Messejournal 17. bis 20. März 2011. Leipzig.

B U C H M E S S E   L E I P Z I G   2 0 1 1

17.10. Donnerstag.

5.49 Uhr:
[Berlin, Arbeitswohnung. Frank Martin, Ballade für Klavier und Orchester.]
So, es ist soweit: nun wird wieder einmal direkt in den Beitrag geschrieben und nicht erst im OpenOffice vorformuliert; also sehen Sie bitte die Flüchtigkeiten nach, die mir auf der Messe ganz sicher hie und dort unterlaufen werden. Was sich an den Abenden… Pardon, in den Nächten, wird das wohl heißen müssen… vorformulieren läßt, werd ich dann vorzuformulieren auch unternehmen, bzw. zu den Früharbeitszeiten, sofern ich welche finde. Gestern schon, nach >>>> der Oper, die ich detaillierter diskutieren will, als ich das heute morgen schaffen kann, war es ein Uhr nachts, daß ich ins Bett kam; um halb sechs bin ich auf – wobei mir dann klar wurde, weshalb es mir momentan so schwer fällt, um halb fünf aufzustehen: einfach deshalb, weil wegen es täglichen Sports mein Mittagsschlaf fast immer entfällt. Das wird sich auf der Messe nicht ändern, eher gehen die Schlafenszeiten, aller Erfahrung nach, zusätzlich zurück.
Ich habe also noch gar nicht richtig gepackt; das tu ich jetzt gleich, während diese faszinierende Musik Frank Martins läuft, die gestern hier eingetrudelt ist und mich grad von dem inneren Nachhall der, vor allem >>>> nach dem Scelsi, doch ziemlich süßlichen Serailmusik Mozarts freiwäscht, und dann werde ich noch meinen Körper freiwaschen, bevor ich zur S-Bahn aufbreche, die mich zum Leipziger ICE bringen wird.

Alban Nikolai Herbst
liest
DIE FENSTER VON SAINTE CHAPELLE

Halle 5, E600
FORUM
17.30 Uhr

Es wird schon gleich eine ungewöhnliche Messe werden: weil ich da erst meine beiden neuen Bücher sehen werde; die Bamberger Elegien waren nämlich gestern noch immer nicht >>>> im Verlag; sie sollen aber heute früh um zehn, das sei sicher, an den Buchmessenstand geliefert werden. Und von >>>> den Kulturmaschinen, die heute abend ihr Messefest geben, wußte ich ohnedies, daß auch Die Fenster von Sainte Chapelle erst direkt zur Messe greifbar sein werden. – Zwei Überraschungen also gleich am Vormittag für mich. Und bereits am späten Nachmittag >>>> die erste Lesung. Zudem kann ich Ihnen nachher auch >>>> von dem Abakus erzählen; auch dieser Text wird nun erschienen sein: in den neuen >>>> horen.

Messefest
Die Kulturmaschinen
präsentieren ihr
Frühjahrsprogramm 2011

Von Calvinos Hotel bis
Die Fenster von Saint Chapelle
Mit Alban Nikolai Herbst, Peter H. Gogolin,
Walter Famler, Peter Abraham, Hans Bäck,
Georg Gerry Tremmel und anderen.
>>>> Café Anton Hannes,
Beethovenstraße 17, ab 20 Uhr

Im übrigen ist mein Terminkalender schon jetzt proppevoll. Also erst einmal Ihnen allen einen schönen guten Morgen. Gegen kurz nach acht werde ich die Tür der Arbeitswohnung für dreieinhalb Tage hinter mir schließen und mich direkt von der Messe wiedermelden.

