Eine mit verschmutzten Baumaschinen und Werkzeug vollgestopfte Kammer, eine weitere Tür, so niedrig, daß wir beide uns ducken mußten. Dahinter führte eine sehr enge, aber steinerne Wendeltreppe enorm hinauf. Ich hätte die Stufen zählen sollen, so beklemmend war das. Vor allem, weil es so dämmerig war. Nur von oben streute sich Licht auf uns herab – einem Versprechen gleich, dem ich zustreben mußte. So sehr gut schien es mir zu sein.
Dann wurde es hell. Ein Fenster, das offen in den Tag stand, die Flügel drehten sich nach außen. Der Raum aber fast ebenso nüchtern wie die Kammer unten. Ein rohes Regalbrett lehnte schulterhoch an der Wand. Besen standen herum.
„Bitte hier entlang.”
Auch diese Tür stand auf, wenn auch nur halb. Auch sie war aus Holz, aber in Dunkelbraun gepflegtem. Ein doppelt handbreites Innenkreuz stand im ebenso breiten Rahmen.
„Bitte nicht berühren.”
Wie eigenwillig! Der lahme Mann zwängte sich zwischen der Tür und, wie man dann von dem Kirchenschiff aus sah, ihrem marmornen Rahmen hindurch, ohne das Holz auch nur zu streifen. „Ich darf nicht”, erklärte er so sehr nebenbei, daß es beinahe feierlich klang. „Und Sie dürfen auch nicht. Bitte sehen Sie sich jetzt um. Ich bleibe hier.”
Ein dunkles Messingschild war, von etwas über der Klinke nach rechts versetzt, an ihr angebracht: hellgold die Schrift, hellgold der Rahmen.Als ich das las, erschrak ich. Ich meinte nämlich, Enfer herausgelesen zu haben. Beim zweiten Blick erkannte ich meinen Irrtum und lachte leise. Défense d’enfer. Der Zuhälter nickte, als hätte er „Jaja” gesagt. War mein Eindruck aber falsch, daß er sich nicht traute, nur einen Schritt mehr in das Kirchenschiff zu tun? Nur stand ich selbst ganz hilflos da. Überwältigt ist ein besseres Wort. So daß der Zuhälter sagte, als wollte er mich beruhigen: „Es wäre jetzt eben die Zeit. Tut mir leid, daß das Wetter nicht mitspielt.”
„Insch’allah”, erwiderte ich, was ihn mich giftig anblitzen ließ.
„Ich weiß schon”, sagte er, „mit wem ich es zu tun habe. Sie müssen mir das nicht zeigen. Also rühren Sie bitte nichts an.”
Es wurde zunehmend deutlich, daß er meine Gegenwart mißbilligte, zumindest verstand er ihren Grund nicht. Doch nicht nur in nahezu denselben Worten, nein, auch in Ediths Tonfall, sagte er: „Lassen Sie sich Zeit, wir haben keine Eile.” Und setzte hinzu: „Verzeihen Sie meine Respektlosigkeit. Wir haben nicht oft so hohen Besuch.”
Seine rechte Hand schweifte langsam ins Rund. „Bitte sehr” hieß das und war nun endgültig als Einladung gemeint. Dann beugte er sich etwas vor und hangelte nach der Lehne eines der zahllosen hellgrauen Plastikstühle, die am Fuß der hohen Fensterwände rings aufgestellt waren; er zog ihn heran. Zwei der Stuhlbeine quietschten auf den marmornen Mosaiken des Bodens.
