[Foto: David Baltzer/© Agentur Zenit.]
Eine Schlüsselszene für die Interpretation von Bieitos neuer Arbeit an der Komischen Oper Berlin findet sich im Dritten Akt, der auch die Szene vorführt, in der Armida den Haß als Person aufruft, den sie zugleich – konkret, mit einem Telefonkabel – erwürgt, wie er doch, in seiner weiblichen Gestalt, auf dem Sofa sitzenbleibt und vor sich hinweint: ein weinender Haß, so weit holt unter den bekannten Regisseuren der Ära derzeit nur Bieito aus. Ich meine aber mit dem „Schlüssel“ etwas anderes, nämlich die von Bieito bildlich unter Armidas Gesang angedeutete Selbst-quasiKastrations-
Szene, worin sie sich, am Boden kniend, über ein Messer beugt, wie um es sich gegen allen Schmerz einzuführen. Diese Szene verbindet die Zauberin mit dem Zauberer-der-Macht-an-sich, mit Klingsor nämlich, der sich, um seine Macht zu erlangen und zu wahren, entmannt hat und seinerseits über die Eroszauberin-an-sich, Kundry, nach absolutem Belieben verfügen kann. Bis ihn die religiöse Entsagung des Fleisches in der puerilen Naivetät Parsifals besiegt. Diese erscheint auch bei Bieito, nunmehr, quasi „spanisch“, in der Marienfigur, die diese Inszenierung beobachtend durchschreitet: eine allgegenwärtige, für mich sehr deutlich an Antonello da Messinas Annunziata angelegte Pietà. Es ist von verblüffender Wahrheit, wenn Bieito sie schließlich selbst in den Liebeskampf hineingibt, aus dem sie eine Liebeszärtlichkeit machen möchte – das ist die anrührendste Szene der Inszenierung überhaupt – und dann genau dafür vergewaltigt wird. W i e provozierend das in seiner Bedeutung eigentlich ist, wird nur solchen klar, die noch der Mariae Bedeutung, auch ihre nach wie vor wirkende Genese aus den Großen Göttinnen-Mythen, so fühlen kann, wie das im mediterranen Südeuropa gefühlt wird. Der pragmatische nordeuropäische Protestantismus ist bei sowas eher degoutiert; das war gestern abend an der Komischen Oper ziemlich zu spüren. Wie Glucks französische Zeitgenossen geht man lieber auf die Distanz einer Correctness, die das in unserem Fall demokratische, autonom-kritische Selbstverständnis – also die nüchterne Bürgerlichkeit des bis zur Korruption in den Markt geschmiegten, den Markt affirmierenden Menschen-als-Konsumenten – der Hingabe an den „tierischen“ Trieb vorzieht. Aus dieser das halbe Publikum erfassenden Abwehr bezieht Armidas Hochglanz aber gerade seine Macht. Hier sind die Parallelen absolut schlagend, die Bieito zwischen der starren höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts und unserer scheinbar libertären zieht.
Imgrunde ist seine Armida eine den models Helmut Newtons gleichende Ikone; daran orientiert sich diese Inszenierung. Zugleich greift Bieito ästhetizistisch auf den Stierkampf zurück, der für das mythisch-matriachale Beziehungssystem steht. Bieito inszeniert auch und immer die Männerangst vor der Frau. Der Stierkopf wird zum Emblem der Frauenherrschaft Armidas, die einiges mit Penthesilea verbindet. Nur schlägt der so lockende doch verweigerte Eros permanent in körperliche Szenarien um, die die gesellschaftlichen Machtverhältnisse als sexuelle reinszenieren: Herrschaft wird durch Entzug stabilisiert. Auf der anderen Seite steht die in Wagners, der von Gluck hochbeeinflußt war, Konzeption ideologisierte Entsagung – die Nietzsche so aufbrachte, weil er den neuen Kniefall in ihr witterte. Bei Bieito ist das durch und durch ambivalent, vor allem, weil die Marienfigur als Gegenfigur Armidas für ihn die Menschenhoffnung b l e i b t; er „erlöst“ sie sogar, indem sie, Maria, zärtlich wird: körperlich, erotisch zärtlich – was dann zu der schon erzählten Vergewaltigung durch die Soldateska führt. Selten habe ich eine Inszenierung gesehen, die sich dieser Dynamiken so sehr bewußt ist und sie in konsequente theatralische Bewegung versetzt.