Nachträge aus dem astral’Inn, Leipzig:
Ein wilder Tag wurde es, woran >>>> Phyllis Kiehl nicht ganz unschuldig war, die ich in einem derart intensiven Gespräch mit der >>>> horen Chef Johann P. Tammen traf, daß der Mann erwogen haben soll, seine doch immerhin Traditionszeitschrift zu nennenden Bände fortan „die phylliden” zu nennen. Es habe aber sofort, flüsterte mir Mitherausgeber Peter K. Kirchhoff Proteste namentlich der Kleist-Arbeiter gegeben, die statt dessen für „die henriettiden” votiert hätten; und weil man sich nun nicht einigen konnte und Frau Kiehl selber hoch unentschlossen in dieser Sache gewirkt habe, sei es dann doch bei „die horen” geblieben. Darin nun finden Sie meinen „Abakus für Ror Wolf”.
Ich ließ Tammenkiehl mit Kirchhoff sitzen und begab mich an den >>>> Elfenbein-Stand, den ein junger Mann betreute und weiterbetreut, bis morgen auch der Verleger anreisen wird. Dennoch bekam ich die BAMBERGER ELEGIEN endlich zu Gesicht und ein Exemplar in die Hand, dessen Schönheit mich momentan sprachlos machte. Da rief der Verleger auch schon selber an, der das Buch noch gar nicht gesehen hat, weil Fed Ex so etwas wie einen Lieferengpaß austrägt – ob speziell mit meinem Buch, entzieht sich unserer Kenntnis.
Mit dem jungen Mann war nicht recht zu sprechen; er wirkte ein wenig wie abgestellt; so ist auch Elfenbeins Koje (Halle 5 D216) momentan noch eher vergessen als sehr frequentiert – anders, völlig anders, als, wenige Schritte weiter, derzeit die >>>>> Kulturmaschinen (Halle 5 D219), wo aber auch heftig geraucht wird. Hier bekam ich mein zweites Buch dieses Frühlings in die Hand: Die Fenster von Sainte Chapelle, aus denen ich abends auch las, vor spärlichem Publikum freilich und gänzlich unvorbereitet, so daß meine Lesung ziemlich in die Hose ging, zumal im herumschwatzenden Besucherverkehr. Immerhin saß da auch wieder Frau Kiehl in den Reihen. Ich schnappte sie mir und zog sie zum Typographengenie >>>> Forssman bei der Arno-Schmidt-Stiftung (Halle 5 E 107)weiter. >>>> Bernd Rauschenbach, ihr Leiter, sah mich kaum, da hatte er schon erschrocken die erste Flasche Rotwein entploppt: eine schwere Abfüllung des Klosters Pforta, voll des Hegel-Bouquets mit Nietzsche-Abgang. Da saßen wir dann und tranken, und ich rauchte meine Pfeife, und Forssman rückte näher an Kiehl, aber nur, wie er beteuerte, um dem Tabakduft näher zu sein. Kiehl würzte den mit einem Duft nach Menthol, worüber mein Latakia, nicht aber Forssman seine Nase rümpfte, indes Rauschenbach sehr zufrieden war, daß überhaupt mal wieder geraucht wurde mitten im feindlichen Lande des Raucherverbots.
Ein junger Bewunderer des Werks der dreie – Forssmans, Rauschenbachs, Schmidts – gesellte sich dazu und sprach lebhaft auf Rauschenbach und Fossman ein, so daß letzterer sein gewiß nicht erstes Bonmot dieses Tages spach:Nicht alle Leute haben das Problem großer Introvertietheit.Ein zweites, eher praktisch orientiertes, formulierte am Abend >>>> Leander Sukov. Das nun ging so:Bei uns trennt der Duden.Gemeint war das automatische Trennprogramm des Computersatzes der Kulturmaschinen. Ich hatte da etwas zu monieren gewagt, auf dessen völlig Berechtigung seit wenigen Jahren immer wieder, und mit erstaunlicher Selbstsicherheit, mit einer angeblich neuen Rechtschreibung gekontert wird, die wir erlitten hätten. Doch davon wissen meine Bücher nichts.