Es war dann völlig still. Von Paris hörte man überhaupt nichts mehr. Nur das schwere Atmen des Mannes pfiff leise durch den Raum, in den ich ganz hineintrat, hoch über mir einen tiefblauen, sternübersäten Himmel, den goldene Tangenten gliederten, als wärn Meridiane zur Zierde erschaffen. Schon das wär Grund genug gewesen, mich ebenfalls zu setzen, um hinaufzumeditieren. Doch nahm ein schleichender Schrecken von mir Besitz. Denn als ich die Fenster sah, wirklich sah, begriff ich, daß es einen Zusammenhang gab, dessen Ursache ich in mir selbst finden mußte: einen Zusammenhang nämlich mit jener anderen, dieser fensterlosen Kapelle, die mir Edith schon am ersten Tag meines Aufenthaltes gezeigt hatte. Beide Kapellen, verstand ich, waren identisch, aber identisch aus einer anderen Zeit… nein, das ist falsch. Sondern identisch aus einem anderen Raum. Man bekommt ein Schwindeln, wenn man das denkt., – wenn man Gleichzeitigkeit als einen Raum denkt. Und ebenso gab es einen Zusammenhang mit dem Prada-Boot.
Nein, die Farben schwammen nicht und glühten nicht annähernd so, wie mir Melusine das geschrieben hatte. Sondern die riesigen Fenster waren pastellen gedeckt. Nicht nur wegen des weiteren Aufbaus, der die Stirnseite der Kapelle eingerüstet hatte, denn auch drinnen wurde restauriert, wirkte die größte Pracht, wirkten die byzantinischen Säulen, die arabesken Fresken, die wie Tapeten aussahn, wirkte alles Gold, selbst die Rosette ernüchtert. Woran lag das? Das Schiff wies mich ab. Meinen Kopf im Nacken, ging ich umher. Welche Herrlichkeiten! Doch sie waren nicht meine. Ich setzte mich, versuchte nachzudenken. Der Atem des Zuhälters pfiff unentwegt. Er schien furchtbar unter Asthma zu leiden. Da war Le Duchesse, da war Edith. Jenny heißt sie, Jenny Michel. Auch Raffaela gab es, gar keine Frage. Aber gab es, zum Beispiel, Berlin? Gab es meine Frankfurtmainer Freunde noch, Leukerts, Do, Böhmers? Und die Löwin? Sie hielt das Seil, an dem ich mich tief herunterließ.
Dachte ich.
Dann verstand ich wieder. Verstand nun, was fehlte. Es gab kein Mysterium, die Kirche war nicht mehr geweiht. Daran lag es. Ganz Paris, für mich, war nicht mehr geweiht. Ich möge mich, hatte der Gräfin gesagt, über meine Vergangenheit in meine Jugend zurückbiegen. Daran mußte ich denken. Wie kläglich ich geworden war seit damals, da ich dieser Stadt eine Novelle geschrieben. Jahrelang lag sie unbearbeitet herum, bis ich sie wieder vornahm. Das schmale Buch erschien vor siebzehn Jahren, fünfundzwanzig Jahre nach dem ersten Entwurf. Die Orgelpfeifen von Flandern. Besorgen Sie es sich. Es ist für meine Lästerer geschrieben – nicht nur, aber auch: für solche wie Betty B. und >>>> Edith88. Damit sie zu verstehen lernen und ich sie nicht immer mit Jenny durcheinanderbringen muß. Da ist mir Paris noch heilig gewesen. Aber dann fiel ich
ab
Les secrets de Paris 15 <<<<
Kein Licht (Weißblenden?) „Beide Kapellen, verstand ich, waren identisch, aber identisch aus einer anderen Zeit… nein, das ist falsch. Sondern identisch aus einem anderen Raum. Man bekommt ein Schwindeln, wenn man das denkt., – wenn man Gleichzeitigkeit als einen Raum denkt. Und ebenso gab es einen Zusammenhang mit dem Prada-Boot.“
Es geht an dieser Stelle um eine Verschränkung der beiden Kapellen-Szenen aus der Ursprungsfassung. Dazu müssen beide Erfahrungskonstanten – Raum und Zeit – „ver- rückt“ werden: Gleichzeitigkeit als einen Raum denken. Das wird aber, finde ich, an dieser Stelle als Erfahrung nur behauptet und nicht gezeigt.
