15.29 Uhr:
[Konzerthaus Berlin, Werner-Otto-Saal.]
>>>> Brigitte Pinter in ihrer ersten Probe. S e h r fragender Blick, als ich hereinkomme. Ich erkläre kurz, sie: „Ja, fotografieren dürfen Sie, aber bitte: hören Sie noch weg, ich habe die Noten erst seit zwei Tagen.” Ich lache leis, setze mich, setze meine Geräte in Funktion. Dann: „Kennen Sie das Stück, Hintergründe?” „Aber ja.” „Erklären Sie mir? Es ist alles so kurzfristig…”
Gut, wir ziehen jetzt eben gemeinsam in die Kantine ab. Ich melde mich danach wieder. „Schönes Stück”, sagt sie, „schönes Stück für die Stimme, ganz wunderbar geschrieben.”
16.08 Uhr:
[Nach dem Espresso im Casino.]
Nun ist auch Zag da, nun sind auch die anderen Solistinnen da, Probe. “Ich habe extra die Brille auf, was ich sonst nie mache”, sagte Zagrosek, über die Noten gebeugt. “Und bitte, das etwas intimer singen; Sie müssen zueinandersprechen.” Er hätte gern deutliche Textverständlichkeit, allerdings hat Korrepetitor Stoermer durchaus recht, wenn er eben im Casino bemerkte, der Text sei schon a l s Text kaum verständlich. Es ist hochgetriebener expressionistischer Symbolismus, der eben auch das Narrative der Erzählung aufbricht. “Das Eigentliche”, erkläre ich, “findet im Zwischenraum von Musik und Sprache statt” – deren Bedeutung, abermals, wird vom Orchester getragen. Jedenfalls über weite Strecken.
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“Und du wirst n i c h t von mir gehen”, singelgrummt Korrepetitor Stoermer, der die Männerstimme andeutet, um den Frauenstimmen Anschlüsse und Einsätze zu geben.
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“Gut, das war die dritte Szene, machen wir jetzt die Szene davor. Wir haben zwar keine Psyche… Fangen wir an Takt 82, bitte.” —- MIT EINEM AUFTRAG VOM HADES… – “Gut, und das Ganze ganz leise. Auch da viel Parlando. Nochmal bitte, vom 6er…”
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“Dann steigen wir ein in 304… oder brauchen Sie einen Übergang? Ah ja, machen wir zwei Takte mehr ….. “Psyyyyyyyyyyche braucht dunk/le Näch/te…” “Da steht übrigens Scherzando beim Orchester, also etwas karikieren… Wir machen weiter bei 318.”
“Das darf da sehr schleimig sein, aber das machen wir später…” “Das i s t sehr schleimig…” “Hier jetzt etwas schneller.” Brigitte Pinter sitzt derweil vorn in der Reihe neben Zags Dirigier-Assistenten, den Kopf momentlang im Nacken, “wir haben Hindemiths Susanna gemacht, erst in Mailand, dann in New York… völlig verschiedene Stücke, weil die” – abermals! – “Orchester die Oper völlig verschieden auffaßten… und vor allem, aber, man muß sich das vorstellen: das Stück galt als W a g n i s, weil Hindemith – Hindemith -” sie hat völlig recht, ich fasse das auch nicht richtig “als Neue Musik gilt, als schwer verständlich.” “Es wird noch fünfzig Jahre dauern, daß auch Schönberg noch als Neue Musik gilt”, sagt Stoermer.
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ERSTE SZENE ff.
Eurydike Ich blase dir den Feldstaub weg und sehe mein Gesichtchen, das so spät heut heimgefunden hat.
Orpheus Laß mich zu deinen Füßen dulden, daß du, wie die Engel, besänftigst mich – oder Gespenster winkst. Oh deine Anmut! Meine Tollheit! Nein, laß mich reden, ich liebe dich, liebe dich mehr als Glück!
Eurydike „Mein Glück ist ihr Herz dort, nun faß ich’s.“ Meinst du?
Orpheus Eins, wieder eins, wem ich die Pulse zähl’, stiehlt sich mein eigenes Schlagen in deines ein. Eins! Zwei! Ausseufzt, Süße, Orpheus sein Leben!
Eurydike Du bist ausschweifend, Geliebter.
Orpheus Liebe ist so aberwitzig: Stirb! Stirb! Lockt es. Lachend im Versteckenspiel Liebe diesen Ort ersänn? Da wird meine Leyer schlagen; hinterm Flieder wird Orpheus Eurydike sehn.
