III, 214 – Nicht unbedingt konziliant

Als ich zum ersten Mal, es dämmerte schon, die Tür zur äußeren Welt öffnete, um Holz hereinzuholen, erschien für den Bruchteil einer Sekunde der Turm der Kirche Sant’Agostino als eine riesige Rauchwolke. Dunstschwaden. Kühle Atmosphäre. Eine Stunde später war gar nichts mehr zu sehen von ihm. Jetzt, wo ich schreibe, hat sich’s wieder aufgeklart. Man ahnt vor der Schwärze zumindest wieder seine Form.
Mir selbst eine Form zu geben, fällt mir heute schwer. Auch fehlte mir die Fähigkeit, mich beim Mittagsschlaf von oben zu beobachten. Irgendetwas träumte ich, aber ich weiß nicht mehr, was. Lediglich wie üblich die Erinnerung an abschüssige Stellen, an denen ich vor Abgründen zurückschreckte (den Abgründen des Schlafes).
Am Vormittag neben der in kleinste Pillen eingeteilten ‘Arbeit’ Trilussa-Gedichte aus den Jahren des ersten Weltkriegs. Auch ein “Ja” tauchte auf. Womit sich ein deutscher Spion verraten. “Ja” sagte ich damals auf dem Standesamt auf dem römischen Kapitol. Kam ziemlich spontan. Statt des “Sì”. Natürlich allgemeine Erheiterung. Man fragte mich lediglich der Form halber, ob ich der italienischen Sprache mächtig.
Aber es bleibt alles im Reich der Tiere. Bei Trilussa. Die Laus sagt zur Maus, der Löwe zum Esel, usw. Dialektal, aber nicht unbedingt dialektisch verbrämt. Trattoria-Atmosphäre. Und von “Volksmeinungen” mag ich zur Zeit nicht viel hören. (Aber mal ernsthaft : allgemeines und gleiches Wahlrecht ist Unsinn : zumindest müßte Jeder erst ne geschichtlich=geographische Prüfung ablegen; und mit 65 Jahren das Wahlrecht, aktiv wie passiv, überhaupt erlöschen!). Schmidt, Seelandschaft mit Pocahontas. Würde ich heute glatt unterschreiben. Belli ist da schon ein anderes Kaliber.
Auf einer anderen Ebene am Nachmittag Montaigne zu den Tieren und dazu, was sie vermögen, so daß ihnen nicht wirklich Unvernunft abzusprechen sei.
Zumindest heute niemand, der die richtigen Worte trifft. Ich am Allerwenigsten. Und die Welt, die Eichendorff beschreibt, wird mir immer fremder. Fast so, wie ich mehrmals am Tage den ‘Spiegel’ aufrufe.
Da kann sich jetzt die Käsereibe noch so sehr gebaren, die ungefähre Form des VW-Verwaltungshochhauses in WOB (jemand erzählte mir, dem Knaben, mal, was das bedeute, nämlich Weiber ohne Busen, fand ich witzig, erzählte es deshalb meiner Mutter, die mir daraufhin eine Ohrfeige verpaßte) anzunehmen, als das sie mir plötzlich vorkommt.
War jedenfalls elektrostatisch ziemlich aufgeladen, als ich als Lehrling dort mal ein und aus ging: man zuckte ständig zusammen, noch bevor man “electrocuted” wurde.

inquisitorisch braune kutte
unterhalb der grauen borte
ein etwas hellerer rand
an der wand im lampenschein
die federförmigen fühler
heruntergeklappt an den seiten
des fleischig wölbenden nackens
– sah mich plötzlich an
von der kante des tisches
auf den ich das buch gelegt

klumpte im dunkeln
worte zu bildern
stieß im jähen kontakt
meinen kopf empor
ratterte hexentexte
brummte aufbrausend
anklage-crescendos
verhieß nachtlanges
surrenkrabbelnschwirren
der helfer, die kamen
und foltern beschreibend
mich zwangen
der zeit abzuschwören

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