Das erzählerische Problem ist klar: Die Erzählung hofiert quasi den Leser (hier in Gestalt eines Ich-Erzählers), in dem sie ihn mit einer Perspektive ausstattet. Die Entgrenzung der Zeit (nämlich Zeitsprünge, Dehnungen, Überschneidungen) wird gerade aus dieser perspektivischen Sicht, also seiner Stellung im Raum, ermöglicht. Ich glaube, dass Ihre „Treue“ gegenüber realen Räumen und Raumverhältnissen, hierin ihre Ursache hat. Was nun nötig wäre, ist die Aufgabe der Perspektive, also der Raumkonstruktion durch den Ich-Erzähler.
Es ist deshalb so wichtig, diese Entgrenzung des Raumes im Text zu zeigen, weil Sie hier nicht durch Einsatz von …(Punkten) auf eine Bildvorstellung setzen können, die sich durch Rekurs auf konventionelle Bildfolgen im Leser bildet. Diese Entgrenzung des Raumes führt meiner Meinung nach zugleich ins Zentrum der Erzählung. Die Perspektive, durch die der Erzähler den Raum schafft, ist in Ihren Beschreibungen die Bildperspektive: also die Darstellung des beschriebenen Raumes von einem Standort aus, vor dem sich der Raum in die Tiefe ausdehnt. Das Pfingst-Wunder, auf das die Erzählung zu steuert, ist aber gleichsam eine vor–bildliche Erfahrung: die des Lichts. An dieser Textstelle jedoch dringt das Licht gerade (noch) nicht ins Auge des Erzählers. Der sieht kein Licht, sondern einen Raum/die Räume. Wie die Zeitparallelen und – sprünge so müssten dieser Raum/diese Räume sich jetzt überschneiden oder besser: überblenden. Dabei, stelle ich mir vor, wäre weniger eine verschwommene Darstellung, in der die (zeitverschobenen, identisch-nichtidentischen) Räume übereinander gelegt werden, sondern – als Darstellung der Verfasstheit des Erzählers gegenüber dem Licht – Weißblenden angebracht: also eine Überblendung ins blendende und d.h. blind machende Licht. (Schwarzblenden finde ich weniger geeignet, weil man damit eher ein Traumbewusstsein assoziieren würde.) Ich begreife, dass – (was ja kein Zufall ist, wenn es um Licht-Bilder geht) – mein Vokabular dem Film entnommen ist. Wie man das schreiben kann…?
@MelusineB. Zeit als Raum. Vorweg: daß ich noch nicht fertig bin, insgesamt, ist mir bewußt. Die Auszüge, die ich hier immer wieder von meiner Erzählung einstelle, bleiben Skizze, bis der ganze Text einmal in der jetzt entstehenden Ersten Fassung gerundet ist.
Das schreibe ich Ihnen, um zu erzählen, welch ein fließendes Verfahren die Erzählung entstehen läßt; ich versuch seit langem, die Geschehen in die Sätze hineinzunehmen, die in sich vibrierende Bilder werden sollen, und zwar so, daß im einen das anderen immer schon mitenthalten, aber nicht genau faßbar ist. Das ist das Gegenteil des chronologischen Erzählens, welches, glaube ich, immer ein sog. realistisches wäre, das den Zeitstrahl akzeptiert. Nun ist es in diesem Auszug so, daß der Erzähler noch gar nicht weiß (begriffen hat), wer er in einer Ebene der Erzählung ist; er würde es auch noch ganz von sich weisen, wie jeder von uns, und mit Recht. Er bekommt auch immer nur Hinweise, Bemerkungen usw., die ihm das schon andeuten. Aber er versteht sie noch nicht einmal, geschweige, daß er ihre Berechtigung fühlte. Das fängt “wirklich” erst in der Nachtszene im Paradis du Pantin an – darf auch nicht vorher geschehen; allerdings macht sich der Erzähler im Dritten Teil seines Gespräches in der Tour d’Argent darauf schon bereit, hält das aber noch für ein Spiel.