Eurydike Möge dir’s lange dauern, Gieriger, bis sich das Glück dir in einer Wolke entzieht. Wenn du mich lächeln siehst, ist’s über die Göttin, in die ein Kentaur sich verliebte und ihrer Wolke noch eine Umarmung abdringt. Liebe! Ohne Gegenstand! Nur Verlangen! Küß mich ohne Ende. Schließ mir den Mund!
Orpheus Ein Wölkchen wie Rauhreif der Atem hier entflieht.
Euydike Weiß nicht, ob ich’s selber bin, die hier entflieht –
Orpheus Glück! Jedes Wort, das Eurydike gesprochen, mir ein Gedächtnis –
Eurydike Unglück, vergoldet ist’s, falsch ist auch Glück, falsch diese Lust? Denn der Kentaur kam um im Feuer!
Orpheus Unke vor Unglück warnt. Falsch ist nicht Glück!
Eurydike Bin ich nicht meinem Herrn zur Redlichkeit verpflichtet? Wie der Kentaur; Glück fühl ich in deiner Hitze, einst, eine Hand voll Asche zusammenzusinken?
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Libretto (5) © Gladys Křenek.
“Wir machen dann am Montag… Sie müssen sich da auf eine l a n g e Pause einstellen…” Stoermer: “Elf bis zwölf die Konzeption, Viertel nach elf Proben…” Zag: “Ich hoffe, es sind dann alle gesund… Schonen Sie sich.” Und nun Brigitte Pinter, solo: “Packen wir’s an.” Zag: “Packen wir’s an.” Pinter: “Irgendwie brauche ich jetzt einen Bleistift. Keine Ahnung, wo ich meinen verloren habe.” Zag blättert durch die Partitur. Stoermer blättert durch die Partitur. Zag: “Also. Zweiter Akt. Erst mal. Du bist zurück, geht’s, glaub ich los.” “Genau.” “Können wir einsteigen in Takt 29.” Singelgrummel Stoermers >>>> <% file name="Take-300110-Stoermer" %>. Seltsam auch, diese kräftige Frau v o r dem und der zarte Zagrosek hinter dem Flügel. “Hier müssen wir auch stimmlich umstellen…” “Ja, ich weiß…” “In diesen Parlandostil…” “So ewig“… “So e /// wig…” “Weiter hier, das ist jetzt wieder eine längere Orpheussache… Wir müssen eine Mitte finden zwischen Parlando und Elektra an der Wiener Staatsoper…” “So dachte ich das…” Zagroseks Assistent aus der Partiturlektüre: “Herr Zagrosek, Sie hatten ab 169 Halbe…” “Oh, Sie haben recht.” Pinter: “Halbe”, nimmt den Bleistift. “Lassen Sie uns das eben noch mal machen, wegen der Halben.” Wiederholung. Bis sich das Glück wie//der in einer Wolke entzieht. “Wenn wir da jetzt einsteigen könnten.” Klavier, ‘bemutet’, ‘forschele’.
– “Und hier könnten Sie eine wunderbare kleine Arietta draus machen.” “Aber ja”. Spielfreude dringt durch, übrigens sehr von Stoermer tragen. Pinter: “Solln wir das vielleicht s o machen?” Singt vor. Zag: “Das ist prima, das machen wir.” Pinter die Hände auf dem Pult, wie sich davon absperrend und mit vollem Ton beide Arme entlangsingend, als gäbe das den Tönen Schwungkraft… es sieht ein bißchen aus wie Skispringer, die die Schanze hinunter Schwung nehmen… “O Mann”, seufzt Pinter, “diese Noten! Man irrt sich da immer wieder.” Zag: “Ich weiß, aber das Orchester hat noch viel schlechteres Material.” Universal Edition, ich wiederhole die Klage hier gerne. “Haben Sie eine Ahnung, was das kostet, Noten auszleihen?! Und dann s o w a s!” >>>> Schirmer, nach einem Schreker an der Deutschen Oper, habe einen Streit mit der Edition vom Zeug gebrochen deshalb. “Da haben Sie aber v i e l gearbeitet schon”, sagt Zag lächelnd, “ich hatte solche Sorgen, daß, in solch einer kurzen Zeit… Aber jetzt bin ich beruhigt.” “Wie ist das morgen?” “Aber ich kann früher hier rein, oder?” Stoermer: “Aber wir können auch heute abend noch etwas machen.” “Besser nicht, ich habe in den letzten Tagen so viel gesungen, ich muß da aufpassen, ich merke gerade… und will doch nächste Woche a u c h noch etwas Stimme haben.” Zag: “Gut, dann gehen wir am Montag mit den Männern…” Pinter: “Sag, bist du jetzt mit mit zufrieden?” Zag: “Ja, das jetzt.” Pinter: “Sag, bist du jetzt mit mit zufrieden? Stoermer grummelsingt, und plötzlich beginnt genau das, wie Othmar Schoeck zu klingen. So eng, so sehr eng hängen Kompositionen ineinander, auch wenn sie sich grundsätzlich fremd zu sein scheinen. “Was steht hier?” “Ich kann das auch nicht lesen.” Pinter zu mir: “Wir haben doch einen hier, der’s weiß.” Ich: “Wo sind wir? Ah ja, Moment.” Strg+F: Warte mit dem Trinken, Herz. Ich lese vor: “Warte mit dem Trinken, Herz, jetzt. Weißt nicht, was du dir dann schöpfst -” Zag: “Notiert. – Einsatz bitte….” — “Ah, ist das zu schnell?” “Ich muß mich dran gewöhnen.” “Kein Problem, ich kann das auch…” “Nein, das bekomme ich hin.” “Es ist besser, ich nehme das einen kleinen Moment ruhiger, mach ich gerne.”
