[Kapitel 50 und 51 (Anfang) <<<< dort.]
Angel strich entlang den Läden Cafés Sushi Bankfilialen gewischte Stein- und Glashygiene, die Massenstaus lösten sich im konventionellen Nachtbetrieb auf. Man wartete an der 5th das Grünlicht der Ampel ab. Gottseidank daß der Regen aufgehört hatte. Guck an: Nabokov. Angel kannte den Namen, weil Jim dauernd Nakokov las, auf seinem Catwalk das Podestchen neben der Matratze unter der Birne im Condo; die wackelte immer, wenn die Subway passierte. Ada or Ardor, Jim ließ niemals wen ran. Hätte ihm Angel von der Ausstellung erzählt in dem neoklassizistischen Prachtgebäude der Public Library, vielleicht daß Jim dann nicht zugeschlagen hätte. Aber vielleicht erst recht: Woher die Kröten für den Eintritt nehmen? Die gaben dir da einen solchen Tritt in den Arsch, daß du die Treppen runterkrachst. Und die Leute auf der 5th trampelten über dich rüber. Kein Buch der Welt war so etwas wert. Die enorme Wölbung des Hochhausgebäudes funkelte gläsernblau drin die Lichter der Fenster der andren Häuser im Haus in den Häusern achtmännerhoch: REVLON und eingerahmt nur zur 6th Avenue offen Bryant Park. Die Wiese dunkel und keine Stühle, Leute aber doch, die um die Pfützen des gepflasterten Umgangs unter Laternen Platanen flanierten an den gebauschten Säulchen der Balustraden Kofferradios Pfiffe hinter Mädchen jungen Frauen Kragen bis übers hochgereckte Kinn hochgeschlagen: Junge mach mich bloß nicht an! Auf- und abstolzieren aber taten sie doch so provozierend arrogant, aus den schloßturmartigen AppartmentHäusern bewacht gelb leuchtende Fensterchen Bögen tausend Kassetten, die den MinaturPark nach Norden flankierten. Paar Knutscher paar Tonnen Ziersträucher das Plateau zur 6th mit den beiden Kiosken Pizza Newspapers Cafè Italiano, dort endlich die Stufen zur Subway hinab. Angel kannte einen Zugang, der meistens nicht verschlossen war, weil sich dort Smithey immer paar Cents verdiente, indem er UBahnPassanten eine Abkürzung durch sein Wohnzimmer zeigte. „Hier entlang, das geht schneller“, und wenn erst mal e i n e r gegangen war… man stieg dann schräg über seine zusammengerollte Matratze und ignorierte den Kerzenstumpf auf dem verteerten Kasten daneben. Hätte sich jemand umgesehen, wären die paar Metalltreppen bemerkt worden, die Angel nun runtersteigen wollte. Unten verschloß den Eintritt eine Feuerschutztür, natürlich, man brauchte auch hier diesen Vierkantschlüssel. Aber vielleicht war ja offen, jetzt, wo der Zugang in die Condos unterhalb von Plattform 100 über den Bahnhof versperrt war. Angel war kaum der einzige von diesem Polizeieinsatz betroffene Konzertbesucher. Tatsächlich lehnte das schwere Durchgangsgitter nicht nur an, sondern starrte sperrangelweit mit seiner Schwärze ins Halblicht der Stationsplattform. Es war eine gierige, eine unentwegt Menschen schluckende Schwärze: paar CHUDs winkten je zur Seite mit schmutzigen Händen und Tüchern, die einen ganzen Strom von Leuten hereindirigierten ungeschieden edel ordinär Scheißer und Spucker und Gecken. Man sah sogar Feuerwehrer darunter, sogar Cops nicht zu kapiern ihr könnt doch nicht Spione so ins Geheimste lassen?! „Schnell! Schneller! Beeilen Sie sich!