Das Zusammenziehen der Zeiten geschieht in der Erzählung durch die achronologische Erzählweise, die oft auch “abschweifend” ist und das sein muß, um “real” entfernte Stränge ganz nah aneinanderführen zu können, unmittelbar oft, aber es geschieht für den Leser (und den Erzähler) ganz nebenbei. Hier, bei der ersten Begegnung mit der “wirklichen” Sainte Chapelle, bei der der Zuhälter den Erzähler sehr deutlich schon für den hält, der er eben ist, wird zum ersten Mal seine Identität für ihn aufgebrochen, aber nur leicht und in die “Erkenntnis” projeziert, daß beide Kapellen dieselbe in verschiedenen, sagen wir, Energiezuständen seien. Diese Erkenntnis ist, und muß es hier auch noch sein, eine objektiverende und gerade noch nicht erlebte. Genau deshalb schreibe ich hier: “Ich verstand…” Er ist mit dem, was er versteht, noch nicht – das jetzt in mystischem Sinn: – einig. Dramaturgisch gesprochen: wäre er es hier schon, nähme ich dem Finale, der Coda, die Kraft. Wie das Ganze später dann wirkt, kann ich auch erst nur ahnen: da muß ich den Fortgang meiner Überarbeitung abwarten. Was Sie verständlicherweise monieren, ist hier aber dramaturgisch ganz nötig:An dieser Textstelle jedoch dringt das Licht gerade (noch) nicht ins Auge des Erzählers. Der sieht kein Licht, sondern einen Raum/die Räume.Das ist gewollt. Wo Ihr Einwand aber ganz sicher trifft, das ist, daß der Leser (nicht der Erzähler) das Geschehen schon s p ü r e n sollte. Ich denke, das läßt sich dadurch erreichen, daß ich in die Beschreibung der “anderen” Kapelle, der ersten, der leeren, ein paar Signale einfüge, die nebenbei genug sind, um nicht bewußt bemerkt zu werden, die aber markant genug sind, um in der unbewußten Erinnerung zu bleiben, und dann hier, in der Sainte Chapelle, als ein Gefühl aktiviert werden. Ich habe dieses Verfahren mehrmals angewendet, zuerst wohl in der Paris-Novelle, auf die sich der jetzige Text nicht grundlos immer mal wieder bezieht: >>>> Die Orgelpfeifen von Flandern (bei amazon, im Link, bekommt man es übers Moderne Antiquariat derzeit für 90 Cent).
Wegen des “filmischen” Argumentierens: Das ist mir sehr nah.
@Melusine, Nachtrag. Wie das manchmal so geht. Ich sitze über folgender Stelle:
Ich sah auf meine ausgestreckte linke Hand, die auf der leuchtenden, aus grünen Stoffen gewebten Lichtbahn ruhte; eine für Momente durch den Wolkenvorhang gebrochene Sonne warf sie durch eines der Fenster schräg herab. Sie ruhte dort, meine Hand, als läge mein ganzer Arm auf ihr, über den sich dann eine nächste Lichtbahn, die rot war, legte. Ich hätte mich darauf stützen können, derart material ist sie gewesen. „Maria”, dachte ich und nicht „Raffaela”. Aber ich war ja allein, niemand war bei mir. Erst, als mir das bewußt geworden war, sank der Arm durch das Licht an meinen Körper zurück. Was war mit „nach Hause kommen” gemeint? Wie war das gemeint?
Ich schüttelte meine Erscheinung ab: so hätten sie wohl Christen genannt. Ich lachte sogar leise auf, aber der Zuhälter hörte das und sah aus seinem Asthma zu mir herüber. Wir schüttelten beide den Kopf über mich, er mißbilligend, ich ironisch.
