Arbeitsjournal. 11. und 12. Juni 2011. Gesprächsprotokoll. Berlin und am Döllnsee. Pfingstjournal 1.

7.21 Uhr:
[Arbeitsjournal.]
Nahezu >>>> drei Stunden Aufnahmen des Gesprächs mit Ricarda Junge sind als Text in eine Datei abzuschreiben; das tue ich seit gestern. Es ist eine langwierige Arbeit. Ihretwegen halte ich mich in Der Dschungel zurück, denn es sind insgesamt nur noch knappe drei Wochen bis zur Ausstrahlung.
Am Dienstag Treffen im ARD-Hauptstadtstudio, um Junge Texte in Studioqualität einsprechen zu lassen, auch vielleicht, um die paar wenigen quasi-dramatisierten Dialoge aufzunehmen.

Mitten hinein in mein Getippe kam gestern >>>> Schlinkert und las aus einem alten Roman vor, der er für eine Veröffentlichung vorziehen wollte. Wir sprachen drüber, kleines Lektorat, vor allem Prinzipielles. Hübsch dann aber, hübsch ärgerlich, seine Erzählung, es lauf in der Szene um, daß ich überhaupt nicht hier in der Arbeitswohnung lebte, sondern noch eine zweite, große und luxuriöse Wohnung hätte. Was mich daran erinnerte, daß früher gern erzählt wurde, ich sei in Wirklichkeit reich und täuschte die finanzielle Enge immer nur vor. Man machte das und macht’s wohl noch immer, an meinen Anzügen fest… daß man mir eine ökonomische Knappheit einfach nicht ansieht, im Gegenteil eher. Und es wurde gesagt: „Der kann sich seinen Widerstand leisten, er braucht nicht zu gucken, wo er bleibt.” Ich denke, es wirkt in manchen Leuten ein prinzipielles Unvrständnis mit: daß mich wirklich das, was man Wohlstand nennt, nicht interessiert und ich in meiner Arbeitshöhle vollauf zufrieden bin. Ich brauche einfach nicht, was andere zu brauchen scheinen. Mich interessiert es nicht, ein Haus oder eine Eigentumswohnung zu haben, ich brauche keinen Garten, kein Auto, und es ist mir auch wurscht, ob ich versichert und altersversichert bin. Mich interessiert schon die Idee von Rente nicht, und ich will mich auch nicht, und nie werde ich das wollen, aus dem Arbeitsleben zurückziehen. Mich interessiert die sogenannte Freizeit nicht, sondern ich bin ganzen Herzens, was ich tue. Die Trennung von Arbeit und Freizeit ist mir zeit meines Lebens fremd geblieben.
Allerdings, daß man mir das nicht glaubt, ist das eine; das andere ist, daß solche Gerüchte schädlich sind und mir wohl auch schaden sollen. Nur deshalb entgegne ich hier.

Mein Junge ist da, er schläft noch. Nachher wird der Freund mit seiner Gefährtin kommen und uns >>>> zum Döllnsee abholen, wo wir dieswe beiden Pfingsttage verbringen wollen – ich freilich werde dort weitertippen, das aber bisweilen von einem Gang zu Steg und Sauna unterbrechen und um im See zu schwimmen. – Morgen abend, vielleicht erst nachts, werden wir wieder zurücksein.

[Zweiter Latte macchiato.]
Sò. Weiter abtippen. Je enger ich die Zeiten mitprotokollieren, desto leichter wird es in der Montage sein, die einzubauenden Gesprächspassagen zu finden und herauszulösen.