“ Ganz aufgeregt alle ein paar zum Wachen raufgeschickt Schmieresteher ob schon das Department anrückt. Hatten aber wohl noch nichts bemerkt, blieben auf die Grand Central Station konzentriert, ahnten nicht, daß wir die Schächte überall geöffnet hatten in Manhattan daß Netherworld heute den Tag der Offenen Nottüren hielt der offenen Feuerschutztüren: dahinter die Unendlichkeit. – Begriff man, worin hier eingedrungen wurde? Wäre ein einzelner mutig genug gewesen, ohne Not dieses Reich zu betreten? Gleichviel. Es drangen zu viele ein, als daß der Geruch nach verdorbenem saurem Essen hätte noch abschrecken können, der hinter der Metallpforte herrschte (hatte jemand gehört, w i e sie krisch, als man sie öffnete? niemand, nein) und den kein Besucher vor Tagen verlor, als hätten sich die Düfte eines üblen Wassers in den Nasenwänden eingehäutet. Es brauchte mehr als einen Schnupfen, es brauchte Spülungen, ihn hinauszuschwemmen mitsamt den ExkrementMolekülen Schweiß Urin, die Schmutzreste Menschenreste, man mußte sich entleeren auch untertags, Knochen schon versupptes Rattenfraß. Da mußten sie alle hindurch und gingen! Nicht nur die Ärmsten, auch Honoratioren Filmstars herrliche Künstler Bankiers sogar von Midtown Goldhändler Pelzhändler, die Diebe aus dem Barrio die Mafia Chinatowns und ganz von Südosten Brooklyn Odessa der Russen schick schwuchtelte Soho strebten Washington Square gegen Morningside Hausfrauen mit toupierter Zukerwatte auf dem Haupt Jugendgangs rotierende Hüften die Gepiercten AlphabetCities Latinos Loisaidas weggeschwemmte Depression. Alle sie, vereint mit distanzierter arroganter Kultur und dem mondänen Schick von East Side Central Park, Bodygards sicherten sie und ihre kleinen fleckigen Hunde an den strassbesteckten Leinen, im Schleifchen des ChihuahuaPudels blinkte der Brilliant, vorangeschoben von Rockern und Rockets, Punk und Petticoat, Dreadlock und Dandy, Rednecks Brokers Caballeros – ein unabgerissener Menschenstrom wälzte sich über Catwalks und Stiegen immer tiefer hinab: Man mußte Gleise überqueren paßt bloß auf mit den Leitungen, doch es zischte nicht einem der Fuß weg. Stets waren Ordner zur Stelle, wenn ein Zug sich näherte, den nur diese Ordner hörten: Sie hatten Ohren wie Fledermäuse, mit denen hatten sie sich gekreuzt und waren zur Gänze erblindet, aber wie jene und wie Höhlenantilopen flink, man wußte nie, ob jemand von ihnen in der Nähe war. Schweigen hatte sich über das Publikum gelegt, weil es ins Schweigen hineindrang. Gebirge aus Steinen wölbten sich auf. Die Wege waren schattig illuminiert Flackern Glitzern zuzeiten. Man konnte in Seitenröhren voller Juwelen schauen, ein Dunst wehte draus her: Wassergeister flatterten über dich weg, und die Spiegelung war vergessen. Sie lag Lichtjahre hinter dir. Nur noch das Knirschen unter den Sohlen der Hunderte Leute; nur manchmal ein erlösendes Lachen Gelächter, in den Seitenröhren sprangen die Stalagtiten davon. Opake Schichten hervorgequollen wie ein Wachs aus Stein begleiteten den Weg; an manchen Natursimsen blakten Lampen machmal Haushaltskerzen. Wieder Seitenschotts. Dahinter hüfttief der Gang. Mußten wir kriechen? Blieben welche zurück? Hunde bellten, es war eine Umgehung in die Wand geschlagen, sauber verfugt: die ersten Bauzeichen Neills, hier begann Under Manhattan. Aber kein Stadtschild kein Hinweis noch ahnte keiner die Neue Welt. Under Manhattan lag u n t e r Netherworld und reichte nur manchmal in es hinein. Es würde Netherworld zwischen sich und Manhattan erst über die Jahre zerquetschen. Nur in den Tunneln der Subway nicht in den Röhren der