Zwei Genugtuungen an einem appen Finger, fast. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 24. Oktober 2011.

4.55 Uhr:
[Arbeitswohnung. Verdi, Don Carlos.]
Seit 4.40 Uhr auf. Latte macchiato. Morgenpfeife mit Herrn >>>> Motzeks (was ein Name für Insider ist:) „Irseer Mischung“. Das DTs ziehe ich nach, weil ich erst die Kritik zu >>>> gestern abend schreiben, vorher aber noch etwas in diesem Arbeitsjournal erzählen will. Nämlich, erstens, das mit dem fast geappten Finger. Immer warnt mich mein Junge: „Papa, nicht so rum schneiden!“ (das hat er von mir selbst gelernt: vom Körper wegzuschneiden), wenn ich am Serrano stehe und das lange scharfe Messer hauchdünne Scheiben abziehen lasse, was sich, da das Stück nicht mehr sehr groß ist und eine Seite des Fleisches bereits sehr trocken, nicht mehr ganz einfach bewerkstelligen läßt. Und weil es schon spät war, rutschte die sehr lange biegsame Klinge aus und fuhr mir in den linken Zeigefinger. Ordentlich Blut schoß, das kann ich Ihnen sagen.
Ich bin in solchen Fällen schnell, kramte bereits, den Finger seitlich im Mund, der sich wirklich füllte, in der Arzneischublade nach Pflastern, da ging auch noch das Telefon, und weil ich, wenn sich die Gelegenheit ergibt, immer mehrere Dinge zugleich tun muß, schoß ich aus der Küche um die Ecke, weiterlutschend, auch schluckend, und drückte das Annahmeknöpfchen.
Konnte man sich ja denken, Löwin halt. So wird von Blut gelockt, sie wittert es bis Wien.
„Ich ruf gleich zurück, bitte, hab mich ziemlich geschnitten.“ Als hätt sie es nicht sowieso geahnt! Völlig unnötig, die reine Redundanz, ihr das jetzt noch zu sagen. Aber sie hatte Verständnis.
Das Pflaster genügte nicht, blutete sofort durch. Also noch ziemlich viel Notfallbinde drumgewickelt und mit Tesa feste zugeklebt, das unten rot anlief, aber nun nichts mehr durchließ.
Das ist der Status quo; zu tippen ist jetzt ulkig.
Nein. Der appe Finger ist nicht ab. Das hat was, sprachlich, meine ich, weil die Verballhornung des Wortes an seinem Ursprung steht, der rein phonetischer Natur ist. Wir können alle von Glück sagen, daß die Neue Deutsche Rechtschreibung das übersehen hat. Selbstverständlich stand ich nun in ‚besonders keiner‘ Weise ab von den, zweitens, beiden Genugtuungen des Tages zu erzählen, der Löwin, als ich die da schon höchst müde Großkätzin zurückrief. Die Dschungel war ja fast zwei Jahre lang bei der Deutschen Oper, also ich war es, als Rezensent, gesperrt gewesen. Sogar meine hochgeschätzte, doch stets distanzierte Büning hatte sich seinerzeit, aber vergeblich, eingemischt. Über ein anderes Netzorgan kam ich nun in die Akkreditierung zurück.
„Jedenfalls“, erzählte ich der Löwin, „ich mache kaum eine der schleusendoppelten Glastüren zum Vorfoyer auf und wende mich zum Pressetisch, da winkt schon die Dame herüber und hat auch schon eine Hand in den im Briefumschlag verschlossenen Karten. ‚Herr Herbst“, sagt sie, ‚das ist schön, daß Sie wieder einmal hiersind.‘ Ich hatte meinen Namen nicht mehr nennen müssen. ‚Na ja,‘ sag ich, ‚ich war ja bei Ihnen sozusagen geblockt.‘ ‚Wie, „geblockt“?‘ ‚Na ja geblockt. Wahrscheinlich habe ich mit Ihrem Schnieder-Henninger zu sehr im Clinch gelegen.‘ ‚Wer war hier geblockt?‘ Eine mir noch nicht bekannte Dame drängt sich gewissermaßen zwischen uns: in einer so gewandten wie ironischen, Löwin, Katzenbewegung, die etwas von einer Tanzfigur hat. Ich reiche ihr die Hand hinüber, stelle mich vor. Kurzer Worttausch ohne jede Kralle. ‚Genießen Sie die Vorstellung‘, sagt sie schließlich lächelnd. Und als ich zu den Garderoben schreite, weiß ich, von nun an wieder selbst meine Pressekarten bestellen zu können.“
Ich will mich über die Sperrung nicht weiter auslassen, nun, da sie vorüber. Sondern zur zweiten Genugtuung übergehen: Noch stehe ich, zwanzig Minuten vor der Aufführung, im großen Foyer, das voller abendgekleideter Westmenschen, da tritt mit ausgestreckter Hand der Kritiker Siebeck an mich heran und sagt: „Wollen wir nicht endlich das Kriegsbeil begraben?“
Ich hatte schon ganz vergessen, daß wie im Krieg noch immer sind.
„Ähem. Ja. Selbstverständlich.“
Er druckst nicht rum, nein. Er kommt gleich auf den Kern der Sache.
„Würden Sie dann vielleicht Ihre Bemerkungen über mich von Ihrer Website nehmen?“
„Oh. Sie werden das nicht los.“
„Nein.“ Er schüttelt, und lächelt, den Kopf. Das hat ihn Überwindung gekostet, diesen Schritt zu tun. Und er tut ihn mit Haltung. „Dauernd werde ich drauf angesprochen. Das ist nicht schön.“
„Es war auch gar nicht schön, mich die Sophie geben zu lassen in Ihrer Kritik und sich selbst in die Marschallin aufzuhöhen.“
„Ich weiß, das war nicht richtig, nicht fein.“
Unfein“, sage ich, „unsachlich.“
„Ja. Ein Fehler. Entschuldigen Sie.“
Entschuldigungen sind anzunehmen, aus menschlichen Gründen, aber auch, wie die Löwin bemerkte, weil eine zivile Gesellschaft sonst nicht funktionieren kann. Und diese Entschuldigung besonders, quasi im Coq au vin der Guten Gesellschaft, zeigte Größe.
„Selbstverständlich“, sagte ich drum, „nehme ich‘s jetzt wieder heraus. Aber lassen Sie mir eine Woche Zeit, ich muß die Stellen erst erforsten.“
„Krausser auch“, sagt er.
>>>> Krausser?“
„In seinen Tagebüchern.“
‚Bitter‘, denke ich und kann‘s mir nicht verkneifen, das Buch, das ich zur Zeit lese und für Wartezeiten auch unterwegs dabeihab, unter dem noch immer aufgeschlagenen Programmband vorzuziehen – Zufälle gibt’s!: >>>> UC.
Siebeck säuert ein bißchen sein Gesicht, dann klagt er, stilvoll abermals, dennoch ein bißchen empört: Krausser habe da etwas hintertragen, das sich so niemals abgespielt habe. „Als würde ich…“ – was, das möchte ich diskret behandeln. So daß wir uns mit Handschlag verabschieden, auch, weil‘s soeben in den Saal gegongt hat.
Der Profi, vier Stunden später, in der >>>> Bar, sah die Dingslagen anders: „Warum solltest Du das herausnehmen? Er hat doch geschrieben. Dann muß man dafür einstehen.“ „Nein. Sondern es geht um Grandezza, Großzügigkeit.“
Er sei nicht dafür geboren, klein zu sein, hat vor paar Wochen ein Bär gesagt, vor dem ich hohe Achtung habe. Diese Achtung, um so mehr, verpflichtet. Allerdings muß ich mir, um nicht Strukturen Der Dschungel zu zerschießen, einen Lösungsweg ausdenken, der löscht, ohne die Grundsachverhalte, die betriebsallgemeiner Natur sind, wegzuleugnen. Ich hab auch schon eine Idee.