Jetzt fängt der Erzähler sich (wieder) zu empören an: über die Anbetungsszenen, die Unterwerfungsszenen usw. Dazu suche ich mir Bildbeschreibungen zu den Fenstern im Netz und lese zu meinem Erstaunen – ich wußte das bis eben nicht -, daß die Sainte Chapelle der Heiligen Jungfrau geweiht worden ist. Daß ich „Maria”, dachte ich und nicht „Raffaela” geschrieben habe, war nicht konstruiert, sondern ist durch den Kirchenraum selber erzeugt. E r schrieb das, nicht ich.
@a23h. Sie sind hier willkommen.
@ANH Ich konnte, was ich meine, offenbar nicht richtig ausdrücken, denn, dass dies: “An dieser Textstelle jedoch dringt das Licht gerade (noch) nicht ins Auge des Erzählers. Der sieht kein Licht, sondern einen Raum/die Räume.” g e w o l l t ist an dieser Stelle, gerade darum geht es mir doch!
In vielen Ihrer Texte lösen Sie die chronologische Zeitvorstellung auf, auch hier, das gelingt Ihnen auch, das “achronologische Erzählen”. Was Sie – wenn ich es richtig überschaue – bisher nicht taten, ist die Raumvorstellung in d i e s e r Weise auflösen. Das Missverständnis geht, denke ich, daraus hervor, dass Sie das Wort “Perspektive” erzählerisch verstehen (das müssen Sie ja auch). Ich meinte es hier aber bildlich. Der Raum wird vom Blick (der Erzählers) a l s Bild erfasst. Sie wollen diese Bilder vibrieren lassen. Worum es mir (was natürlich mehr mein, als Ihr “Problem” ist, ginge, wäre: Dass gar kein “Bild” entstünde. Der Licht-Raum ist bildlos. —Das Pfingstwunder— Genau dort ist der Erzähler an dieser Stelle noch nicht, das habe ich schon verstanden. Aber: Er ahnt etwas davon. Und ich denke nun, das könnte durch ein “Licht-Bild” gezeigt werden: diese Ahnung eines “Zwischenraumes”.
(Vielleicht kommt meinem Verständnis des Textes aber nun in die Quere, warum ich d a m a l s wollte, dass Sie die Sainte Chapelle aufsuchen. Die Diskussion um Katholizismus und Protestantismus, erinnern Sie sich? Die mündete für mich in einer – noch immer unabgeschlossenen – Auseinandersetzung um das Bilderverbot – auch mit Markus A. Hediger. Das Bild, das die eigene Perspektive des Betrachters (oder hier Erzählers) ins Recht setzt und dagegen das “göttliche” Licht. Die Empörung/Verweigerung gegen das Licht durch den Erzählers, die verstehe ich gerade so. Dass er ahnt: das Licht nimmt ihm den Ort, den “eigenen Standpunkt”. Andersherum gilt: der perspektivische Blick ist immer begrenzt.)
Was ich sagen will: Ich glaube, dass Sie hier etwas versuchen, was nicht identisch ist mit dem achronologischen Erzählen. Und dass dieses Problem noch nicht gelöst ist. In Ihrem Nachtrag sehe ich so einen “Schimmer”
(Entschuldigen Sie, wenn das alles ein wenig undeutlich “geraunt” ist. Ich muss das so nebenbei schreiben – eben im Zug.)