Zurück zu den Phylliden, um Grappa zu trinken. Zu uns gesellt hatten sich unterdessen auch >>>> Schlinkert, der von >>>> Aléa Torik hergefahren worden war, weil er kein Auto, aber auch Berührungsangst vor der Deutschen Bahn hat; und fürs Fahrrad ist sie Strecke Berlin-Leipzig, zumal der Weg noch zur Messe hinaus, ein wenig unpraktisch. Ebenfalls dabei >>>> Peter H. Gogolin, der sich seinerseits einer langjährigen, wenn auch mindestens ebenso lange vergessenen Bekanntschaft mit Tammen entsann. Woraufhin dieser eine abermalige Umbenennung der horen erwog, die aberabermalig abgeschmettert wurde, nunmehr von Krätzer, der die Kleist-Ausgabe betreut, denn er ahnte, daß sich Gogolin mit Handwaffen auskennt. Dabei hat er dessen Roman noch gar nicht gelesen.
So ging’s denn hinaus zum Messefest der Kulturmaschinen, wo schon die Samarkandin saß, wenn auch vergrippt und wenig leidlich. Kiehl und ich bestellten etwas zu essen, bevor ich las, und aßen, während Gogolin las. Es gab ein Raucher-Entrée voller Sessel. Pahl-Rugenstein diskutierte dort den Marxismus-an-sich, was auf das Rot der Suppe paßte. Da war es, daß Sukov mit freiem Eierlikör auch für eine späte Spur entblauter Liberaler sorgte, fast schon ein Skandal. Doch war ich politisch neutral und schwieg. Freilich nicht deshalb. Sondern insgeheim bereitete ich mich auf den absoluten Höhepunkt des zur Nacht gewandelten Abends vor, mit >>>> Eisenhauer übrigens, der wie vernarrt war in das knallebunter, ungut sitzende Kleid seiner Nachbarin, weshalb er sie zu überreden suchte, sich um ihre Garderobe selbstzuexpropriieren, erfolglos freilich, so daß er, bevor noch die eigentliche Nacht anhub, erschüttert verschwand. Er steht dann immer auf, zieht sich den Mantel an, schaut nicht mehr in die Runde, geschweige, daß er was sagen würde, und geht. Man merkt das gar nie richtig. Doch war nun Platz für meinen Lektor Delf Schmidt, mit dem ich lange, sehr lange sprach; man kann sagen, wir hätten die Köpfe ineinandergesteckt. Es waren aber nur die Gläser. Schmidts Gefährten sprach intensiv mit Ralf Diesel; ich wurde aber gebeten, den Inhalt dieser wert- wie wichtvollen Konversation für mich zu behalten. Frau Kiehl, dafür, stand mit Ulrich Faure vom >>>> BuchMarkt beisammen, doch so neugierig ich auch war, so wenig ließ Delf Schmidt mich erlauschen; ich übrigens auch nichts ihn. Dann zogen er, seine Gefährtin und Frau Kiehl ab; jene warf mir ein ziemlich freches Kußhändchen zu, und Schmidt zuckte fies mit den Schultern. „Wir haben halt denselben Weg und teilen uns das Taxi.”
Da saß ich dann allein um halb drei Uhr nachts und suchte, aber schwankend, nach anderswoigem Halt & Lift. Ich darf Ihnen sagen, daß ich ihn fand. So daß ich jetzt viel zu spät zur Messe komme. Wobei ich mich noch verkleiden muß, weil ich bei dem Kinderbuchverlag ja nicht ich bin – nicht sein darf, heißt das, weil dieser Verlag es anders ehrenrührig fände, und nicht etwa für mich… –

upps – ich muß los. Später vielleicht mehr. Doch habe ich mir jetzt den schweren Schwips von gestern nacht einfach so hinweg- und in Sie, meine Leserinnen, hineingeschrieben.

18.10. Freitag.

ABGEBROCHEN

3 thoughts on “Messejournal 17. bis 20. März 2011. Leipzig.

  1. Aber für einen Schriftsteller ist mangelnde Größe keine Ausrede! Es gibt Messen, die werden gelesen, und welche, auf denen geschwätzt wird.

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