15.04 Uhr:Einige Zeit auf dem vorderen Steg gesessen, mit C. die Beine baumeln lassen, vor mich hin über den See meditiert, bis der Freund und mein Junge kamen, die noch einen Vanillepudding gekocht hatten für den Abend. Völlig ruhig gewesen, geblieben, still, mal ein Lachen über einen Ulk des Jungen und eine Frechheit des Freundes: „Er ist wohl auf Krawall aus”, spöttelte C., indes ich weiterschwieg und sinnierte. Dann stieg ein Seeadler auf und flog seine weiten Runden, man sah die Augen spähen am spitzen gebogenen Schnabel vorbei. In langen Bahnen kam er wieder und wieder.
Jetzt sitz ich auf der kleinen Terrasse und arbeite ein wenig. Ein bißchen absurd, freilich, ist das schon, mir hier in der relativen Ruhe, die von Drosselrohrsängern, Meisen, Amseln und einem fernen Kuckuck beklungen wird, >>>> den Verkehrslärm der Karl-Marx-Allee auf die Ohren zu geben; allein, es hilft nichts, ich muß, und will das, vorankommen. Zweidrei Stunden etwas tun, wenigstens das erste Tonfile transkribieren, dann geht’s in die Sauna und darauf in den See.

20.10 Uhr:
[Noch immer auf der Terrasse.]
Soeben mit der Transkription, und zwar beider Tonfiles, fertiggeworden. Durchgetippt: zehn einzeilige Seiten, zweispaltig, mit Typengröße 10 (Times New Roman), also wirklich v i e l Material. Weder in der Sauna noch im Wasser gewesen bisher. Mein Junge lief auf eigne Faust herum, kam zwischendurch pudelnaß zurück, moserte aber nicht, als ich in Aussicht stellte, würde ich heute fertig, hätte ich morgen den ganzen Tag für ihn Zeit.
Mal sehn, was die jetzt alle tun.

10 thoughts on “Arbeitsjournal. 11. und 12. Juni 2011. Gesprächsprotokoll. Berlin und am Döllnsee. Pfingstjournal 1.

  1. Sehr geehrter Herr Herbst, gestatten Sie mir, eine Anmerkung zu Ihrem Arbeitsjournal zu machen, das seit einiger Zeit fester Bestandteil meiner Morgenlektüre ist. Vielen, vielen Dank für diese oft sehr eigenwillig formulierten Einblicke in ein Schriftstellerleben. Künstler-Tagebücher sind mir – ob in Buchform oder virtuell – immer der direkteste Zugang zu einem Werk. Wenn ein solches wie in Ihrem Fall immer tagesaktuell zur literarischen Arbeit mitläuft und diese – neben den Ritualen des Alltagslebens – auch mitkommentiert, dazu Zweifel ebenso wie Spuren und Hinweise „an den Tag legt“ – wunderbar. Das nur vorab, da mich manchmal das Unbehagen wundert, mit dem hier gelegentlich auf Ihre Eintragungen reagiert wird. Ticks und Eitelkeiten sind doch in Künstlerkreisen durchaus üblich. Weniger üblich hingegen ist die explizite Offenheit, mit der Sie über persönliche Triumphe und Niederlagen berichten.
    Dies gesagt, möchte ich mir erlauben, Sie auf eine Ungereimtheit hinzuweisen, die mir heute beim Lesen Ihres Eintrags unterkam: Sie ärgern sich über Gerüchte, die in der so genannten Szene über Ihren Lebensstil in Umlauf sind. Man unterstellt Ihnen Scheinbarkeit. Auch ohne Sie persönlich zu kennen, kann ich nachvollziehen, wie sehr solche Miss-blicke irritieren können. Doch jene Szene: Haben Sie nicht oft genug festgestellt, ihr nicht anzugehören und ihren Spielregeln nicht Vorschub leisten zu wollen? Was also muss es Sie kümmern, was dort behauptet wird? Das ist mir unklar. Ich persönlich sehe keinen – neuen -Schaden darin, da Sie doch Ihr Profil des Außenseiters bereits seit langem und aus einleuchtenden Gründen entwickelt und befestigt haben. Und jenen Lesern, die Ihrer Literatur zugetan sind, wird es sicherlich gleichgültig sein, was abends in einer Berliner Bar an Spekulationen über Sie verbreitet wird.
    Lassen Sie die Leute reden, Herr Herbst, nein, mehr noch, sehen Sie’s als Zeichen des Wahrgenommenwerdens. Auf welche Weise dies geschieht, kann der Einzelne nicht steuern oder kontrollieren. Es wäre auch nicht wünschenswert.

