11 Uhr:
[Konzerthaus, Werner-Otto-Saal.]
Es geht gleich mit einer Hiobsbotschaft los: Nun ist auch der Sänger des Orpheus’, >>>> Dominik Wortig, ausgefallen: erkrankt, im Krankenhaus; die Produktionsleiterin ist gerade auf dem Weg dahin, um Näheres zu erfahren: wie dramatisch die Situation möglicherweise ist:: brauchen wir jetzt auf die Schnelle einen Ersatz? Meine Güte, noch sechs Tage bis zur Premiere. Zagrosek zu Pinter: “Das war ein Achtel zu früh”… – aber vorher, abermals dieser sperrige Text. “Was soll denn das hier heißen?” “Ich bin noch nicht so weit”, sag ich, der Laptop fährt gerade hoch, “wo sind wir bitte?” “Ich blase dir den Feldstaub weg und sehe mein Gesichtchen, das so spät heut heimgefunden hat.” Was soll das denn heißen? – Ich, erst irrig, weil mein Text noch nicht offen ist, beziehe die Stelle auf Psyche, merke dann den Irrtum, intertretiere: “Es drückt Nähe aus. “Mein” Gesichtchen meint, daß Orpheus’ Gesicht das Ihre sei. Bei Kokoschka wird der Geliebte, die Geliebte immer vollständig in sich aufgenommen, so daß beide Partner identisch werden. Eurydike macht das auch mit Psyche so…” – Und eben, wenn du mich lächeln siehst, wird es plotzlich, momentlang ganz Wagner.
–
“Gut, den ersten Akt haben wir im Kasten.” Wieder Textdiskussion. “Ich glaube, daß uns der Text”, sagte Zagrosek, “eine große Freiheit gibt.” “Ja”, antwortet Pinter, “aber man muß sich entscheiden. Wenn man da nicht sicher ist in dem, was man ausdrücken will, ist das aber auch sofort zu merken.” “Das stimmt.” Pinter schaut zu mir. Ja, wir gehen das nachmittags durch.
“Vielleicht eben noch einmal vorher…”
Und dann, Anagnorisis, wie Bloch über Elektra/Orest schreibt:
Ein Federchen die Wärme hebt! Ich nehm es so zum Zeichen mir. Nicht anders war’s als wie du, Orpheus, zum ersten Mal Eurydikes Namen hauchtest.
Wiedererkennen. Dazu auch, biblisch: “Und sie erkannte ihn (er erkannte sie)”. Enorm wichtig. Nach all den Jahren im (bei) Hades. Deshalb: z u Hades hinab und nicht zum Hades.
–
Abermals Textdiskussion. Wir werden uns in der Pause gleich alle zusammensetzen und den Text durchgehen. Er ist mehrdeutig, grammatisch ohnedies zerrissen, die Bezüge sind bildlicher, nicht eigentlich semantischer Natur… aber eben nur über Strecken; zugleich laufen sie an einer nahezu ausweglosen Chronologie entlang. Ich gebe Ihnen nachher noch mal ein anderes Beispiel. Dazu immer wieder Kokoschkas eigenwillig-reinindividuelle Version der Frageverbots, das hier zum Fragedruck des klinisch Eifersüchtigen wird. “Vergiß die Jahre, die ich im Hades war!” sagt Eurydike und meint selbstverständlich: die ich b e i Hades war, was Orpheus so deutlich merkt, daß er nun erst recht fragen muß…
ZWEITE SZENE.
Psyche schläft vor einer Tür, die zu Eurydike führt. Hört alles im Schlafen. Klopfen draußen.
Psyche Etwas Böses hockt da auf der Schwelle. Wer seid ihr? Packt euch!
Furien, unsichtbar. Eine Fackel, die hin- und herschwenkt.
Alle drei Furien Mit einem Auftrag von Hades.
1. Furie Dazwischen: Mit einem Anliegen, möchtest du nicht die Tür aufmachen! Sind wir recht hier bei Eurydike?
Psyche Angstvoll, lauter: Ich sag’s nicht.
2. und 3. Furie: Sind wir recht hier bei Eurydike?
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Libretto (5) © Gladys Křenek.
ZU HADES HINAB >>>> <% file name="Take-300110-Furien" %>
“Können wir das ab Die Schleier los etwas schneller haben? Sonst wird die Stelle zu lang. Aber so wär das, glaube ich besser. Ich überlege auch, ob ich das da im Orchester piano nehmen lasse, dann bleiben Sie besser verständlich. Machen wir bitte mal?” Pinter fängt an zu lachen… “Was ist denn jetzt los? Was singe ich denn da??” Dreht sich, weiterlachend zu mir: “Jetzt fange ich schon selbst an zu dichten.” Zag grinst, schlägt aber einfach den Takt durch, Pinter nimmt wieder auf. Zagroseks Dirigier-Assistent liest in zwei Partituren vergleichbar, und streng, mit; zwischendurch immer mal wieder ein Einwurf von ihm.