Der perspektivische Blick ist immer begrenzt? Ich glaube, liebe Melusine, nicht der perspektivische Blick ist immer begrenzt, sondern der perspektivistische. Der Betrachter muß doch zusammenbrechen unter einem Übermaß an gleißendem Positivismus. Das sogenannte Pfingstwunder, wie ich es verstehe und wie ich es Mysterium lese, hat Betrachter geschaffen, die ganz ohne Anleitung und Verklärung göttliches Licht als solches wahrnehmen. Gläubigen bleibt die aufkommende Helligkeit nicht verwehrt, im Gegensatz etwa zu den Zweiflern, die ihren Unmut durch entsprechende Theoriegebilde wegrationalisieren und nichts als Dunkelheit “sehen”. Es hat sich schließlich auch jenseits sakraler Raumkonstellationen herumgesprochen, daß verlichtetes Licht (im Sinne des göttlichen) Perspektiven erst zuläßt, perspektivische Sichtweisen anregend aufschließen, während der perspektivistische vor zu vielen Reizen kapituliert. Das ist natürlich nur meine Überlegung, ihre ist so klug wie hellsichtig und in jedem Fall mehr als nur ein “Schimmer”. Schon auf s e i n e Reaktion gespannt. Wird er klärend argumentieren. Noch bevor er entschwindet an den Main. Ihre Edith
@Melusine zum Lichtraum. Weil Edith wartet, schon jetzt, obwohl ich gar keine Zeit habe. Der Tag war in ungutem Sinn ver/rückt. Egal.
Dem Erzähler wird der bildlose Licht-Raum auch nie zuteil – bis ans Ende der Erzählung nicht. Das liegt zum einen an dem, der er in dieser Erzählung wird, zum anderen an dem, der er ist. Er steht auf der Seite des Bildes, ganz wie ich. Er bleibt da stehen und w i l l, wie ich, da stehenbleiben; um es so zu sagen: er steht auf der Seite des Endlichen, der Erde, der Verdauung, des Sexes, der n i c h t (ohnedies falsch verwendet, das Wort, aber sei’s drum:) platonischen Liebe. Er verteidigt all das. – Sondern dem Priester wird es zuteil und w i e d e r zuteil. Und das erlebt der Erzähler. Was ich dabei miterzähle, ist aber, daß dem Priester diese sagen wir: Erfüllung zuteil wird, gerade weil der Erzähler auf sie verzichtet, und er verzichtet, weil er weiß, daß sie dem Priester eher gebührt als ihm, dem Erzähler, selbst. Mir ist das hier sehr wichtig, weil ich denke, daß genau in diesem Verzicht ein Moment Christentum eingefangen ist, das auch ich, ein Agnostiker, mit Leidenschaft verteidige. Selbstverständlich wird dem Erzähler diese Erfüllung aber auch nicht zuteil, weil er an dem, was wir “das Leben” nennen, so sehr hängt: ihm wie mir geht es darum, das Leben und nicht die Erfüllung durch einen Licht-Raum zu transzendieren. Noch schärfer formuliert: das Leben zu feiern. Alles, was ich in den nun ja endlich erscheinenden Bamberger Elegien schrieb, argumentiert dafür, fühlt dafür, träumt dafür, liebt dafür. Dennoch weiß ich, wie der Erzähler der Chapelle-Novelle, daß da etwas anderes auch ist, vielleicht auch etwas Größeres. Nur es ist mir weniger wichtig als mein organisches, und das anderer, Sein.
Ich argumentiere hier nicht, wie vielleicht Edith meint, theoretisch, sondern spekulativ einerseits und sinnlich – was mir eben am wichtigsten ist – andererseits. Um es deutlich zu sagen: Mir ist der Duft – man kann ihn mit allem Recht auch einen Geruch nennen – einer weiblichen Erregung wichtiger als meine Erlösung. Für sie wird Zeit, wenn ich sterbe. Oder auch nicht. Es hat seinen Grund, daß der Erzähler hier zu dem wird, zu dem er zeitweilig eben auch wird.
Ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich mehr Edith geantwortet habe oder Ihnen. ‘tschuldigung. Und es fällt mir als fast ein bißchen bizarr auf, daß ich theologische Überlegungen in Der Dschungel anstelle, seit ich mit den Bamberger Elegien begonnen habe – seit nunmehr etwas mehr als vier Jahren immer wieder.