    Ich las übrigens kürzlich Das bleibende Thier und war hingerissen; es liegt immer noch auf meinem Nachttisch.

    1. Ja, man weiß es ja nicht genau, aber so Cyrils, wer die warum erschaffen hat, hm hm, ich glaub so Pynchonverehrern ja eh nüscht mehr so janz fülle, jenen wie diesen nicht, recht eigentlich möchte ich da dann manchmal ein Hoch auf alles Nonverbale aussprechen, ah, Autoren und ihre biegsamen Gehilfen, man kann mit Worten schier alles machen, mit Menschen meist nicht so, dem Himmel sei Dank;.-).

    2. @Cyril S. Ich weiß nicht, worauf >>>> sowieso dort anspielt (so Cyrils, wer die warum erschaffen hat), aber egal: Ihre Bemerkung zu den Elegien tut mir gut. Auch so etwas möchte ich gern zugeben und das nicht einfach in meine Hosentasche wischen, als wär es selbstverständlich.

      Zu dem anderen.Das Problem an solchen Gerüchten besteht darin, daß, wenn sie einmal zu kursieren beginnen, das ungute Folgen etwa bei Gläubigern haben kann; ich denke da durchaus praktisch. Ebenso kann es gut sein, daß man, neben sonstigen Ablehnungsgründen, zu Veranstaltungen nicht eingeladen wird, weil “de ja eh genug Geld hat”. Usw. Mir ist dergleichen schon begegnet. Am meisten stört mich aber eine gewisse Art Übergriffigkeit, deren Folge Urteile sind, die ohne Grundlagen von solchen gefällt werden, die einen gar nicht kennen – besonders aber die Arbeiten nicht. Eine Außenseiterposition innezuhaben, bedeutet nicht, kampflos still zu sein; oft ist das Gegenteil sehr nötig. Auch dann, wenn es nervt.

    3. @sowieso Nur kurz: Ich bin weder “Cellini” noch eine aus anderer Hand ersponnene “Figur”. Mir ist bewusst, dass Mutmaßungen über echte und fiktive Identitäten zum Reiz der Dschungel beitragen, doch in meinem Fall steht der Name für die Person.

  2. Ob dieser Ausweis mangelnden Vorstellungsvermögens, lieber ANH, nun gerade in der “Szene umläuft” – das weiß ich nicht. Mir scheint so eine Denke ohnehin eher einer Hilflosigkeit zu entspringen, die sich darin zeigt, außerhalb kapitalistischen Denkens Ernsthaftigkeit, Leidenschaft und Hingabe an ein Lebenswerk sich überhaupt vorstellen zu können, also einen Menschen, der auch bei sogenanntem finanziellen Mißerfolg nicht von seiner Sache und seinem Leben lassen will, ja nicht einmal lassen könnte, wenn ihm süßer Müßiggang finanziert würde. Ich hab’s dem Besagten ja damals erklärt, und wenn ich mich recht erinnere, so kam als Replik dann so etwas wie, Du machst ja auch zu wenig aus Deinen Möglichkeiten. Es war wohl eher ein unerfreuliches Gespräch gewesen, eines, bei dem ich schnell bemerkt habe, daß mir die mögliche Bewunderung für mein Tun so lange mit voller Absicht vorenthalten wird, bis mein Tun sichtbare und ziemlich genau zu definierende Früchte abwirft. Dabei habe ich selbstverständlich nichts dagegen, für meine Arbeit angemessen bezahlt zu werden, nur meine muß es sein, nicht eine austauschbare für andere.
    Letztlich wurde ich sogar um Rat gefragt von einer Frau, deren Karriere durch Arbeitslosigkeit nach dem Studium unterbrochen wird, wie das denn ginge, mit wenig Geld zu leben – sie schien mir Angst zu haben, so zu “enden” wie ich. Meine Antwort war, man dürfe vor allem auf nichts verzichten müssen, was aber eine Frage der Einstellung, auch zu den Gütern dieser Gesellschaft, sei. Zum Glück hat ihr Freund jetzt eine gute Stelle in München bekommen, da wird’s dann schon aufwärts gehen. Ich habe nichts dagegen. Sollnsedoch.

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