Die öffentliche Frau, sowie davor Disziplinen noch einmal & Mußen. Arbeitsjournal. Donnerstag, der 3. Februar 2011.

5.23 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Püntklich um halb fünf aufgestanden; der Wecker klingelte, und ich tat’s, ohne es sogar schon zu merken; zu mir kam ich, als ich bereits auf dem Rand meiner Couch saß. War selber verwundert darüber, wie schnell sowas wieder in die guten Gleise zurückspringt.
Dabei war es spät geworden gestern nacht, nachdem mein Junge gegen elf auf dem Vulkanlager hinweggeschlafen war; wieder einmal ein Uhr, aber nicht eines Filmes wegen, sondern weil sich zweie, die räumlich auseinander, die Körper über Skype erhitzten: „das gesamte Spektrum ausschöpfen”, nennt das die Löwin, „das dem erotischen Spiel zur Verfügung gestellt ist”: die direkte körperliche Realität der Begegnung, das Telefon, die Webcam, der Chat, SMS, aber auch Texte, vermittels derer man sich „anmacht”; wobei Sie dieses „anmachen” ebenfalls mehrdeutig auffassen dürfen. Spannenderweise schenkt das Internet nicht nur den einst von räumlicher Entfernung ge- und bald zerstörten Fern-Beziehungen Dauer, sondern auch den körperlichen Leidenschaften, wofern sie den Character des Übertritts ausreizen. Ihm läßt es sich auch mit der Webcam folgen. In dem Sinn wurde mir heute morgen auch klar, was den erotischen Reiz einer Öffentlichen Frau, sagen wir: der Samarkandin, ausmacht, die man ja buchen kann, sofern das erkleckliche Geld zur Hand ist, das solche Hetären verlangen. Hier besteht er im Geschenk, das man sich n i m m t und das einem doch, mit deutlichem Akzent, auch zuteil wird, nämlich im Privileg, nicht zahlen zu müssen – etwas, das auf den Akt direkt zurückwirkt. Dem entspricht ein Vertrauen.
Sie können jetzt sagen: „Wie unkonzentriert! Was schreibt er über d a s, anstelle die Erzählung fortzusetzen?!” Recht haben Sie, und unrecht. Denn auch dieses gehört zur Erzählung hinzu, in der die Samarkandin ja immerhin >>>> gegen Ende auch eine Rolle spielt – und später sowieso, als Freundin und Vertraute >>>> Ayanas, die dem Erzähler eben von der Samarkandin zugeführt wird. Ich probe hier auch ein Sprachverhalten: Wann nennt er diese moderne Hetäre Samarkandin, wann „Frau v. Samarkand”? Bekanntlich siezen sich die beiden noch immer und siezen sich wahrscheinlich auch im Bett, wobei er dort wohl eher „du” zu ihr sagt, indes sie ihn allerdings weitersiezt: diese Dynamik gehört zum speziellen Character ihres Liebesritts auf den Geschlechterrollen (andererseits, nach zwei oder drei Kunden, ist ihr mehr daran gelegen, nur umfangen von den Armen zu liegen und so zu ruhen; dann, vor dem Einschlafen, sagt auch sie zu ihm „du”). Nein nein, Leser, an meine Erzählung komm ich gleich schon. Ich arbeite nur gerade daran, die Geschehen um die Samarkandin mit dem >>>> Melusine-Walser-Projekt zu verknüpfen. Daß ich all das direkt von meinem Leben zugespielt bekomme, wundert Sie hoffentlich nicht. Aber ich habe zum >>>> Komplex von Muße & Disziplin noch antworten wollen; gestern nacht hielten mich die Brüste meiner Löwin ab, und so sehr Genußmensch bin ich dann schon, die eignen Maximen zu mißachten, – dies aber wirklich n u r für den Sex, für die Herzens- und Geschlechterliebe sowie meinen Sohn, in umgekehrter Reihenfolge.

Jetzt aber, wirklich, an die Erzählung.

3 thoughts on “Die öffentliche Frau, sowie davor Disziplinen noch einmal & Mußen. Arbeitsjournal. Donnerstag, der 3. Februar 2011.

  1. …ich will ja nicht kleinlich sein, aber den Plural von Muße gibt es nicht (worüber man froh sein kann, das hört sich doch auch schrecklich an)

    1. @gast zu den Mußen. Was es in einer Sprache gibt oder nicht, entscheidet der Dichter und fügt es im Zweifelsfall erst hinzu. „Muße“ im Plural drückt nämlich genau das aus, was ich meinte (weshalb es sich mit Recht, und ich will’s so, schrecklich anhört). Muße als Singularwort – lügt und verklebt. Ein Singularwort ist allein dann gut, wenn es eine Bedeutung klärt, etwa: „das Haar“ gegenüber „die Haare“. In selbem Sinn spreche ich von „Musiken“, aber von Musik, wenn ein bestimmter Klang gemeint ist.

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