Jetzt an die Kritik, danach sofort wieder an den Jungenroman II. Nach dem Mittagsschlaf, um drinzubleiben, sollte ich damit weitermachen. Zwischendurch Krausser-Lektüren und paar Briefe. Nachts dann, zur neuen >>>> Yellow Lounge für Liszt, ins Berghain.

10.29 Uhr:
Fertig geworden mit der Kritik; bis eben dran gearbeitet und >>>> jetzt eingestellt. Nunmehr frühstücke ich eine Kleinigkeit, dann geht es wieder an den Jungenroman, und um kurz nach zwölf wird zumittaggeschlafen.

15.10 Uhr:


Am Ofen ODER Sechs Jahre nachher.



Der letzte lauschende Don-Carlos-Durchgang, nachdem >>>> mein Text nun auch im Weltexpreß steht.
Und. An den Jungenroman II.
Die Angelegenheit mit Herrn Siebeck, von der ich heute früh schrieb, habe ich erledigt. Das ging viel einfacher, als ich gedacht habe. Vor allem waren Binnenlinks zu entfernen.

19.12 Uhr:
Gespräche mit dem Webmaster in Skype, die zum Beispiel >>>> zu nota benes Soetwas führen, dann war eine neue Firewall auf gleich beiden Laptops zu installieren, ein prächtiges Ding, das auch schon prächtig funktioniert, dann kam wieder mein Junge, jetzt vom Cellounterricht, und… undund – jedenfalls nicht an den Jungenroman gekommen. Außerdem mußte noch irre nach einem Termin gesucht werden, der leider jetzt so an einem Ort liegt, der mich meiner Besucherin, weil nämlich ich dann Besucher sein werde, weder Malt noch Latte macchiato anbieten läßt. Ach.
Immerhin kam ich dazu >>>> das dort als nächste Miszelle der Kleinen Blogtheorie zu formulieren, wieder einmal (ich tu es zu selten) nicht in Der Dschungel direkt, sondern auf einem Gastplatz. Ich verlinke nicht unmittelbar dahin, weil ich meine Freude daran habe, wenn Sie ein wenig hüpfen; immerhin hüpfe auch ich. So kommen wir uns in der Bewegung näher.

Essen erwärmen und essen. Dann geht es bald schon zum Berghain los.

3 thoughts on “Zwei Genugtuungen an einem appen Finger, fast. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 24. Oktober 2011.

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