Gleitende Träume, Verknotungen und Leonard Cohaens Gesänge. Das Familienjournal, Sohnesjournal, vielleicht auch ein bißchen Arbeitsjournal des Sonntags, dem 18. Dezember 2011. Dazu ein kleines Kleistparkkonzert am Violoncello.

7.50 Uhr:
[Arbeitswohnung. Haydn, Sinfonie Nr. 87.]
Habe ausgeschlafen, habe mich dem Träumen, das mich um halb sechs Uhr früh überkam, als ich aufstehen wollte, oder um Viertel nach fünf bereits, einfach überlassen und bin auf dem Träumen pflichtlos sanft gesurft: wie einer im Wind treibt, dem es nicht egal ist, wo er schließlich aufkommt, sondern er ist neugierig darauf und voller Zuversicht. So schlief ich mit zudem einer Viertel Erregung, die aber, ganz gleichfalls meditativ, gar nichts wollte als vor sich hinzuwärmen und, gleichsam, zu schauen. Bis ich um halb acht dachte, es sei nun genug, und über diese Minute hinaus werde es dann Nachlässigkeit, werde der psychohygienisch gute Schlendrian zu Schludrian, der nicht, in kantschem Sinn, interesselos, sondern desinteressiert sei. Gar nicht so leicht, den inneren Vorgang in Worte zu fassen. Jedenfalls stand ich bester ruhiger Dinge auf und schaute mit leiser, zuversichtlicher Freude in dieser nun >>>> derart gesäuberten Wohnung herum. Zudem, daß mir nach Haydn ist, ausgerechnet, kommt auch nur alle fünf Jahre einmal vor, oder sagen wir: vier. Nur die späten Klaviersonaten nehm ich, in Goulds Interpretationen, davon aus.
Welch ein Treffen! Erst saßen wir, >>>> meine Impresaria und ich, im Einstein, dann zogen wir >>>> in die Bar hinüber, wenige paar Schritte, wo wir viel Champagner tranken und insgesamt fünf Stunden lang nur sprachen, uns erinnerten, gemeinsam, die Schlüsse erzählten, die wir aus Erinnertem gezogen; und natürlich über Frauen & Männer sprachen, über Verläßlichkeiten und Verfallenheiten, viel auch über Israel und Palästina, an die beiden wir aus verschiedenen Gründen gebunden sind; beide sind wir persönlich Arafat begegnet, beide haben wir auch dort eine schicksalhafte Verknotung erlebt, tragisch unauflösbar, schon gar von einem Kurzschwert Alexanders nicht. Ich sah in Stangs Worten die Donau, wie sie dunkel herauflockte, sah einen Wiener Zweiten Bezirk, sah Väter und Töchter, „Sie müßten noch eine Tochter bekommen“, sagte Stang, und ich nickte. „Aber vielleicht“, sagte sie, „hat sich diese Tochter in den Zwillingskindern in unsre Welt gebracht“. Bemerkenswerter Gedanke – um so mehr, als ich ihn selbst schon gehabt.
Gegen 22 Uhr nahm die so präraffaelitisch schöne wie sowieso erstaunliche Frau ein Taxi, ich brachte sie bis an die Autotür. Dann brach auch ich auf, in Glücksschüben durch die glitzernde Nacht, die gar nicht regnen wollte, in einem Zuversichtsschub, der sich beim Durchfahren des hellen Brandenburger Tores wie ein Adrenalinstoß in mir ausschüttete. Um Viertel vor elf saß ich wieder am Schreibtisch und hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen, daß ich tags doch nicht mehr an den Jungenroman II gekommen war.
So ein schlechtes Gewissen habe ich immer noch nicht. So wenig, wie ich den sonstigen Druck verspüre, arbeiten zu müssen. Irgendwie ist schon Weihnachtszeit, für Selbststress darf im nächsten Jahr wieder Zeit sein. Um halb zehn geht‘s mit लक्ष्मी und unserm Jungen zum Haus am Kleistpark, wo sein allweihnachtliches Konzert stattfindet, darin er Cello spielt vor Eltern und sonstigen, mitgebrachten Besuchern in einem hölzernen Saal. Ich laß den Tag denn laufen. Abends wird der Junge bei mir sein, hier übernachten in frischbezogener Bettwäsche auf seinem Vulkanlager, und wenngleich er morgen noch Schule hat, werden wir ein bißchen Männerabend spielen. Sollte ich zwischendurch an den Jungenroman kommen, ist es gut; falls nicht, ist es ebenfalls gut. Gut ist vor allem, zu wissen, was man möchte, und bereit zu sein, die Konsequenzen zu tragen, die es haben könnte, auch wenn man nicht weiß, welche es sein werden. Es ist wie ein Versprechen, das man blind gibt. „Versprichst du mir etwas?“ „Was denn?“ „Versprich es mir einfach.“ So daß man es tut. Man höre, erzählte Stang, das habe ihr vorhin, am Telefon, ihr Partner erzählt, den ganzen Tag lang das Gedonner der Lawinen. In zwei Tagen fährt sie in den Schnee zu ihm. Und mich hat die Innsbrucker Freundin gefragt, in einer Email morgens, wann ich denn mit meinem Jungen zum Skifahren käme. Auch die Mainzer Schwestern reisen mit den Kindern schneewärts, aber als ich gestern noch schnell eines der von Zucker wölbig beschneiten Hexenhäuschen kaufen wollte, die mein Ostbäcker Hacker jedes Jahr eigenhändig baut, hatte das Ladengeschäft schon, leider, geschlossen.

[Jean Français, Sinfonie G-Dur.]
[Claude Debussy, Nuages et fêtes.]
In dem Krimi, den ich nachts dann noch sah, wurde Leonard Cohen gehört: Die Frau, die man einmal verloren, gewinne man nie mehr zurück, und wenn man auch auf Knien bitte. Ich dachte: Wer tut denn s o was: auf Knien bitten? Was für ein komisches Bild! Komisch, ja, aber auch ein bißchen verstörend. Und von einer melancholischen Lebenssicherheit, daß man sie belächeln möchte.

Das Weihnachtskonzert:

Adrian spielt „Some Day“.

Und dann… – stolz sein dürfen, beide:

15.44 Uhr:
Und nun sind wir für den Nachmittag gemeinsam hier bei mir und werden noch mal ans Cello, dann aber gemeinsam den ersten Teil der alten Lederstrumpf-Verfilmung sehen, die,

wie auch Die Schatzinsel und Robinson Crusoe, in meiner Kindheit zur Weihnachtszeit im Fernsehen lief. Ich habe diese alten Filme unterdessen „heimgeholt“.

5 thoughts on “Gleitende Träume, Verknotungen und Leonard Cohaens Gesänge. Das Familienjournal, Sohnesjournal, vielleicht auch ein bißchen Arbeitsjournal des Sonntags, dem 18. Dezember 2011. Dazu ein kleines Kleistparkkonzert am Violoncello.

    1. oh ja… (Das nennt man wohl einen freudschen Verschreiberwiderstand: ich dachte schon heute morgen: irgendwas stimmt da nicht… aber kam und kam nicht drauf. Ich hab das jetzt, siehe Überschrift, sowohl verbessert wie zu erhalten versucht.)

  1. Ausgesprochen anheimelnder und vielversprechender Klang, den der Junge da hervorbringt.

    Das mit den Knien kommt mir auch komisch vor. Doch vielleicht ist das eine Frage des Alters, dass es einem lächerlich vorkommt.
    Man kann’s ja auch so betrachten: “wer mich nicht haben will, ist selbst schuld!” 😉

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