„Für ein Schreiben in Freiheit”: Die Jahresversammlung des deutschen PEN-Zentrums 2011. In Ingolstadt: Hamid Skifs „Brechen wir auf!” Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 6. Mai 2011.

6.20 Uhr:
[Ingolstadt, Altstadthotel.]Kaffee aus dem Frühstücksraum, mit nackten Füßen heraufgebracht. Nachts vor dem Schlaf noch die Löwin und im Schlaf ein bisserl Pornografie. Weit offen das Fenster. In dieser Stadt gibt es Zeilen, deren Architekturen tags an Spanien erinnert, und manch eine Kirche ist, nachts des Christentums Herkunft rein aus dem Orient zu bezeugen:Ich war hier vor gestern noch nie.
Einer der seltsamen Empfänge, die solche Treffen und mich seit 1976 begleiten (Nicht einmal der Amerikaner hat unsre Brücke zerstören können: Hannoversch Münden; im >>>> WOLPERTINGER ist das zitiert). Freundlicher Bürgermeister hier und ganz ohne Kette, Woran auswärts wer denkt, wenn wer an Ingolstadt denkt; er: Immerhin Audi; dagegen Strasser: Immerhin >>>> Shelley, wenn auch nur durch den Film. In Pensylvenia, obwohl Detroit so nah. Und auf zu BierWeins Buffet.
Wir futtern. Es sind nur wenige der jungen Autoren nah, wobei ich mit „jung”, >>>> lieber Henze, alles unter fünfzig meine, wenn auch nur aus Notwehr. Kein Hettche, kein Krausser, keine Krauss, keine Leupold, schon gar kein Marcus Braun, weder Grünbein noch Schrott, und Goetz nun sowieso nicht; immerhin >>>> Thomas Meinecke, mit dem ich denn auch ein wenig zusammensteh. Aber es ist ein Rentner-Club, hat man den Eindruck. Jünger freilich die Exilanten und vertriebenen Dissidenten, für die der PEN nach wie vor von helfender Bedeutung ist; da hat er seine Funktion, zweifelsfrei, noch immer. Das zeigt er am ersten Abend auch, gestern, mit einem Nachruf auf >>>> Hamid Skif anhebend, dann China, Belarus, den Iran und die Türkei focussierend; eindrucksvoll die poetisch-politische Rede >>>> Mansoureh Shojaees: „Ich bin aus…/ stamme von… / bin von…” – und kommt aus allen Teilen des Landes, ist Safranpflückerin, Korbflechterin, Bäurin, weibliche Hilfskraft; manchmal schwingt sie den Arm aus der Rede und dieser Arm, nur ganz kurz, agitiert mit dem dazuprojezierten Dia aus einer Heimat. Klug >>>> Pinar Selek aus der Türkei, weniger konzis, doch dafür bedrückend ihre Kollegin: fast zwanzig Jahre in politischer Haft, in ein Loch getan, kein Bett, keine Teller, teils unbekleidet über Wochen… so viel zur EG-MItgliedschaft (von der Toilette kein Wort). – Überhaupt wirken die Frauen des Abends entschieden, nicht klagend, sondern anklagend, indes die Männer beinahe blaß sind: funktionärig, ein fassadiges Rest-Patriarchat. Aber wie schön diese Frauen werden! – alle, wenn sie vom Widerstand erzählen.Ich steh hinten, mag mich über die vollen zwei Stunden nicht setzen. Davor privates Gespräch mit >>>> Petra Morsbach, zum einen sowieso, zum andren über MEERE wegen >>>> heute abend. Sie erklärt, weshalb sie dieses Buch und mich für diesen Abend wollte; es hat wohl Widerstand gegeben; nicht schlimm, sicher, wenn man das mit den Berichten aus den anderen Ländern vergleicht; doch immerhin: die Freiheit des Worts. Ich habe nicht vergessen, wie mich der PEN hängenließ, obwohl ich ihn um Hilfe ersuchte >>>> bei dem Prozeß. Es ist leichter, für die Freiheit des Wortes in anderen Ländern zu streiten als grad in dem eigenen. Wobei das, selbstverständlich, auch wieder gar nicht vergleichbar ist: ein Buch zu verbieten, ist eine Lappalie gegens Gefängnis, gegen Verschleppung, Folter, Mord. Und dennoch bleibt mir ein Unbehagen, das eben auch damit zusammenhängt, daß so wenige derer hiersind, die derzeit wirklich die Literatur entwickeln: kein Stolterfoht, keine Scho, keine Lewitscharoff, kein Tellkamp, keine Junge, kein Fillips, keine Danz: kein kein kein keine keine kein. Erbärmlich. Und doch. Wichtig. Wenn man hier zuhört, an diesem Abend. Da fällt auch die kleine Spitze von mir ab, so ein Ressentimentchen eines Kollegen aus AltDDR, mit dem ich bei dem Empfang, und mit >>>> Biskupek, zusammensteh, der auch mal, weiland zu GroßSowjetsFreundschaftsZeiten, auf einem Kreuzfahrer geschippert sei und habe Kabarett gemacht, um die Genossen zu erfreuen. „Ja”, sagt der HerkunftsDDRler, „du hast Inhalte haben müssen, aber er”, was an der da deutlich anklingt und meinen hellen Anzug meint, die Krawatte und die Weste, „muß nur aussehen; bei dem kommt es auf Inhalt nicht an”. Wozu ich selbstredend schwieg und mir meinen Teil nur dachte. Auf ihre Erscheinung achten nur die Frauen, jedenfalls hier, die aber durchweg und mit Stil: Aktivistin hin und oder her. Es gibt eine Erotik des Aufstands, wird mir klar, wieder klar; ich habe das bei Frauen schon öfter bemerkt. Pinar Selek hebt die Faust: „Mein Pessimismus des Verstandes”, zitiert sie einen Kollegen, „und mein Optimismus des Herzens”. Dagegen der begräbnissige Ton des Moderators Dirk Sager. Anstelle daß er schweigt und Seleks Satz so stehenläßt.
Nein, ich gehe jetzt heim ins Hotel.
Fremdheit, wie meist bei solchen Treffen. Nähe ist nur möglich zu zweit und zu dritt, in einem plötzlichen Lächeln, einem Nebensatz; dem Aufruf zur Kollektivität kann ich nicht folgen. Obwohl ich ihn verstehe und auch für notwendig halte.

