985 in Rom gestorben. Das Geburtsjahr stimmt ja überein, auch wenn der Geburtsort nur W. gemeinsam hat, allerdings reimt sich der Ort, in dem ich letztlich aufgewachsen mit seinem ‘eck’ auf ‘egg’. So ab ovo gesprochen. Woraus sich nichts anderes herleiten läßt, als daß bloß die Zahl stimmt und somit nichts. Ein bissel Gänsehaut bereiten aber die beiden Angaben ‘1985’ und ‘Rom’. Zu dem ein Sterben hinzukommt. Da ich aber genau in jenem Jahr nach Rom gezogen bin, kommt mir die Sterbebedeutung dieses Umzugs nicht aus dem Sinn. In einem gewissen Sinne ließe sich sagen, daß damals etwas in mir gestorben ist. Denn was bis dahin gewesen war, beging in dem Moment eine Art Suizid. Der Versuch einer letztendlich dann aber doch nicht gelungenen Auslöschung.
Wie ich ja auch versuche, mich zuweilen in die Zeit vor dieser Art Suizid zurückzuschreiben. Die dadurch tatsächlich an Lebendigkeit wiedergewinnt, ohne dadurch Leben selbst wiedererstehen zu lassen. Was sich von selbst versteht. Während die zwei Jahrzehnte, die auf diese Art Suizid folgten, eher den immer wieder hinausgeschobenen Niederschriften gleichen, die Bernhard in seinen Romanen so oft thematisiert. Alles ist Vorwand, das Blatt unbeschrieben zu lassen, was diese zwei Jahrzehnte Suizid und sozusagen Anpassungsanstrengung betrifft. Die ja letztendlich auch gescheitert ist. Zumindest in dem engen Rahmen, in dem dies “a tu per tu” und en famille geschah.
Nach knapp 1800 Seiten Bernhard werde ich mich von ihm wohl verabschieden für wahrscheinlich eine lange Zeit. Ich bin mir sicher, daß hinter seinen Werken eine musikalische Struktur steckt. Aber ich verstehe zu wenig von Musik, weiß auch gar nicht, ob ich mich deshalb in Sekundärliteratur verbeißen soll. Wahrscheinlich nicht. Es wäre so unsinnig wie damals dem ‘Fimmel’ (ohne deshalb respektlos zu sein) des Freundes zu folgen, über Filmmusik zu schwadronieren anläßlich des damals x-mal gemeinsam gesehenen ‘Shining’. Dieses tatsächlich öftesten Films meines Lebens.
Auch eine Art Auslöschung, auch eine Art Wolfsegg.
Lustig, wie der Tabaccaio mich immer anblafft, wenn ich am Frühabend auftauche, und er sich grad draußen unterhalten will oder sich tatsächlich unterhält. Gestern – die Kartenhexen hatten gerade ihren Kartennachmittag beendet und standen vor schon verschlossener Garage – war er dabei, sich zu dem vorerwähnten Alexander, der eine Bierdose in sich hineinkippte, auf die Schaufensterbank zu setzen, guckte mich an, zeigte auf die Uhr, verzog sein Gesicht: unrechte Zeit, ich hätte vorher oder nachher kommen sollen. Fluchte vor sich hin, während er wieder in den Laden ging. Im Gegenzug bot ich ihm an, bei ihm vorher telefonisch anzufragen, ob ich kommen dürfe. Prompt druckte er mir seine Telefonnummer aus.
Ackerwinden Birkensaum Roggenmuhme Wachtelberg hümmeln in der Ferne, als zu rauchen ich begann und sann und dann tatsächlich mich besann auf mein Gesinggesang.
Mit Jahreszahlen Mit Jahreszahlen ist es vertrackt. Deshalb muss ich Sie korrigieren. Murau ist nicht 1954 in Wolfsegg geboren, sondern 1934. Und gestorben ist er 1983 in Rom, nicht 1985. Aber vielleicht wird es ja nochmal, in einer späteren Auflage.
Gruß von Gambetti
Danke, Gambetti, ich las es dann selbst noch im Nachwort, aber gestern erst, was nichts an meinen Auslassungen ändert, die ja tatsächlich von dem merkwürdigen Druckfehler der Suhrkamp-Ausgabe der Bernhardschen Romane ausgingen, ohne mir dessen in dem Moment bewußt zu sein. Es sprang sozusagen etwas auf mich um.
Ich nenn‘ mich jetzt aber nicht Murau, sondern nur Gruß.