Kanäle noch denen der Wasserversorgung: dahinein wird, wer sich nicht zum Bürger einer der beiden Seiten erklärt – zur dunklen, zur hellen (doch welche ist wo?) – getrieben werden. Schon erste Stufen sogar zur Seite Geländer. Was war das für ein Stoff? Das Material warm wie geheizt es mußte niemand frieren. Staunen. Manche wollten stehenbleiben und sehen, aber es war nur verschattet, zumal die Menge, von hinten, drang nach. Schon über eine Dreiviertelstunde währte der Weg, dann öffnete sich eine Höhle beblitzt Halogen unten probte ein Jazzduo nur Trompete Schlagzeug Sentenzen. Man hatte die Carnegie Hall unter Carnegie Hall nachgebaut, aber betrat sie von oben; jetzt, da das Musiktal in der Höhe noch nicht geschlossen worden war, konnte, wer lauschte, die Untergrundbahnen der 6th Avenue das Firmament durchrasen hören. Es war nicht zu fassen: gigantische Arena und unten, alle die Sitzreihen Terrassen den Berg hinab, das KonzertPodium. Sinfonien d
er Tausend: so viele Stühlchen vor Notenständern und davor Michael Mantler, tatsächlich, der und Nick Mason im kammermusikalischen Probenlicht, aber das Ziehen das Pochen der Ton!: dann, als Jack Bruce durch die Stuhlreihen tritt, das Mikrofon nimmt, den Einströmenden entgegensingt hinauf rauh elegisch „alone in the mud yes the dark yes sure yes panting“ die langgezogenen Klagelaute „someone hears me no one hears me“: Da wird, wer eintritt, vollständig stumm. Auch stummges c h l a g e n, vom Drummer. In den oberen Gang münden Türen um Türen und aus allen Türen quillt es herein, wer drinnen ist, schweigt. So improvisieren unten die drei und oben der Menschenstrom reißt nicht. Links hinten, in Mitte des Rondells, eine hellstrahlende Loge verglast man sieht nicht hinein nur hinaus, darin sitzt Neill mit seinem Bauherrn Financier und drei Mädels aus LEGZ DIAMOND‘s: von denen ist Lissy an den Magnaten geschmiegt, einen hübschen jungen Burschen, den Erbschaft und Geschick haben stromlinienförmig gemacht. Er hat sich die Damen bei Martha bestellt, so erfuhr die von dem Konzert unter der Erde und daß Maestro Chopstick und Mantler… Sie hatte nur einmal die Braue gehoben, welch exzentrische Idee! da machte sich der Müßiggang jetzt bereits über die Mole People lustig. Eine weitere Kerbe hatte die schwarze Fürstin in ihr Gedächtnis geschnitten, aber die Mädchen doch freigegeben… es wird wohl jetzt aus dem ganzen sowieso nichts mehr werden, da doch Olsen im Krankenhaus, in einem für die Armen, liegt und niemals wird mehr ein Eßstäbchen heben. Was weiß sie von der Hoffnung, die der in diese Menschen legte, von seiner das Jenseits der Realitäten rührenden Kraft? Freilich haben auch in der Carnegie Hall die Leute gemerkt, etwas stimmt nicht, wo bleibt der Maestro? auch die Musiker sind kaum zu einem Drittel gekommen. Während Bruce singt „a few words yes a few scraps yes“ füllt sich das Orchester nur langsam mit den zerstörten Körpern dazu die Bässe bass drum zerfetzten Kleidern Vogelscheuchen Verkrüppelten Abgehauenen. Kinder, die nie eine Schule, Frauen, die nie einen Vater sahen. CrackKranke von AIDS in die Knie getreten und die Kranken aus den Staatlichen Psychiatrien, vor paar Jahren auf den Straßen ausgesetzt, weil der City Counsil kein Interesse an einem sozialen Gemeinwesen hat, Guiliani the Yerk, zuckend sabbernd Männer die schwanken vor schlechtem Schnaps ein Gloria der Prohibition aufgewachsen in den Hellkackskuben der Lower East über Hunderte von Metern soziales Wohnungsbauelend so nahe an Wall Street der Brooklyn Bridge für Touristen die staunen und „Aah!“ und „Wie herrlich!“ eine Taube die übern East River fliegt übern Hudson: ja w a s denn nun? EGAL! ach verlogen! VERLOGEN! denn keiner will sie hinterher gesehen haben: die roten verquollenen Mütteraugen die bis sie weich waren verkloppten Kinder Latinos Loisaida Ich will da sein wo man Messer sticht und schießt (Miguel Piñero )