Zweites Kännchen Kaffee aus dem Frühstücksraum.

Und heute früh finde ich in der Post den Link aufs Kieler Literaturtelefon mit einem Auszug aus der Sechsten >>>> Elegie dahinter, meines Vortrags in Bamberg, den die Studentinnen fürs Studentenradio mitgeschnitten. Sie schrieben es schon: sehr schön sei ihr Mischnitt nicht geworden. Stimmt. Es fehlen Bässe, was sicher auch an der flachen mp3-Formatierung liegt und weil man den Klang, scheint mir, dem durch ein Telefon noch angeähnelt hat. Doch immerhin. Wer mag, >>>> möge reinhörn. Ich meinerseits werd nun die Löwin wecken, Kurzruf nach Wien, und dann zum Frühstück hinunterspazieren. Doch wenigstens Socken sollte ich anziehn zuvor.
Um 9.30 Uhr geht’s mit der Jahreshauptversammlung weiter.

NACHTRAG AM 7.5.:
Da war es dann doch noch anders, und einige „Junge”, was schließlich Thema für die Wahlen war, waren zugegen: Norbert Niemann, Josef Haslinger u.a., die wir das literarische Klima derzeit tatsächlich bestimmen. Von mir recht mitbeheizte Aufregungsstimmung, als ich für eine deutliche Verhüngung des Vorstandes stritt, mal wieder polarisierte, aber nicht nachließ. Die Flamme ans Holz hatte aber Thomas Rothschild gelegt, der schließlich auch ins Präsidium zugewählt wurde. Ich selbst hatte an sich keine Lust, weil ich mich in auch solche Arbeit immer sehr verbeiße und ohnedies genügend mit Arbeit belastet bin; doch hatte ich das Maul so weit aufgerissen, daß an Kneifen nicht zu denken war. Andererseits konnte ich gewiß sein, genügend Unmut gegen mich geschürt zu haben, um nicht wirklich Aussicht auf Stimmen zu haben. So war’s denn auch. Das genaue Ergebnis weiß ich noch nicht; es wird erst heute früh bekanntgegeben. Doch ward mir unter der Hand zugetragen, wie’s ausgegangen ist. In zei Jahren, bei der nächsten Wahl, wird die Sache anders laufen; es war auch niemand eigentlich vorbereitet; die Findungskommission hatte sozusagen im stillen gefunden, und einige, die vorher angesprochen worden seien, hätten abgelehnt. Selbstverständlich nenne man keine Namen. Undsoweiter.
Ich fiel gegen 17 Uhr einigermaßen erschöpft in den Hotelzimmerschlaf und überließ mich ihm, um bei >>>> der Lesung frischzusein.

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