Um Ihnen, da hier gerade die Partitur sprachlich diskutiert wird, ein Exempel von den semantischen Schwierigkeiten zu geben, vor die uns Kokoschkas expressionistische Dichtung stellt:Orpheus drängt sie vor sich. Fortsegelnd kannst du umsehn von der Flucht. Nachsinnen unterwegs uns wenig Aussicht schafft. Schau, vorn, an ein Steg legt! Du geh vor mir!W a s nun? “Vorn án / ein Steg legt”? Also der Steg legt an? Oder sonst? Was anlegt, ist gedacht. Wichtig: Das muß über den Melos getragen werden.
“Oh, was ich trieb, das lief dir in die Wege, nimm’s gütig auf und schenk’s mir dann zurück.” – “So, was ist dann das nächste?” Blättern…. Pinter murmelt. Zag: “Wenn’s dann ein bißchen wackelt?” “`Ein bißchen’ wär ja schön…” “Takt 440.” “Ah, die Fuge, richtig. Wenn wir da einsteigen.” Sanft, ausdrucksvoll schreitend das Klavier. “Es muß einen Weg geben, zu deinem Herzen zu gelangen. Sag, ist hier der rechte Ort, dich zu finden? Es ist grauenvoll bei dir.”Zag: “Und, Herr Herbst, was soll d a s denn heißen?” Zitiert: (Eurydike) “ Sag, ist hier der rechte Ort, dich zu finden? Es ist grauenvoll bei dir.” Zitiert: (Orpheus) “Hier nicht, um schönzutun, wie anderswo auch nicht. Das kann doch keiner verstehen.” Ich lege aus: Ja, da fehlten oft ganze Begriffe. Und die müßten gesungen werden, als eben die, die nicht dastehen. “In diese Fugen schiebt sich die Musik.” Man hat in der Tat bisweilen den Eindruck, daß Kokoschka ziemlich, sagen wir, drauf war, als er das schrieb.
Ob es Haß ist, solche Liebe, das Verlangen?
“Daß wir das jetzt mal durchgehen, ohne Stimme, einfach durchgehen…” “damit Sie ungefähr wissen, von Tempo…” Ja, 580.” Klavierdräuen, repetitiver Postmoderne ähnlich, momentlang, Pinter singt aber d o c h, aber vorsichtig, gedämpft, Duett Orpheus/Eurydike, es wird dadurch ganz besonders suggestiv… Zagrosek deutet auch die Schläge nur an…. Man gerät in den mood, seltsam halbweltig, halblichtig, halb in der Tiefe, aber die Knie sind oben… Mit dieser Lüge hast du mich begleitet? was verdorben! Nur Übermut über dein Glück ist es, du willst dein Unglück! “Sie können den Ton ganz gut kriegen, denn das Untere ist ein d.” “Na ja, aber mit der Harfe… – Ich werde es versuchen.”
–
…versingt sich und fängt laut an zu lachen. Der linke Fuß wird gehoben, zweimal im Lachzuck bis Höhe der Innenknie. Zagrosek bleibt ernst. “Macht nichts, also noch mal.” In Pinters Füße sind jetzt Tanzbewegungen geraten, jetzt ist sie warm, obwohl sie doch Stimme schonen will, aber der gesamte Körper singt jetzt mit, schwingt sich dann in die Ruhe ein: “und nur noch schwache Furcht vor Hades mich schreckte, da war ich betroffen von den gebrochenen Augen, der matten Stimme, als er im schwarzen Nachen zu mir steuerte.”
18.04 Uhr:
“Na, da sind wir ja richtig durchgekommen!”
—- Schlußrunde, am Klavier.“Na dann!” “Morgen um elf.” “Um elf.” “Hier.”
>>>> DIE SECHSTE PROBE, Das Ungeheuer Muse.
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