He sold her to a drunken brute
So viele Stühle blieben noch frei, aber daß die Mißgestalten Instrumente aus den Kästen holen, sie ansetzen, daß sie Töne fabrizieren können mit diesen Fingern! Daß diese Menschen ihrerseits zu den Improvisationen blasen, die langen Bögen Mantlers unterstreichen, Masons synkopierte Drums synkopieren, das ist nicht faßbar, das spüren, die hereinkommen, gleich, es füllt den Raum, hallt wider in ihm: Es sind Töne Laute Akkorde es wird einem der Brustkorb eng wird weit: Das war ein Wunder. „Ladies and Gentlemen, how you doin‘?“ kam es von unten, rauh sprach Bruce ins Mikrofon, rauh rüttelte es an den Lautsprechern, die man nirgendwo sah. „We‘re glad to welcome you to listening to a wonder! Ladies and Gentlemen not to say: friends: This is Netherworld. Netherworld Under Manhattan!“ Und weiter geht es
auch Angel in die Halle gedrückt, mehr geschwemmt als gegangen… starrt bestürzt staunend mit offenem Maul in diese Riesenhalle nicht Kristallüster hängen unter der Decke, sondern leuchtende Tropfsteingebilde rosa Quarze blaue Kristalle dazwischen die Metallstreben Flutlicht so etwas hätte er niemals geglaubt. Und war doch Bewohner der Tunnel gewesen. Natürlich hatten sie sich erzählt von Under Manhattan während der Nächte, wenn du zu müde bist und Shacky ist wieder zu schlaff, die Birne drüben aus der Notbeleuchtung aus- und hier überm Schlafplatz einzudrehen, so haben wir uns die Angst vertrieben im Dunklen mit Angst aus Geschichten. Es war schön warm, den Kopf der Stadt hoch über uns, Hals und Schultern Schlüsselbeine sind die Straßen, man hört noch die Lungen die Subways fauchen, doch du bist ins Gedärm geschmiegt, und das Pochen des Herzens läßt die Versorgungsrohre klopfen. Wenn man dann nicht mehr weiß: ist diese Wand echt? ist das die lecke Sprinklerleitung, was so tropft? hab ich eben Stimmen von oben oder von unter mir gehört? dann kommen solche Fantasien, wie aus Fieber aus Träumen, sie sind aus einer Langeweile geboren, die dir die Zeit vertreibt. Schon will jemand – war es Josie? – noch über die Siebente Ebene hinaus tiefer hinabgeraten sein: Dorthin, wo Zivilisation nicht, sondern Evolution hat die Buchten in den Granit gesprengt. Wo ein Wasser entsteht, das niemals hinaufdrängt mit unbekannten blinden Fischen drin und kleinen Echsen oder Insekten, man weiß das nicht so genau, schmecken tun sie jedenfalls nicht. Dort habe Josie eine Tür gefunden; keine Öffnung, eine T ü r! Eine Stadt habe sich dahinter aufgetan mit Straßen Häusern Lampen Geschäften, doch niemand sei hindurchgegangen: Josie schwöre, sie sei die erste Frau gewesen – sie lachte: der erste Mensch! -, der das betreten; von denen abgesehen, natürlich, die es gebaut. Wir hatten ihr nicht geglaubt, aber schön war die Geschichte gewesen, Hamburger, die sich selber brieten wie bei Walt Disney, wenn die Fritten tanzend ins brodelnde Siedefett hopsen.