“Deutlicher, es kann hier keiner verstehen, worum es eigentlich geht, sonst. Bitte ab Takt 710… eins… zwei…”
–
“Jetzt machen Sie einfach I h r Tempo, und ich folge dann….”
–
“Das war es jetzt? Oh Mann, wir sind schon so weit. Was wäre ich froh, wäre ich auch mit den anderen schon so weit.”
12.36 Uhr:
Lagebesprechung. Es muß darauf gewartet werden, ob Wortig vielleicht doch noch kommen kann; danach wird sich ein Großteil des heutigen Tages richten. Möglicherweise gibt es dann noch eine Abendprobe zusätzlich. Auch die Sängerin der Psyche ist indisponiert… “Ich hoffe, sie kriegt das in den Griff.”
Eröffnung der kleinen Ausstellung zu Ernst Křenek im Carl-Maria-von-Weber-Saal: Begrüßung durchden >>>> Intendanten Nordmann, dann spricht Florian Schönwiese vom >>>> Křenek-Institut. Zugegen ist auch Gladys Krenek, die Witwe des Komponisten, ebenso Zagrosek. Mitten im Raum steht der Koffer, mit dem Křenek emigrierte. Ansonsten gibt es Bild-/Texttafeln, sowie an einer Seite eine Vitrine mit Arbeiten Kokoschkas. Ich bleibe nicht lange.
Dann runter ins Casino, ist ja doch mittag, und ich bin mit Pinter wegen des Librettos verabredet. Sie ist aber nicht da. Überhaußt ist niemand da. Doch, die Dame hinter der Theke. Ansonsten Leere. Ich hab noch nicht gegessen heute, frage also, ich nähme sogar Schnitzel mit Kartoffelsalat. Es gibt aber nichts, nichts Warmes. “Ist doch kaum wer im Haus, da lohnt sich das mit der Küche nicht. Brötchen könn’Se haben.” Also futter ich Brötchen mit kaltem Rührei, trinke ein alkoholfreies Bier, geh dann wieder hinaus in den Werner-Otto-Saal, da sitzt Pinter am Klavier und spielt. Singt vorsichtig dazu, probt Stellen durch. Wir sprechen kurz, verschieben das Treffen auf halb vier. “Ich bin jetzt sehr angestrengt, ich ruhte mich gern etwas aus”, sagt sie. So habe ich Zeit, meine Notizen zu vervollständigen. Kurz vor der Ausstellungseröffnung war Karsten Wiegand eingetroffen, ich rauchte vor dem Bühneneingang, gemeinsam gingen wir hoch. Grad aus London gekommen, erzählt er, “ich bin eigentlich gar nicht im Bilde, gut, daß Sie schreiben, da konnte ich unterwegs immerhin lesen.” Er sucht den Musikchef für sein Weimarer Haus. “Ich spreche mit den Sängern das Libretto durch”, sage ich, “ich hoffe, das ist für Sie okay. Zagrosek ist informiert.” “Gut”, sagt er, “das ist gut.” Wir sprechen kurz über die hochaufgeladenen Wortbilder Kokoschkas, über ihr Mehrdeutiges, die objektiven Verständnisprobleme, die es gibt. Dann geht er nach rechts, ich geh nach links. Und wieder runter. Noch mal rauchen, kurz telefonieren, jetzt sitz ich hier und lese das Libretto noch einmal. Meine Arbeit ist derzeit ein bißchen anspruchsvoll: ich formuliere meine Dschungelbeiträge, muß aber zugleich dem Libretto folgen, weil immer wieder Fragen kommen während der Proben, die dann an mich gerichtet werden. An sich bräuchte ich einen Klavierauszug hier, damit ich nach den Takten mitlesen, bzw. je auf der richtigen Seite sein kann. Wichtiger aber ist, daß Dominik Wortig nun d o c h singen wird; man habe, heißt es, ihm zwar in der Charité empfohlen, eine Woche auszusetzen, aber das nimmt er gebuckelt; nur heute noch müsse er pausieren; aber morgen werde er zu den Proben erscheinen.
Wenn einmal der Wurm in etwas ist….
16.05 Uhr:Gerade eben kommen Stoermer und Pinter. Ich saß eine Stunde lang hier und >>>> schrieb auf Briefe, die auch in d i e s e m Zusammenhang nicht ganz unwichtig sind. Ein Bühnentechniker kam und schaltete mir das Licht aus: “Das ist ziemlich teuer sonst… wolln Sie nicht in die Garderobe oder die Kantine?” “Nein nein, ist schon gut so.” Der Schnee leuchtet weiß vom Gendarmenmarkt hoch.
16.20 Uhr:
So, Pinter und Stoermer proben jetzt. Da ich das Libretto zeitgleich mitlese, um dann entsprechend in die Text-Auslegung zu gehen, kann ich in der Zeit nicht kommentieren. Ich erzähle danach.