Dennoch bleibt der Hochglanz der Modemagazine ein Problem, auch wenn Bieito sie durch das überaus menschliche nackte Paar konterkariert, das der perfekten Körperlichkeit nun gar nicht dienstbar ist, vermittels welcher die Zauberin ihre Macht geerdet, nämlich enterdet hat. Es hat etwas Befreiendes, ja wirklich Glückliches, wenn die nackte alte Frau vor erotischer Freude laut durch den Saal lacht, ganz schon zu Anfang der Inszenierung, da sitzt sie auf der erotischen Schaukel, die, eine Schutzwölbung aus Plexiglas, ein andermal dem aufgehobenen Embryonalschlaf des erwachsenen Mannes dient. Überhaupt finden sich in Bieitos so perfekter Inszenierung, daß man von Styling sprechen möchte, zahllose Nebenbilder, die ihrerseits genau ausgehorcht sind – die erstrebte Provokation lenkt davon leider oft ab; auch geht die von Gluck komponierte Konzentration auf den dramatischen Strang etwas darüber verloren. Andererseits zeigen diese Nebenbilder, die alles andere als Mätzchen sind (abgesehen vielleicht von einer Szene, worin zwei Riegen nackter Männer an den Banden eines Boxrings Liegestütze machen), die Meisterschaft bieitoscher Personenführung. Auch sie birgt freilich die Gefahr des Sterilen – wohl der einzige Einwand, der sich berechtigt vorbringen läßt: Es fehlt an organischem Schmutz. Wie erholsam deshalb, als Bieito den die Bühnenseiten bedeckenden und das beleuchtete reinliche Glas- und Spielplateau der Bühnenmitte einfassenden Kunstrasen einmal aufreißen und Armida sprichwörtlich in Erde wühlen, ja auf die Erde einschlagen läßt. Doch bleibt das in der Geste stecken. Die Personen bleiben eben Gefangene ihres Geschlechterkampfs, der in seiner gläsern-gesellschaftlichen Perfektion die Form eines gefrorenen Krieges angenommen hat. Entsprechend deutet Bieito Glucks Opernschluß resignativ: ehe der Geliebte sie tatsächlich verlassen kann, die s i e sich, nicht er, der Macht begab, erschießt die Zauberin den Geliebten und gewinnt dadurch ihre liebes- also seelenlose Macht zurück, so daß sich die dominant-submissiven Geschlechterverhältnisse als Unheil restabilsieren können, die Bieito als d a s Modell moderner Gesellschaftsverhältnisse immer wieder vorführt.