Was ging da unten vor sich?
Die Musik hatte aufgehört, die Musiker sprachen: berieten sie sich? derweil sich immer mehr Reihen füllten, noch war der Publikumszustrom nicht versiegt, manche hatten weite Wege hinter sich, waren, nachdem im großen Bahnhof abgewiesen, auch nach Norden gezogen, oder nach Süden, sie wußten ja nicht wohin. Eingestiegen über eine Station der Lexington Line, wo man normalerweise aufpassen muß, weil dort der Tunnelnachwuchs Jagd auf Tagler macht. Doch heute war der Eintritt frei, heute geleiteten einen die jungen Männer, ihre vernieteten Baseballschläger über der Schulter oder in Halftern an der Seite, eingeknoteten Schmutz in den Dreadlocks, durch erschreckend breite Lüftungsschächte, in die tags Licht aus den Gitterrosten fiel, die nun aber, im Dunklen, von nichts denn grün glimmenden Notleuchten erhellt waren, alle Gesichter wie an Wasserleichen blaß. Mit einem Mal schossen über die tief elegischen, nur von den Drums rhythmisch in Form gehaltenen Klängen helle Streicherakkorde, als wären es Fanfaren. Die riefen zu einem andren Konzert, nicht Klage mehr, sondern Feier: ein Lebensfest, das den Leuten ihre Not in die Augen trieb, bis sie nach Vorspiel aufs Haupthema mit den perligen Läufen eines jungen dicken Pianisten über Bäche dahinstürzte, tröstlich tiefer zum freiesten Fall von C-Dur. Es waren nun endlich genügend Instrumentalisten zusammen, um ganz ihrerseits zu zeigen, was in monatelanger Schulung – manche hatten zuvor niemals ein Instrument in Händen gehalten – der Maestro ihnen mit seinen Chopsticks beigebracht, wohinein er sie so versponnen trainiert. Leise dazu, abermals, Bruce: „Welcome to a wonder…“ Vorsichtig zerblies Michael Mantler über dem Mozart eine Trompetenbrise. Sie flatterte unhörbar fast davon, im Nacken wie ein Hauch gespürt, dessen Herkunft niemand findet. Da kann man die Fenster noch so sehr schließen und Deckenwülste vor die Fugen drücken. Die Pause vor dem Andante ohne jedes Geräusch. Unten die Musiker in ihren Lumpen sahen sich kaum an, sahen auch nicht nach vorne, weil ihr Dirigent ja fehlte. Vielleicht weinten sie, es ist nicht zu sagen. Der Pianist, kaum aus der Pubertät heraus und mit roten Lebertranwangen, wischte sich jedenfalls über die Augen, bevor er mit dem zweiten Satz begann. Leise schlurften aberneue Musiker heran in ihren Lumpen, nahmen Platz, holten die Instrumente heraus, legten sie sich auf die Knie und warteten, bis ein Niemand sie rief einzustimmen. Jeder wußte: auf den Maestro warten, das hat keinen Sinn. Wenn Olsen bislang nicht gekommen war, würde er gar nicht mehr kommen. Es war ihm etwas zugestoßen, man mußte nicht diskutieren. Die einzige Weise, ihn zu ehren, war: zu spielen was das Leben hielt. Und so spielten sie, vereint und ohne eine andere Leitung als ihr innerstes Ohr, man konnte es von den Berghängen schluchzen hören bisweilen, dann lachte wer. Angel hatte sich auf eine Treppenstufe gehockt, seinen Kopf schief auf den Handflächen, Ellbogen