—- Na, d o c h: Solche Gedanken auf mich gerichtet zu sehen… Pinter: “Man will hier immer unters D, und dann hat man keinen Platz mehr, weil…” Stoermer: “…danach gleich der Halbton kommt. Ja.” Singen, Proben, plötzlich mit Aufstampfen Pinter: “Scheiße! Je-des-mal!” “Das ist sauschwer, einfach weil der Rhytmus…” “Nochmal. Nochmal.” Sie stampft noch einmal mit dem Fuß auf. Laß es genug sein, was ich dir noch geben will……. –
–
Stoermer: “Also… so hö-höre…” “So hö—hö-re… – Ich höre überhaupt nicht, was du da spielst…” “Ich soll lauter…” “Ja, ich höre nichts, das ist ganz komisch.” “Gerne.” “Noch mal.” – “Hier, aufpassen: Synkope…”
2. Akt, 4, Ende. Schlüsselszene, textlich, ohne jede Frage. “Mach mir noch mal: der Boden unter mir…” Setzt an, stockte. “Da, das ist, was ich immer zu lang…” Stoermer lacht leise, klatscht den Takt. “Also noch mal.”
–
“Falls du das nochmal machen willst…” “Nicht jetzt, ich merke, wie meine Stimme…” “Nein, nein, morgen, vielleicht vor der Sitzprobe…” “Die Stimme kann grad nicht mehr richtig intonieren.” “Macht ja nichts, laß uns…” “Danke dir, danke dir s e h r.” “Es wird mit dem Orchester noch mal anders, man hört da andere Töne…. anders…”
Nach der Probe dann noch mit Brigitte Pinter am Libretto gewesen, jede Stelle durchgesehen, teils gesprochen, etwas geblättert, heikle Situationen geklärt: was geschieht psychologisch, welche Dynamik beherrscht die Szene, mit welchem Ausdruck sind die Metaphern geladen, bzw. umgekehrt: die Metapher, bei Kokoschka, lädt den Ausdruck auf. Wenn man sich das klarmacht, wird es plötzlich fast leicht; man muß unbedingt von einer funktionalen Auffassung der Psychologie weg; jedes realistische Prinzip hebt sich hier auf. Ist das geschluckt, wird alles psycho///logisch: seelisch folgerichtig. Aber das werde Wiegand ganz sicher noch mit den Solisten durcharbeiten. Nein, das glaube sie nicht, auch schon wegen der Kürze der Zeit. “Aber im allgemeinen lassen Opernregisseure sich etwas anbieten, und daraus wählen sie dann.” “Ja aber… Sie müssen doch die Auffassung wissen..” Ich denke, daß man eigentlich viel weiter gehen müßte: Imgrunde wäre mit allen Musikern, auch mit dem Orchester, das Libretto wenigstens einmal durchzusprechen, und zwar Satz für Satz gerade bei einem so aufgeladenen Stück. Und dann noch einmal, mit den entsprechenden Noten dazu. Wir wissen, was jetzt gesungen wird… das heißt: gefühlt wird, und was dieses Gefühl b r a u c h t vom Orchester, um sich ganz herauszuschälen. Nicht, daß nicht auch ohne so etwas gute, auch sehr gute Aufführngen zustandekommen; das durchaus: allein weil die Musik die Form gibt, Zeitmaße, Phrasierungen. Zumal es ja Profis sind, alle. Aber der wirklich höchste Ausdruck läßt sich ganz sicher nur erreichen, wenn die Seele geatmet wird, die solch ein Stück hat. Meine Meinung, nein: Überzeugung. Vielleicht ist sie naiv, vielleicht geht sie an den Realitäten vorbei, ganz sicher – jedenfalls: vielleicht – an den sogenannten Zwängen, auch an den Abstumpfungen – aber geht es in der Kunst nicht gerade darum: an den Abstumpfungen vorbei , die wir uns “Realitäten” zu nennen haben angewöhnen lassen, ganz eigene, neue Realitäten zu schaffen?
Welten.
>>>> Das Ungeheuer Muse (13), SIEBENTE PROBE
DIE FÜNFTE PROBE, Das Ungeheuer Muse (11) <<<<
Spannend, das alles. Ich werde mir auf jeden Fall eine Vorstellung anschauen.
Von den Nazis als Kulturbolschewist verfemt und mit Verboten belegt
emigrierte er 1938 in die Staaten, nahm 1945 die us-amerikanische Staatsbürgerschaft an und änderte die Schreibweise seines Namens: Ernst Krenek. Und auch das “sein” Institut trägt den Namen Krenek.
@Henze. Ja und? Meinen Sie im Ernst, einen Namen zu ändern, ändere? (Tatsächlich änderte Křenek einen Akzent, und der war nun slawisch – was also wollen Sie daraus schließen?) Und w e n n es etwas ändert: was? Ich selber trage unterdessen mit Selbstbewußtsein b e i d e Namen. Nun und?
Hierzu unbedingt: >>>> d o r t.