Ich hatte während der Aufführung ein paarmal das Gefühl: die Musik ist nicht laut genug. Was an den bei derart viel Aktion unvermeidlichen „Neben“geräuschen liegt: etwa den Schritten der hochhackigen Pumps auf dem Kunstglasplateau und anderem mehr. Der Intention Glucks, der den Schrei komponieren wollte – den Aufschrei, nicht den Schrei Munchs -, hätte eine behutsame Verstärkung der Orchesters alleine deshalb gutgetan, um seine Präsenz mit der der (post)modernen Trieb-Inszenierung Bieitos auf eine Höhe zu bringen. Was Glucks Zeitgenossen bereits skandalös gewesen ist, klingt in unseren Ohren, die von ganz anderen Lautstärkepegeln geprägt sind, oft nur noch harmlos; hier historisch hören zu wollen, wäre ganz falsch, weil es ebendie Distanz wieder herstellte, die sowohl Gluck als auch Bieito aufbrechen wollen. Die wäre, um im Bild zu halten, höfisch. In einer anderen Inszenierung der Komischen Oper, >>>> im Theseus, wird genau darauf reagiert, wenn der Siegeschor nicht mehr aus Kehlen, sondern aus – zumal blechen verzerrenden – Lautsprechern gegeben wird. Ein Bemühen um „historische Aufführungspraxis“ ist verfehlt, weil es schon die physiologischen Wahrnehmungsverschiebungen verkennt, die uns von den Menschen des 18. Jahrhunderts grundsätzlich trennen. So hatte ich auch bisweilen den Eindruck, die Sänger sängen zu leise, ganz abgesehen von, daß Peteris Eglitis’ Hidraot durchaus wackelte; auch Peter Lodahls Rinaldo war bei aller lyrischen Weichheit oft ein wenig schwach. Dafür besticht Maria Bengtssons Armida durch permanente, durch und durch heroische Präsenz; daß sie nie wirklich in ein Inniges des Ausdrucks langt, ist nicht zuletzt darin begründet, daß die extremen, nicht ganz unhysterischen Stimmungslagen, die diese Zauberin beuteln, nicht eigentlich psychisch begründete sind, sondern immer etwas von Behauptung haben; das liegt auch an der Heroik selbst: Glucks Armida ist noch kein modernes psychologisches Kammerspiel, sondern bleibt, gewissermaßen „episch“, Tab l e a u; davon ist die Musik noch immer geprägt. Das prägt aber längst auch unsere ästhetisierte Gegenwart wieder, weshalb ihr Glucks Reformopern viel mehr entsprechen als etwa Mozart.
Ich kannte die Armida vor gestern abend nicht; sie wird auch selten gespielt. Ich war bewußt nicht vorbereitet, um mich der neuen Erfahrung auszusetzen. So wurde mir wieder einmal deutlich, wie sehr Oper Wiederholungskunst ist; sie erschließt sich immer erst nach mehrmaligem Hören. Der in den Pausendiskussionen zu vernehmende Einwand, man hätte obertiteln sollen, damit zu folgen sei, ist auch dann bloß wohlfeil, wenn das Deutsch der Sänger oft unverständlich war. Opernhandlung ist nicht, worauf es ankommt, sie ist alleine ein Rahmen, der dann sogar ablenkt, wenn der plot zum Selbstzweck wird. Das eigentliche Drama findet seelisch statt, nicht in der funktionierenden Dramaturgie einer äußeren Erzählung. Dies muß erarbeitet, dies muß immer auch nachbereitet werden, zumal wenn eine Regiearbeit vorgeführt wird, die so ausholt wie Bieitos. Es spricht nicht gegen ihn, wenn man erst einmal gar nichts versteht; es spräche gegen ihn, v e r s t ü n d e man sofort, zumal gleich alles. Was Bieoto immer leistet, ist eine Verknüpfung der verschiedenen Bildlichkeiten. Es mag persönlicher „Zufall“ sein, daß ich, als die nackten Männer auf allen Vieren der Zauberin nachkriechen, sowohl an Circes Wildschweine dachte wie an eine Szene aus Pasolinis „Salò“, wo es allerdings Frauen, nicht Männer sind, und die Zauberin hat die Gestalt von Faschisten. Daß solche Assoziationen Ähnlichkeiten evozieren und eben n i c h t Identisches, ist genau der Grund allgemein i h r e r wie der Kraft Bieitos speziell.
Riesenapplaus für die Sänger und Instrumentalisten, heftiges Buh und einige Bravos fürs Team brüllten durchs Haus. Das war vorhersehbar. Zumal die Komische Oper die Inszenierung absurderweise erst Leuten ab 16 empfiehlt: Referenz an eine Correctness, die ganz gegen Bieitos Arbeit den Verblendungszusammenhang fetischisiert.
[Die nächsten Aufführungen:
10. | 15. | 26. April.
05. | 23. Mai.
01. | 24. Juni.
04. | 15. Juli.
>>>> Karten .]
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