auf Knie, so hörte er zu. Welcome to a wonder: Wer hatte uns Ungeschickten Ausgerotzten dieses Spiel gelehrt, wer führte uns die Hand den Bogen? Wer machte es, daß unsre Finger links über die Stege rasten, als hätten sie niemals Frost abgekriegt, als wären sie nicht zahllose Male gebrochen und die Fingernägel rausgerissen, als die Wunde sich vergiftet hatte eitrig aufgeschwärt? Woher nahmen diese Menschen ihre Kraft, nicht an eine bessere Zukunft, an Gerechtigkeit und Jenseits, denn damit hatten sie abgeschlossen, doch an das Leben selbst zu glauben? Wer hatte dieses Glühen in sie gegossen, den lachenden Ruf von Klippe zu Klippe durch Böen in Augen: ein alter gebrechlicher Kauz namens Olsen, über den sich der halbe New Yorker Musikbetrieb eine Zeit lang nur amüsieren konnte? Tatsächlich er? Oder etwas – wer? – durch ihn hindurch? Schlußakkord in C-Dur.
(Applaus, zögernd, misterioso –
Applaus, molto energico – Erste Leute stehen auf –
Applaus, morendo, zerfasert)
Manche blieben sitzen, andere rannten ganz aufgeregt umher. Waren Reporter dabei? Sonst sind Journalisten doch immer zur Stelle… Man war nur sprachlos. Und was Neill in seiner Loge tat – ja daß er überhaupt da war -, spielte gar keine Rolle. Aber erstes Gerede durchlief die Hänge: daß Maestro Chopstick von der CIA verhaftet worden sei oder vom FBI, die Gerüchtler wußten das nicht so genau. Dann hieß es, er sei bloß angefahren worden. Der Pennbruder mit den Eßstäbchen? Tatsächlich? Ich war mal in der Good Shepherd Church dabei. Soff der nicht? Ich hab ihn vor der Met gesehen. Ist umgekippt in seinem Rausch. Lachen. Hat sich unterirdisch verirrt, nun dirigiert er den Ratten. Lauter solch Zeugs. Angel wußte nicht, worüber die Leute sich unterhalten, saß nur immer weiter da in seiner Schräge und dachte: Dafür hast du gelebt, das ist es, weshalb du alles ausgehalten hast über die Jahre, damit du hier dabeisein darfst. Er war glücklich. Aber er wußte nicht, daß er es war. Weder Wort noch Inhalt hatten mit ihm Bekanntschaft gepflegt. Er wollte nur nicht, daß dieses Konzert aufhört. Er wäre gerne während des Konzertes gestorben, so nahe war ihm alles Leben jetzt. Daß sich ein Schwarzer neben ihn hockte, war ihm ganz egal, nein, er mußte sogar lächeln.Treppenstufe. Selbst einen Sozialarbeiter hätte er neben sich geduldet, vielleicht auch einen Cop; aber da war er sich nicht g a n z so sicher. Und ahnte noch nicht, was nun auf ihn zukam, erst von Mantler und Freunden geöffnet, dann von Mozart ins Hören verführt. Der Bimbo sah ihn an, im augenweißen Unten rote Streifen. Eigentlich, dachte Angel, ist das eine wunderschöne Haut. Eigentlich hätte er sie gerne berührt. Aber er traute sich nicht. Der Schwarze nickte. Angel nickte dann auch. Sie sahen sich lange in die Augen. Dann konnte Angel nicht mehr, dann fing er an, sich durch die Augen auszuschütten.
[>>>> Kapitel 51 (zweite Fortsetzung).
ANH, In New York, Romananfang <<<<
Alban Nikolai Herbst, In New York, Manhattan Roman.]