23.31 Uhr:
[Catania, via Etnea, Pensione Rubens.]
Daß wir gestern im griechischen, von Rom umklinkertbauten Amphitheater Taorminas gewesen sind, habe ich noch nicht geschrieben, auch wohl nicht von der kleinen Badeeinheit, die wir weit unter der kleinen so wunderschönen wie teuren Stadt zur großen Freude meines Jungen eingelegt, noch gar davor von der normannischen Kathedrale Palermos, wo wir mitten in der deutschen Geschichte standen, am Grab nämlich des wahrscheinlich bedeutendsten Kaisers, den das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen jemals gesehen; Friedrichs II; – und am Grab heißt: an seiner Tomba, sowie der seiner Mutter, Konstanzes, und seines Onkel, Rogers II, dem Bruder William the Conquerers, der nach Norden zog, er aber, Roger, nach Süden. Wenig auch von der enormen Symbiose arabischer Baukunst mit dem christlichen Mittelalter; man kann die scharfen Konflikte an solchen und ähnlichen Orten spüren, die Sizilien mit dem Vatikan gehabt, und ausgetragen eben auch. Mehrmals wurden Bullen gegen Friedrich ausgesprochen, der bekanntlich ein Liebhaber der Falkenjagd war. Und es war ein Falke, der mich gestern ansah, nun bereits in Catania; ein Falke, in dessen Gesicht ich Jenny erkannte. Erst da begriff ich, an wen mich die kleine lederne Frau so erinnerte.
>>>> die Rufe! <% file name="Fischmarkt-Catania" %>
Ich bin ein bißchen betrunken, vielleicht schreib ich wirr. Morgen früh aber gleich einstellen; ich werde auch in dem Bummelzug, einer Art Schienenbus, noch schreiben können, der zwischen Catania und Giardini verkehrt; einen frühen Zug
will ich nehmen, um zum Frühstück im Hotel zu sein. Es sind auch meine ganzen Sachen zu packen, und die des Jungen. Wenn ich den 6uhrer nehme, kommt das alles gut hin. Denn „mein” altes Internet-Café am Teatro Bellini hab ich nicht mehr gefunden… ah das Theater Bellini! Da wäre ich heute gern hineingegangen, zu Puccinis La Bohème… nur daß… affichiert… Schwarz auf Weiß: Streik. Na gut, dachte ich. Dann sah ich den Falken. Der mir unmittelbar klarmachte, wie nötig es geworden ist, daß ich stets einen Zugang zum Netz habe, wenigstens innerhalb Europas. Weil nämlich aus dem Netz Pfade in meine Romane führen und aus den Romanen ins Netz zurück. Dem muß mein Equipment entsprechen. Es war eine Art Erscheinung. Erscheinungen hat man allein: auch das hat der Falke klargemacht. Sie würde sich, solange ich in Begleitung war, nicht realisieren. Deshalb bin ich hier in Catania geblieben, ganz, wie ich das >>>> morgens bereits angedacht hatte; derweil sind Freunde mit meinem Sohn zurück nach Giardini Naxos gefahren, um dort noch einmal zu baden mit ihm. Sollte ich den Frühzug nach Giardini nicht erreichen, werde man mich hier am Bahnhof wieder aufsammeln. Was allerdings umständlich wäre; wir wollen morgen nach Syrakus, vielleicht auch Noto weiter. Ich denke mir jetzt: wenn ich den Frühzug nicht erreiche, fahre ich nach Syrakus mit der Bahn, und die Freunde holen mich d o r t dann vom Bahnhof ab. Das ließe mir auch die Zeit, noch etwas zu schreiben.
Ja, ich bin verwirrt. Jennys Erscheinung als Falke hat etwas mit Federico II zu tun. Mir ist aber gar nicht bekannt, ob schon anderwärts Engel als Falken erschienen sind, als Falkinnen gar; da werde ich, wenn ich wieder in Berlin bin, in den Kirchengeschichten nachschauen müssen; auch dafür fehlt mir hier ein offener Netzzugang ins Wissensreservoir. Und sowieso: Engel sind männlich, nie weiblich. Oder, wie ich nach dem Besuch der Kapuziner-Katakomben sagte, als der Freund und ich abends darüber sprachen, ob man den Zugang zu diesen Toten überhaupt allgemeinmachen dürfe (er war dagegen, ich war dafür), weil sie andernfalls, was auch der Fall ist, zur Show erniedrigt werden: Ein Mönch, der kontrollieren darf, wird Inquisitor. Und habe ich Ihnen schon erzählt, daß mich die Falkin zum Essen eingeladen hat, in Name und Auftrag des Gräfin? Und daß überhaupt niemand sah, wie dieser Vogel auf meiner Schulter saß, als ich mich setzte? Fast niemand heißt das, denn sehr wohl bemerkte ich Jennys Falkner, – einen so unglaublich dicken Mann, daß er von dieser Welt nicht sein konnte. Vor allem konnte nicht sein, was, wieviel und in welcher Geschwindigkeit er aß. Dabei schlang er nicht etwa, nein, er genoß seinen Mahlzeit durchaus: zur Vorspeise eine Platte Antipasti für drei, als Primo zwei große gegrillte Calamari samt Kopffuß und danach eine Doppelschüssel voll Cozze & Vongole, die er schließlich zu seinen Lippen führte, um sie gurgelnd zu leeren. So mögen, dachte ich, den antiken Menschen die Polifeme dieser Küste erschienen sein; selbstverständlich aber hatte der Mann nicht nur ein Auge, sondern zwei Augen und, dachte ich, vielleicht sogar drei, von denen die antiken Menschen immer nur eines, das in der Mitte der Stirn, wahrgenommen haben mögen, indes wiederum wir moderne Menschen eben dieses n i c h t mehr sehen, statt dessen aber die beiden anderen, die, sozusagen, profanen. Zum Nachtisch verschlang der Zyklop dreieinhalb sizilianische Cassaten, auf die ein dreifacher Espresso einen flüssigen Deckel legte, auf daß nicht aufgrund einer sehr absehbaren Magendrehung alledie Kulinarien den Weg wieder hinaufnähmen. Spöttisch gab der Falke einen spitzen Schrei von sich, als er mein fassungsloses Staunen bemerkte. Doch nicht nur dies und nicht nur von ihm, Le Duchesse, hatte er Botschaft, die er mir sang,sondern von Jenem dort a u c h:
Ich muß dringend schlafen. Aber hörn Sie sich nur diese Rufe an!
DO 21.10., 8 Uhr:
[Catania, via Etnea, Pensione Rubens.]
Verschlafen… verträumt… und w a s für ein Zeug! Die Falkin saß auf meinem Balkon, als ich erwachte. Habe sofort mit den Freunden telefoniert. Ich werde also den Zug nach Syrakus nehmen. Mein Sohn soll sich ziemlich alleingefühlt haben. – Schlechtes Gewissen. Und allezeit der Spott dieser Falkin, die mich nicht mehr verläßt.
Schnell jetzt! Auf dem Weg einen Punti d’Internet. Wenn ich einen finde.
9.06 Uhr:
[Catania, Corso martiri, Interpunto]
Glueck gehabt… also Sie, meine Leser. Fuer mich selbst bin ich nicht so ganz sicher.